Kuka, am 22. Februar 1872
Liebe Schwester!
Morgen vollende ich wieder ein Jahr meines Lebens, und noch immer bin
ich in diese Breitengrade gebannt. Werde ich Euch wenigstens in dem neuen
in meine Arme schließen können? Ich hoffe es zuversichtlich.
Ich habe zwar bis jetzt keine Erfolge gehabt, wie ich sie geträumt
hatte, habe im Gegentheil unendliche Zeitopfer bringen müssen und
den Anfang meiner Reisenden-Carriere unter ungewöhnlichen Gefahren
und Leiden gemacht; doch haben sich alle die zahlreichen Schwierigkeiten,
welche sich in der hiesigen Welt dem Fremden gegenüber unvermeidlich
aufthürmen, stets so glücklich applanirt, daß meine Hoffnung
und Zuversicht ungebrochen bleiben. Ich bedaure dabei nur tief, daß
Du Dir gewiß mehr Sorge machst, als nöthig ist.
Augenblicklich bin ich von meiner Kanem- und Borku-Reise zurückgekehrt
und zwar in einem Wohlbefinden, wie ich es vor Jahresfrist, d.h. vor meiner
Abreise dahin nicht kannte. Doch welche psychischen Torturen habe ich während
der 9 Monate meines Nomaden- und Räuberlebens auszustehen gehabt?
Und welche Entbehrungen haben mir tagtäglich die Erinnerung an Tibesti
wachgerufen? Ich hatte auf 4 Monate allerhöchstens gerechnet und ein
dahin zielendes Abkommen mit den Arabern getroffen. Doch Wortreue ist keine
Tugend der Araber; aus den 4 Monaten sind 9 geworden, und sie begreifen
durchaus nicht, daß ich über die 5 Monate mehr so viel Wesens
mache. Denn höhere Interessen als ihre Kameele und ihre einfache Kleidung
und ihre noch einfacheren Speisen kennen sie eben nicht und begreifen sie
auch an Anderen nicht. Ich habe gleichwohl Gegenden besucht, die vor mir
nie ein europäischer Fuß betrat und trotz meiner ungenügenden
Vorbildung für dergleichen Forschungen einen anerkennenswerthen Beitrag
zur Kenntniß eines guten Theils der östlichen Hälfte der
Sahara liefern können. Nur meine Mittellosigkeit hindert mich an großartigen
Unternehmungen. Hätte ich auf ca 100 Thaler nicht zu sehen brauchen,
ich hätte wahrlich nicht 9 Monate Hunger und Schmutz ertragen und
das geistige Leben meiner Gefährten, der Kameele, zu führen brauchen.
Ich habe jetzt eine genügende Übersicht über die Gliederung
der Tibbu-Familie und ihre geographische Verbreitung gewonnen, habe eine
ziemlich genügende Kenntniß der Landschaft Ennedi (von Terráwia
bewohnt) anbahnen können und die eigentliche Natur des räthselhaften
Bahar el Ghazal, das bisher die Geographen so vielfach intriguirt hat,
constatiren können. Den Terráwia einen Besuch in Person zu
machen, wurde ich zu meinem größten Bedauern verhindert, doch
war dies zu meinem größten Glücke; denn es würde mich
die Freiheit, wahrscheinlich aber das Leben gekostet haben. Von dem Raubzuge
nämlich, dem ich mich anschloß, wurden alle Nicht-Combattanten,
die man zur Bewachung einer aufgehobenen Kameelherde zurückgelassen
hatte, eingefangen und die Widerstand leistenden umgebracht. Du siehst,
die hiesigen Kriegszüge sind weniger rühmlicher Art als die großartigen
Exploits*, die die Deutschen so mit Ruhm gekrönt und die französische
Hohlheit so kläglich aufgedeckt haben.
Jetzt werde ich übrigens nicht mehr mit einer einfachen Räuberbande
(anders kann man diese Araber Kanem's kaum bezeichnen) sondern.– Doch laß
mich in verständig chronologischer Weise verfahren: Du weißt,
daß ich Ende März v. J. mit den gerade hier anwesenden Arabern,
welche hier ihren Überfluß an gestohlenen Kameelen und Datteln
auf den Markt bringen, nach Kanem abreiste. Ich erkrankte schon nach wenigen
Tagen ernstlich und brachte im traurigsten Zustande ca 10 Tage im heftigsten
Fieber zu, theils zu Pferde, theils zu Kameel, bis wir das Lager der Ulad
Sliman erreichten. Kuh- und Kameelmilch stellten mich bald wieder her (Chinin
habe ich leider nicht mehr), und wir konnten Anfang Mai nach Borku aufbrechen.
