Julie Forstmann erinnert sich an ihr Elternhaus


Godesberg, den 21. Februar 1935

Erinnerungen aus dem Leben meiner Eltern!

Gustav Wilhelm Brügelmann, Teilhaber der Firma F. W. Brügelmann Söhne.

geb. 21.11.1807 in Kaiserswerth
gest. 6. 8. 1860 in Bad Neuenahr
vermählte sich am 1. 5. 1845 mit

Helene van Hees
geb. 27. 6. 1823 auf einem holl. Schiff vor Köln
gest. am 11. 6. 1881 in Köln am Rh.

Aus dieser Ehe entstammen 7 Kinder, die die Namen erhielten:

       Johanna Sophie Brügelmann

 

Anna Maria Caroline Brügelmann

Friedrich Wilhelm Brügelmann

Henriette Julie Brügelmann

Helene Katharina Hermine Brügelmann

Julie Albertine Brügelmann

Johann Christian Dietrich Brügelmann




Wenn ich heute die Erinnerungen aus dem  Leben  meiner  Eltern schreiben will, so folge ich damit dem Wunsche meiner Nichte Elli Fulda geb. Brügelmann. Ich stehe im eben vollendeten achtzigsten Jahre und bitte daher, Nachsicht zu üben mit Schrift und Stil.

Von meinem Vater habe ich nur schwache Erinnerung, denn ich war erst vier Jahre, als er starb. Alles, was ich von ihm erzähle, erfuhr ich durch die Mutter. Mein Vater starb in Bad Neuenahr; die Ärzte schickten ihn wegen eines Zuckerleidens dorthin, und meine Mutter nahm ihr zweites Kind, Marie, dorthin mit. Ebenfalls weilte am Krankenlager der Afrikaforscher Dr. Gustav Nachtigal , der meinem Vater die Augen zudrückte. Er starb als erster Kurgast in Bad Neuenahr, welches 1860 gegründet wurde. Kurz nach seinem Hinscheiden trafen von Köln Onkel und Tante Nachtigal ein, sie eine geborene Brügelmann, und ordneten an, daß die Leiche nach Köln in die Mühlengasse kam, von wo sie bestattet wurde, auf Melaten. Onkel Nachtigal wurde der Vormund der sieben Kinder.

Als der jüngste Sohn geboren wurde, kam Schwager Nachtigal an Mamas Bett, hocherfreut nach fünf Töchtern der zweite Sohn! Er erhielt den Namen Dietrich und bekam als Patengeschenk 100 Thaler, späterhin alle Patenkinder nur 50 Mark.

Meine Mutter hatte einen schweren Witwenstand. Sieben unmündige Kinder, von denen noch keines konfirmiert war und der Jüngste, Dietrich, erst zehn Monate alt. Dazu das große Geschäft. Die Fabrik war noch in der Mühlengasse, das Detailgeschäft mit zwei Ladenmädchen, der Compagnon ihr Schwager Hermann Brügelmann. Meine Mutter hatte keine Zeit, tagsüber sich der Trauer hinzugeben. Um sechs Uhr begann schon ihr Tagewerk, indem sie den Fabrikarbeitern das Tor öffnete. Aber abends, da ging sie an die sieben Betten der Kinder, um sich auszuweinen. Aber die Zeit heilte auch den tiefen Schmerz, und sie lebte auf in ihren Kindern, die ihr alle Freude machten. Sohn Wilhelm wurde von Onkel und Tante Nachtigal erzogen, und nach der Schulzeit brachte der Onkel ihn nach Genf auf eine Handelsschule. Dann trat er früh als Lehrling in die Mühlengasse ein.

Doch ich bin gebeten worden, von dem Leben meiner Eltern zu erzählen und nicht von den Kindern. So will ich berichten, wo und wie sie sich kennen gelernt haben. Es war auf einer Hochzeit in Köln. als die bildschöne junge Holländerin zum Tischnachbar Wilhelm Brügelmann hatte. Sie neunzehn Jahre, er siebenunddreißig Jahre. Meine Mutter sprach nur wenig Deutsch und mein Vater erst recht kein Holländisch. Sie aßen ein Vielliebchen zusammen, und meine Mama gewann es. Am Abend, als Herr Brügelmann nach Hause kam und singend die Treppe hinauf ging, sagte am Morgen Frl. Kolkmann, die langjährige Haushälterin der Großmama Brügelmann geb. Braselmann: „Herr Wilhelm ist verliebt. Der ist ja heut nacht singend die Treppe herauf gekommen.“

Meine Mutter war aus guter, protestantischer Familie. Ihre Eltern hatten große Schiffe, welche später durch die Dampfschiffe vertrieben wurden. Sie fuhren zwischen Rotterdam und Köln. Meine Mutter wurde in Utrecht zur Schule geschickt. Ich habe noch ein Stück Möbel, ziemlich groß, was derzeit auf dem Schiff gestanden hat.

