1941/43

Die Tagebucheintragungen September 1941 bis November 1943 befinden sich in einem dünnen Heft im Querformat mit 40 beschriebenen Seiten, das aus verschiedenen Blättern zusammengeheftet ist. Es ist teilweise unmöglich, die Wörter zu entziffern. Es sind u. U. auch andere Lesarten möglich.

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Bonn, 26.9.41. Ich habe wegen einer Magenverstimmung Zimmerarrest. Die Morgensonne scheint herrlich ins Bibliothekzimmer im I. Stock des neuen Hauses Meckenheimer Straße und ich habe meine Freude an den huschenden Sonnenflecken, welche über den schwarzen Schrank zur Venus von Stokkum (Plastik von Zimmermann) tanzen. Das Zimmer ist voller Behagen. Die kräftige Herbstsonne scheint so kräftig schräg durch die schwarze B... Politur des Kirschbaumschranks, daß sie das warme Rot des Kirschhintergrundes durch B... und Politur hervorleuchten läßt. Sobald die Sonne wegwandert, ist wieder schwarze spiegelnde Fläche. Jetzt, wo wir endlich mit dem Einräumen der Hausmöbel an ein Ende kommen, erfüllt uns das neuerworbene wiederhergestellte und jetzt endlich auch bewohnte „Neue Haus“ mit Behagen und Befriedigung. Vor 50 Jahren besuchte ich mit meiner Mutter als kleiner Knabe das große altertümliche Haus des Notars Brabender gegenüber, bestaunte die riesige Aufhäufung alter Akten und wollte auch Notar werden. Daß dieser Kinderwunsch ein halbes Jahrhundert später fast an gleicher Stelle in Erfüllung gehen wird, konnte damals keiner ahnen. Nun bin ich seit Tagen damit beschäftigt, Aufstellungen des Hausinhaltes zu machen, und zwar gleich in 2 Exemplaren, von denen eins bei meinem Bürovorsteher aufgehoben werden soll. Jeder muß heute damit rechnen, daß sein Haus von einer britischen Spreng- oder Brandbombe getroffen und vernichtet oder beschädigt wird. Seit fast 10 Tagen haben wir zwar Ruhe, dafür aber neue Scheinwerfer und Schnellflakgeschütze. Allenthalben werden bedrohliche hohe Bunker ohne Fenster gebaut. Alles richtet sich auf den Endkampf mit den verfl. Engländern ein, denen der H. mit Grundeis geht, nachdem wir vermutlich den Russen in der größten weltgeschichtlichen Umfassungsschlacht so gründlich geschlagen haben, daß er anscheinend mit seiner Kraft zu Ende ist, ca. 50 Divisionen und fast eine ½ Million Gefangene und ? Tote verloren hat. Die Engländer scheinen ihn aufzugeben und fliegen anscheinend vorerst nicht mehr bei uns ein, weil sie an den Russen kein Flugzeug mehr verschwenden, sondern nur noch mit Worten helfen wollen.
Bei diesem „Registrieren“ kommen einem mancherlei Gedanken, z. B. Jetzt hast du alles erreicht, was dir das Leben bieten konnte, nun könntest du davon dich ganz zurückziehen, statt wie nächtlich bei Alarm anstatt in das Kellergewölbe zu steigen, um dort den Ofen anzuzünden, in dessen Wärmestrahlung der kleine Enkel Heribert so mollig in einem Körbchen einschläft – auch 600 m weiter in das gewölbte Familiengrab auf dem alten Bonner Friedhof mich zur letzten Ruhe hinzulegen. Denken wir an Heribert und sein Geschwisterchen, das in etwa 2 Monaten kommen soll; es sind solche Gedanken schnell wieder entflogen, er soll bald seinen Vater wiedersehen, der die gewaltigen Schlachten in Rußland siegreich mitmacht und kürzlich von D... k... das E.K.I mitten im Gefecht erhielt, nachdem er als Arzt nach Verlust seines ganzen Sanitätspersonals 20 - 30 Verwundete mit eigener Körperkraft aus russischem Panzerfeuer heraus geholt, verbunden und gerettet hatte. Heribert, der seit dem 1.4.39, seiner Geburt, etwas über 200 mal nachts im Alarm im Luftschutzkeller gewesen ist und dessen blonder Schädel von 35 cm Weite jetzt auf 51 cm gewachsen ist, verspricht ein äußerst arbeitsamer Deutscher zu werden. Essen und Beschäftigung machen ihm Spaß. Wir halten uns selbst jung an ihm. Der Garten mit Sandhaufen und allerlei Gerät sind sein Liebstes. Am liebsten „arbeitet“ und klettert er. Heute morgen ist er mit seiner Mutter und Großmutter nach Hersel mal sehen, ob die Baumnüsse und Birnen bald reif werden. Aufs Ernten muß man jetzt sehr bedacht sein, denn ein entbehrungsreicher Winter scheint uns bevorzustehen. Wie 1618 - 1648 danach der 30j. Krieg, an dessen Folgen wir die jüngste Zeit zu leiden hatten, von 1914 - 1944 wird wohl der neue 30j. dauern, der die alten Wunden mit allem Schaden auswetzen wird. Vielleicht beginnen diese am Ende sogar die Schweizer Eidgenossen ... . Wie fast immer, wenn ich die Magenattacken erleben muß, nehme ich meine Zuflucht zum Grünen Heinrich und zu Kellers Lebensbeschreibung von E.... Lese immer mit Genuß und Erbauung darin.
Da hat einen das Leben mit vollem Glanz wieder ganz, zumal wenn solch herrliche Spätsommersonne scheint wie jetzt. Sie will einen trösten für den gänzlich verregneten Frühling und Sommer. Als wir Ende Juni das „Neue“ Haus bezogen, meinte die Sonne es auch gut mit uns und gab einige kurze Wochen trockenen Wärme zum Einzug, sonst aber führte Imperator pluvius meist das Szepter und meine neu angelegte Grasfläche sowie das Gewürzgärtlein zu fröhlichem Ergrünen brachte. Die gute Laune wird noch verbessert durch Besuch der Alfterer Förster, der endlich einmal einige hundert Mark Ertrag aus den mit ... Kosten die Aufforstung der „Büsche“ ... Auch tut es einem gut, immer wieder einige kleine Kisten von Äpfeln einzukellern, die jetzt so selten sind und mit denen wir uns, die Kinder und die künftigen, auch den Bauch von Uschi und Herta auffüttern wollen. „Janshöfe ... ...“ sandte eben einen Korb schöner Möhren, die jetzt eingegraben und so versorgt werden sollen. Es steht sogar in Aussicht, daß in der Zeit, wo Herta und Uschi im Oktober uns hier besuchen kommen, auch Waldemar mal mit dem Flugzeug kommt und in Hangelar landet. Nun fehlt uns noch ein guter Mieter für die Bachstraße, wenn viele trommen, wird schon kommen.
Sa 27.9.41. Gestern war die Zahl der gefangenen Russen schon auf 574 000 angewachsen. Von Eugen hatten wir eine Nachricht. Abends sehen wir im Stern die erschütternde Wochenschau, meist von der Ostfront, und lachen nachher herzlich über lustiges Stück „O, diese Männer“. Eine herrlich dunkle warme Nacht, von 1040 -1220 ein glücklicherweise hier nur blinder Alarm. Helene und ich zogen uns an, gingen aber nicht herunter und schliefen bald wieder ein; heute ist ein schöner sonniger Tag und das Straßenzimmer, in dem ich jetzt gern neben meinem Büro sitze, schon behaglich und durchsonnt. Ich muß mich bemühen, noch mal wieder eine leserliche Handschrift zu bekommen.
Ein in Godesberg wohnender Rentner Carlé zeigte seinen Reisepaß, der noch bis 1942 galt. Er kann damit nicht in die Schweiz zum Besuch seiner Tochter in Neufchatel fahren, die er in 3 Jahren nicht mehr gesehen hat. Auch kann die Tochter ihn nicht besuchen, da sie keine Einreiseerlaubnis nach hier erhält. Hart. – Soeben lese ich eine 6seitige Schilderung der Eroberung von Smolensk durch u. a. das motor. I. R. N 15, dem Eugen angehört. 16. Juli 1941. Harte Kämpfe. – Es kommen jetzt die ersten russischen Gefangenen ans Vorgebirge.
28.9.41. Wenn ich in meinem Zimmer am mittleren Fenster auf dem Sofa sitze oder liege, kann ich über dessen Rücklehne durch das tief heruntergehende Fenster gut auf die Straße sehen. Allerdings durch das Eisenguß Gitter, das vor dem Fenster steht. Dessen Ranken spinnen sich über die Straßenbahngeleise, den breiten Bürgersteig vor der Kreissparkasse und an deren Vorderseite bis zu den Türstürzen des unteren Geschosses. Sonntag ist viel Verkehr dort und viele Leute gehen durch das Rankenwerk. Gegen die halben Stunden sammeln sich viele Leute und füllen die Freiräume in den Eisenranken. Sie warten auf die Elektrische ins Siebengebirge. Es ist amüsant, dem zuzusehen, bis die Bahn kommt und dann alles absperrt. Dann sieht man die Leute aus den gegen Abend namentlich Sonntags übervollen Zügen herausstreben. Viele wollen weiter nach Köln und haben es dann gewaltig eilig, quellen an der falschen Seite heraus und stürmen gegen alle Warnungen und Verbote der Schaffnerinnen auf die Rheinuferbahn.
Es ist belustigend zu sehen, wie manche Gruppen sich in das Rankenwerk überraschend gut einfügen, während andere gar keine Rücksicht darauf nehmen und nur mit Beinen bis zu den Knien und mit abgeschnittenen Köpfen munter einhertraben.
Bonn, 3.XI.41. Am Freitag, 31.X. haben wir hier Carl Sondag im kleinen Kreise auf dem alten Friedhof begraben. Ging mir sehr nahe, war erst 60 Jahre alt. Mit Lilly war ich mehrmals zusammen, traf auch seine Geschwister Paula mit der apart hübschen Tochter Arztfrau Dr. Hoffmann und Bruder Walter mit seiner ... Frau. Von den Leidtragenden war die originellste eine alte Frau Vollmer, 92 alt Ma... 32. Schwager Willi Reitmeister war am gleichen Tage auch hier, hauptsächlich um einen Eimer Kraut aus dem Bergischen mitzunehmen. Bruhns sagt sich zu 14 dran. Herta kam mit Uschi vor Bahnsperre Freitag nacht 24. frisch hier an. Wohnt jetzt wieder Berlin und bleibt einige Wochen hier. – Es sind seltsame Gerüchte in Umlauf: Stalin habe dem Führer ein Friedensangebot gemacht mit allerhand Bedingungen. Sei glatt abgelehnt worden. Mittlerweile erobern wir die Krim und die Russen verziehen sich nach Samerow an der Wolga, rund 800 km hinter Moskau. Die Italiener marschieren in Rußland munter mit nach Osten. Viele? Die Türken sind jetzt wohl auf unserer Seite. Ob wir schon südlich des Schwarzen Meeres durch die Türkei nach Persien marschieren? Möglich wäre alles.
Gestern hörten Herta und ich mit Bretz und Ruth Hans Carossa und trafen uns nachher noch mit Wulfert angenehm im Höttchen.
16.XI.41. Schöner Tag heute. Giebt wieder mal Zuversicht. Dies heute nötig: Vor 14 Tagen kommt Mitternacht Herta mit Uschi von Berlin, etwas überstürzt von dort abgereist wegen drohender Bahnsperre. Große Freude. Kind hustet und ißt nicht recht. Jetzt nach 14 Tagen Arzt: Diphterie: Spritze. Spritze prophylaktisch an Bübi. Marianne große Aufregung. Herta mit Kind auf II.Stock separiert. „Kind muß heraus!“ – Nur mal langsam. Uschi im Bett, geduldig und soll außerdem Keuchhusten haben. Dann hat ihn Bübi auch schon. Weiter aufgeregt. Trübe Tage. Aber Leute wieder zuversichtlicher: Buz - Köln soll 11 zum Photographieren kommen, auch Dr. med. Hopstein soll kommen. Inzwischen altes Leistenlager an Armatage, Neuigkeiten und Spezialitäten in Lissendorf Eifel um guten Preis gegen Bar verkauft. – Sollte schon im Weltkrieg erfolgen, jetzt aber gar keine Holzleisten mehr zu kriegen. –
2.12.41. Ergreifende Gegensätze
Vorgestern Waldemar Flugzeug Hangelar, abends bei uns. Mit Herta in gymnastische Vorführung BBK. Gestern bei leichtem Frost strahlende Sonne. Start mit Weib Hangelar. Erst Mittags heim. Abends Anruf Wernigerode: Landung schlechten Wetters wegen.
Heute ist den ganzen Tag etwas windig: Schauer entk.... Marianne nachmittags 4 Uhr zu Frings zum Kaffee, bekommt Geburt. Zu Fuß heim. 6 mit Auto und Hebamme zum Beueler Krankenhaus. Abends 740 rief ich an: Hebamme meldet: 710 = 1910h ein Mädchen. Alles gut. Große Freude und Gratulation.
Kurz vor 6 P... Welter da, hat Todesahnung, will nächste Woche zu Sauerbruch, Carcinom Brustgeschwür. Armer reicher Mann ohne Enkel. –
Bonn 1. April 1942. Heute sind wir 1 Jahr lang mit dem Notariatsbüro in meinem Hause Meckenheimerstr. 62. Manches ist in der Zeit geschehen. Im Mai war ich vom Umbau und Umzug so erschöpft, daß der Körper seinen Dienst versagte und der Kopf meist schwindelte. Ich ging dann Mai nach Bad Tölz, allein, und ließ Helene daheim in dem Pröll mit den Bauhandwerkern. Jod trinken und Baden ließ ich sein, spazierte viel, hatte manchen Regen und auch öfters Schneetreiben und widmete mich der Familien- und Sippenforschung von Bruhns Vorfahren Bernwieser. Ein großer Teil der weitverzweigten Sippe B. in Oberbaiern lernte ich kennen. Bei feuchtem Himmel fuhr ich über München Freising nach Regensburg, Passau, von dort ein Tag nach Deggendorf Kloster Metten und dann über Würzburg heim, wo ich recht abgemagert ankam. Im Juni/Juli erfolgte dann der Wohnungsumzug mit 6 Möbelwagen von der Bachstraße. Das war eine Sache. Graut mir alles, wenn ich daran zurückdenke. Es dauerte Wochen und aber Wochen bis wir allmählich des fürchterlichen Durcheinanders Herr wurden. Wir hatten damit begonnen, die Bücherei auszuräumen und im Gartenzimmer des I. Stocks Meckenheimerstr. 62 zu deponieren. Dann schlug Schreiner Krämer das Gestell auf und mit Lehrling räumte ich nach und nach 40 Kisten Bücher ein. Der dann folgende Umzug mit 6 großen Möbelwagen kam ziemlich plötzlich, da wir uns ganz nach Langen und dieser wieder nach militärischer Beanspruchung seiner Leute und seines Materials richten mußten. Es wurde darüber Winter, daß wir uns endlich gemütlich und wohnlich einrichteten, Gardinen vor die Fenster bekamen und unendlichen Möbel- und Inventar Prölls langsam Herr wurden. Was hat der Mensch sich im Lauf der Jahrzehnte für einen Unsinn an Sachen um sich herum versammelt, die ihm im Alter lästig werden. Mit der zunehmenden Not an fast allem ist zudem jeder früher einfachste Gegenstand heute zu einem Wertstück geworden und wird es wohl noch einige Zeit bleiben. – Unterdessen zögert der Krieg an der Ostfront, nach