Die Reise dahin nimmt fast einen Monat in Anspruch, wenn man, wie die Araber,
mit Kind und Kegel reist. Sie vollzog sich ohne Unfall und Gefahr für
unsere Personen; nur von meinen 4 Kameelen (ich hatte zu dreien, mit denen
ich von Bornu aus ankam, noch ein viertes in Kanem gekauft) starben drei,
ein harter Schlag bei meiner Armuth. Mit Opferung alles dessen, was ich
für meine Person noch besaß, gelang es mir in Borku allmählig,
mich auf 2 neue zu schwingen. Doch das vierte starb indessen ebenfalls,
und als es später an unsere Abreise ging, mußte ich auf Credit
ein Kameel für 40 Thaler (ein bei den Nomaden unerhörter Preis)
erstehen.
Der Aufenthalt in Borku selbst ist mit keinen Gefahren verknüpft.
Das Land ist ganz in den Händen der Araber, welche die Einwohner als
ihre Unterthanen betrachten, und diese sehen mit stiller Resignation, wie
ihre Herren und Freunde sie ihres Hauptsubsistenzmittels, der Datteln,
berauben, ohne ihnen auch nur eine Spur zu lassen. Welch unglückliches
Ländchen! Sind die Araber in Kanem, so werden sie unaufhörlich
von den Arabern Wadaï's und den Terráwia ausgeplündert;
sind ihre Herren und Freunde da, so kommen die genannten Feinde zwar nicht,
aber das Resultat bleibt dasselbe: Verlust ihres bescheidenen Eigenthums.
Das Ländchen verödet in Folge dessen mehr und mehr, wie alle
die früher so heerdereichen Gegenden zwischen Borku und Kanem. Hier
wird der unzufriedenste Staatsbürger Europa's nothgedrungen einer
der zufriedensten Patrioten werden. Doch der Philosoph wird irre an der
superioren Natur des Menschen. Karl Vogt und seine Abaffentheorie muß
hier Anhänger gewinnen.
Ich wünschte wohl, liebe Marie, Dir Vieles und Ausführliches
über meine Eindrücke und Empfindungen zu schreiben; doch einestheils
ist es unmöglich, derartigen Gefühls- und Gedankenaustausch dem
engen Raum eines Briefes anzuzwängen, anderentheils kommt mir eine
neue Abreise so schnell über den Hals, daß ich mich auf diese
rhapsodischen Zeilen beschränken muß. Ich habe so gräßlich
viel Zeit in Fezzan und auf meiner letzten Reise verloren, daß ich
jetzt so rapide reisen muß als irgend möglich. Dazu steht im
Spätsommer der Abgang einer Fezzan-Karawane bevor, und ich möchte
von meiner bevorstehenden Excursion zu der Zeit zurückgekehrt sein.
Genug, nach 3-4 monatlichem gezwungenen Aufenthalt in Borku konnte ich
endlich den Rückweg antreten, der sich mit einer verzweifelten Langsamkeit
vollzog. Nach Kanem zurückgekehrt, benutzte ich die Thatsache des
Fastenmonats, während dessen ich Niemand hätte überreden
können, mit nach Bornu zu reisen (und dies allein auszuführen,
ist in der Gegend Wahnsinn), um den östlichen und südöstlichen
Theil Kanems zu besuchen. Ich ging nach Man, dem Sitz eines Khalifa des
Sultans Ali von Wadaï, wo Moritz v. Beurmann so verrätherisch
vom Khalifa Musa ermordet wurde, nach Monde, der Stadt der Tundzur, Ortschaften,
die Du auf mäßigen Afrika-Karten finden dürftest, die aber
außer Beurmann Niemand aus unserer Welt erreicht hatte, und erreichte
die östlichen Ufer des Tsad-Sees. Die Rückreise ging mit viel
Aufenthalt, aber ohne eigentliche Gefahren von Statten, und ich kam Anfang
Januar hier in Kuka wieder an. Scheïch Omar, der liebenswürdige
Herr, war außerordentlich erfreut über meine Rückkehr,
deren langer Retard Befürchtungen erregt hatte. Ich war unserer Karawane
einige Tage vorausgeeilt und kam spät Abends an. Noch in der Nacht
wurde der Chef d'etat in Kenntniß gesetzt, sogar von dem abgerissenen
Zustande meiner Person und dem skelettartigen Aussehen meines Rosses, das
ich von Borku ab am Zügel nachgezerrt hatte, unterrichtet. Ich war
am Morgen noch nicht erwacht, als er mir schon neue Kleider schickte (verschiedenen
Toben, eine seidene Jacke, ein Paar Schuh, ein Paar Tuchhosen, ja sogar
ein Paar lange wollene Kniestrümpfe und ein Paar europäische
Halbstiefel), und in der folgenden Nacht erschien ein neues Reitpferd auf
der Bühne (ich habe im Ganzen schon 5 Pferde von ihm erhalten, unter
denen allerdings nur 2 gute). Im Laufe des Tages machte ich ihm meinen
Besuch, bei dem er mich sehr herzlich empfing.