Als die Schiffahrt einging, zogen die Eltern mit den Kindern nach Deutz, wo sie ein Colonialwarengeschäft mit Seifensiederei gründeten. Ich erinnere mich dieses großelterlichen Hauses van Hees noch sehr gut. Als nun Herr Brügelmann der Tochter das Geschenk schickte, was er im Vielliebchen verloren hatte, war es ein eingelegter Schmuckkasten mit allen möglichen Silbersachen. Der Vater van Hees, entrüstet, wollte es zurückschicken, das passe nicht für sein Haus, aber schließlich beruhigte er sich doch, und acht Tage darauf hielt Herr Brügelmann um die Hand der Tochter an. Trotz des großen Altersunterschiedes war die Ehe eine recht glückliche, aber schon mit siebenunddreißig Jahren war meine Mutter eine Witwe. Sie lebte aber in ihren Kindern auf. Alle ihre Kinder heirateten nach Wunsch und starben erst nach ihrem Tode. Sie sagte öfter: „Alle Schwiegersöhne und Töchter sind evangelisch und haben ihr Brot. Keins braucht eine Zulage.“ Für meinen Bruder Dietrich war der Tod meiner Mutter am schwersten, denn er war noch unverheiratet und verlor das Elternhaus. Aber bald darauf lernte er Emma Hill kennen und gründete sich den eigenen Hausstand.

Unsere Hochzeiten waren meist in der alten Mühlengasse. Da wurden die Schlafstuben ausgeräumt, und siebzig Personen wurden zu meiner Hochzeit bequem untergebracht in zwei Zimmern.

Den Krieg 1870/71 erlebte meine Mutter. Schwiegersohn Karl Brügelmann machte als Kürassier den Feldzug mit. Die Hochzeit sollte kurz vorher nach siebenjähriger Brautzeit in der Mühlengasse stattfinden, als die Kriegserklärung kam, und der Bräutigam mußte ins Feld rücken. Die Tische waren schon gedeckt. Leicht verwundet kam er im Januar zurück, und bald danach fand die Hochzeit statt.

Im Sommer mußten alle Kinder um sechs Uhr, im Winter um sieben Uhr zum Frühstück da sein. Dann kam der Friseur, Rosallen, und die Mutter rief durchs Haus: „War sein mein Kröllen (Locken), war es mein Brill, war sein mein Schlötelen (Schlüssel)?“ Sie verlegte oft ihre Sachen. Jeden Morgen ging sie mit einer Trägerin auf den Alten Markt zum Einkauf von Gemüse und Obst. Die schöne Frau Brügelmann war bei allen bekannt und beliebt. –

Ich kann wohl sagen, daß meine Mutter auf ihre hübschen Töchter sehr stolz war. Damit die hochaufgeschossenen Töchter sich gerade hielten, beschaffte die Mutter auf ärztlichen Rat eiserne Corsetts, die das Stück etwa 30 Mark kosteten. Als die letzte Tochter heiratete, standen fünf solcher Panzer auf dem Speicher. Da sagte sie: „Jetzt müssen sie alle verschwinden, damit die Schwiegersöhne sie nicht sehen.“ Sie sorgte für eine gründliche Ausbildung der Töchter im Haushalt und in der Küche. Wir machten ein Bügel-, ein Koch-, ein Putzmacherinnen- und ein Stopfexamen. Das habe ich mal einer Dame gesagt, als sie mich fragte: „Welche Examen haben Sie denn in ihrer Jugend gemacht?“

Meine Mutter tat nicht viel im Haushalt. Nur hielt sie ihre Schränke und ihr Silber nach holländischer Sitte eigenhändig in peinlichster Ordnung. Die Aussteuern der fünf Töchter wurden alle mit Hilfe einer Näherin der Töchter im Hause genäht.

Meine Mutter spielte sehr gerne Karten. Sechsundsechzig und ein holländisches Spiel „500“, auch Mühle und Dame. Diese Spiellust habe ich von meiner Mutter geerbt. Meine Mutter ging mit Vorliebe zur Großmutter Brügelmann (ihrer Schwiegermutter) geb. Braselmann nach Honnef. Jeden Samstag nahm sie zwei Kinder mit dem Schiff mittags um ein Uhr mit nach Königswinter, von da zu Fuß nach Honnef. Halbwegs, in Rhöndorf an der kleinen Kapelle, erwartete uns die Großmutter mit ihrer Haushälterin, Frl. Kolkmann. Einmal kam die Mutter mit einem Kind, das sie noch nährte, und nahm sie in Königswinter einen Wagen, auf dessen Bock ein Faß Bier geladen wurde, von dem sie als Stillende in Honnef trinken wollte, und in der Tasche hatte sie ein Spiel Karten.

Für die Aussteuer wurden 5000 Mark aufgewandt. Das war viel, weil das Geld damals mehr Wert hatte.

Über eine Reise, die meine Eltern in die Schweiz machten, kurz vor dem Tode meines Vaters, findet sich ein Bericht in der Geschichte der Firma F. W. Brügelmann Söhne, die zur Hundertjahrfeier der Firma herausgegeben wurde.

Nur zu früh ist meine Mutter gestorben. Sie war erst achtundfünfzig Jahre, starb an einer Lungenentzündung binnen acht Tagen in der Mühlengasse. An einem Pfingstsonntag hatte sie einen offenen Wagen genommen, der verheirateten Tochter Henriette zuliebe, die bei ihr zu Besuch war, und der kleine Enkel Hans Brügelmann saß auf dem Bock. Er sowie die Großmutter erkrankten zur gleichen Stunde. Das Kind blieb am Leben, und die Großmutter starb, tief betrauert von allen Kindern.