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ganz ungeheuerlichen Siegen erstarrt in eisiger Winterkälte. Seit 140 Jahren soll ein solch harter Winter nicht mehr gewesen sein. Eugen schrieb immer sehr mannhaft von der Ostfront. Als er endlich im März mit fast verlorenem Gehör hier war, erzählte er grausige Dinge. Er ist in der Ohrenklinik in Behandlung, hat wohl auf einem Ohr das Gehör entgültig verloren. Auf dem anderen besteht Hoffnung auf Besserung. Frontdienstfähig ist er nicht mehr. Januar und Februar verlebten Helene und ich in Oberstdorf bei Eis und Schnee. Bis zu -24°C und sehr reichlich Schneefälle. Wir erlernten die Atemmethode Egenolf und üben sie seitdem täglich. Der März – wir kehrten am 20.1. mit Umsteigen über Stuttgart heim – brachte uns endlich Tauwetter und milden Frühling. Seit Dezember haben wir klein Hella. Herta war mit Uschi fast 2 Monate im Frühwinter bei uns. Heute wird klein Heribert 2 Jahre alt. Da gedenken wir seiner Geburt am 1.4.40, wenige Tage später Bombenangriff der Franzosen auf Mozart- und Bachstraße. Jetzt ziemlich starke Einschränkung in der Nahrungsmittelzuteilung. Alles verschärft sich. Ich wiege 63,4 - 64 kg netto. Hoffentlich halten unsere Kartoffelvorräte.
   Schlaf. Lektüre. Arbeit. Traumwachen.
   Persönlich jetzt oft in einem eigentümlichen Zustand: Halbwach, träumend, stark zu Schlaf geneigt. Schlafe nachts gut, meist 9 - 9 ½ bis 5 ½ morgens. Dann frisch. Atemübung und zeitig auf. Oft schon um 8 mit dem Hund zum Spaziergang auf alten Zoll oder in Hofgarten. Während der Bürostunden oft längere Pausen in der Arbeit, dann fast stets geneigt, halb einzuschlafen. Stets eine Lektüre zur Hand. Lese in letzter Zeit Musäus Volksmärchen und male mir beim Einschlafen und Wachträumen Situationen aus diesen z. T. wenigstens geistreichen Erzählungen im Kopf aus, zugleich steigen dadurch Erinnerungen an frühere Tage und Erlebnisse, insbesondere solche von Sommeraufenthalten und Reisen, gemeine Situationen u.s.w. auf. Manches verfließt in Halbträumen, manches aber tritt mir haarscharf in die geistige Vorstellung. Oft habe ich besonderes Glücksgefühl dabei, oft auch traurige Stimmungen. Der Druck der Zeitstimmung ist ungeheuer und jene Erscheinungen sind wohl als eine Art Gegendruck dagegen anzusehen. Fontane lese ich mit Vorliebe, Stechlin jetzt 2 und in kleinen Abschriften durchgeackert, immer wieder fesselnd. Jetzt lese ich Erzählungen und Beschreibungen von W. v. Scholz, z. T. halb okkulte Sachen, die die Seele aufwühlen. Eigentümliche Zeit. Am liebsten möchte ich 2/3 von ihr verschlafen und verträumen. Dazwischen ganz frisch bei der Arbeit und innerlich froh und frei, wenn ich viel zu tun habe. Fahre mittwochs nachmittag nach Hersel, um bei Bestellung des Gartens zu helfen. –

   Gründonnerstag 2.4.42. Gestern Hersel. Wind Wolken Licht Sonnenglanz. Grau Heimfahrt. Halbtraum nachts Luftschutzkeller gesicht Spinatfelder, Osterhase. Eierlegend. Begegn in 7Gebirge. Abendbeleuchtung, rotierende Schweizer Käseräder mit am Reck jonglierenden Käsbohrer. Lied der Käsbohrer, Lied der Hasen. Rotierende ... 12 - 5 Alarm Keller. Heute Sturm. Weber Hersel berichtet: Die Nacht ein feindlicher Flieger bei Wesseling über Rhein abgeschossen, verbrannt und Rhein gefallen.

Carfreitag. Morgens 751 mit Eugen, ich nach Rheinbach, er nach Odendorf Palmersheim gefahren. Unterschrift im Krankenhaus. Sonne. Zu Gestüt Langen freundliche Aufnahme mit Aussicht auf Mittagessen. Früh sah ich in Bonn schon Weber mit Köbeschen von Rheinuferbahn zur Staatsbahn marschieren. Familienbesuch in seiner Heimat. Ist dem fleißigen Mann gern gegönnt. Ein selten schöner Carfreitag. Abend Radio Stück aus Parcival. Glas Maibowle. Waldmeister sprießt im Garten.

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   Osterwoche 1942.
   Wir hatten einen harten Winter vom ersten Drittel Januar ab. Von Weihnachten bis zum 31. März fiel kein Regen, aber desto mehr Schnee. Dabei Frost streng und hart. Entsetzlich hart für unsere Truppen im Osten, die unter dem monatelangen Ansturm der Russen zu leiden hatten. Man macht sich keinen Begriff davon. Helene und ich waren ab 9.1. bis 20.2. in Oberstdorf, wenig Sonne, viel Frost und noch viel mehr Schnee. Mäßige Kosten. Trotzdem tat uns die Ruhe wohl und ungeachtet, daß wir einige Pfund abnahmen, erholten wir uns ganz trefflich, obwohl ich zwischendurch mal Lungen- Gallen- und Blutdruckanfall bekam (Reaktion auf meine Bauch...methode), darnach einige Tage ans Bett fesselte und nebenbei das Gute hatte, daß Jonen nochmal bis Ende März vom Heeresdienst zurückgestellt wurde. Trotz sehr besetzten Zuges kamen Helene und ich über Stuttgart, wo wir Nachtquartier im Bahnhof Hotel machten, gut heim. – Im März schmolz der Schnee hier ab und Bonn tauchte aus einer Schmutz- und Eiskruste wieder auf. Oft hatte ich mit Zamp auf dem Morgenspaziergang den alten Zoll kaum vor Glatteis ersteigen können. Der Frühling kam gottlob mild und gelinde und der arktisch in Eis erstarrte Oberrhein, den wir auf der Herreise nachmittags mit Grausen besehen hatten, trieb ohne Schaden ab, dann kam ein aus f... Hochwasser, das auch nicht allzu viel Schaden tat. – Anfang der Carwoche setzte Regen und Sturm ein, Mittwoch aber hatte es sich besänftigt und ich fuhr nachmittags nach Hersel, mit Samen in den Taschen. Es spannte sich vom Kölner Dom bis zum Siebengebirge, von den fernen Siegerlandbergen bis zur nahen Höhe des Vorgebirges eine gläsern klare leuchtende flache Himmelsschale, auf der viele sonnenbeschienene Wolken mit farbigen schattigen Unterseiten und Rändern nicht allzu hoch einher segelten. Ringsum am Horizont waren allenthalben lang hingezogenen Wolkenbänke schimmernd in Opaltönen. Durch eine Lücke des Vorgebirges sah ich die fernen Eifelberg ordentlich blau. Die Erde, schon erwärmt, nahm mit Freude die Samen der dicken Bohnen, Möhren und Salat an. Auf dem Heimweg schmeckte mir abends zur Brotzeit am Bahnhof ein Glas Braunbier zu einem derben Vollkornbrot wie ein Göttermahl. Die warme Abendsonne beschien schräg das riesige gedrillte Spinatfeld, dessen Furchen gegen die sieben Berge liefen. Das Grün war ordentlich warm und erfrischend zu sehen. Der warme Regen und die Erwärmung hatten an dem etwas angefrorenen Spinat ein wahres Wunder verrichtet. Üppig in leuchtendes Grün hatte er sich entfaltet und verhieß wahre Labsale in der heutigen gemüsearmen Zeit der Knappheit, wobei eine Menge namentlich Rosenkohl im Frost zum Teufel gegangen war.
   Von Fern sah ich eine kleine Gestalt zum Bahnhof kommen und erkannte Herrn Gran schon von weitem: Erfreulicherweise konnte er mir Kartoffelsaat „Frühbote“ zusagen, ich wurde meine Sorge um die Frühkartoffelsaat damit los. Auch besprach ich mit ihm Eintritt in die Genossenschaft der Herseler Kasse, womit sich eine Reihe Fragen von selber lösen. –
   Der leuchtende Tag setzte sich bei mir im Traum trotz 5stündigen Luftangriffsalarms fort und ich hatte diese Vision: Ich stand auf dem Wege nach Roisdorf und sah gegen die sieben Berge, wie die grellen Spinatreihen sich in Bewegung gegen das Gebirge setzten, sich endlich dahinschlängelten und am Fuß des Gebirges sich in Schlangen hin und herwanden, die heftig nach dort fließende Bewegung der hellgrünen Kräuter schien sich dort zu stauen und wie unentschlossen hin und her zu sieden, wie in einem schäumenden Kessel. Plötzlich kuschelte er in hellbraunen Massen aus dem Gebirge dort und entwirrte sich zu zahllosen Osterhasen, die in rasender Eile gegen die Richtung der sich schlängelnden Spinatreihen sich in rasender Eile

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auf mich zu näherten. Fern am Horizont konnte ich sehen, wie sie sich zu Reihen formten und genau durch schmale Erdbänder hoppelten, die zwischen den Spinatreihen in brauner Farbe leuchteten. Bei jedem Satze ließ jeder mümmelnde Hase ein Ei fallen, alle möglichen Farben. Die bunten Eier lagen in der Abendsonne farbig angeglüht in den Furchen im Spinat, ein erfreulicher Anblick für Gran, der kleine feine Herr in seinem beigen Covercoat Mantel kam herzu und sagte: Sehn Sie, Herr Doktor, jetzt haben Sie, was sie wünschten: Spinat mit Ei. Ja wahrhaftig in Überfülle. Damit war Herr Gran verschwunden und ich bemerkte in der Entfernung wie sich im rechten Winkel zu den hinziehenden Spinatreihen große graue Räder bald schnell bald langsam sich über die Erde drehten. Es hängen seitlich dran kleine Figuren, die turnerische Übungen machten, als ob sie an Reckstangen turnten. Die Räder waren riesige Schweizerkäse, wie ich sie vor vielen Jahren in Thun auf einem Markttag an der Kr... gesehen hatte. Die Turne hatten ihre Reckstangen in die Käselaibe gebohrt und hingen stets zu 2 links und rechts am Käse. Sie turnten heftig und je nach ihren Schwüngen drehten sich die riesigen Käseräder langsam oder schneller vorwärts, stockten und zuckten auch öfters, ohne sich sonderlich weiter zu bewegen. Sie sangen dazu:
Wir sind die frohen Käsbohrer,
Wir bohren in den Käsen.
Jetzt turnen wir
Jetzt turnen wir
und feiern frohe Ostern.
Die Hasen hörten das, stutzten einen Augenblick, einer setzte sich auf die Hinterpfoten, dreht sich um und gibt den Ton an, dann sangen die Hasen im Chor:
Wir sind die Osterhasen, die Osterhasen
Wir bringen Eier, Eier
frische Eier zu Ostern
zu Ostern mit Spinat. –
Alles war im besten Gange, da begann die ganze Erde sich rings im Kreise zu drehen, es krachte und bollerte fürchterlich und die Käse gerieten in heftige Drehung. Kein Gedanke daran sich einen abzuhacken und beiseite zu bringen, die man jetzt so gut gebrauchen könnte. Die Bewegung wurde immer schneller, die Erde dröhnt von fernen Schüssen und gellenden Hornsignalen und eine Stimme rief: Es ist entwarnt, ich erwachte, fand mich auf dem Holzgerüst im Luftschutzkeller und hörte im Erwachen noch die Sirenen heulen. –

Carfreitag.
   Den darauf folgenden Gründonnerstag war Regen und Sturm. Gleichwohl stieg das Barometer schon frühmorgens. Es ergab sich im Büro, daß ich im Krankenhaus „Maria Hilf“ in Rheinbach eine Unterschrift zu holen hatte, die der dortige Willy Zaetterer nicht holen wollte und Eugen fiel ein, daß er noch einen Besuch bei Dr. Holstege in Palmersheim zu machen hatte, um den Eltern die Grüße ihres Sohnes zu überbringen, den er in Rußland getroffen hatte. Wir beschlossen morgens 751 nach Rheinbach bzw. Odendorf zu fahren und mittags ½ 2 wieder heim zu kommen. Gesagt, getan. Wir bereuten es nicht. Ein wunderbarer klarer Morgen führte uns über Vorgebirge durch den Kottenforst in die nächsthöhere alte Rheinterrasse mit Meckenheim, Tomberg, Rheinbach und Udorp. Ein schöner und stiller Morgen. Im verschlafenen Rheinbach konnte ich mein Geschäft rasch erledigen. Das Krankenhaus, in dem um ½ 9 morgens schon alles munter war, erledigte sich schnell und schmerzlos. Ich bummelte durch die stillen, heute so sauberen Gassen von Alt Rheinbach und traf auf dem Martinsplatz das Gasthaus Fritz Langen aus Alfter, dem ich meine Baustelle am Tombergerweg verkauft hatte. Ihn und seine Frau traf ich in der Wirtschaft und lehnte ihre freundliche Einladung zum Frühstück ab. Bestellte mir aber auf 12 Uhr ein Mittagessen, das gern zugesagt wurde. Wir unterhielten uns eine Weile zusammen und trabten dann zu zweit zu Langens großem 4 Morgen Garten im Feld, den er mit Obst wohl bestellt, eingezäunt und beschnitten hatte. Meine Parzelle hatte er bereits tauschweise zur Vergrößerung des Gartens benutzt, bearbeitete sie aber noch pachtweise, Ich bedauerte, ihn nicht schon voriges Jahr aufgesucht

