Die Tagebucheintragungen September 1941 bis November 1943 befinden sich in einem dünnen Heft im Querformat mit 40 beschriebenen Seiten, das aus verschiedenen Blättern zusammengeheftet ist. Es ist teilweise unmöglich, die Wörter zu entziffern. Es sind u. U. auch andere Lesarten möglich.
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Bonn, 26.9.41. Ich habe wegen einer Magenverstimmung Zimmerarrest.
Die Morgensonne scheint herrlich ins Bibliothekzimmer im I. Stock des
neuen
Hauses Meckenheimer Straße und ich habe meine Freude an den
huschenden
Sonnenflecken, welche über den schwarzen Schrank zur Venus von
Stokkum
(Plastik von Zimmermann) tanzen. Das Zimmer ist voller Behagen. Die
kräftige
Herbstsonne scheint so kräftig schräg durch die schwarze B...
Politur des Kirschbaumschranks, daß sie das warme Rot des
Kirschhintergrundes
durch B... und Politur hervorleuchten läßt. Sobald die Sonne
wegwandert, ist wieder schwarze spiegelnde Fläche. Jetzt, wo wir
endlich
mit dem Einräumen der Hausmöbel an ein Ende kommen,
erfüllt
uns das neuerworbene wiederhergestellte und jetzt endlich auch bewohnte
„Neue Haus“ mit Behagen und Befriedigung. Vor 50 Jahren besuchte ich
mit
meiner Mutter als kleiner Knabe das große altertümliche Haus
des Notars Brabender gegenüber, bestaunte die riesige
Aufhäufung
alter Akten und wollte auch Notar werden. Daß dieser Kinderwunsch
ein halbes Jahrhundert später fast an gleicher Stelle in
Erfüllung
gehen wird, konnte damals keiner ahnen. Nun bin ich seit Tagen damit
beschäftigt,
Aufstellungen des Hausinhaltes zu machen, und zwar gleich in 2
Exemplaren,
von denen eins bei meinem Bürovorsteher aufgehoben werden soll.
Jeder
muß heute damit rechnen, daß sein Haus von einer britischen
Spreng- oder Brandbombe getroffen und vernichtet oder beschädigt
wird.
Seit fast 10 Tagen haben wir zwar Ruhe, dafür aber neue
Scheinwerfer
und Schnellflakgeschütze. Allenthalben werden bedrohliche hohe
Bunker
ohne Fenster gebaut. Alles richtet sich auf den Endkampf mit den verfl.
Engländern ein, denen der H. mit Grundeis geht, nachdem wir
vermutlich
den Russen in der größten weltgeschichtlichen
Umfassungsschlacht
so gründlich geschlagen haben, daß er anscheinend mit seiner
Kraft zu Ende ist, ca. 50 Divisionen und fast eine ½ Million
Gefangene
und ? Tote verloren hat. Die Engländer scheinen ihn aufzugeben und
fliegen anscheinend vorerst nicht mehr bei uns ein, weil sie an den
Russen
kein Flugzeug mehr verschwenden, sondern nur noch mit Worten helfen
wollen.
Bei diesem „Registrieren“ kommen einem mancherlei Gedanken, z. B. Jetzt
hast du alles erreicht, was dir das Leben bieten konnte, nun
könntest
du davon dich ganz zurückziehen, statt wie nächtlich bei
Alarm
anstatt in das Kellergewölbe zu steigen, um dort den Ofen
anzuzünden,
in dessen Wärmestrahlung der kleine Enkel Heribert so mollig in
einem
Körbchen einschläft – auch 600 m weiter in das gewölbte
Familiengrab auf dem alten Bonner Friedhof mich zur letzten Ruhe
hinzulegen.
Denken wir an Heribert und sein Geschwisterchen, das in etwa 2 Monaten
kommen soll; es sind solche Gedanken schnell wieder entflogen, er soll
bald seinen Vater wiedersehen, der die gewaltigen Schlachten in
Rußland
siegreich mitmacht und kürzlich von D... k... das E.K.I mitten im
Gefecht erhielt, nachdem er als Arzt nach Verlust seines ganzen
Sanitätspersonals
20 - 30 Verwundete mit eigener Körperkraft aus russischem
Panzerfeuer
heraus geholt, verbunden und gerettet hatte. Heribert, der seit dem
1.4.39,
seiner Geburt, etwas über 200 mal nachts im Alarm im
Luftschutzkeller
gewesen ist und dessen blonder Schädel von 35 cm Weite jetzt auf
51
cm gewachsen ist, verspricht ein äußerst arbeitsamer
Deutscher
zu werden. Essen und Beschäftigung machen ihm Spaß. Wir
halten
uns selbst jung an ihm. Der Garten mit Sandhaufen und allerlei
Gerät
sind sein Liebstes. Am liebsten „arbeitet“ und klettert er. Heute
morgen
ist er mit seiner Mutter und Großmutter nach Hersel mal sehen, ob
die Baumnüsse und Birnen bald reif werden. Aufs Ernten muß
man
jetzt sehr bedacht sein, denn ein entbehrungsreicher Winter scheint uns
bevorzustehen. Wie 1618 - 1648 danach der 30j. Krieg, an dessen Folgen
wir die jüngste Zeit zu leiden hatten, von 1914 - 1944 wird wohl
der
neue 30j. dauern, der die alten Wunden mit allem Schaden auswetzen
wird.
Vielleicht beginnen diese am Ende sogar die Schweizer Eidgenossen ... .
Wie fast immer, wenn ich die Magenattacken erleben muß, nehme ich
meine Zuflucht zum Grünen Heinrich und zu Kellers
Lebensbeschreibung
von E.... Lese immer mit Genuß und Erbauung darin.
Da hat einen das Leben mit vollem Glanz wieder ganz, zumal wenn solch
herrliche Spätsommersonne scheint wie jetzt. Sie will einen
trösten
für den gänzlich verregneten Frühling und Sommer. Als
wir
Ende Juni das „Neue“ Haus bezogen, meinte die Sonne es auch gut mit uns
und gab einige kurze Wochen trockenen Wärme zum Einzug, sonst aber
führte Imperator pluvius meist das Szepter und meine neu angelegte
Grasfläche sowie das Gewürzgärtlein zu fröhlichem
Ergrünen
brachte. Die gute Laune wird noch verbessert durch Besuch der Alfterer
Förster, der endlich einmal einige hundert Mark Ertrag aus den mit
... Kosten die Aufforstung der „Büsche“ ... Auch tut es einem gut,
immer wieder einige kleine Kisten von Äpfeln einzukellern, die
jetzt
so selten sind und mit denen wir uns, die Kinder und die
künftigen,
auch den Bauch von Uschi und Herta auffüttern wollen.
„Janshöfe
... ...“ sandte eben einen Korb schöner Möhren, die jetzt
eingegraben
und so versorgt werden sollen. Es steht sogar in Aussicht, daß in
der Zeit, wo Herta und Uschi im Oktober uns hier besuchen kommen, auch
Waldemar mal mit dem Flugzeug kommt und in Hangelar landet. Nun fehlt
uns
noch ein guter Mieter für die Bachstraße, wenn viele
trommen,
wird schon kommen.
Sa 27.9.41. Gestern war die Zahl der gefangenen Russen schon auf 574
000 angewachsen. Von Eugen hatten wir eine Nachricht. Abends sehen wir
im Stern die erschütternde Wochenschau, meist von der Ostfront,
und
lachen nachher herzlich über lustiges Stück „O, diese
Männer“.
Eine herrlich dunkle warme Nacht, von 1040 -1220 ein
glücklicherweise
hier nur blinder Alarm. Helene und ich zogen uns an, gingen aber nicht
herunter und schliefen bald wieder ein; heute ist ein schöner
sonniger
Tag und das Straßenzimmer, in dem ich jetzt gern neben meinem
Büro
sitze, schon behaglich und durchsonnt. Ich muß mich bemühen,
noch mal wieder eine leserliche Handschrift zu bekommen.