Es war in der That die höchste Zeit, daß ich hier eintraf.
Meine Briefe, Zeitungen und Sendungen anderer Art lagen hier seit 8 Monaten
in Kuka und waren, was das Traurigste war, nicht an meinen fondé
de pouvoir**, den ich in Gestalt eines Sherifs Ahmed aus Medina hier eingesetzt
hatte, abgeliefert worden. Die Herren Araber, welchen etwas an meine Adresse
anvertraut worden war, hatten auf meinen Tod speculirt (Kanem und Borku
genießt nicht die Reputation allzu großer Sicherheit), und
einige von ihnen waren durch meine Rückkehr nicht sehr angenehm überrascht.
Mein wackerer Freund in Murzuk, Hadsch Brahim ben Alua, dessen Todesnachricht
mich mit wahrer Traurigkeit erfüllt hat, hatte Alles, was an mich
zu expediren war, an 5 oder 6 Karawanenmitglieder vertheilt, und allmählig
liefen auch die Briefe wenigstens ein.
Zuerst fiel mir des Hofrath Gerhard Rohlfs Brief in die Hände,
der mir die besten Dispositionen der Regierung und der Berliner geographischen
Gesellschaft mittheilte und die Absendung einer Garantie für 500 Maria-Theresia-Thaler
von Seiten der letzteren an Herrn Rossi, um denselben so schnell als möglich
zur Absendung einer solchen Summe zu vermögen. Von den 500 Thalern
ist mir keine Spur zugekommen, noch auch ein dahinzielender Brief Rossis.
Derselbe hatte mit einem Tripolitaner Namens Bateïch („Melone"), der
hierher abreiste, das Abkommen getroffen, mir aus seinen hier vorhandenen
Mitteln so viel Geld vorzuschießen, als ich verlangen würde,
Und Herr „Melone" hatte auch den besten Willen gehabt, dieser Abrede Folge
zu leisten. Leider riß ihn der Tod von hinnen, ehe ich ankam, und
der Verwalter seiner Hinterlassenschaft behauptet, keinerlei schriftliche
Aufzeichnungen der Art wie auch keinen Brief an mich unter den Papieren
gefunden zu haben. Ich glaube zwar, daß dieser Herr einen Brief unterschlagen
hat, was kann ich aber thun? Erste Enttäuschung! Sodann kam ein Brief
meines Freundes Schmidt aus London, wohin er sich mit dem Hause Erlanger
aus Paris zurückgezogen hatte, der mir die Absendung von ca 300 Maria-Theresia-Thaler
annoncirte. Leider waren indessen vom Überbringer, einem Fezzaner
Kaufmann, der mich sicherlich gestorben wähnte, in Elephantenzähne
und Straußenfedern umgewandelt, und ich war nur froh, daß ich
diesen pflichttreuen Herrn, der im Begriffe stand, nach Kano abzureisen,
noch hier attrapirte. Es gelang mir dann allmählig, demselben das
Geld aus den Knochen zu reißen.
Eure Briefe waren dann im Ganzen erfreulicher, und war mir Rudolfs
Brief von größtem Werte. Er befriedigte meine sehr begreifliche
Ungeduld d'une manière concise et sommaire*** und bereitete mich
auf ein ruhiges Studium der Zeitungen vor, sich in der That der erforderlichen
Unpartheilichkeit befleißigend. Ich war übrigens schon vom Resultate
des Feldzuges in Kenntniß gesetzt worden durch einen Brief meines
früheren Reisegefährten Bu Aïscha, des türkischen Sendboten.