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zu haben. Er hatte Pflaumen in Fülle gehabt, davon wir gar keine gehabt hatten. Ein großer, nach Alfter - Main breit angelegter Spargelgarten erweckte mein größtes Interesse. Er habe fast alles Gemüse an Rheinbacher verkauft. Ich sagte mich zu Mai zum Spargelessen und Einkaufen an und werde es mir merken. Alles war trefflich gehalten und nach neuer Alfterer Methode bearbeitet. Langen wirkt in Rheinbach förmlich als Kulturpionier. Wie er meine Baustelle zum Ertrag sogar bei Stangenbohnen bekommen hatte, ist eine Geschichte für sich und hat dort das Aufsehen der Rheinbacher erregt. – Ein prachtvoller Waldspaziergang über Wald Hotel durch Eichenwald an Weyer vorbei auf schönen glatten und ebenen Wegen war auch ihm, der etwas Älter als ich, stark an Zuckerkrankheit leidet, keineswegs so beschwerlich als es ... Wir machten den Rückweg über das neue Haus der Sacre Coeur Schwestern, deren Lyceum aufgelöst ist. Es ist ein Lehrerbildungsheim drin.  Schwester in Rur Haus. – Schöner und erquickender Spaziergang durch Feld an wohlbestellten Gärten vorbei nach Wald, dort auf glatten ebenen Wegen durch Eichenwald an Wiesen vorbei. Waldhotel. Über Friedhof heim. Günter Trautmann und Gerhartz besucht. Angenehme Unterhaltung mit Langen, der 7 - 8 Jahre nach unserem Weggang aus Rheinbach kam und dort als Gartenpionier bahnbrechend wirkte. Leider hat er Diabetes. Ich verstand mich mit ihm gut. Die Frau hat gutes einfaches Mittagbrot gekocht, das mir ganz ausgezeichnet schmeckte: Rindfleischsuppe, Spiegelei, Nudeln mit Backpflaumen und Kartoffeln. Bier 1,50. Nach Tisch hatte ich ein Gespräch mit dem Bauunternehmer Haybach, der ein Haus  seines Sohnes in ... neben dem ... zu 14 Mille zu Verkauf ... Ich notierte mir seine Angaben und verhandelte mit Langen und Frau, die es kaufen wollten. Langen fuhr mit mir nach Bonn, um dort nach alter Sitte Karfreitag auf den Kreuzberg zu wallfahrten. Wir trafen Storp im Zug, der unterdessen in Palmersdorf gewesen war. Er war von Vater Holstege mit seinem Wagen in Odendorf abgeholt und später wieder hingebracht worden. Daheim hatte man ihn mit Frühstück und Mittagbrot erfreut und sich trefflich die ganze Zeit über mit ihm unterhalten. Auch ihn und Mariannchen noch für einen ganzen Tag mit zugesagter „friedensmäßiger“ Verpflegung eingeladen. Storp hatte ihnen erzählt, wie er ihren Sohn Carl Heinz in Rußland getroffen hatte. Es war mal für Eugen ein erfreulicher Carfreitag gewesen. Wir waren beide sehr befriedigt davon.
   Ostersamstag waren wir mit Heribert im kleinen Wagen im Motorboot wohl über den Rhein gefahren und zur kleinen Weinschenke auf dem Beueler Ufer neben dem Wasserwerk und gegenüber der Gronau gegangen. Dort tranken wir Kaffee und aßen guten Kriegskuchen, Zamp außerdem mitgebrachten Hundekuchen und Heribert dito Plätzchen. Wir kamen zwar ohne Regen aber unter starkem Wind wieder heim. Den ersten Feiertag blieben wir daheim, nur abends ging ich mit Eugen zur Kaiserhalle ein Glas Schultheiss Bier trinken, wozu wir ein Schnittchen Brot mit Rohesser Bücking zu 0,80 und gegen 10 gr Brot- und 10 gr Fettmarken aßen. Abends war Frau Baron bei uns, wir unterhielten uns gut und fidel bei leckerem Maiböwlchen aus Waldmeister im Garten. Eugen und ich brachten sie 11 Uhr bei Finsternis heim. Von 1 - 5 Fliegeralarm mit viel Flak Trommelfeuer und Brandbomben. Dann den 2. Feiertag etwas müde. Marianne hatte sich nachts etwas aufgeregt, während beide Kinder glücklich schliefen. Ohne ihre Unterhaltung hätte ich wohl auch geschlafen. Zwischendurch rochen wir Brand und stellten heute fest: Schuppen in Kohlenlager Langen im Hinterhaus zwischen Klösterchen und dem Weibergefängnis. Prächtige Feuerlohe hinter den hohen Bäumen des Alten Friedhofs. Feuerwehr löschte es bald. Bei schönem Wetter besuchten wir am II. Feiertag v. Claers in Vilich Müldorf zum Kaffee mit Kuchen, Osterei und Glas Wein. Der Alte unterhielt sich trefflich namentlich mit Eugen. Hatte nachts viele Brandbomben im Feld und den Brand der St. Adelheidis Kirche in Pützchen erlebt. Bonn im Heeresbericht heute genannt. Ereignisreiche Ostertage – Krieg! – Gehe jetzt 9 Uhr zu Bett. –

Es sträubt sich die Feder, hier auch mal das niederzuschreiben, was alles heute geredet wird. Es ist ganz unglaublich und natürlich zu 90% gar nicht der Rede geschweige denn der Aufzeichnung wert. Gleichviel ergiebt das 1% als Bodensatz meines Gedächtnisses ein gewisses trübes Spiegelbild der Zeit und es drängt mich dazu, es durch Aufzeichnung ganz aus der Seele los zu werden. Dabei soll die Niederschrift gleichzeitig eine Übung im Schreiben, zum mindesten im leserlich Schreiben sein. Ich muß mich dabei selbst kontrollieren, um langsam und leserlich zu schreiben. – Östliches: Es begann schon ab und zu zu tauen, ehe die Winterausrüstung, auch die Pelzsachen die Kampftruppen bei Orel erreichten. Vorher hatten sie gehörig frieren müssen, böse Kälte: minus 50°C. Barbarisch.– Die mangelhafte Vorbereitung für den Winterfeldzug sei ein wahres Verbrechen gewesen. Beim kampfreichen Vormonat hatten die Panzertruppen Guderian schon die transsibirische Bahn über Moskau hinaus erreicht. Allem Anschein hat es an einer genauen und laufenden Berichterstattung über die jeweiligen Truppenverluste gefehlt. Man operierte noch mit vollen Truppenkörpern, deren Ist Bestände große Verluste und Lücken hatten, als ob sie fast ganz da wären. Auf russischen Überdruck mußten Rückzüge gemacht werden, die sehr verlustreich

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waren. Vom ganzen Infanterie Regiment 15 waren an Offizieren noch der Reg. Arzt, ein Hauptmann, 1 Major + 160 Mann. 34 Offiziere gefallen! – 3tägiger Rückmarsch bei Tag und Nacht in höchster Eile. 300 km zurück. Fürchterlich. Endlich auf Befehl: „Halt ... Übung“. Auf gefrorenem Schnee gelegen, erst allmählich und nach angestrengtester Arbeit allmählich in die Erde hineingearbeitet. Verpflegung gut, soweit sie die Truppe erreichte. Sonst Kartoffeln, auch erfrorene, allenthalben requiriert. – Später Unterkunft in Sowjet Bauernhütte. Schauderhaft. – In Polen und Rußland verhungern viele. In Warschau Judenghetto, fast 1 Million streng eingeschlossen. Abgänge werden durch Deportationen aus D. aufgefüllt. Gräßliches Elend und Schmuggel aller Art. Russische Gefangene nähren sich von Tier- und Menschen-Leichen. Zuerst nehmen sie die Leber und Eingeweide. In Dachill verwahrte russische Gefangene durchbrachen Absperrung und aßen Runkelrüben und Gras. Starben welche davon. Stalin Jugend treibt an Ostfront als „Rote Jugend“ sehr gewandt Spionage mit eingezeichneten Minenfeldern der Russen und deutscher Artilleriestellungen, Truppen ect. Geschnappt - aufgehängt. Geschnapptes Mädchen verweigert die Aussage über bei ihr in Geheimschrift gefundenen Pläne, auch als sie nachts unbekleidet auf Schnee gesetzt wird. Umgelegt. – Russische Verwundete, um die sich deutscher Arzt bemühte, erschossen diesen. In manchen Abschnitten der Russen werden die deutschen Gefangenen umgebracht oder verstümmelt. Zur Zeit marschieren auf den nördlichen Abschnitt der Ostfront 25 Divisionen in Tagesmärschen von je 15 km zu. Relaisstationen. Brauchen 3 Wochen zum Hinmarschieren. Bahnen genügen nicht. W R schreibt Ostern: Für die Reichsbahn beginnt der Krieg erst recht eigentlich.
   In einem Raum hausen beieinander: Russisches Ehepaar, Kolchosenbauer mit 12 - 16 Kindern, Schweinen, Gänse, Enten, Hühner, Ziegen, Schafe. Säuglinge hängen auf einer an Federhaken an der Decke befestigten Aufhängung mit einem Holzrahmen auf Sackleinen, möglichst über Herdluke, tropft herunter, und werden hin und her geschaukelt. Dazu noch die auf und abschnellende Bewegung der Aufhängefeder. Deutsche Soldaten schlafen dazwischen auf der Erde oder auf Stroh.

   Eugens Promotion: Auf Verhandlung mit der medizinischen Fakultät war diese sehr entgegenkommend. Eugen hat Gelegenheit, jetzt in 4 - 6 Wochen seine Promotion hier geistig und finanziell sozusagen gratis und franko nachzuholen. Endlich einmal ein Lichtblick in dieser verunglückten Sache. Man hat ihn dazu bestimmt, diese Verhandlungen aufzunehmen, bei denen man ihm großes Entgegenkommen gezeigt hatte. Ein Professor, den er sprach, hatte eben Besuch eines Stabsarztes gehabt, der in den nächsten Tagen auf einem Kr. Mar. Kreuzer abfährt. Es soll in den nächsten Tagen eine Aktion der Flotte vor sich gehen. (Gibraltar? Malta?) Diese Nacht auf 8.4. war es recht ruhig. Gestern mittag war hier am hellen Tage ein englischer Flieger in er Luft, den unsere Jäger leider nicht erreichten. Neue Jagdmaschinen Focke Wolf? sollen jetzt bis 800 km in der Stunde fliegen können.

   8.4. Waldemar hatte vergeblich versucht, uns Ostermontag anzurufen. Rief eben an und überzeugte sich, daß wir noch am Leben. In Bochum hat man angeblich an 90 Tote an Carfreitag beerdigt. Hier ist die Zahl nicht bekannt. Den II. Ostertag war v. Claer erstmals dort im Bunker und recht befriedigt von dem „sicheren Bau“, in dem man sogar kein Schießen hört. Heute gehe ich der Frühjahrsbepflanzung wegen mal wieder nach Hersel. Es ist jedesmal eine Erfrischung für mich. Angeblich sei ¼ unserer Getreideernte zur Aussaat im Osten und Ukraine nötig; wenn es wahr ist, muß ich sagen, daß ich mich gern für diesen Zweck einschränke.
   Ohm Gottfried Heimerzheim heute hier. Strangbel. mitgegeben. Sieht besser aus wie früher. Hatten Ostern keine Bomben. Eier und Kartoffeln ... ... ...

10.4.42. Zeichen und Wunder: Sohn von Golling, Abiturient, heute bei uns zu Besuch. Möllmann, ... und Neu Saureck Palm hatte mit Jonen wohl bei hies. Arbeitsamt, nicht aber bei WBK Glück. Jonen bereits unter denen, deren Einberufung jetzt ausgeschrieben war. Man will später noch versuchen, ihn mit Erfolg (?) von der Truppe zu reclamieren. Jedenfalls schrieb er sofort an Lemacher. Stürmischer Tag.

Das Traumschiff.  W. v. Scholz schreibt recht gut von einer Abendburg, die immer den gleichen Innenraum des deutschen Träumens aufweist. Mir träumte hingegen von einem Schiff, das frei und unbehindert von den Gesetzen der Schwerkraft durch den wesenlosen Raum fährt, wohin es gerade will, links oder rechts, nach oben oder unten, in jeder Himmelsrichtung und nach allen Horizonten. Alles ist streng abgeblendet und man kann selbst alles im weiten Raum sehen, oben Loch über den Wolken, die ganz tief auf die Erde oder gar auf den endlosen Wassern eines unendlichen Oceans oder über den Sandstürmen einer weiten Wüste. Alles und jedes sieht man klar und scharf, obschon es ganz dunkel draußen im Raum ist. Selbst wird man aber gar nicht gesehen, selbst nicht vom Kanadischen Lufttommy und müßten sie noch so viele Leuchtschirmchen setzen, sehen können sie einen nicht. Dafür aber sehen wir sie um so besser und können sie lustig anrammen, sie klatschen dann wie ein nasser Lappen gegen Bug oder Kiel und wir fühlen es sofort: Sie sind verloren und müssen gleich stürzen, wenn sie es nicht vorziehen rechtzeitig auszusteigen. Im Schiff finde ich die wunderliebsten Papageie, sie sind alle behend und geschmeidig in ihren Bewegungen und sprechen vollendet in einer jedermann verständlichen Zeichensprache, geben aber keinen Laut von sich. Ich kenne sie alle ganz genau und oft fällt mir nach langem Besinnen auch bei: Ja, das ist ja mein Bruder Christian, wie er damals war, als er bei dem Bayr. Feldart. Reg. König diente – er ist aber ja schon seit 1912 gestorben und hat die großen Kriege ja gar nicht mitzumachen brauchen. Er steht von Zeit zu Zeit am Steuer und deutet mir alles, was uns ins Gesichtsfeld kommt. Wir gehen öfters in das gemütliche Com...häuschen, da steht immer eine halbvolle Flasche Rotwein, die so gut zu einem kalten gebratenen Schnitzel mit trockenem Weißbrot schmeckt. Auf dieser eisigen langen Wanderung auf der endlosen Promenade längst der Reeling treffe ich einen großen ... Herrn mit ... weißge... Schiffsmütze und prächtigem weißem Schnurrbart. Er lädt mich zur Offiziersmesse zu einer kalten Ente mit köstlichen Radieschen ein und nachher trinken wir noch einige Glas schönes kühles Bier, das wir von Yokohama mit an Bord genommen haben. Immer hatte ich mich schon bedacht, wer doch der freundliche Herr sei, auf einmal, als ich wieder allein in meiner gemütlichen Kabine im Bett mich ausstreckte, und dabei die kurze Pfeife rauche, klar: Das ist ja Onkel Dietrich, da sind wir ja auf der Resolute, auf der Weltreise. da muß ich doch gleich auch mal Tante Emma sehen gehen, die mit ihm schmust und die sich jüngst auf der Treppe das Bein verletzt hat. – Gleich habe ich wieder alles vergessen, finde mich oben hoch in einem Mastkorb an der höchsten Mastspitze. Recht gemütlich ist es da oben. Linde blaue Luft umfächelt mich, an einem kleinen langen bandartigen Fähnchen, das steil nach oben steht, sehe ich, wie die Fahrt steil abwärts geht. Lustig ... und ganz und gar nicht ängstlich.