Ein in Godesberg wohnender Rentner Carlé zeigte seinen
Reisepaß,
der noch bis 1942 galt. Er kann damit nicht in die Schweiz zum Besuch
seiner
Tochter in Neufchatel fahren, die er in 3 Jahren nicht mehr gesehen
hat.
Auch kann die Tochter ihn nicht besuchen, da sie keine
Einreiseerlaubnis
nach hier erhält. Hart. – Soeben lese ich eine 6seitige
Schilderung
der Eroberung von Smolensk durch u. a. das motor. I. R. N 15, dem Eugen
angehört. 16. Juli 1941. Harte Kämpfe. – Es kommen jetzt die
ersten russischen Gefangenen ans Vorgebirge.
28.9.41. Wenn ich in meinem Zimmer am mittleren Fenster auf dem Sofa
sitze oder liege, kann ich über dessen Rücklehne durch das
tief
heruntergehende Fenster gut auf die Straße sehen. Allerdings
durch
das Eisenguß Gitter, das vor dem Fenster steht. Dessen Ranken
spinnen
sich über die Straßenbahngeleise, den breiten
Bürgersteig
vor der Kreissparkasse und an deren Vorderseite bis zu den
Türstürzen
des unteren Geschosses. Sonntag ist viel Verkehr dort und viele Leute
gehen
durch das Rankenwerk. Gegen die halben Stunden sammeln sich viele Leute
und füllen die Freiräume in den Eisenranken. Sie warten auf
die
Elektrische ins Siebengebirge. Es ist amüsant, dem zuzusehen, bis
die Bahn kommt und dann alles absperrt. Dann sieht man die Leute aus
den
gegen Abend namentlich Sonntags übervollen Zügen
herausstreben.
Viele wollen weiter nach Köln und haben es dann gewaltig eilig,
quellen
an der falschen Seite heraus und stürmen gegen alle Warnungen und
Verbote der Schaffnerinnen auf die Rheinuferbahn.
Es ist belustigend zu sehen, wie manche Gruppen sich in das Rankenwerk
überraschend gut einfügen, während andere gar keine
Rücksicht
darauf nehmen und nur mit Beinen bis zu den Knien und mit
abgeschnittenen
Köpfen munter einhertraben.
Bonn, 3.XI.41. Am Freitag, 31.X. haben wir hier Carl Sondag im kleinen
Kreise auf dem alten Friedhof begraben. Ging mir sehr nahe, war erst 60
Jahre alt. Mit Lilly war ich mehrmals zusammen, traf auch seine
Geschwister
Paula mit der apart hübschen Tochter Arztfrau Dr. Hoffmann und
Bruder
Walter mit seiner ... Frau. Von den Leidtragenden war die originellste
eine alte Frau Vollmer, 92 alt Ma... 32. Schwager Willi Reitmeister war
am gleichen Tage auch hier, hauptsächlich um einen Eimer Kraut aus
dem Bergischen mitzunehmen. Bruhns sagt sich zu 14 dran. Herta kam mit
Uschi vor Bahnsperre Freitag nacht 24. frisch hier an. Wohnt jetzt
wieder
Berlin und bleibt einige Wochen hier. – Es sind seltsame Gerüchte
in Umlauf: Stalin habe dem Führer ein Friedensangebot gemacht mit
allerhand Bedingungen. Sei glatt abgelehnt worden. Mittlerweile erobern
wir die Krim und die Russen verziehen sich nach Samerow an der Wolga,
rund
800 km hinter Moskau. Die Italiener marschieren in Rußland munter
mit nach Osten. Viele? Die Türken sind jetzt wohl auf unserer
Seite.
Ob wir schon südlich des Schwarzen Meeres durch die Türkei
nach
Persien marschieren? Möglich wäre alles.
Gestern hörten Herta und ich mit Bretz und Ruth Hans Carossa und
trafen uns nachher noch mit Wulfert angenehm im Höttchen.
16.XI.41. Schöner Tag heute. Giebt wieder mal Zuversicht. Dies
heute nötig: Vor 14 Tagen kommt Mitternacht Herta mit Uschi von
Berlin,
etwas überstürzt von dort abgereist wegen drohender
Bahnsperre.
Große Freude. Kind hustet und ißt nicht recht. Jetzt nach
14
Tagen Arzt: Diphterie: Spritze. Spritze prophylaktisch an Bübi.
Marianne
große Aufregung. Herta mit Kind auf II.Stock separiert. „Kind
muß
heraus!“ – Nur mal langsam. Uschi im Bett, geduldig und soll
außerdem
Keuchhusten haben. Dann hat ihn Bübi auch schon. Weiter aufgeregt.
Trübe Tage. Aber Leute wieder zuversichtlicher: Buz - Köln
soll
11 zum Photographieren kommen, auch Dr. med. Hopstein soll kommen.
Inzwischen
altes Leistenlager an Armatage, Neuigkeiten und Spezialitäten in
Lissendorf
Eifel um guten Preis gegen Bar verkauft. – Sollte schon im Weltkrieg
erfolgen,
jetzt aber gar keine Holzleisten mehr zu kriegen. –
2.12.41. Ergreifende Gegensätze
Vorgestern Waldemar Flugzeug Hangelar, abends bei uns. Mit Herta in
gymnastische Vorführung BBK. Gestern bei leichtem Frost strahlende
Sonne. Start mit Weib Hangelar. Erst Mittags heim. Abends Anruf
Wernigerode:
Landung schlechten Wetters wegen.
Heute ist den ganzen Tag etwas windig: Schauer entk.... Marianne
nachmittags
4 Uhr zu Frings zum Kaffee, bekommt Geburt. Zu Fuß heim. 6 mit
Auto
und Hebamme zum Beueler Krankenhaus. Abends 740 rief ich an: Hebamme
meldet:
710 = 1910h ein Mädchen. Alles gut. Große Freude und
Gratulation.
Kurz vor 6 P... Welter da, hat Todesahnung, will nächste Woche
zu Sauerbruch, Carcinom Brustgeschwür. Armer reicher Mann ohne
Enkel.
–
Bonn 1. April 1942. Heute sind wir 1 Jahr lang mit dem
Notariatsbüro
in meinem Hause Meckenheimerstr. 62. Manches ist in der Zeit geschehen.
Im Mai war ich vom Umbau und Umzug so erschöpft, daß der
Körper
seinen Dienst versagte und der Kopf meist schwindelte. Ich ging dann
Mai
nach Bad Tölz, allein, und ließ Helene daheim in dem
Pröll
mit den Bauhandwerkern. Jod trinken und Baden ließ ich sein,
spazierte
viel, hatte manchen Regen und auch öfters Schneetreiben und
widmete
mich der Familien- und Sippenforschung von Bruhns Vorfahren Bernwieser.
Ein großer Teil der weitverzweigten Sippe B. in Oberbaiern lernte
ich kennen. Bei feuchtem Himmel fuhr ich über München
Freising
nach Regensburg, Passau, von dort ein Tag nach Deggendorf Kloster
Metten
und dann über Würzburg heim, wo ich recht abgemagert ankam.
Im
Juni/Juli erfolgte dann der Wohnungsumzug mit 6 Möbelwagen von der
Bachstraße. Das war eine Sache. Graut mir alles, wenn ich daran
zurückdenke.