Leider reichten die Nachrichten nicht bis zum Ende des blutigen Dramas,
das zwar nicht zweifelhaft sein konnte. Meine Zeitungsstudien sind noch
nicht zu Ende. Die Kölnische habe ich bis zur letzten Nummer verdaut,
auch die Indépendence Belge habe ich nahezu beendet; doch bleiben
noch die London Times und einige italienische Blätter.
Meinen Heißhunger nach Nachrichten aus der Heimath einigermaßen
gestillt habend, machte ich mich resolut an eine Förderung meiner
Zwecke, consultirte den Scheïch Omar über eine Reise nach Baghirmi
und werde, da er dieselbe wohl ausführbar fand, morgen dahin abreisen.
Von den 300 Thalern bezahlte ich meine Kanem-Schulden für Kameel,
Datteln, u.s.w. im Betrage von ca 60 Thalern, kaufte die Ausrüstung
für Baghirmi mit ca 120 Thalern, bestritt die häuslichen Ausgaben
mit dem Reste und sehe mich jetzt genöthigt, für den Zeitpunkt
meiner Rückkehr ein neues kleines Anlehen zu contrahiren. Ich hoffe,
in 2-3 Monaten zurück zu sein und trete dann meine Rückreise
an, entweder auf dem nicht ungewöhnlichen Fezzan-Wege oder auf einem
anderen sich darbietenden. Vor dieser Zeit wird übrigens keine Karawane
nach Norden bereit sein, und ich kann doch die Zeit nicht wieder mit Nichtsthun
zubringen, wie ich es gezwungen so oft in Kanem oder Borku that.
Es ist demzufolge eigentlich müßig, Dir jetzt zu schreiben;
doch wer kennt die Zukunft? Sollte jemand vor meiner Rückkehr abreisen,
was ich zu Deiner Beruhigung wohl wünschen möchte, so hast Du
wenigstens die Nachricht meines ausgezeichneten Wohlbefindens. Um meinen
Hausstand billiger zu organisiren, habe ich 2 Sclaven angenommen, denen
ich vor meiner Abreise einen Freibrief ausstellen werde, wenn nicht etwa
der Kleinere (ca 10 Jahre alt) vorziehen sollte, mich zu begleiten.
Dies Mal geht es an eine Reise mit Ochsen. Die Ufer des Schari sind
den Kameelen nicht günstig, und Ochsen sind sehr viel billiger. Ein
leidliches Kameel kostet immerhin 20-25-30 Thaler, während ein Ochse
höchstens 10 Thaler werth ist und 2/3 - 3/4 einer Kameellast trägt.–
Die politische Welt hier ist faul. Bornu ist durch die grenzenlose
Schwäche seines Herrschers, durch das Hofschranzenthum und die Weichlichkeit
seiner Einwohner tief gesunken. Es schwebt in beständiger Furcht vor
Wadaï, dessen Sultan unzweifelhaft der fähigste, kräftigste
Herrscher der Sudan-Welt ist, und wird in Schlaffheit nur noch von dem
Haussa-Staat übertroffen. Ein Zusammenstoß zwischen Wadaï
und Bornu ist unvermeidlich; doch glaube ich, daß Sultan Ali (Wadaï)
bis zum Tode Scheich Omar's keine Feindseligkeiten unternehmen wird. Vor
drei Tagen kam ein Abgesandter von ihm hier an mit den freundschaftlichsten
Briefen und der formellen Accentuirung der Freundschaft zwischen beiden
Ländern. Das wälzte eine große Last vom Herzen des braven
Scheïch Omar, und ich wünsche von ganzer Seele, daß dem
letzteren, der früher sehr bittere Erfahrungen gemacht hat, dieser
Kelch während der kurzen Spanne Zeit, die ihm noch bleibt, erspart
bleibe.
Vertröste die Tanten und unsere anderen nahen Verwandten noch
etwas auf unser Wiedersehen, das hoffentlich Ende dieses Jahres statthaben
wird, umarme Deinen Gatten auf das Brüderlichste, küsse die Kinder,
grüße alle Bekannte, die sich meiner erinnern und behalte guten
Muth für mich und meine Peripetien.
Da ich vor meiner Abreise unmöglich noch an Onkel in Köln
schreiben kann, so schreibe Du ihm für den Fall, daß diese Zeilen
den Weg nach Norden nehmen sollten, bevor ich zurückgekehrt sein werde.
Dein
treuer Bruder
Dr. G. N.
* Heldentaten
** Bevollmächtigter
*** prägnant und umfassend