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11.4.42. Der Dunkelturm. Das Traumschiff landete an der Erde bei einem riesigen Bauwerk, dessen Ausmaße sich gar nicht übersehen ließen. Wir tappten zu einem finsteren Portal, als unser Führer plötzlich einen Scheinwerfer aus der Hand aufblitzen ließ, dessen weithin leuchtender Strahl in rasender Geschwindigkeit einer riesigen Spinne vergleichbar an den steilen Wandflächen hinaufschoß und blitzartig die rauhen Flächen der Wandsteine aufleuchten ließ. Kilometerweit verfolgte unser Auge den huschenden Strahl nach oben und dann schien er in dem unendlich hohen Himmelsgewölbe zu erlöschen. Wir traten in einen weiten Raum ein, von dessen Wänden ein geheimnisvolles Leuchten ausstrahlte, so daß wir alles recht bequem erkennen konnten. Belieben die Herrschaften den Luftaufzug, er geht und kletterte steil nach oben. Wir traten in ein Paternosterwerk ein, das in zahllosen Zellen nebeneinander gebaut und schreiten unbekümmert von einer Zelle zur anderen, jede nächste mit der doppelten Geschwindigkeit nach oben, sehr bequeme und sichere Einrichtung. Wir fühlten eine sehr belebende Frische der uns umgebenden Luft und hatten das sichere Gefühl, es geht mit rasender Geschwindigkeit nach oben. Belieben Sie, sich ein wenig auszuruhen, die Fahrt ist gleich zu Ende, sie marschieren dann durch die Zellen in umgekehrter Folge. Wir saßen halb liegend in sehr bequemen Sesseln auf weich federnden blanken Stahlbändern. Ein rotes Licht erschien und wir setzten uns in Trab, wurden quer durch ein Dutzend Zellen, die mit halber Geschwindigkeit fuhren, endlich fühlten wir: Wir standen still, stiegen aus und ergingen uns in weiten Hallen, die an die Wolken stießen, die oben hoch am Himmel leuchtend vor nachtdunklem Himmel vorüberzogen. Sie haben hier den Turm der Verdunkelung, ließ sich die Stimme wieder vernehmen und sie hatte den angenehmen sonoren und weichen Ton der Ansagerin im Sender Rom.
   Wir schauten weit, weit über Fels, Meer, Wald und Seen. Riesige Apparate warfen Kilometer weit nicht Licht wie ein Leuchtturm, sondern umgekehrt schwärzeste Finsternis. Alles was sie bestrichen, wurde auf weiteste Entfernung völlig unsichtbar. Turm des Dunkels, der absoluten Verdunkelung. Das Dunkel war ganz undurchdringlich, wie zähes schwarzes Pech. Auch das strahlendste Licht wurde aufgeschluckt und restlos absorbiert, gänzlich verschluckt. Es herrschte nicht nur eine angenehme beruhigende Finsternis, sondern auch eine Ruhe, die ganz unheimlich wirkte. Bei genauem Hinhorchen glaubten wir ein leisen Rauschen in kurzen Stößen zu hören, nach kurzer Zeit aber überzeugten wir uns, daß es das Rauschen unseres eigenen Blutes war, das in Stößen vom Herzen aus in den Körper pumpte. Seltsam: Überall waren große Pforten zum bequemen Eintritt in große angenehme Räume geöffnet. Wir durchschritten mehre ganz geräuschlos arbeitende Türe und waren im sanft beleuchteten Inneren, wo die Wände eine schwache Strahlung hatten. An Abwechslung und Zeitvertreib gab es die Fülle. Man konnte sich bequem niederlassen und mit den beiden Armen einen Halbkreis in der Luft beschreiben. Alsbald erschien in dem beschriebenen Halbkreis in jeder gewünschten Größe jede Person, die man sich nur vorstellte. Gleichgültig ob Zeitgenossen oder aus naher und fernster Vergangenheit. Ja auch mit den alten Leuten der Zukunft ließ es sich trefflich unterhalten und verkehren. Zu schön z. B. mit seinen Urenkeln über deren Vergangenheit und Zukunft zu plaudern. Oder mit einem fernen Urahn zu reden, ja mit Cicero ließ es sich gut in klassischem Latein reden, was merkwürdigerweise glatt wie Wasser von den Lippen floß. Alle erzählten alles, was man nur irgend von ihnen wissen wollte. Ich war so voll der Eindrücke, daß ich mir erst überlegen mußte, wie ich den Stoff für die nächsten Wochen, Monate, ja Jahre einteilen sollte, um überhaupt zu einem System zu kommen. Mochte man keine Personen haben, so konnte man mit der rechten einen Lufthalbkreis schlagen und darin beliebige Handlungen, Geschehnisse, Wunder, Märchen aller Art, Musik, Gesang, kurz alles andere erscheinen und erklingen lassen. Merkwürdig und auffallend, daß dabei keiner den anderen störte und alle voller Harmonie und Verträglichkeit beieinander waren. Es war eine fast absolut wunschlose Seligkeit. Dabei konnte man jederzeit auch sofort den tiefsten Schlaf der Bewußtlosigkeit haben, wenn man sich nur eine Hand auf den Kopf legte. Der Bequemlichkeiten und der Gelegenheiten zu geistigen Genüssen jeder Art giebt es eine solche Menge in den unabsehbaren Räumen des Dunkelturmes, daß man bald Überdruß empfindet und man sich danach sehnt, dieses Paradies zu verlassen und sich wieder in die Gefährnisse und den Kampf des täglichen Lebens zu stürzen. Es scheint, daß es der Mensch gar nicht aushalten kann, längere Zeit in einem Zustand absoluter Kampflosigkeit zu leben, ohne Krieg möchte man es trotzdem haben. Widerspruch? – Wer wird klug daraus? Ob Mesmer damit Recht hatte und ursprünglich in dem Menschen der Schlaf und die Nacht und erst der notwendige Kampf ums Dasein führt überhaupt dazu, daß er wach werden und sich tummeln muß. Hätte er das nicht nötig, so wäre ewiger Schlaf und die Nacht sei sein natürlicher Zustand. Kann man sich das vorstellen? Kaum heute mehr.

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    Am 5. und 6.4.42 sollen in Bonn und Umgegend nicht weniger als 3400 Brandbomben abgeworfen worden sein. Gestern gab Oberbürgermeister Köln Nachricht in Zeitung für 30 Tote. Auch in Bonn hat es angeblich Tote gegeben. Diese Nacht 3 ½ Stunden Fliegeralarm. In der Haustüre lag heute morgen kleiner Granatsplitter.

   13.4.42. Am Samstag hat Jonen seine Einberufung zum Heere für Freitag erhalten. – Ob Lemacher als Ersatz kommt?

   15.4.42. Diese Nacht 1220 - 320 Fliegerangriff. Gegen Schluß 3 Bomben Munstr. Mehrere kleine Häuser. Angeblich 9 Tote und 4 noch Verschüttete. – Weber Hersel berichtete gestern: Beim letzten Angriff Bomben in Uedorf und Scheinwerfer, ließ alles fallen, Uedorfer Burg abgebrannt, Vieh z. T. mit. Saß nebenan Scheune weg, auch Haus Impekoven nach Westen zu. Schrecklich. –

   16.4.42. Gestern nachmittag in Hersel, dicke Bohnen und Erbsen gesetzt. Rauh, staubig. Ostwind. Trotzdem zogen die Wolkenbänke in Nord und West auf. Weber etwas schlapp, mit Pausen gearbeitet. Ihm 4 Schlüssel wegen nächtlicher Brandbomben bei Fliegerangriffen dagelassen: Küche, Zimmer, Saal und Schlafzimmer. Schetter Wohnung Schlüssel 10 nicht zu finden. (Abgebl. ... Bankkammer). Abends früh um 9 zu Bett, nachts ½ 2 wieder Alarm bis ½ 5. Wüstes Geschieße. Bombenfall nicht gehört. Helene und ich gingen mal nach oben, wegen heftiger Schießerei wieder zurück. Marianne stark erkältet, schlief totenähnlich, beide Kinder schliefen. Neues Frl. Else Lauterbach eingetreten, alte noch da. Diese Haus, Tisch und Luftschutzkeller ... Heute herrlicher Morgen. 9 mit Frl. Walter n. Bahnhof Wesseling Süd.

   17.4.42. Gestern war ich bis 315 mit Frl. Walter in herrlichem Frühlingswetter im sonnigen Urfeld, um in Bauernhäusern eine Reihe Urkunden aufzunehmen, bei Gastwirt Schmitz ein angenehmes Mittagbrot einzunehmen und im Netz eine Schachtel voll Gemüse von Haas mitzunehmen, so daß wir alle ganz und gar befriedigt waren. Die Bäume fangen in der Sonne langsam mit Blühen an. Die Werksfeuerwehr hielt Feuerlöschübung in Urfeld ab, (man will brennende Häuser, die als Fackeln leuchten, anscheinend recht schleunig löschen). In der Nacht kamen keine Flieger und wir hatten Ruhe. Ich war schon um 9 zu Bette, um 6 wieder auf. Heute nehme ich die Inschrift von „Kaue Johann“ der Holzgasse in Alfter zur Gelegenheit, mich morgen zu einem Besuch dort für nachmittags anzusagen. Heute morgen kam Jonen, für einige Tage zurückgesandt, noch mal zum Dienst und heute nachmittag ist der Bezirksrevisor vom L.Gericht zur kurzen Prüfung der Staatsabgaben im Büro. Der Pflaumenbaum hat sich im Garten mit lichtem Grün bedeckt, was zu seinem schwarzen Holz hübsch aussieht. Die beiden Birnbaumhochstämme, voller Blütenknospen, wollen bald aufbrechen. Der Ahornbaum trägt wie ein Kerzenleuchter mit lodernden Flammen die prächtig rosa schimmernden Blattknospen alle senkrecht nach oben. Kurz, wie schön könnte es sein – hätten wir den Krieg nicht. – Der Baumeister der Union war heute morgen da und legte den Plan für Umbau der Bachstraße aus einem feinen bürgerlichen Hause in eine moderne Mietskaserne mit 3 Wohnungen vor, sie wollen die alte Zwischenwand an Küche und Badezimmer wieder einziehen, Kachelöfen abbrechen, Ofenheizung, Parkettfußboden ausbrechen, Tapete giebt es eben nicht, deshalb Wände anstreichen u.s.w. Bei allen wehmütigen Erinnerungen an verflossenen Zeiten, die nicht wiederkehren,  haben Helene und ich überlegt, der Sache näher zu treten. Zahlen 200 M monatlich und Steuern, nicht zu verachten. –
   Mariannes neues blondes Kindermädchen scheint wenig glücklicher Griff gewesen zu sein. Eugen hält sie für schizophren. Man bekommt da nur Br... – Helene ist recht angegriffen von -Asthma.

   19.4.42. Gestern besuchte ich nachmittags alten „Kaue Johannes“ in Alfter Holzgasse und brachte im Laufe des Nachmittags dem 78 alten Mann sein Testament fertig. Mit Frau gemütlich Kaffee mit Brot, Butter, Eiern. Ein warmer Frühlingstag.

   20.4.42. Helene bedrängendes Asthma. Diese Nacht erquickender Regen, leider ein wenig zu schwach. Der Pflaumenbaum in unserem Garten hat sich dicht mit Blüten bedeckt. Das erste Mal, daß ich ihn so sehe. Dankbarkeit für seine Erlösung aus einem dichten Strauch- und Baum-Dschungel, in dem er früher um Luft zu kämpfen hatte? Heute morgen besuchte ich Bruder Josef R. in der Universitäts-Augenklinik, in der er seit Mittwoch mit beiden Augen verbundenen im Finstern (nicht im dunklen Zimmer) liegt. Netzhautablösung, gottlob noch keineswegs total, vielleicht auf Blutüberdruck zurückzuführen, liegt einstweilen mal ganz still, keine Getränke und wenig Essen. Empfahl ihm meine Lebensweise ohne Fleisch, Salz, Getränke ect. ohne alle körperliche Anstrengungen.
   Man hört: Führerhauptquartier soll in Eifel verlegt werden. Ob Amerikaner und Engländer wirklich einen Angriff auf die Atlantikküste Frankreichs planen, wo unsere U-Boote so zahlreich nisten? Es ist ihnen jede Dummheit und daher auch diese zuzutrauen. Werden für uns noch unangenehme Nächte werden. Kürzlich Nachtangriff auf Augsburg (Heinkel-Werke). Unsere U-Boote und Flugzeuge sind der Feinde Verderben. Von Kassel kam Depesche an Standortältester Bonn, Eugen soll auf keinen Fall, auch auf eigenen Wunsch nicht zur Front entlassen werden. Man kennt ihn und rechnet mit seiner „Flucht“ an die Front. Er will aber erst mal promovieren. Ich finde etwas Beruhigung an a) Gewürzsämereien und Steinesammeln im Garten, b) Samendisposition für Hersel, c) Notararbeit d) Schreiben dieser Tagebuchblätter. Will versuchen noch mal zu einer leserlichen Handschrift zu kommen.

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   24.4.42. Jonen heute morgen eingezogen, ½ 11 nach Gütersloh bei Bielefeld. Kirschen, Pflaumen und Birnen in voller Blüte. Übe neue Schrift. Helene hörte gestern von Emma: Josef viel besser mit Augen. Operation nicht nötig. Eugen fährt Montag nach Kassel.
   Abends hörte ich Vortrag von Kolbenheyer, mir gänzlich unverdauliches philosophisches Eiweiß, ging nach 5/4 St. vor Schluß weg, vermochte mich kaum aufrecht zu halten. Dabei die große neue Aula der Uni gedrängt voll, sicher noch nicht 1 % der Zuhörer konnte ihm folgen, geschweige denn das Vorgetragene sich zu eigen machen. Gegen Ende war eine allgemeine Erschlaffung bemerkbar, mutige Damen, welche die Flucht ergriffen, wurden bewundert und beneidet. Eugen war gottlob nicht mitgegangen, er hätte es körperlich nicht ausgehalten. Ich kam insofern auf meine Kosten, als ich Kolbenheyer sah, einen kleinen Mann mit plastischem Kopf. Leicht ergrautes Haupthaar, pechschwarzer Schnurrbart, leuchtend weiße Zähne und blitzende Brillengläser. Gepflegtes Äußere altösterreichischen Stils. Im ganzen sehr sympathisch mit zierlichen feinen Händen und abgerundeten Bewegungen. Gegen Carossa ein ganz klein wenig alert und allzu poliert. Der Vortrag in glatter Sprache voller Fremd- und Fachausdrücke und zumal heute völlig unmöglich. Kein Funke eines geistigen Contaktes mit den Zuhörern, die größte Ruhe zeigten, so daß das in seiner Leistung beschränkte Organ gut zu hören war. Eine kleine Enttäuschung. –

   26.4.42. Wundervolle Frühlingstage, Birnen in voller Blüte. Trudel Storp reiste 1430 nach Stromberg zurück. Führer-Rede, Ermächtigung zum Absägen fehlbarer Beamter ohne Verfahren, auch Justiz. Helene gottlob fieberfrei, mittags auf.
 