Es dauerte Wochen und aber Wochen bis wir allmählich des
fürchterlichen
Durcheinanders Herr wurden. Wir hatten damit begonnen, die
Bücherei
auszuräumen und im Gartenzimmer des I. Stocks Meckenheimerstr. 62
zu deponieren. Dann schlug Schreiner Krämer das Gestell auf und
mit
Lehrling räumte ich nach und nach 40 Kisten Bücher ein. Der
dann
folgende Umzug mit 6 großen Möbelwagen kam ziemlich
plötzlich,
da wir uns ganz nach Langen und dieser wieder nach militärischer
Beanspruchung
seiner Leute und seines Materials richten mußten. Es wurde
darüber
Winter, daß wir uns endlich gemütlich und wohnlich
einrichteten,
Gardinen vor die Fenster bekamen und unendlichen Möbel- und
Inventar
Prölls langsam Herr wurden. Was hat der Mensch sich im Lauf der
Jahrzehnte
für einen Unsinn an Sachen um sich herum versammelt, die ihm im
Alter
lästig werden. Mit der zunehmenden Not an fast allem ist zudem
jeder
früher einfachste Gegenstand heute zu einem Wertstück
geworden
und wird es wohl noch einige Zeit bleiben. – Unterdessen zögert
der
Krieg an der Ostfront, nach
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ganz ungeheuerlichen Siegen erstarrt in eisiger Winterkälte. Seit
140 Jahren soll ein solch harter Winter nicht mehr gewesen sein. Eugen
schrieb immer sehr mannhaft von der Ostfront. Als er endlich im
März
mit fast verlorenem Gehör hier war, erzählte er grausige
Dinge.
Er ist in der Ohrenklinik in Behandlung, hat wohl auf einem Ohr das
Gehör
entgültig verloren. Auf dem anderen besteht Hoffnung auf
Besserung.
Frontdienstfähig ist er nicht mehr. Januar und Februar verlebten
Helene
und ich in Oberstdorf bei Eis und Schnee. Bis zu -24°C und sehr
reichlich
Schneefälle. Wir erlernten die Atemmethode Egenolf und üben
sie
seitdem täglich. Der März – wir kehrten am 20.1. mit
Umsteigen
über Stuttgart heim – brachte uns endlich Tauwetter und milden
Frühling.
Seit Dezember haben wir klein Hella. Herta war mit Uschi fast 2 Monate
im Frühwinter bei uns. Heute wird klein Heribert 2 Jahre alt. Da
gedenken
wir seiner Geburt am 1.4.40, wenige Tage später Bombenangriff der
Franzosen auf Mozart- und Bachstraße. Jetzt ziemlich starke
Einschränkung
in der Nahrungsmittelzuteilung. Alles verschärft sich. Ich wiege
63,4
- 64 kg netto. Hoffentlich halten unsere Kartoffelvorräte.
Schlaf. Lektüre. Arbeit. Traumwachen.
Persönlich jetzt oft in einem eigentümlichen
Zustand: Halbwach, träumend, stark zu Schlaf geneigt. Schlafe
nachts
gut, meist 9 - 9 ½ bis 5 ½ morgens. Dann frisch.
Atemübung
und zeitig auf. Oft schon um 8 mit dem Hund zum Spaziergang auf alten
Zoll
oder in Hofgarten. Während der Bürostunden oft längere
Pausen
in der Arbeit, dann fast stets geneigt, halb einzuschlafen. Stets eine
Lektüre zur Hand. Lese in letzter Zeit Musäus
Volksmärchen
und male mir beim Einschlafen und Wachträumen Situationen aus
diesen
z. T. wenigstens geistreichen Erzählungen im Kopf aus, zugleich
steigen
dadurch Erinnerungen an frühere Tage und Erlebnisse, insbesondere
solche von Sommeraufenthalten und Reisen, gemeine Situationen u.s.w.
auf.
Manches verfließt in Halbträumen, manches aber tritt mir
haarscharf
in die geistige Vorstellung. Oft habe ich besonderes
Glücksgefühl
dabei, oft auch traurige Stimmungen. Der Druck der Zeitstimmung ist
ungeheuer
und jene Erscheinungen sind wohl als eine Art Gegendruck dagegen
anzusehen.
Fontane lese ich mit Vorliebe, Stechlin jetzt 2 und in kleinen
Abschriften
durchgeackert, immer wieder fesselnd. Jetzt lese ich Erzählungen
und
Beschreibungen von W. v. Scholz, z. T. halb okkulte Sachen, die die
Seele
aufwühlen. Eigentümliche Zeit. Am liebsten möchte ich
2/3
von ihr verschlafen und verträumen. Dazwischen ganz frisch bei der
Arbeit und innerlich froh und frei, wenn ich viel zu tun habe. Fahre
mittwochs
nachmittag nach Hersel, um bei Bestellung des Gartens zu helfen. –
Gründonnerstag 2.4.42. Gestern Hersel. Wind Wolken Licht Sonnenglanz. Grau Heimfahrt. Halbtraum nachts Luftschutzkeller gesicht Spinatfelder, Osterhase. Eierlegend. Begegn in 7Gebirge. Abendbeleuchtung, rotierende Schweizer Käseräder mit am Reck jonglierenden Käsbohrer. Lied der Käsbohrer, Lied der Hasen. Rotierende ... 12 - 5 Alarm Keller. Heute Sturm. Weber Hersel berichtet: Die Nacht ein feindlicher Flieger bei Wesseling über Rhein abgeschossen, verbrannt und Rhein gefallen.
Carfreitag. Morgens 751 mit Eugen, ich nach Rheinbach, er nach Odendorf Palmersheim gefahren. Unterschrift im Krankenhaus. Sonne. Zu Gestüt Langen freundliche Aufnahme mit Aussicht auf Mittagessen. Früh sah ich in Bonn schon Weber mit Köbeschen von Rheinuferbahn zur Staatsbahn marschieren. Familienbesuch in seiner Heimat. Ist dem fleißigen Mann gern gegönnt. Ein selten schöner Carfreitag. Abend Radio Stück aus Parcival. Glas Maibowle. Waldmeister sprießt im Garten.
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Osterwoche 1942.
Wir hatten einen harten Winter vom ersten Drittel Januar
ab. Von Weihnachten bis zum 31. März fiel kein Regen, aber desto
mehr
Schnee. Dabei Frost streng und hart. Entsetzlich hart für unsere
Truppen
im Osten, die unter dem monatelangen Ansturm der Russen zu leiden
hatten.
Man macht sich keinen Begriff davon. Helene und ich waren ab 9.1. bis
20.2.
in Oberstdorf, wenig Sonne, viel Frost und noch viel mehr Schnee.
Mäßige
Kosten. Trotzdem tat uns die Ruhe wohl und ungeachtet, daß wir
einige
Pfund abnahmen, erholten wir uns ganz trefflich, obwohl ich
zwischendurch
mal Lungen- Gallen- und Blutdruckanfall bekam (Reaktion auf meine
Bauch...methode),
darnach einige Tage ans Bett fesselte und nebenbei das Gute hatte,
daß
Jonen nochmal bis Ende März vom Heeresdienst zurückgestellt
wurde.
Trotz sehr besetzten Zuges kamen Helene und ich über Stuttgart, wo
wir Nachtquartier im Bahnhof Hotel machten, gut heim. – Im März
schmolz
der Schnee hier ab und Bonn tauchte aus einer Schmutz- und Eiskruste
wieder
auf. Oft hatte ich mit Zamp auf dem Morgenspaziergang den alten Zoll
kaum
vor Glatteis ersteigen können. Der Frühling kam gottlob mild
und gelinde und der arktisch in Eis erstarrte Oberrhein, den wir auf
der
Herreise nachmittags mit Grausen besehen hatten, trieb ohne Schaden ab,
dann kam ein aus f... Hochwasser, das auch nicht allzu viel Schaden
tat.