   28.4.42. Diese Nacht 3 Stunden Alarm mit heftigem Schießen. Brände und Zerstörung in Köln. 12 Bomber abgeschossen. – – Überschäumende Baumblüte, Sonne, kalter trockener Wind und Staub. Lese in Schäfers Anekdoten. Müde. Jonen: „Flieger“ Dortmund. 12. Rekrut. Kompg.

   29.4.42. Im Garten voll Sonne und Wind schneit es Blütenblättchen der Birnen. Die Kirschbäumchen haben sich in einen Überschwang von weißen Blüten gekleidet. Wie schön könnte alles sein, wenn Mutter gesund und der Krieg nicht wäre. Bruder Josef hat fast zu viel Glück mit seiner Heilung ohne Operation gehabt. Er beginnt schon wieder mit dem Salzen und dem unsinnigen Wassertrinken.

   1. Mai mit Schnee und etwas Hagel. +7°. Hoffentlich leiden die Blüten nicht.
  3. Ein etwas melancholischer trüber Sonntag. Eugen sprach fernmündlich seinen Frontkameraden Major Denker in Truft am Main, wo er jetzt auch in Urlaub ist, in den man ihn zwangsweise von der Ostfront heimgeschickt hat. Denker, Eugen und ein Hauptmann Reinhart +) waren die einzigen Überlebenden des Kasseler Inf. Reg. 15 und nun ist der Hauptmann nach kurzem Urlaub in der Heimat, an die alte Front zurückgekehrt, dort auch gefallen, so daß nunmehr nur noch 2 Offiziere und 116 Mann vom alten Bestand übrig. Eugen soll jetzt hier zur endgültigen Diagnose in das Offizier-Lazarett im Königshof aufgenommen werden. Seine Doktorarbeit hat er so ziemlich fertig. Der gefallene Hauptmann war verheiratet und Vater. – Die männermordende Ostfront ist schrecklich. Wir hatten jetzt einige Tage Nachts Ruhe ohne Flieger. In Köln sieht es böse aus. otan essitai hma..?? – Ich lese jetzt Kellers Novellen und dazwischen seltsamerweise den Roman der Ebner-Eschenbach, Arbeit tut am besten. Schrieb heute an Cleff, sollte es sich überlegen, als Bürochef zu mir zu kommen?
    +)Reinharts Vater fiel im vorigen Kriege, als er 2 Jahre alt war, jetzt hinterläßt er ein Söhnchen von 2 Jahren und die 20jährige Witwe erwartet ein zweites Kind. – – –

   7.5.42. Leuchtender Frühlingstag, auch gestern, da ich in Hersel war. Schreiner Bovelet ist ein II. Sohn im Osten gefallen, auf eine Mine gefahren, man fand nichts mehr von ihm als den Totenzettel seines Bruders, an dem man ihn feststellte. Hat noch einen dritten Sohn an der Ostfront. Sprach eben Sparkassendirektor Kerner, der mir erschüttert die soeben erhaltene Nachricht vom Fall eines seiner 3 Söhne, alle im Osten, zeigte. Schrecklich. Eugen erhielt gute Nachricht von seinem Divisionsarzt, soll sich nur erst ruhig hier auskurieren. Mehrfach verwundete Sanitätsoffiziere sollen nicht mehr zur Front. – Er wird wohl jetzt ins Lazarett gehen. „Wolhynisches Fieber“ heißt jetzt seine Krankheit. –
   18.5.42. Wir leben in einem traumhaft schönen Frühjahr. Seit Wochen keine Nachtangriffe der Briten mehr. Trotz aller Unkereien der Intellektuellen und Übermacht der USA Americaner: Ich glaube an ein Wunder und daß wir siegen werden.
   30.5.42. Roisdorfer Mariechen 84 begraben. Eugen und Marianne schreiben selig aus Oberstdorf.

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   30.6.42. Nun hat der Brite vor 4 Wochen Köln zerstört, in einer Nacht, in 3 Stunden, grauenvoll. Jetzt ist er das 3te Mal in Bremen gewesen, wann kommen wir daran? Eugen ist im Stab des Oberkommandierenden (v. Stülpnagel) in Frankreich zu einem Sonder-Kommando bei Paris, lebt wie ein Gott in Frankreich und hat viel zu tun. Den Enkeln gehts noch gut. In Nordafrika hat der Brite von Rommel furchtbare Schläge bekommen. Tobruk, Marne und Matryk fielen unseren stürmenden Truppen in die Hand, heute wieder Sondernachricht über Schiffsversenkungen. Ich lebe wie im Traum. Ob der Krieg noch mal ein Ende nimmt? Ich lese Bücher fast wie man ein Narcotikum nimmt. Carossa’s Verwandlungen einer Jugend lese ich immer wieder von neuem und glaube in gelinder Sommernacht in Landshut an der Isar zu leben. Lese ich in Erzählungen der Ebner-Eschenbach, wie z. B. Bozena, so meine ich im südlichen Mähren zu wohnen (eine slowakische Bozena im „Gänsestall“ unter den Lungenkranken in Arosa, klein und drall, als gerades Gegenteil jener heroischen Romanfigur, kommt mir oft in den Sinn). Lese ich wie jetzt zu wiederholtem Male die Kriminalgeschichte „Unterm Birnbaum“ von Th. Fontane, so glaube ich in der scharfen Luft des Oderbruchs zu leben und einen schneidenden Seewind zu spüren. Nachts träume ich von allem durcheinander. Eine Zeitlang hat mir, wie im vorigen Kriege ein Richter’sches Geduldsspiel Abwechslung und etwas Erlösung aus einem unbekannten Druck gebracht. Viele schwierige Figuren des „Sternrätsels“ habe ich gelegt und mir die Lösung aufgezeichnet. Jonen ist schon fast 2 Monate weg, arbeitet jetzt auf dem Hangelarer Flugplatz und hatte einige Tage Urlaub, war auch Samstag morgen hier. Morgen soll Frau Hälter ihren Dienst antreten, muß aber noch einige Tage ihre kranke Mutter besuchen. Alarm hat uns die letzte Zeit nachts verschont. Wie lange? Den Enkelkindern geht es gut. MR.

2.7.42. Ein herrlicher ausgeglichener Sonnentag heute mit frischem Wind. Gestern Sondernachricht: nach 25tägigem Sturm Sewastopol gefallen. Dazu Rommel auf dem Marsch nach Alexandrien und neue Schiffsversenkungen. Ob das die Entscheidung bringt. – Morgens Scharen von meist weiblichen Wanderern mit Koffern, Eimern, Kartons und Behältern aller Art von der „schäl Sick“, ja bis vom Sauerland her zum Vorgebirge, um – Erdbeeren zu holen. Gestern soll ein Gendarm oder Polizist von einem Soldaten von der Ostfront niedergeschossen worden sein, dem er ein Körbchen Erdbeeren abnehmen wollte. Gestern nachmittag habe ich auf einem Stuhl sitzend, in Hersel fleißig Johannisbeeren gepflückt, so daß mir heute alle Knochen lahm sind, trotz guten Schlafs. ––

   7.7.1942. Heute vor 32 Jahren hatten Helene und ich unsere Hochzeit. Wir leben noch und sind leidlich gesund, was haben wir alles erlebt? Und was haben wir noch zu erleben? College Leyendeckers Schwiegersohn, ein Forstbeamter, ist gefallen, was Marianne sehr nahe geht. Nach kurzem Sommergewitter gestern ist es heute etwas frischer.

   19.7.42. Gestern schauerlichen Eindruck gehabt: Nachdem ich mit Helene und Marianne im UT einen lustige Film Alles für Glück gesehen, 6 ½ heim, hatte gehofft, Termin für Verkauf eines Judenhauses Wenzelgasse 39 wäre nicht, traf ich versammelte Mannschaft an und mußte mit Frl. Walter und 3 Käufer zur Mordkapelle, Kloster zur ewigen Anbetung, jetzt Judenghetto, wo alles vor dem Aufbruch stand: Morgen, also heute einige 100 ab nach Osten mit je 30 Pfd. Handgepäck und 50 RM, Greise, viele Kinder, auch Dr. Hermanns und Frau. Schrecklich, furchtbar und doch ein großes Geschehnis der Zeit. Verkauf in letzter Stunde, Gänge voll Möbel, Koffer, Reisehabitus, Kisten. Gegenstand zu neulich Kaufvertrag im Gefängnis. Der damalige Käufer, Buda 2 Schwestern sind schon fort. Wo mag Walter Cohen sein? Heimweg mit Frl. Walter interessante Unterhaltung. Heute Löllgen mit Wenzel Herschel wegen Beleuchtung.
   Trotz Regen nachmittags Kirschen gepflückt, getrocknet. Faulen meist. Mit Klein Herbert, 2 Jahre, 3 Monate, 3 Wochen alt, Schnellboot nach Königswinter. Spaziergang dort, mit Elektrischer heim. Voller Eindrücke. Neues mal gutes Kindermädchen Adda erzählte.

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   Bonn, 24.7.42.
   Zwei Eindrücke unangenehmer Art lassen mich nicht los und ich will versuchen, sie dem Papier anzuvertrauen, um mir eine Erleichterung zu verschaffen. Am vergangenen Samstag hatte ich ein großes Geschäftshaus auf der Wenzelgasse, was mir von Jugend auf bekannt ist (es waren früher das Papiergeschäft Herschel und eine Buchhandlung Habicht darin) aus jüdischen Händen an einen christlichen Konzern zu beurkunden. Der Akt wurde in der Mordkapelle gemacht, aus der man die Nonnen von der ewigen Anbetung entfernt und Juden von Bonn als Ghetto eingesetzt hatte. Ich bin wohl 50 Jahre lang dort vorbei spazieren gegangen, war aber das erste Mal in diesem Gebäude, aus dessen kleiner Kapelle unser Messingkronleuchter stammt. Die Nönnchen hatten s. Zt. sich einen „stilechten“ Leuchter verschafft und den alten wirklich echten an den Juden Herz verkauft, bei dem ich ihn fand. Ich schenkte ihn meiner Frau zur Hochzeit.
   Es war schon wenig angenehm, an einem dunklen und regnerischen Spätnachmittage durch die Kapelle in das Gebäude zu gelangen, deren Flur mit Möbeln, Schränken, und selbst zum Kochen benutzten Herden, voll bepackten Handkoffern usw. voll gepfropft war. Der frühere Rechtsanwalt und jetzige Konsulent Dr. Ernst Israel Herrmanns führte uns und die Verhandlungen fanden statt in einem Raume, der außer einigen Tischen und Stühlen vollständig kahl war und als Dienstraum für die Gestapo vorbehalten ist. Jedes Wort, das man sprach, klang derartig hohl, daß man Mühe hatte, sich verständlich zu machen. Es war schwierig, die Leute bei der Stange zu halten, Herrmanns hatte natürlich das Bedürfnis, stets von der Lage der Juden zu sprechen. Von den Käufern wurde es dem älteren Gesellschafter in der ganzen Atmosphäre derartig schwül, daß er mehrfach Versuche machte, auszukneifen, ehe die Urkunde fertig war. An dem darauffolgenden Freitage, oder Samstage sollte der Abtransport der Juden stattfinden. Die Verkäuferin, eine halblahme fast 70jährige Greisin muß mit. Ebenso Kinder und Kranke. Gestern war ich in der gleichen Sache nochmals dort und hörte von Herrmanns, daß die „Reise“ nach Theresienstadt ginge. Seine Tochter, die Medizinerin, sei als Ärztin mit einem Transport von 1700 schon nach dorthin. Was mit ihnen geschieht, ist ganz ungewiß und es schwirren darüber die tollsten Gerüchte. Herrmanns versicherte mir, daß jeder nur 15 kg Gepäck und 50,- RM mitnehmen dürfe. In Köln wollte man wissen, daß die Reise sehr abgekürzt würde.
   Am vorigen Mittwoch entschloß ich mich endlich nach fast zwei Monaten zu einem Besuche in Köln. Ich hatte von Otto gehört, daß das Archiv gerettet sei. Einige Urkunden, die in meinem Notariat gemacht waren, waren aber vernichtet. Ich nahm ihm neue Ausfertigungen mit und fuhr nach Köln. Die alte Universität steht zwar noch, aber dann fingen die Zerstörungen an. An der Witschgasse und an der Hängebrücke fehlen ganze Viertel. Die Mühlengasse und Biergans sind vollkommen ausgebrannt. Das von der Stadt gemietete Haus zum Rosendahl hatte Otto noch retten können. Das ganze ging mir doch sehr nah. Zum Mittag war ich in Deutz und aß mit O.B., H.B. Dr. Finke und Frl. Funke zu Mittag, sehr gut. Alle fanden mich schlecht aussehend, kein Wunder, der Eindruck der vernichteten Mühlengasse war erschütternd. Onkel Dietrich würde das nicht überlebt haben. Nachmittags besuchte ich noch den 84jährigen Onkel Albert, der völlig taub, aber sonst sehr frisch ist. Seine Firma Peipers & Co in der Domstraße ist schon bei einem früheren Angriff der Briten vollkommen verschwunden. Der Totalschaden der Fa. Brügelmann (auch die Zeppelinstraße ist vollkommen zerstört) beläuft sich auf etwa 10 Millionen Rmk. In der Deutzer Fabrik ging es zu wie in einem Bienenkorb. Eine schon früher fliegergeschädigte Korsettfabrik, die dort aufgenommen wurde, ist ihnen jetzt sehr im Wege. Auf dem Grundbesitz, den ich s. Zt. im Kampf gegen die anderen mit Onkel Dietrich zusammen erworben hatte, wird jetzt eifrig Landwirtschaft betrieben, die Obstbäume hängen zum Brechen voll. Gänse, Enten und Hühner bevölkern die Fußballwiesen und viele Schweine werden vom Abfall der Kantine genährt.