– Anfang der Carwoche setzte Regen und Sturm ein, Mittwoch aber hatte
es
sich besänftigt und ich fuhr nachmittags nach Hersel, mit Samen in
den Taschen. Es spannte sich vom Kölner Dom bis zum Siebengebirge,
von den fernen Siegerlandbergen bis zur nahen Höhe des Vorgebirges
eine gläsern klare leuchtende flache Himmelsschale, auf der viele
sonnenbeschienene Wolken mit farbigen schattigen Unterseiten und
Rändern
nicht allzu hoch einher segelten. Ringsum am Horizont waren
allenthalben
lang hingezogenen Wolkenbänke schimmernd in Opaltönen. Durch
eine Lücke des Vorgebirges sah ich die fernen Eifelberg ordentlich
blau. Die Erde, schon erwärmt, nahm mit Freude die Samen der
dicken
Bohnen, Möhren und Salat an. Auf dem Heimweg schmeckte mir abends
zur Brotzeit am Bahnhof ein Glas Braunbier zu einem derben Vollkornbrot
wie ein Göttermahl. Die warme Abendsonne beschien schräg das
riesige gedrillte Spinatfeld, dessen Furchen gegen die sieben Berge
liefen.
Das Grün war ordentlich warm und erfrischend zu sehen. Der warme
Regen
und die Erwärmung hatten an dem etwas angefrorenen Spinat ein
wahres
Wunder verrichtet. Üppig in leuchtendes Grün hatte er sich
entfaltet
und verhieß wahre Labsale in der heutigen gemüsearmen Zeit
der
Knappheit, wobei eine Menge namentlich Rosenkohl im Frost zum Teufel
gegangen
war.
Von Fern sah ich eine kleine Gestalt zum Bahnhof kommen
und erkannte Herrn Gran schon von weitem: Erfreulicherweise konnte er
mir
Kartoffelsaat „Frühbote“ zusagen, ich wurde meine Sorge um die
Frühkartoffelsaat
damit los. Auch besprach ich mit ihm Eintritt in die Genossenschaft der
Herseler Kasse, womit sich eine Reihe Fragen von selber lösen. –
Der leuchtende Tag setzte sich bei mir im Traum trotz
5stündigen Luftangriffsalarms fort und ich hatte diese Vision: Ich
stand auf dem Wege nach Roisdorf und sah gegen die sieben Berge, wie
die
grellen Spinatreihen sich in Bewegung gegen das Gebirge setzten, sich
endlich
dahinschlängelten und am Fuß des Gebirges sich in Schlangen
hin und herwanden, die heftig nach dort fließende Bewegung der
hellgrünen
Kräuter schien sich dort zu stauen und wie unentschlossen hin und
her zu sieden, wie in einem schäumenden Kessel. Plötzlich
kuschelte
er in hellbraunen Massen aus dem Gebirge dort und entwirrte sich zu
zahllosen
Osterhasen, die in rasender Eile gegen die Richtung der sich
schlängelnden
Spinatreihen sich in rasender Eile
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auf mich zu näherten. Fern am Horizont konnte ich sehen, wie sie
sich zu Reihen formten und genau durch schmale Erdbänder
hoppelten,
die zwischen den Spinatreihen in brauner Farbe leuchteten. Bei jedem
Satze
ließ jeder mümmelnde Hase ein Ei fallen, alle möglichen
Farben. Die bunten Eier lagen in der Abendsonne farbig angeglüht
in
den Furchen im Spinat, ein erfreulicher Anblick für Gran, der
kleine
feine Herr in seinem beigen Covercoat Mantel kam herzu und sagte: Sehn
Sie, Herr Doktor, jetzt haben Sie, was sie wünschten: Spinat mit
Ei.
Ja wahrhaftig in Überfülle. Damit war Herr Gran verschwunden
und ich bemerkte in der Entfernung wie sich im rechten Winkel zu den
hinziehenden
Spinatreihen große graue Räder bald schnell bald langsam
sich
über die Erde drehten. Es hängen seitlich dran kleine
Figuren,
die turnerische Übungen machten, als ob sie an Reckstangen
turnten.
Die Räder waren riesige Schweizerkäse, wie ich sie vor vielen
Jahren in Thun auf einem Markttag an der Kr... gesehen hatte. Die Turne
hatten ihre Reckstangen in die Käselaibe gebohrt und hingen stets
zu 2 links und rechts am Käse. Sie turnten heftig und je nach
ihren
Schwüngen drehten sich die riesigen Käseräder langsam
oder
schneller vorwärts, stockten und zuckten auch öfters, ohne
sich
sonderlich weiter zu bewegen. Sie sangen dazu:
Wir sind die frohen Käsbohrer,
Wir bohren in den Käsen.
Jetzt turnen wir
Jetzt turnen wir
und feiern frohe Ostern.
Die Hasen hörten das, stutzten einen Augenblick, einer setzte
sich auf die Hinterpfoten, dreht sich um und gibt den Ton an, dann
sangen
die Hasen im Chor:
Wir sind die Osterhasen, die Osterhasen
Wir bringen Eier, Eier
frische Eier zu Ostern
zu Ostern mit Spinat. –
Alles war im besten Gange, da begann die ganze Erde sich rings im
Kreise
zu drehen, es krachte und bollerte fürchterlich und die Käse
gerieten in heftige Drehung. Kein Gedanke daran sich einen abzuhacken
und
beiseite zu bringen, die man jetzt so gut gebrauchen könnte. Die
Bewegung
wurde immer schneller, die Erde dröhnt von fernen Schüssen
und
gellenden Hornsignalen und eine Stimme rief: Es ist entwarnt, ich
erwachte,
fand mich auf dem Holzgerüst im Luftschutzkeller und hörte im
Erwachen noch die Sirenen heulen. –
Carfreitag.
Den darauf folgenden Gründonnerstag war Regen und
Sturm. Gleichwohl stieg das Barometer schon frühmorgens. Es ergab
sich im Büro, daß ich im Krankenhaus „Maria Hilf“ in
Rheinbach
eine Unterschrift zu holen hatte, die der dortige Willy Zaetterer nicht
holen wollte und Eugen fiel ein, daß er noch einen Besuch bei Dr.
Holstege in Palmersheim zu machen hatte, um den Eltern die
Grüße
ihres Sohnes zu überbringen, den er in Rußland getroffen
hatte.
Wir beschlossen morgens 751 nach Rheinbach bzw. Odendorf zu fahren und
mittags ½ 2 wieder heim zu kommen. Gesagt, getan. Wir bereuten
es
nicht. Ein wunderbarer klarer Morgen führte uns über
Vorgebirge
durch den Kottenforst in die nächsthöhere alte Rheinterrasse
mit Meckenheim, Tomberg, Rheinbach und Udorp. Ein schöner und
stiller
Morgen. Im verschlafenen Rheinbach konnte ich mein Geschäft rasch
erledigen. Das Krankenhaus, in dem um ½ 9 morgens schon alles
munter
war, erledigte sich schnell und schmerzlos. Ich bummelte durch die
stillen,
heute so sauberen Gassen von Alt Rheinbach und traf auf dem
Martinsplatz
das Gasthaus Fritz Langen aus Alfter, dem ich meine Baustelle am
Tombergerweg
verkauft hatte. Ihn und seine Frau traf ich in der Wirtschaft und
lehnte
ihre freundliche Einladung zum Frühstück ab. Bestellte mir
aber
auf 12 Uhr ein Mittagessen, das gern zugesagt wurde. Wir unterhielten
uns
eine Weile zusammen und trabten dann zu zweit zu Langens großem 4
Morgen Garten im Feld, den er mit Obst wohl bestellt, eingezäunt
und
beschnitten hatte. Meine Parzelle hatte er bereits tauschweise zur
Vergrößerung
des Gartens benutzt, bearbeitete sie aber noch pachtweise, Ich
bedauerte,
ihn nicht schon voriges Jahr aufgesucht
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zu haben. Er hatte Pflaumen in Fülle gehabt, davon wir gar keine
gehabt hatten. Ein großer, nach Alfter - Main breit angelegter
Spargelgarten
erweckte mein größtes Interesse. Er habe fast alles
Gemüse
an Rheinbacher verkauft. Ich sagte mich zu Mai zum Spargelessen und
Einkaufen
an und werde es mir merken. Alles war trefflich gehalten und nach neuer
Alfterer Methode bearbeitet. Langen wirkt in Rheinbach förmlich
als
Kulturpionier. Wie er meine Baustelle zum Ertrag sogar bei
Stangenbohnen
bekommen hatte, ist eine Geschichte für sich und hat dort das
Aufsehen
der Rheinbacher erregt. – Ein prachtvoller Waldspaziergang über
Wald
Hotel durch Eichenwald an Weyer vorbei auf schönen glatten und
ebenen
Wegen war auch ihm, der etwas Älter als ich, stark an
Zuckerkrankheit
leidet, keineswegs so beschwerlich als es ... Wir machten den
Rückweg
über das neue Haus der Sacre Coeur Schwestern, deren Lyceum
aufgelöst
ist. Es ist ein Lehrerbildungsheim drin. Schwester in Rur Haus. –
Schöner und erquickender Spaziergang durch Feld an wohlbestellten
Gärten vorbei nach Wald, dort auf glatten ebenen Wegen durch
Eichenwald
an Wiesen vorbei. Waldhotel. Über Friedhof heim. Günter
Trautmann
und Gerhartz besucht. Angenehme Unterhaltung mit Langen, der 7 - 8
Jahre
nach unserem Weggang aus Rheinbach kam und dort als Gartenpionier
bahnbrechend
wirkte. Leider hat er Diabetes. Ich verstand mich mit ihm gut. Die Frau
hat gutes einfaches Mittagbrot gekocht, das mir ganz ausgezeichnet
schmeckte:
Rindfleischsuppe, Spiegelei, Nudeln mit Backpflaumen und Kartoffeln.
Bier
1,50. Nach Tisch hatte ich ein Gespräch mit dem Bauunternehmer
Haybach,
der ein Haus seines Sohnes in ... neben dem ... zu 14 Mille zu
Verkauf
... Ich notierte mir seine Angaben und verhandelte mit Langen und Frau,
die es kaufen wollten. Langen fuhr mit mir nach Bonn, um dort nach
alter
Sitte Karfreitag auf den Kreuzberg zu wallfahrten. Wir trafen Storp im
Zug, der unterdessen in Palmersdorf gewesen war. Er war von Vater
Holstege
mit seinem Wagen in Odendorf abgeholt und später wieder
hingebracht
worden. Daheim hatte man ihn mit Frühstück und Mittagbrot
erfreut
und sich trefflich die ganze Zeit über mit ihm unterhalten. Auch
ihn
und Mariannchen noch für einen ganzen Tag mit zugesagter
„friedensmäßiger“
Verpflegung eingeladen. Storp hatte ihnen erzählt, wie er ihren
Sohn
Carl Heinz in Rußland getroffen hatte. Es war mal für Eugen
ein erfreulicher Carfreitag gewesen. Wir waren beide sehr befriedigt
davon.
Ostersamstag waren wir mit Heribert im kleinen Wagen im
Motorboot wohl über den Rhein gefahren und zur kleinen Weinschenke
auf dem Beueler Ufer neben dem Wasserwerk und gegenüber der Gronau
gegangen. Dort tranken wir Kaffee und aßen guten Kriegskuchen,
Zamp
außerdem mitgebrachten Hundekuchen und Heribert dito
Plätzchen.
Wir kamen zwar ohne Regen aber unter starkem Wind wieder heim. Den
ersten
Feiertag blieben wir daheim, nur abends ging ich mit Eugen zur
Kaiserhalle
ein Glas Schultheiss Bier trinken, wozu wir ein Schnittchen Brot mit
Rohesser
Bücking zu 0,80 und gegen 10 gr Brot- und 10 gr Fettmarken
aßen.
Abends war Frau Baron bei uns, wir unterhielten uns gut und fidel bei
leckerem
Maiböwlchen aus Waldmeister im Garten. Eugen und ich brachten sie
11 Uhr bei Finsternis heim. Von 1 - 5 Fliegeralarm mit viel Flak
Trommelfeuer
und Brandbomben. Dann den 2. Feiertag etwas müde. Marianne hatte
sich
nachts etwas aufgeregt, während beide Kinder glücklich
schliefen.
Ohne ihre Unterhaltung hätte ich wohl auch geschlafen.
Zwischendurch
rochen wir Brand und stellten heute fest: Schuppen in Kohlenlager
Langen
im Hinterhaus zwischen Klösterchen und dem Weibergefängnis.
Prächtige
Feuerlohe hinter den hohen Bäumen des Alten Friedhofs. Feuerwehr
löschte
es bald. Bei schönem Wetter besuchten wir am II. Feiertag v.
Claers
in Vilich Müldorf zum Kaffee mit Kuchen, Osterei und Glas Wein.
Der
Alte unterhielt sich trefflich namentlich mit Eugen. Hatte nachts viele
Brandbomben im Feld und den Brand der St. Adelheidis Kirche in
Pützchen
erlebt. Bonn im Heeresbericht heute genannt. Ereignisreiche Ostertage –
Krieg! – Gehe jetzt 9 Uhr zu Bett. –
Es sträubt sich die Feder, hier auch mal das niederzuschreiben, was alles heute geredet wird. Es ist ganz unglaublich und natürlich zu 90% gar nicht der Rede geschweige denn der Aufzeichnung wert. Gleichviel ergiebt das 1% als Bodensatz meines Gedächtnisses ein gewisses trübes Spiegelbild der Zeit und es drängt mich dazu, es durch Aufzeichnung ganz aus der Seele los zu werden. Dabei soll die Niederschrift gleichzeitig eine Übung im Schreiben, zum mindesten im leserlich Schreiben sein. Ich muß mich dabei selbst kontrollieren, um langsam und leserlich zu schreiben. – Östliches: Es begann schon ab und zu zu tauen, ehe die Winterausrüstung, auch die Pelzsachen die Kampftruppen bei Orel erreichten. Vorher hatten sie gehörig frieren müssen, böse Kälte: minus 50°C. Barbarisch.– Die mangelhafte Vorbereitung für den Winterfeldzug sei ein wahres Verbrechen gewesen. Beim kampfreichen Vormonat hatten die Panzertruppen Guderian schon die transsibirische Bahn über Moskau hinaus erreicht. Allem Anschein hat es an einer genauen und laufenden Berichterstattung über die jeweiligen Truppenverluste gefehlt. Man operierte noch mit vollen Truppenkörpern, deren Ist Bestände große Verluste und Lücken hatten, als ob sie fast ganz da wären. Auf russischen Überdruck mußten Rückzüge gemacht werden, die sehr verlustreich
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waren. Vom ganzen Infanterie Regiment 15 waren an Offizieren noch der
Reg. Arzt, ein Hauptmann, 1 Major + 160 Mann. 34 Offiziere gefallen! –
3tägiger Rückmarsch bei Tag und Nacht in höchster Eile.
300 km zurück. Fürchterlich. Endlich auf Befehl: „Halt ...
Übung“.
Auf gefrorenem Schnee gelegen, erst allmählich und nach
angestrengtester
Arbeit allmählich in die Erde hineingearbeitet. Verpflegung gut,
soweit
sie die Truppe erreichte. Sonst Kartoffeln, auch erfrorene,
allenthalben
requiriert. – Später Unterkunft in Sowjet Bauernhütte.
Schauderhaft.
– In Polen und Rußland verhungern viele. In Warschau Judenghetto,
fast 1 Million streng eingeschlossen. Abgänge werden durch
Deportationen
aus D. aufgefüllt. Gräßliches Elend und Schmuggel aller
Art. Russische Gefangene nähren sich von Tier- und
Menschen-Leichen.