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   22.7.42.
„Meine Großmutter heißt Kickel und wohnt Kessenich, Karthäuserplatz 15.“
   Die deutschen Truppen an der Ostfront gabeln einen etwa 10jährigen Jungen auf, der elternlos und vollständig verwahrlost sich in der Landschaft herumtreibt. Der Junge ist sehr intelligent und spricht nur Russisch, dies aber sehr gewandt. Er kann einen einzigen deutschen Satz: „Meine Großmutter heißt Kickel und wohnt in Kessenich bei Bonn, Karthäuserplatz 15.“ Der Junge wird von den Truppen zum Spionieren angelernt und bewährt sich glänzend. Auf irgend eine Weise kommt die Sache dem Führer zu Ohren und er veranlaßt, daß der Junge zu seiner Großmutter hingeschickt wird. Die Sache stimmt.
   In Bonn war früher am Landgericht ein Landgerichtsdirektor Thielemann. Von seinen beiden Söhnen war der eine Jurist, war eine Zeit lang bei der Braunkohlen-Kraftstoff A.-G. und arbeitet z. Zt. in Berlin. Der andere war ein ideal gesinnter Junge und als solcher Kommunist. Er zog bei öffentlichen Umzügen der Kommunisten mit der Schalmeienkapelle durch die Stadt. Er heiratete ein Mädchen aus Kessenich. Er ging aus reinem Idealismus viele Jahre vor dem Kriege nach Rußland und ließ schließlich seine Frau nachkommen. Die Frau ging dorthin, obwohl ihr von der Schwiegermutter Thielemann (inzwischen Witwe Thielemann) dringend abgeraten wurde. Außer zwei ganz kurzen Nachrichten, daß es ihnen gut ginge und daß sie in einem Zimmer mit ihrer Familie von 14 Personen durch einen Kreidestrich getrennt lebten, hat man nichts gehört von ihnen.
   Ich werde feststellen, ob die Frau geb. Kickel aus Kessenich stammt, dann ist der Spion ihr Sohn. Dessen Eltern sind als politisch verdächtig nach Sibirien abgeschoben worden, vermutlich als Zwangsansiedler. Der Junge soll Uniform und E.K. II haben.
   Später: Helene hat Frau Thielemann gesprochen: Ihr Enkel ist aus Rußland zurückgekehrt.

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   12.8.42. An einem herrlichen Tag voll Wind und Wolken begruben wir heute in Rheinbach den 74 Jahre alt gewordenen Rechtsanwalt Justizrat Wilhelm Schneider. Nachts war mehrere Stunden Alarm gewesen und als der Zug kurz vor 8 von Bonn herausfuhr, muß auch wieder Alarm ertönt haben. Ich hörte davon nichts und war erstaunt, in Witterschlick Entwarnung kurz nach 8 zu hören, worauf wir mit einer Viertelstunde Verspätung nach Rheinbach kamen. Das Amt fand ohne Geläute eine Stunde später statt. Die vierschiffige Hallenkirche war ziemlich gefüllt. Außergewöhnlicher Weise sprach der Dechant einige Worte von der Kanzel über den Verstorbenen und lobte rühmend sein Eintreten für die Belange der Pfarre. Ein stattlicher Zug brachte den Toten vom Hause bis zu dem schön gelegenen Friedhof. Die Straße war allenthalben flankiert von H.J., B.D.M. und Arbeitsdienst. Auch sonstigen Parteiorganen und Schulen, die in Rheinbach ihren Sitz haben. Nach den geistlichen Zeremonien zog sich die Rede des kleinen kugelrunden Stadtbürgermeisters endlos in die Länge. Daran schlossen sich Ansprachen der Kriegerverbände, Amtsgerichtsrat Krautwig von der Justiz usw. usw., so daß die Witwe ganz erschöpft nach Hause gehen mußte. Dazu zwei Gesangschöre, zwei Trompeterchöre und eine Abteilung Schützen, die die Gewehrsalven abfeuerten. Zum Mittagessen war ich nach Verabredung bei Gottfried Langen, Martinsplatz, dessen Frau gut für mich sorgte und mir morgens schon ein Frühstück gegeben hatte. Die Rheinbacher Landschaft war unvergleichlich, umsäumt vom Siebengebirge, dem Vorgebirge und den Waldsäumen der Eifel. Die Fernsicht war ganz klar. Nach dem Begräbnis bot mir Sparkassendirektor Schiele an, mit seinem Wagen nach Bonn zurück zu fahren. Es tat mir leid, daß ich dies ablehnen mußte, denn der Blick in die großräumige Landschaft wäre gerade aus dem offenen Wagen aus am schönsten zu genießen gewesen. Auffallenderweise war außer dem Rechtsanwalt Heitmann kein Bonner Anwalt dort.
   Von Bekannten sah ich auch nur wenige, die meisten sind in den 22 Jahren seit unseres Fernseins von Rheinbach gestorben. Ich ging mit dem Pfarrer i. R. Echternach und sprach Fritz Gerhartz, den alten Krüger von der Eisenbahn, der mir erzählte, daß sein Mündel Gretchen im Wochenbett als Mutter von mehreren Kindern und Frau eines Arbeiters mit 14 Morgen in Niederdrees gestorben sei. Am Grabe waren zwei Brüder des Verstorbenen. Ich sprach den Staatsanwalt aus Essen. Unter den vielen Lobreden auf den Verstorbenen vermißte ich ein Eingehen auf seine starke Gabe des Humors. Ich erinnere mich genau, daß er alle Register vom leicht ironisierenden Plaudern über schneidende Ironie bis zum tiefgründigen vollen Humor souverän beherrschte, ohne eine Miene dabei zu verziehen. Auf meine persönlichen Erlebnisse werde ich noch einmal zurückkommen.

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   13.VIII.42. Eugen ist vom 8. bis 16. auf 8 Tage aus Frankreich in Urlaub. Erzählt Interessantes. Flog nach Spanien und kaufte von einem Engländer, der auch Käufer ..., 8 t lose China Faulbaum Rinde. Badete auch eine Stunde im Meer dort. Zurück. Machte Reisen und Flüge auch ins unbesetzte Frankreich. Bekam Auftrag, binnen einem Tage völlig neue Einrichtung zur Entlassung einer Waffen SS Brigade Sepp Dietrich auf den und den Bahnhof zu schaffen, ehe die SS Leute ihrer Propag. Marsch in Paris machten, den wir gestern in Kino Wochenschau sahen. Unterhielt sich mit Sepp Dietrich hierüber, der durchschaut hatte, daß er, und nicht der unfähige Vertreter, ein Generalarzt Ammon, die Sache gemacht hatte. –
   Engländer und Amerikaner haben durch Belgisch Congo quer durch Afrika eine Transportstraße von Westen nach Osten gebaut, wo sie Material ect. quer durch Afrika mit Autos fahren!! – Auch sonst Interessantes. Hat gutes Essen in Fontainebleau, Karl von der „Bremen“. Ob er da bleibt? Er hörte schlecht. Die Nacht bei Augen gemerkt. Hört Maschinengewehrschießen gar nicht, leichte Flag auch nicht, nur schwere Flag. –

   29.8.42. Heute morgen geschwänzt und den ganzen Tag 9 - 9 in Honnef. Morgens 9 erster Gast im Thermalbad, auch geschwommen und gesessen. Bis 12 Uhr in Gaststätte Grafenwerth, treffliches Mittagbrot mit Schollenfilet! gut und reichlich, auch 2,50 mit Suppe und Eis, dazu Bier hinterher (3,35). 2.00 Bezahlt, dann durch die Mittagsglut zu Bretzens, 2 ½ dort. „Pan schläft“, sofort auf Sopha ein- und bis 400 fest geschlafen. Kam Helene. 4 ½ Thee im Garten unter Terrasse, daselbst 8 Uhr auch Abendbrot mit Wein. Sehr angenehme Unterhaltung. Stilleben, auch Blumenstücke in Pastell, Landschaften in Öl schwächer. Herrliche Stift Zeichnung meist Sonnenblumen. Empfahl Litho. Genußreiche Unterhaltung. Große Nachfrage nach Bildern. Hauszins ohne Ablösung besprochen. Müde heim.

30.8.42. Auf den schönen Tag von gestern, Marianne hatte sehr üblen Traum, heute die harte Wirklichkeit: Fliegerangriff Kassel brachte ein Lufttorpedo in der Tischbeinstraße parallel zur Albrechtstraße zur Explosion. Wohnung beschädigt, schreibt der unange. College und Hausbesitzer Müller. Helene und Marianne fahren Montag hin, 31.8. bei großer Hitze, +27°C. 1119 Personenzug nach Köln, ab dort 1333 D-Zug Kassel. Eugen telefoniert aus Frankreich, fährt morgen 1.9. Hin. Schaden besehen. Marianne schon alle möglichen Dispositionen ins Auge gefaßt. Reparatur Möbel, deren Sicherstellung im Bayrischen Wald oder auf der Rechen Alp. – Aufgabe der Wohnung?
   Morgen kommt Lilly Sondag nach hier. Mädchen machen Bohnen ein. Vetter, dessen Mutter +, ist Notar in Elberfeld (Stelle Geller) gewesen.
   Man spricht von: Im September seine die Russen down (Gott gebe es!). Die Landungsmanöver britischer und amerikanischer Truppen in Frankreich habe man 1 Monat früher erwartet. Große Ansammlung amerikanischer Truppen, Materials und Flugzeuge seien auf Irland.

   31.8.42. Unsere U-Boot-Verluste seien verhalten und gering (Schwetzte W. R.). In Westdeutschland müsse man mit großen Flugangriffen rechnen. – In Calais hätten Engländer auch zu landen versucht. – Auch die jüdischen Ehegatten arisch Verheirateter seien gefährdet. (de Claer, Fahnen Meyer auch in Gefahr (sah ihn heute morgen recht erregt aus Römers Büro kommen.) Die Ostfront ernähre sich heute selbst aus dem Osten. – Türken noch in Reserve, bis sich Siegesschale für uns entscheidend im Osten gesenkt habe. Wenig von Brasiliens Kriegserklärung. – Japaner kämpfen auf Vorfeld vor Australien.
   College Schmitz Bonn krank, Ganser vertritt ihn. Renscher arg abgemagert, selbst für ihn. |  Rech? | Nöller sieht gut aus. Bretz fast blind. Anemies Vetter Notar in Elberfeld Stelle Geller geworden. Stelle sehr herunter. Reichsnotatur giebt schon Zunahme. Sohn Wolpers soll ich vertreten. – Willi Rm gut aussehend, viel ruhiger geworden. Glaubt stark an Hersel bald zu bewohnen. Will Weber in Schetterwohnung. – 845 abends. Erwarte Anruf Marianne und Helene aus Kassel.

   1.9.42. Helene und Marianne telefonierten 7 ½ aus Kassel. Haus stark beschädigt, Wohnungsinhalt weniger. Hilfe aus Lazarett wird Fenster und Türen verschlagen. Eugen kommt nicht heute sondern Mittwoch nach dort. Helene bald zurück. In OStA. Müllers Wohnung trefflich untergebracht. Nachts hier ausgiebig Regen. Frl. Wolter frisch und braun aus Urlaub im Siegerland zurück.

   12.9.42. Hella. Neuerdings sehen welche in ihrem Gesichtchen eine Ähnlichkeit mit meiner +Mutter, ihrer Urgroßmutter. Jedenfalls hat sie ein kluges, ruhiges bedächtiges Wesen mit viel Lebensfreude. Der Vater war jetzt wegen der Kasseler Fliegerschäden dort und daheim in Urlaub und sie machte mit Bübi und Eltern den ersten Ausflug im Wagen durch die Stadt. So viele Eindrücke wirkten ermüdend und sie schlief sehr fest danach. Ziemlich schnell übt sie neue Lall-Töne und kommt zu neuen Worten. Langsam wird sie auch ein wenig verwöhnt und weint, wenn keiner in ihrer Nähe ist. Lächelt aber sofort wieder ganz beseligt, wenn ihr nur jemand von weitem zuruft. Hat gar zu gern etwas Gesellschaft. Macht energische Übungen, sich auf die Füße zu stellen. (Eugen von und nach Paris im „Kourier Zug“, 6 Stunden, wenig Personen, Köln Lyon Paris). (Angeblich Stratosphärenflugzeuge fast ohne Geräusche)
  21.9.42. Büro nachts 045 h. Wunderbar stille Mondnacht draußen. Kann nicht schlafen. Magenbeschwerden, mich gestern an Pflaumenkuchen etwas überfressen. Alle erwarten Alarm diese Nacht, er kommt nicht. Vorgestern Nacht Britischer Angriff auf München und Stuttgart. Marianne Sorge um Uroma Brunhuter. Waldemar in Straßburg auf Wohnungssuche, habe Gefühl, er findet was. Will Haus mieten, auch für Mariannes Möbel mit. –––
   Angeblich Abkommen mit England: Sie nicht auf Berlin, wir nicht auf London!!? Lese mit Genuß Fontane „Quitt“, aus Lese entliehen. Habe Vertrauen: Unserem Haus geschieht nichts. Heute geruhsamer Samstagnachmittag, im Garten mit Mariannes Enkeln. Schwül warm. Erinnerten und an Hertas Geburt, 19. Sept. 1911. Zeiten! –
   Heute auch große Erfolgsmeldung: See, U-Boote. Will wieder ins Bett. Hauswanderung und Niederschrift taten gut.