Zuerst nehmen sie die Leber und Eingeweide. In Dachill verwahrte
russische
Gefangene durchbrachen Absperrung und aßen Runkelrüben und
Gras.
Starben welche davon. Stalin Jugend treibt an Ostfront als „Rote
Jugend“
sehr gewandt Spionage mit eingezeichneten Minenfeldern der Russen und
deutscher
Artilleriestellungen, Truppen ect. Geschnappt - aufgehängt.
Geschnapptes
Mädchen verweigert die Aussage über bei ihr in Geheimschrift
gefundenen Pläne, auch als sie nachts unbekleidet auf Schnee
gesetzt
wird. Umgelegt. – Russische Verwundete, um die sich deutscher Arzt
bemühte,
erschossen diesen. In manchen Abschnitten der Russen werden die
deutschen
Gefangenen umgebracht oder verstümmelt. Zur Zeit marschieren auf
den
nördlichen Abschnitt der Ostfront 25 Divisionen in
Tagesmärschen
von je 15 km zu. Relaisstationen. Brauchen 3 Wochen zum Hinmarschieren.
Bahnen genügen nicht. W R schreibt Ostern: Für die Reichsbahn
beginnt der Krieg erst recht eigentlich.
In einem Raum hausen beieinander: Russisches Ehepaar,
Kolchosenbauer mit 12 - 16 Kindern, Schweinen, Gänse, Enten,
Hühner,
Ziegen, Schafe. Säuglinge hängen auf einer an Federhaken an
der
Decke befestigten Aufhängung mit einem Holzrahmen auf Sackleinen,
möglichst über Herdluke, tropft herunter, und werden hin und
her geschaukelt. Dazu noch die auf und abschnellende Bewegung der
Aufhängefeder.
Deutsche Soldaten schlafen dazwischen auf der Erde oder auf Stroh.
Eugens Promotion: Auf Verhandlung mit der medizinischen Fakultät war diese sehr entgegenkommend. Eugen hat Gelegenheit, jetzt in 4 - 6 Wochen seine Promotion hier geistig und finanziell sozusagen gratis und franko nachzuholen. Endlich einmal ein Lichtblick in dieser verunglückten Sache. Man hat ihn dazu bestimmt, diese Verhandlungen aufzunehmen, bei denen man ihm großes Entgegenkommen gezeigt hatte. Ein Professor, den er sprach, hatte eben Besuch eines Stabsarztes gehabt, der in den nächsten Tagen auf einem Kr. Mar. Kreuzer abfährt. Es soll in den nächsten Tagen eine Aktion der Flotte vor sich gehen. (Gibraltar? Malta?) Diese Nacht auf 8.4. war es recht ruhig. Gestern mittag war hier am hellen Tage ein englischer Flieger in er Luft, den unsere Jäger leider nicht erreichten. Neue Jagdmaschinen Focke Wolf? sollen jetzt bis 800 km in der Stunde fliegen können.
8.4. Waldemar hatte vergeblich versucht, uns
Ostermontag
anzurufen. Rief eben an und überzeugte sich, daß wir noch am
Leben. In Bochum hat man angeblich an 90 Tote an Carfreitag beerdigt.
Hier
ist die Zahl nicht bekannt. Den II. Ostertag war v. Claer erstmals dort
im Bunker und recht befriedigt von dem „sicheren Bau“, in dem man sogar
kein Schießen hört. Heute gehe ich der
Frühjahrsbepflanzung
wegen mal wieder nach Hersel. Es ist jedesmal eine Erfrischung für
mich. Angeblich sei ¼ unserer Getreideernte zur Aussaat im Osten
und Ukraine nötig; wenn es wahr ist, muß ich sagen,
daß
ich mich gern für diesen Zweck einschränke.
Ohm Gottfried Heimerzheim heute hier. Strangbel.
mitgegeben.
Sieht besser aus wie früher. Hatten Ostern keine Bomben. Eier und
Kartoffeln ... ... ...
10.4.42. Zeichen und Wunder: Sohn von Golling, Abiturient, heute bei uns zu Besuch. Möllmann, ... und Neu Saureck Palm hatte mit Jonen wohl bei hies. Arbeitsamt, nicht aber bei WBK Glück. Jonen bereits unter denen, deren Einberufung jetzt ausgeschrieben war. Man will später noch versuchen, ihn mit Erfolg (?) von der Truppe zu reclamieren. Jedenfalls schrieb er sofort an Lemacher. Stürmischer Tag.
Das Traumschiff. W. v. Scholz schreibt recht gut von einer Abendburg, die immer den gleichen Innenraum des deutschen Träumens aufweist. Mir träumte hingegen von einem Schiff, das frei und unbehindert von den Gesetzen der Schwerkraft durch den wesenlosen Raum fährt, wohin es gerade will, links oder rechts, nach oben oder unten, in jeder Himmelsrichtung und nach allen Horizonten. Alles ist streng abgeblendet und man kann selbst alles im weiten Raum sehen, oben Loch über den Wolken, die ganz tief auf die Erde oder gar auf den endlosen Wassern eines unendlichen Oceans oder über den Sandstürmen einer weiten Wüste. Alles und jedes sieht man klar und scharf, obschon es ganz dunkel draußen im Raum ist. Selbst wird man aber gar nicht gesehen, selbst nicht vom Kanadischen Lufttommy und müßten sie noch so viele Leuchtschirmchen setzen, sehen können sie einen nicht. Dafür aber sehen wir sie um so besser und können sie lustig anrammen, sie klatschen dann wie ein nasser Lappen gegen Bug oder Kiel und wir fühlen es sofort: Sie sind verloren und müssen gleich stürzen, wenn sie es nicht vorziehen rechtzeitig auszusteigen. Im Schiff finde ich die wunderliebsten Papageie, sie sind alle behend und geschmeidig in ihren Bewegungen und sprechen vollendet in einer jedermann verständlichen Zeichensprache, geben aber keinen Laut von sich. Ich kenne sie alle ganz genau und oft fällt mir nach langem Besinnen auch bei: Ja, das ist ja mein Bruder Christian, wie er damals war, als er bei dem Bayr. Feldart. Reg. König diente – er ist aber ja schon seit 1912 gestorben und hat die großen Kriege ja gar nicht mitzumachen brauchen. Er steht von Zeit zu Zeit am Steuer und deutet mir alles, was uns ins Gesichtsfeld kommt. Wir gehen öfters in das gemütliche Com...häuschen, da steht immer eine halbvolle Flasche Rotwein, die so gut zu einem kalten gebratenen Schnitzel mit trockenem Weißbrot schmeckt. Auf dieser eisigen langen Wanderung auf der endlosen Promenade längst der Reeling treffe ich einen großen ... Herrn mit ... weißge... Schiffsmütze und prächtigem weißem Schnurrbart. Er lädt mich zur Offiziersmesse zu einer kalten Ente mit köstlichen Radieschen ein und nachher trinken wir noch einige Glas schönes kühles Bier, das wir von Yokohama mit an Bord genommen haben. Immer hatte ich mich schon bedacht, wer doch der freundliche Herr sei, auf einmal, als ich wieder allein in meiner gemütlichen Kabine im Bett mich ausstreckte, und dabei die kurze Pfeife rauche, klar: Das ist ja Onkel Dietrich, da sind wir ja auf der Resolute, auf der Weltreise. da muß ich doch gleich auch mal Tante Emma sehen gehen, die mit ihm schmust und die sich jüngst auf der Treppe das Bein verletzt hat. – Gleich habe ich wieder alles vergessen, finde mich oben hoch in einem Mastkorb an der höchsten Mastspitze. Recht gemütlich ist es da oben. Linde blaue Luft umfächelt mich, an einem kleinen langen bandartigen Fähnchen, das steil nach oben steht, sehe ich, wie die Fahrt steil abwärts geht. Lustig ... und ganz und gar nicht ängstlich.
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11.4.42. Der Dunkelturm. Das Traumschiff landete an der Erde bei einem
riesigen Bauwerk, dessen Ausmaße sich gar nicht übersehen
ließen.
Wir tappten zu einem finsteren Portal, als unser Führer
plötzlich
einen Scheinwerfer aus der Hand aufblitzen ließ, dessen weithin
leuchtender
Strahl in rasender Geschwindigkeit einer riesigen Spinne vergleichbar
an
den steilen Wandflächen hinaufschoß und blitzartig die
rauhen
Flächen der Wandsteine aufleuchten ließ. Kilometerweit
verfolgte
unser Auge den huschenden Strahl nach oben und dann schien er in dem
unendlich
hohen Himmelsgewölbe zu erlöschen. Wir traten in einen weiten
Raum ein, von dessen Wänden ein geheimnisvolles Leuchten
ausstrahlte,
so daß wir alles recht bequem erkennen konnten. Belieben die
Herrschaften
den Luftaufzug, er geht und kletterte steil nach oben. Wir traten in
ein
Paternosterwerk ein, das in zahllosen Zellen nebeneinander gebaut und
schreiten
unbekümmert von einer Zelle zur anderen, jede nächste mit der
doppelten Geschwindigkeit nach oben, sehr bequeme und sichere
Einrichtung.
Wir fühlten eine sehr belebende Frische der uns umgebenden Luft
und
hatten das sichere Gefühl, es geht mit rasender Geschwindigkeit
nach
oben. Belieben Sie, sich ein wenig auszuruhen, die Fahrt ist gleich zu
Ende, sie marschieren dann durch die Zellen in umgekehrter Folge. Wir
saßen
halb liegend in sehr bequemen Sesseln auf weich federnden blanken
Stahlbändern.
Ein rotes Licht erschien und wir setzten uns in Trab, wurden quer durch
ein Dutzend Zellen, die mit halber Geschwindigkeit fuhren, endlich
fühlten
wir: Wir standen still, stiegen aus und ergingen uns in weiten Hallen,
die an die Wolken stießen, die oben hoch am Himmel leuchtend vor
nachtdunklem Himmel vorüberzogen. Sie haben hier den Turm der
Verdunkelung,
ließ sich die Stimme wieder vernehmen und sie hatte den
angenehmen
sonoren und weichen Ton der Ansagerin im Sender Rom.
Wir schauten weit, weit über Fels, Meer, Wald und
Seen. Riesige Apparate warfen Kilometer weit nicht Licht wie ein
Leuchtturm,
sondern umgekehrt schwärzeste Finsternis. Alles was sie
bestrichen,
wurde auf weiteste Entfernung völlig unsichtbar. Turm des Dunkels,
der absoluten Verdunkelung. Das Dunkel war ganz undurchdringlich, wie
zähes
schwarzes Pech. Auch das strahlendste Licht wurde aufgeschluckt und
restlos
absorbiert, gänzlich verschluckt. Es herrschte nicht nur eine
angenehme
beruhigende Finsternis, sondern auch eine Ruhe, die ganz unheimlich
wirkte.
Bei genauem Hinhorchen glaubten wir ein leisen Rauschen in kurzen
Stößen
zu hören, nach kurzer Zeit aber überzeugten wir uns,
daß
es das Rauschen unseres eigenen Blutes war, das in Stößen
vom
Herzen aus in den Körper pumpte. Seltsam: Überall waren
große
Pforten zum bequemen Eintritt in große angenehme Räume
geöffnet.
Wir durchschritten mehre ganz geräuschlos arbeitende Türe und
waren im sanft beleuchteten Inneren, wo die Wände eine schwache
Strahlung
hatten. An Abwechslung und Zeitvertreib gab es die Fülle. Man
konnte
sich bequem niederlassen und mit den beiden Armen einen Halbkreis in
der
Luft beschreiben. Alsbald erschien in dem beschriebenen Halbkreis in
jeder
gewünschten Größe jede Person, die man sich nur
vorstellte.
Gleichgültig ob Zeitgenossen oder aus naher und fernster
Vergangenheit.
Ja auch mit den alten Leuten der Zukunft ließ es sich trefflich
unterhalten
und verkehren. Zu schön z. B. mit seinen Urenkeln über deren
Vergangenheit und Zukunft zu plaudern. Oder mit einem fernen Urahn zu
reden,
ja mit Cicero ließ es sich gut in klassischem Latein reden, was
merkwürdigerweise
glatt wie Wasser von den Lippen floß. Alle erzählten alles,
was man nur irgend von ihnen wissen wollte. Ich war so voll der
Eindrücke,
daß ich mir erst überlegen mußte, wie ich den Stoff
für
die nächsten Wochen, Monate, ja Jahre einteilen sollte, um
überhaupt
zu einem System zu kommen. Mochte man keine Personen haben, so konnte
man
mit der rechten einen Lufthalbkreis schlagen und darin beliebige
Handlungen,
Geschehnisse, Wunder, Märchen aller Art, Musik, Gesang, kurz alles
andere erscheinen und erklingen lassen. Merkwürdig und auffallend,
daß dabei keiner den anderen störte und alle voller Harmonie
und Verträglichkeit beieinander waren. Es war eine fast absolut
wunschlose
Seligkeit. Dabei konnte man jederzeit auch sofort den tiefsten Schlaf
der
Bewußtlosigkeit haben, wenn man sich nur eine Hand auf den Kopf
legte.
Der Bequemlichkeiten und der Gelegenheiten zu geistigen Genüssen
jeder
Art giebt es eine solche Menge in den unabsehbaren Räumen des
Dunkelturmes,
daß man bald Überdruß empfindet und man sich danach
sehnt,
dieses Paradies zu verlassen und sich wieder in die Gefährnisse
und
den Kampf des täglichen Lebens zu stürzen. Es scheint,
daß
es der Mensch gar nicht aushalten kann, längere Zeit in einem
Zustand
absoluter Kampflosigkeit zu leben, ohne Krieg möchte man es
trotzdem
haben. Widerspruch? – Wer wird klug daraus? Ob Mesmer damit Recht hatte
und ursprünglich in dem Menschen der Schlaf und die Nacht und erst
der notwendige Kampf ums Dasein führt überhaupt dazu,
daß
er wach werden und sich tummeln muß. Hätte er das nicht
nötig,
so wäre ewiger Schlaf und die Nacht sei sein natürlicher
Zustand.
Kann man sich das vorstellen? Kaum heute mehr.
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Am 5. und 6.4.42 sollen in Bonn und Umgegend nicht
weniger als 3400 Brandbomben abgeworfen worden sein. Gestern gab
Oberbürgermeister
Köln Nachricht in Zeitung für 30 Tote. Auch in Bonn hat es
angeblich
Tote gegeben. Diese Nacht 3 ½ Stunden Fliegeralarm. In der
Haustüre
lag heute morgen kleiner Granatsplitter.