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   Bonn, 5.9.42. An Bord Rheindampfer Ostmark. 8 Uhr, noch dampft die Welt im Nebel, bald bessere Tage. Leider Helene nicht mit. Die kam vorgestern aus Kassel, wo Mariannes Wohnung Albrechtstr. 59 II durch in der Tischbeinstraße niedergegangene Luftmine unbewohnbar geworden ist. Glas hin, Porzellan und Möbel ... erhalten, dank der trefflichen Arbeit und gutem Olsdorfer Holz, sieht wüst aus. Kinder traurig, Heimat sozusagen verloren. Wollen vielleicht in Rheinbach bei der verwitweten Frau Justizrat Schneider unterstellen. Eugen kommt ohnehin nach Krieg schwerlich wieder nach Kassel. Ist eben mal mit Marianne im Hotel Schirmer, vorher mit Helene in Dr. Winklers Wohnung, Wilhe. Löher Allee 189 II, gut aufgehoben. Gestern per Expreß 1 Korb Bohnen und Birnen nach dort gesandt. Hoffentlich bleiben wir von weiterem verschont. Die großen Städte kommen alle dran. Gemüsegroßhändler Schmitz Endenich schilderte mir gestern sein Erlebnis in kürzl. Brandnacht in Nürnberg. Schauerlich muß es in Mainz aussehen. Aber die fast 70jährige Frau Witwe Generalarzt Dr. Tester, die in Kassel im Hause von Sondags früherer Wohnung schon 25 Jahre vor diesen wohnte, die jetzt durch die Glasscherben nur so watete: Die Engländer sollen doch nicht glauben, daß uns dies erschüttert. Ob wohl der II. Teil meiner Handzeichnungs-Sammlung, die sich in den Gewölben des graphischen Kabinetts in Kassel befindet, gelitten hat? Wohl kaum. Selbst in dem Papierhaus, in dem Mariannes Wohnung ist, waren die Leute im Luftschutzkeller unbeschädigt. Nur fruchtbarer Knall. Gut, daß Marianne mit Kindern in Bonn. Wir erfuhren letzten Sonntag von dem Schaden und Montag fuhren Helene und Marianne hin. Eugen, dem wir depeschiert hatten, hatte mich Montag aus Frankreich angerufen, fuhr Mittwoch nach Kassel. Dort war auf solche Heimsuchung wenig vorbereitet und statt zu helfen, schwätzten alle Leute. Aus benachbartem Lazarett holte Eugen Hilfe.
   Eugen erzählte, er war 3 Stunden nach Gefechtsschluß in Dieppe. Schauerlicher Anblick. Meer tatsächlich vom Blut gerötet. Kanadier, hochgewachsene Leute, wie Waffen-SS, als Gefangene vollkommen erledigt. Eugen sprach mit kanadischem Offizier, der in Bonn studiert hatte und Deutsch sprach, er kam nicht aus dem Weinen. Hölle gewesen, vermutlich sich „angenehmen Sport“ vorgestellt. Wird natürlich mit seinen Kameraden nicht zusammen kommen.
   Schiff wegen Nebel nicht abgefahren. Verspricht schöner Tag. Schrieb eben Brief an Herta wegen Uschis Schuhen für Winter.
   Manche hart getroffen, z. B. Bürovoersteher Iske bei College Müller in Kassel: Einziger Sohn im Osten gefallen. Mann ganz gebrochen, alter Mann und zusammengefallen, Kinder erschüttert. Alle Mieter wollen nichts mehr zahlen.
   Jeden Tag liest man in der Zeitung neue Opfer, fast stets im Osten: Gestern Neffe von Frau AGR Pütz geb. Fischenich, Sohn von Schwager Kieselstein (Rey-Kieselstein), Burg Bodendorf bei Euskirchen mit 19 Jahren im Osten gefallen. Hoffentlich geht diese Saat auf.
   Heuer ein Sommer, Ernte wie nie.

Seite 35 (diese Seiten mit Datum vom 5.9.42 sind zwischen S. 33 und 37 eingeklebt)
   5.9.42. Enkelkinder unsere größte Freude, Mariannes Heribert und Hella bei uns (Beuel) geboren und in den Kriegsjahren als Säugling aufgewachsen, täglicher Genuß. Heribert, anfangs ein kümmerliches Männchen, Eugen bis zur Karikatur ähnlich. Vergesse nie seinen Anblick in Hersel, saß im Garten und sah ihn im Halbdunkel des Hausflures auf dem Arm eines Erwachsenen: Sah aus wie Eugen, von einem Südseeinsulaner gekopfjägert und sorgfältig geräuchert a la Perouse. Erschreckend. Machte in seinen ersten Monaten zur Aufregung der Mutter einen heftigen Darmkatarrh mit blutigen Ausscheidungen mit. Bestand die Erkrankung siegreich und wurde ein stämmiges Bürschchen. Heute – 125 Jahre nach Otto v. Bismarck geboren – ein kräftiger Junge von 2 Jahren und 5 Monaten, stets auf den Fraß bedacht. Spricht noch wenig, denkt und beobachtet aber gut und viel. Außer Mama, Opa, Papa, Omi sein erstes Wort: Bo = Brot. Hauptwort. Ißt Brot in jeder Form und zu jeder Tages- oder Nachtzeit. Schon in seinen ersten Tagen Bachstraße Mai 40 französischen Fliegerangriff nachts im Keller erlebt. Einige Glasscherben aus dem Fenster im gemeinsamen Luftschutzkeller bei Nachbar Krath fielen auf sein Bettchen. Anderen Tags Mutter mit ihm voller Schreck zu Bretzens in Honnef, aber bald zurück, als dorthin auch Flieger kamen. Mai 1941 Photo mit nach Tölz, dort viele Bernwieser besucht: Frißt er gut? Nocha ist era echter Bernwieser! – Spricht heute mit Gewalt, Zunge noch sehr ungelenk. Bo = Brot, Le = Gelee, Löll = Löllgen, den er sehr liebt. Deutlich: Hanne = Hammer, Hoëff = Honnef, Omi, Opi, Mami, Papi, Leusj = Häuschen, Wauwau = Hund, Hottehott = Pferd. Hella, nun erst 9 Monate alt, wird sehr bald besser sprechen lernen. Übt schon Lé! Lé! Papapapapp! –
   Heribert von ausgesprochenem Willen, oft geniert und wenn große Freude, sieht er stur beiseite. Bei Verdruß sehr heftiges Fußstrampeln und aufbocken. Klettert gern und gewandt, dabei nicht ohne Vorsicht. Gegen Schmerz ziemlich unempfindlich und erträgt Verletzungen recht tapfer. Hat Freude an allem Handwerklichen. A und O ist das Auto. Sagt gut „Oto“, Toloto = Kohlenauto. Hat auch originelle Ideen: sieht die aufgeblasenen Sperrballons in Hersel: Happ happ für Fiege = Essen (Wurst) für Flieger. Sehr erpicht auf Feisch = Fleisch und Fisch, auch Feisch genannt. Wenn er ißt, sollen andere auch essen: Mami hap hap, Opi hap hap, Omi hap hap, Wau wau hap hap. Ada hap hap. Odo (=Grete) hap hap. Hat bis heute schon über 250 Fliegeralarme im Keller miterlebt. Meist geschlafen. Geborener Bauer. Mit größtem Vergnügen in Hersel im Garten. Dort ohne weiteres Früchte mit 2 Jahren, richtig in die Hand genommen und abgepflückt. Arbeitet weniger mit Spielzeug, als mit richtigen Gartengeräten. Nimmt dem kleinen Edi Müller, Webers Enkel, gleiches Alter, der viel besser spricht, ohne weiteres Schubkarre ab und zieht damit los. Bestimmt Spiel und ist selbstverständlich Herr und Führer, ausgesprochene Herrennatur. Hatte als Säugling schon 35 cm Kopfweite, heute aber ordentlicher Dickkopf, auch geistig. Zärtlich und liebebedürftig, aber auch eigensinnig. Macht sich aus Strafen nichts und vergißt sie im Nu. Gute Veranlagung zu Erbhofbauer. Ob er mal Obstanbauer wird? Auch Neigung zum Kochen und Apotheker Spielen. Von seinem Vater, der ihn öfter kräftig verhaut, soweit seine Kriegszüge ihm dies gestatten, und Opi, der ihn selten haut, hat er ziemlichen Respekt. Weniger vor Mami und Omi. War seltsam still, als diese jetzt 1 Woche in Kassel waren. Sprach nicht von ihnen. Kam aber öfters ganz still mit „Auto“ zu Opi ins „Bro“ = Büro. Hat im allgemeinen Abneigung gegen dunkel gekleidete Frauen. Sah nie bisher seine Urgroßmutter Brunhüter in München und seine Oma Storp-Reuter in Stromberg. Olsdorf - Alfter sehen in ihm Ähnlichkeiten mit Bruder Christian Rech in jungen Jahren. Sonst Stupsnäschen, im Wesen auch Kopf ausgesprochen Storp. Sehr zärtlich zu seiner Schwester, die er „Titti“ nennt. Ist furchtbar aufs Trinken, muß gezwungen werden, den Becher abzusetzen, säuft sonst stets ex wie ein Student. Wird im Genuß von Flüssigkeiten etwas beschränkt. An unreife Birnen im Bonner Garten gründlich den Magen verdorben. Vor 14 Tagen auf Samstag Honnefer Thermalbad, Hose voll, Opi über Holzfeuer getrocknet. Ist versessen auf Wasser und geht unbedenklich ins Wasser. Vorsichtig aber im offenen Rhein, den er Ba = Badewanne nennt. An heißen Sommertagen nackt in Waschbütte im Garten zu sitzen, höchstes Vergnügen. Wird gewiß ein entschlossener und tüchtiger Schwimmer. Marschiert gern und gut, aber „Bo“. Er ist amüsant zu beobachten. Hat m. E. zu viel Spielzeug, Stoffbär und Auto die Hauptsachen. Erstmals im Postauto kurz gefahren, Geschrei, weil ich nicht mit einstieg. In Dr. Auto Hersel voll Verständnis.
   Klein Hella, die schon unten und oben Zähnchen hat, beginnt jetzt zu lallen: Omama, Papapap. Sie hat mehr Sprachtalent wie ihr Bruder und wird diesen voraussichtlich bald einholen. Sie ist ein sehr liebes, würdiges und zufriedenes Kind. Schreit sie mal ausnahmsweise, so hat sie stets triftigen Grund dazu, ist wund usw. Sie hat jetzt auch augenscheinlich Zahnbeschwerden, bewegt die Stangen im Griff des Kinderwagens, haut auf Finger usw., schreit aber nicht deswegen. Schon sehr zufrieden, wenn sie Leute von weitem sieht. Sie ist bis jetzt nicht ausgefahren worden, steht im Wagen und Korbbettchen entweder vor unserem Schlafzimmer auf dem Balkon oder unten im Garten. Hat sich selbst das Sitzen beigebracht und übt jetzt das Stehen. Sie hat ein nettes, ruhiges und zufriedenes Wesen. Großen wohlgeformten Mund, die klugen dunklen Augen meiner Mutter. Manche Ähnlichkeit auch mit Eugen Storps Schwestern, ihren Tanten und der Großmutter Brunhüter in München, ihre Urgroßmutter. Ihre größte Freude ist, wenn sie vor der Abendatzung etwas auf den Arm genommen wird und die Familie um sich sieht. Sie hat die Fähigkeit, allerliebst lächeln zu können, auf den Seiten der Oberlippen bilden sich dann kleine neckische Grübchen. Sie lacht, aber selten, auch aus vollem Halse und jauchzt: he! he! – Alle haben ihre Freude an der Kleinen. Für alles, was man ihr tut, ist sie sehr dankbar. Möge ihr das Gleiche im Leben blühen. 6.9.42.
(Gestern: Waldemar Bibliothekar in Straßburg geworden.)

   6.9.42. Gestern abend eine frohe Botschaft: Waldemar mit September Bibliothekar an der Universitäts- und Landesbibliothek in Straßburg geworden. Große Freude. Sofort an Beyer-Eltern geschrieben und an Beyer depeschiert O Straßburg! ––

   9.10.42. Eben verabschiedet sich Pitt Müller, der plötzlich fort mußte, gleich nachts nach Berlin Staaken. Ich hielt Kündigungsbrief zurück, den ich gerade fertig abgehen lassen wollte.
   Gestern war College V. da, blendend schön wie ein junger Kriegsgott, jetzt eben mit Ausbildung fertig, wird wohl wieder zur Ostfront müssen. Erzählte allerhand Interessantes: Ölproduktion in Rumänien nehme rapid ab, für 2jährigen und längeren Krieg seien wir auf Russenöl angewiesen. Bei den Russen der Truppenersatz jetzt auch schlechter, aber noch kein Boden von dem Faß abzusehen. Notariat in Elberfeld wollte er der Notarkammer überlassen und erst später antreten, sei jetzt ein Zuschußbetrieb. Prächtige... den N Kammer damit einverstanden. Waldemar hat gute Wohnung in Straßburg und 3 Zimmer für Marianne mit gefunden. Herta will im Winter hin. Alice Reitmeister ist einige Tage hier, aufgescheucht von Pannhorst, der Möbel schon beschlagnahmt sah. Jetzt ist alles wieder in Ordnung. Hersel noch eben rechtzeitig umdisponiert, um Zwangseinsetzung einer fliegergeschädigten Familie Leyendecker aus Üdorf, holde Proleten, zu verhindern. Weber bereits in Schetterwohnung, Müller mit Frau und 2 Kindern drin vorläufig, dann Büro für Marmeladefabr., der vorab 1 kleines Zimmer bekommt. Alles übrige kriegen Heinz Reitmeister u. Frau, Frau jetzt hier, sonst Kirchmöser wegen Fliegerangriff.
   Heute erschreckt morgens 7 ¼ - 8 Alarm mit Schießen über Troisdorf. – Wir immer schöner. Im Notariat jetzt zu tun, kann mich über Arbeit nicht beklagen. Kartoffelzuteilung, bekamen 28 Zentner zugewiesen!

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   9.10.42. Mit Ende des Monats soll Hans Weber als Lehrling aufs Büro, Unterbrechung Landdienst. – ? – Marianne neues Kinderfräulein, Anni Ley, nachdem Ada Bayer zuletzt sehr gut sich gemacht hatte.

11.10.42. Amüsante Unterhaltung gestern abend Lese bei Wein mit v. Claer, dieser verwandt mit Notar + Schäfer, dieser mit General Schäfer, Schoppes mit Schäfer verwandt. Schoppe mit v. Claer. Reitmeister mit Schoppe, ergo! v. Claer mit Reitmeister. Erzählte amüsant. Seine Großeltern kauften Kanonikatshaus am Münsterplatz. Darin behält Wohnrecht bis zum Tode Kanonikus v. Parmentier-Steinberg, eigene Hauskapelle wunderlicher Herr, der nicht, wie erwartet, mit 70 bald starb, sondern uralt wurde und erst mit 91 +. Sein Diener: Vater braucht ihm nicht mehr Messe heute zu dienen, Kanonikus ist ein Engel im Himmel, do sitz er im Sessel un is su drügg wie ne Stockfisch! –
   v. Claer erzählte uns allerlei aus Leben und Ehe von Adam Huser, den Helene so gern hatte.
   Bübi spricht jetzt viel. Manches gelingt ihm überraschend gut, z. B. Beethoven Musiker nennt er „Mukemiker“. Sonntag, Okt. 42 bewundert er Spielmannzug in Poppelsdorfer Allee: „Mukemiker mit Bumbum.“ Selbst Hella beschäftigt sich schon mit Tonbildungen 19.10.42

   23.X.42. Trüber Tag. Helene und Marianne fahren nach Kassel, Möbel einpacken. Ich konnte Helene noch Taschenlaterne mitgeben.
   OB rief eben an: Kinder Werner M... prozeß, fechten alles bis 21 an. Schiedsrichter abgelehnt, ... übergangen. Wollen Gegenklage machen: Stamm Werner heraus! Voraussage: „Klage und Gegenklagen werden abgewiesen.“ Ich werde als Schiedsrichter vermutlich ablehnen und den Vorsitzenden der Kam. f. Handelss. als Schiedsrichter benennen. ––

   26.X.42. Vorige Woche 2 schlimme Tage, Magen nicht in Ordnung. Schwindel im Kopf. Freitag mittags Helene und Marianne weg. Dafür Sonntag mehr Erholung nach 2 Weihtagen. Erst spät auf, gemütlich Toilette und Frühstück mit Kindern und Lilly. Nach ... ... ... mit Umhang im Säckchen 11 Uhr zur Uni. Veranstaltung Graf v. Gleichen von Schmidt-Bonn. Neufassung. Dunkle Aula gefüllt. Weniger Schauspieler, sehr gut. Nach gemütlicher Mittagstafel geruht. Lilly fuhr ½ 3 nach Köln. ... mit Kindern allein im Garten. Fräulein aus. Gemütlicher Kaffee. Grete auch mal mit Kindern aus und ich einige Stunden im seltsamen Wohlbehagen mal ganz allein im Hause. Auch kein Anruf störte. Nachmittags 3 hatte ich Heizung neu angesteckt. Herrlicher Sonntag, 9 zu Bett und herrlich nachts ohne Störung geschlafen. –
   Trauriges Zeitbild: Helene und Marianne ... Kassel, um Möbel nach Straßburg zu verfrachten. Marianne nimmt neu zurechtgemachten reinwollenen Hirtenloden-Mantel mit, recht auffallend. In guter Gaststätte wird ihr der gestohlen, alle Nachforschungen bei Polizei ect. Vergebens. Mit Verlust gerechnet. Aber überall angezeigt. Großes Wehklagen bei Rückkehr. Sonst alles in Ordnung, aber Mantel weg. Heute, 1.11.42, fast 1 Woche später ruft Frau Generaloberarzt Ferber bei Kalb an: Mantel hat sich gefunden. Der Gaststättenbetriebsleiter sieht Dame darin reinkommen, telefoniert Kriminalpolizei. Diese stellen Dame fest, die gleich alles gesteht. Leeres Portemonnaie noch in Tasche. Diebin: 35jährige junge Frau eines Studienassessors, der im Felde steht, 2 kleine Kinder!!! Tableau. Fleht um Gnade und Nichtversetzung, sonst unmöglich!! =

   1.11.42. Nasser Tag. Hella plappert und hat stets Hunger, jedenfalls fortgesetzten Kau-Reiz. Fährt täglich aus. Sehr weinerlich und will täglich unter allen Umständen Marschübungen machen. Fortgesetzt neue Zähne. Hält mickerig aus!! –

   2.11.42. Gestern feuchter und dunkler Novembertag, darin im Sprühregen mit Bübi zum alten Zoll marschiert, Zamp patschnaß. Nachmittags Grete Riesen mit hübscher Tochter zu Besuch. Erzählte interessant: Angriff auf Köln nachts in Jagdhütte gewesen. Töchterchen allein in neuer Wohnung am Ring. Brand bei Kurt an der Münze, gegen Morgen heim. Ilse mit Kindern als Flüchtlinge zu ihr in Wohnung, nachdem sie erst  in W... im Nachbarhause untergebracht waren. Schilderung der Begegnung von Firmenangehörigen frühmorgens auf Deutzer Brücke. Verhältnis Erna und Vogelsang: Kränzchen bisher, jetzt ihr nicht mehr möglich, zu Erna ins Haus zu gehen. Restlos auf Ottos Seite. Prozeß. Brief an Dietrich, vergebens, Vermittlung angeboten. D... Brief an Wilhelm Vogelsang, den Stiefvater. War empört über Klage und sieht Übles für Stamm Werner voraus. Alle 3 Jungen im Felde. Erst mal abwarten. ... ... ... in Stalingrad als Artilleriebeobachter bei Infanterie gefallen. ... ... ... In dieser Zeit sehr zuversichtlich gewesen. Im ganzen angenehmer Besuch. Abends bei Überfüllung des Schnellzuges im Personenzug heim auf Köln. –

   3.11.42. Gestern abend kamen Herta und Uschi von Braunschweig hier an. Alle 3 Enkelkinder zusammen. Manchmal Unruhe, vertragen sich gut. Heribert voller Freude über Besuch, Herta zunächst mal eisenbahnmüde. Hat sich inzwischen kräftig ausgeschlafen. –

   20.11.42. ... ... Gestern ein kleines Erlebnis in Wesseling Süd: Grauer verhangener Novemberhimmel. ... ... auf schwarze Asche ... ein wundervolle grüne kleine Blumen Rosette mit be... Blättchen von fast ... Schönheit und Regelmäßigkeit mitten in der ... Industrie .... 1 St. Aufenthalt, sah russische Kriegsgefangene mit den Spitz... und Pelzkappen.

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Bonn, 23.XI.42. Ein frostig windiger naßkalter Tag. Hatte Magenverstimmung mit Fasten und sitze jetzt wieder im Büro. Eugen ist in Avignon an der Rhone. Nach Afrika? Hohe Stellung. Herta wollte uns Uschi hier lassen und als Dienstverpflichtete zu Waldemars Flugplatz gehen. Abgelehnt. III. Kind für uns hier im Hause zu viel. Mein Zustand sehr schwankend. Halte mich mit Gewalt und Schonung eben noch arbeitsfähig. Dabei lebe ich ganz in der Vergangenheit, jetzt in den Jahren 21-23, in Aufzeichnungen, Erinnerungen. Dazwischen Gegenwart. Jonen von Göttingen nach Lange bei Münster. Vor Ausmarsch noch mal nach hier? Notariat wenig zu tun. Wüste Tage bei f... Himmel. Gestern abend seit langem mal Alarm 10 - 11 ohne jedes Geräusch. Hans Weber macht sich, Heinrich Magden ist tauglich für alle Waffen ausgenommen Marine befunden worden. Ich diktiere manches aus alten Sachen. Schrieb an OB um Conferenz-Protokoll Brief „zur Auffrischung des Gedächtnisses wegen Prozesses“. Ob er den Braten riecht? Lese ... 1 Kapitel Raabe. – Letzte Birnen im Garten Samstag 21.11.42 durch Jungens abnehmen und abschütteln lassen. Heute ... Helene will übermorgen Uschi nach Straßburg bringen. Hoffentlich. Herta jetzt wieder andere Pläne: Will in Straßburg den Doktor machen.–
7.12.42. Gestern, Sonntag abend machte Gretel Müller recht gut den St. Nikolaus. Bübi hielt sich tapfer, Hella ganz unbefangen nahm gern Äpfel und verzehrte sie sofort. Frl. Anni war auf Besuch bei Großeltern in Ringen an den Ahr, Helene bei Herta in Straßburg. Bübi erklärte von sich aus, daß er keine „tosse Geschäfte mehr in Hose machte“, auch versprach er, abends nicht mehr zu schreien. Vom Flugzeug sehr entzückt. Besah sich den Nikolaus mit Maske, weißem Wattebart, Eugens Soldatenmantel, Schihandschuhe, Rucksack und roten Schuhen genau, merkte aber nicht. Beteuerte hinterher, daß er, Opa, Hella, Mammi gar keine Angst gehabt hätte. Nahm auch Äpfel für „Dodo“ (die in Kur) und Anni in Empfang. Sehr nett und gelungen. Die Kleine stand im Ställchen. –

   Silvester 1942. Ernst im Osten und in Afrika. Jonen auf dem Weg nach Sizilien. 200 000 Industriearbeiter für Wehrmacht angefordert. Gerd Reitmeister Ausbildung abgebrochen, Ostfront. Sein Bruder Heinz dort. Truppen abgeschnitten? Armee? Alle sehr ernst. Als Jahresletzter unterschrieb Fürst Salm, der 10 gute ... aus Johannes-Hospital holte dort Blinddarm operiert. Erstmals etwas ... ... Gespräch. Was erwartet uns 1943?

   4. Februar 1943. Schlimme Tage. Stalingrad, 6. Armee hin. Alles traurig. In 2 Tagen Eugen Urlaub zu Ende, nach Frankreich zurück. Allgemeine Volkstrauer. Bett III. Stock für Handwerker Köln freigemacht. Köln beim letzten Angriff vor 2 Tagen arg gelitten. Kutter, alt und zahnlos besuchte uns heute. Büro viel zu tun. Frau Hutter wird in einiger Zeit wieder kommen, bekommt leider kein Kind. Ich werde auf einige Tage in Johannishospital gehen zur entgültigen Diagnose der Krankheiten. Bin jetzt auch noch arbeitsdienstpflichtig bis 65 Jahre! –
   Von Montag bis Samstag 13.2.29 (muß selbstverständlich 43 heißen) zur Beobachtung und Untersuchung in St. Johannis Krankenhaus in Bonn, Prof. Heinen und Ärztin Dr. Ley. Schöne Tage. Besinnlich. 9.2.43 besuchte mich Prof. Schöllgen, erzählte schnurrige Dinge von Rauschen, der Dampferfahrt nach Palästina an Bord in Pantoffeln machte. (Besuch der Kathol!?) Was bringt die nächste Zukunft? Viele schnell ausgebildete Soldaten gehen nach dem Osten. Kaukasus Front wackelt. Jetzt 63 Jahre alt, laut Heinen Herz noch für 20!! Jahre ausreichend. Ich bin körperlich jedenfalls nurmehr beschränkt leistungsfähig. Hilfsdienst? Als was? Städt. Dezernent für Grundstückswesen, dt. Sparkasse? Zusammenlegung der Notariate? Römer (wackelig), Nöller und Rauschen nicht mehr hilfsdienstpflichtig, wohl ich und Molitor, der noch kräftig trotz Kriegsbeschädigung. Müllenbach Beuel dt., er und ich Genossen. – Diese Nacht hatten wir Meckenheimerstr. erstmals Einquartierung, junger Straßburger Handwerker, Rahmenmacher, der mit Gen. in Köln als Glaser arbeitet. Ordentlich. Was mag noch alles kommen? –

   16.2.43. Alles ist sehr gedrückt. Des Donnerers Wolken hangen schwer herab auf Ilion. Am schlimmsten ist die Ungewißheit über die Vermißten. Wo mag der 2. Sohn der Claers geblieben sein. Wir streiten uns, sollen wir uns mit ihnen darüber benehmen oder noch Nachrichten abwarten. Es ist zum Verzweifeln. Jonen hat neue Feldadresse bekommen, ist er noch auf Sicilien oder hinüber nach Afrika? Aus italienischen Heeresberichten liest man von scharfen italienischen Fliegerangriffen auf Sicilien und Horst sprach ernst darüber. Er war der Ansicht, daß unsere Verluste an Fliegern sehr gering seien und die Gegner weitaus größere Verluste hätten. Diese Nacht hatten wir mal Ruhe, auch gestern abend kein Alarm. Bübi erkältet, ist heute wieder besser. Hella wohlauf, Marianne allzu nervös, macht uns Sorgen.
   Eingezogen wird alles, was noch Beine hat. Dr. H. Hersel, der gestern hier war, sieht schwarz, auch für seine Einberufung. Sein jüngerer Bruder ist weniger als Arzt wie als Offizier eingezogen. Ich wundere mich über mich selber, daß ich überhaupt noch Pläne mache: Es steckt mir immer noch das Nebenhaus Bogen in der Nase, ich möchte es erwerben aus den Mitteln, die ich mal aus meiner Lebensversicherung bekomme. Der Mensch denkt und strebt. Ich freue mich über jeden Gang ins Freie, der nicht einen schmerzhaften Brustkrampf bringt. Der Himmel verfinstert sich und es kommen wüste Märzbiesen. Bei heftigem Regen bekamen wir gestern Koks, trotzdem froh begrüßt. Es kommen immer noch ab und zu Klienten und im Büro ist immer noch was. – Die vorletzte Nacht war ein einstündiger Angriff auf Köln mit vielen Bränden, auch in Roisdorf hats gebrannt. Seltsamerweise kam kein feindliches Flugzeug nach Bonn. – Die Brände im Roisdorfer Oberdorf beschränkten sich gottlob auf einige Ställe ohne Vieh, kein Wohnhaus. Vor Johanns Haus fiel eine Brandbombe auf die Straße, am Hemmericher Waldrand ein Lufttorpedo ohne Schaden. In Kalk brannte dagegen eine Möbelfabrik aus. – Die Uni Vers. Klinik sandte mir jetzt Kurvorschriften, morgens ein Glas Karlsbader Mülbrunnen, 2 x täglich 15 Tropfen Digitalismedicin, 3 x 1 Tabl. Eupaverin. Alles wird gewissenhaft gemacht. Auch mittags und abends nach Tisch je 1 Stunde warmfeuchte Packung auf Galle. Hoffentlich hats Erfolg.

   2.3.43. Diese Nacht 10 ½ bis 1 h Keller, Schießerei. In Berlin Terrorangriff. Hier Gerücht: Bonn kein Angriff, weil bei Dreesen, Rüngsdorf, amerikan. Zivilinternierte untergebracht! –
 
   Ende Juli 43. Schwere Tage liegen hinter uns, noch stehen schwerere vor uns. Köln und andere rheinische Städte liegen in Schutt und Asche. Was kommt über Bonn? Storp hatte schlechten Urlaub hier und fuhr vorgestern mit Marianne, beiden Kindern und Frl. Martha Lüttgenhaus nach Mittwald in Privatquartier. Am 21. abends ab, haben 23. noch keine Nachricht. Mir gehts nicht besonders. Rechtsseitig nervöse Störungen. Lese viel. Jonen in Sizilien im Kampf! – Anfang August muß Uschi in Straßburg zur Schule. Sind noch in Stettin-Finkenwalde.

   6.11.43. Mo 3.11.43 war ich nachmittags zu einem Termin in Bornheim. Neblig trübsonniger nasser Novembertag. Trübe Ahnungen. Notierte mir diese im Kalender. Gestern wurde Marianne von Arzt aus Avignon angerufen, Eugen vor einigen Tagen mit Auto verunglückt. Auf „Hindernis“ gefahren, ... Arm gebrochen, schwere Gehirnerschütterung, liegt bewußtlos, wird noch lange im Lazarett in Nähe Avignon liegen müssen. Glücklich die 4. Gehirnerschütterung in diesem Kriege. Hoffentlich übersteht er sie. Marianne hatte es auch Bübi erzählt, den verfolgt es im Schlafe, diese Nacht (4 x Alarm am Tage und abends) nachdem er sich am Abend bei seiner Mutter eingehend darüber erkundigt hatte, ob „Kopf ganz weg“, „Auto ganz kaputt“ ect. sei. Geht ihm nahe. Heute Reif und winterliches Wetter.