13.4.42. Am Samstag hat Jonen seine Einberufung zum Heere für Freitag erhalten. – Ob Lemacher als Ersatz kommt?
15.4.42. Diese Nacht 1220 - 320 Fliegerangriff. Gegen Schluß 3 Bomben Munstr. Mehrere kleine Häuser. Angeblich 9 Tote und 4 noch Verschüttete. – Weber Hersel berichtete gestern: Beim letzten Angriff Bomben in Uedorf und Scheinwerfer, ließ alles fallen, Uedorfer Burg abgebrannt, Vieh z. T. mit. Saß nebenan Scheune weg, auch Haus Impekoven nach Westen zu. Schrecklich. –
16.4.42. Gestern nachmittag in Hersel, dicke Bohnen und Erbsen gesetzt. Rauh, staubig. Ostwind. Trotzdem zogen die Wolkenbänke in Nord und West auf. Weber etwas schlapp, mit Pausen gearbeitet. Ihm 4 Schlüssel wegen nächtlicher Brandbomben bei Fliegerangriffen dagelassen: Küche, Zimmer, Saal und Schlafzimmer. Schetter Wohnung Schlüssel 10 nicht zu finden. (Abgebl. ... Bankkammer). Abends früh um 9 zu Bett, nachts ½ 2 wieder Alarm bis ½ 5. Wüstes Geschieße. Bombenfall nicht gehört. Helene und ich gingen mal nach oben, wegen heftiger Schießerei wieder zurück. Marianne stark erkältet, schlief totenähnlich, beide Kinder schliefen. Neues Frl. Else Lauterbach eingetreten, alte noch da. Diese Haus, Tisch und Luftschutzkeller ... Heute herrlicher Morgen. 9 mit Frl. Walter n. Bahnhof Wesseling Süd.
17.4.42. Gestern war ich bis 315 mit Frl. Walter in
herrlichem
Frühlingswetter im sonnigen Urfeld, um in Bauernhäusern eine
Reihe Urkunden aufzunehmen, bei Gastwirt Schmitz ein angenehmes
Mittagbrot
einzunehmen und im Netz eine Schachtel voll Gemüse von Haas
mitzunehmen,
so daß wir alle ganz und gar befriedigt waren. Die Bäume
fangen
in der Sonne langsam mit Blühen an. Die Werksfeuerwehr hielt
Feuerlöschübung
in Urfeld ab, (man will brennende Häuser, die als Fackeln
leuchten,
anscheinend recht schleunig löschen). In der Nacht kamen keine
Flieger
und wir hatten Ruhe. Ich war schon um 9 zu Bette, um 6 wieder auf.
Heute
nehme ich die Inschrift von „Kaue Johann“ der Holzgasse in Alfter zur
Gelegenheit,
mich morgen zu einem Besuch dort für nachmittags anzusagen. Heute
morgen kam Jonen, für einige Tage zurückgesandt, noch mal zum
Dienst und heute nachmittag ist der Bezirksrevisor vom L.Gericht zur
kurzen
Prüfung der Staatsabgaben im Büro. Der Pflaumenbaum hat sich
im Garten mit lichtem Grün bedeckt, was zu seinem schwarzen Holz
hübsch
aussieht. Die beiden Birnbaumhochstämme, voller
Blütenknospen,
wollen bald aufbrechen. Der Ahornbaum trägt wie ein Kerzenleuchter
mit lodernden Flammen die prächtig rosa schimmernden Blattknospen
alle senkrecht nach oben. Kurz, wie schön könnte es sein –
hätten
wir den Krieg nicht. – Der Baumeister der Union war heute morgen da und
legte den Plan für Umbau der Bachstraße aus einem feinen
bürgerlichen
Hause in eine moderne Mietskaserne mit 3 Wohnungen vor, sie wollen die
alte Zwischenwand an Küche und Badezimmer wieder einziehen,
Kachelöfen
abbrechen, Ofenheizung, Parkettfußboden ausbrechen, Tapete giebt
es eben nicht, deshalb Wände anstreichen u.s.w. Bei allen
wehmütigen
Erinnerungen an verflossenen Zeiten, die nicht wiederkehren,
haben
Helene und ich überlegt, der Sache näher zu treten. Zahlen
200
M monatlich und Steuern, nicht zu verachten. –
Mariannes neues blondes Kindermädchen scheint wenig
glücklicher Griff gewesen zu sein. Eugen hält sie für
schizophren.
Man bekommt da nur Br... – Helene ist recht angegriffen von -Asthma.
19.4.42. Gestern besuchte ich nachmittags alten „Kaue Johannes“ in Alfter Holzgasse und brachte im Laufe des Nachmittags dem 78 alten Mann sein Testament fertig. Mit Frau gemütlich Kaffee mit Brot, Butter, Eiern. Ein warmer Frühlingstag.
20.4.42. Helene bedrängendes Asthma. Diese Nacht
erquickender
Regen, leider ein wenig zu schwach. Der Pflaumenbaum in unserem Garten
hat sich dicht mit Blüten bedeckt. Das erste Mal, daß ich
ihn
so sehe. Dankbarkeit für seine Erlösung aus einem dichten
Strauch-
und Baum-Dschungel, in dem er früher um Luft zu kämpfen
hatte?
Heute morgen besuchte ich Bruder Josef R. in der
Universitäts-Augenklinik,
in der er seit Mittwoch mit beiden Augen verbundenen im Finstern (nicht
im dunklen Zimmer) liegt. Netzhautablösung, gottlob noch
keineswegs
total, vielleicht auf Blutüberdruck zurückzuführen,
liegt
einstweilen mal ganz still, keine Getränke und wenig Essen.
Empfahl
ihm meine Lebensweise ohne Fleisch, Salz, Getränke ect. ohne alle
körperliche Anstrengungen.
Man hört: Führerhauptquartier soll in Eifel
verlegt werden. Ob Amerikaner und Engländer wirklich einen Angriff
auf die Atlantikküste Frankreichs planen, wo unsere U-Boote so
zahlreich
nisten? Es ist ihnen jede Dummheit und daher auch diese zuzutrauen.
Werden
für uns noch unangenehme Nächte werden. Kürzlich
Nachtangriff
auf Augsburg (Heinkel-Werke). Unsere U-Boote und Flugzeuge sind der
Feinde
Verderben. Von Kassel kam Depesche an Standortältester Bonn, Eugen
soll auf keinen Fall, auch auf eigenen Wunsch nicht zur Front entlassen
werden. Man kennt ihn und rechnet mit seiner „Flucht“ an die Front. Er
will aber erst mal promovieren. Ich finde etwas Beruhigung an a)
Gewürzsämereien
und Steinesammeln im Garten, b) Samendisposition für Hersel, c)
Notararbeit
d) Schreiben dieser Tagebuchblätter. Will versuchen noch mal zu
einer
leserlichen Handschrift zu kommen.
Seite 21
24.4.42. Jonen heute morgen eingezogen, ½ 11 nach
Gütersloh bei Bielefeld. Kirschen, Pflaumen und Birnen in voller
Blüte.
Übe neue Schrift. Helene hörte gestern von Emma: Josef viel
besser
mit Augen. Operation nicht nötig. Eugen fährt Montag nach
Kassel.
Abends hörte ich Vortrag von Kolbenheyer, mir
gänzlich
unverdauliches philosophisches Eiweiß, ging nach 5/4 St. vor
Schluß
weg, vermochte mich kaum aufrecht zu halten. Dabei die große neue
Aula der Uni gedrängt voll, sicher noch nicht 1 % der Zuhörer
konnte ihm folgen, geschweige denn das Vorgetragene sich zu eigen
machen.
Gegen Ende war eine allgemeine Erschlaffung bemerkbar, mutige Damen,
welche
die Flucht ergriffen, wurden bewundert und beneidet. Eugen war gottlob
nicht mitgegangen, er hätte es körperlich nicht ausgehalten.
Ich kam insofern auf meine Kosten, als ich Kolbenheyer sah, einen
kleinen
Mann mit plastischem Kopf. Leicht ergrautes Haupthaar, pechschwarzer
Schnurrbart,
leuchtend weiße Zähne und blitzende Brillengläser.
Gepflegtes
Äußere altösterreichischen Stils. Im ganzen sehr
sympathisch
mit zierlichen feinen Händen und abgerundeten Bewegungen. Gegen
Carossa
ein ganz klein wenig alert und allzu poliert. Der Vortrag in glatter
Sprache
voller Fremd- und Fachausdrücke und zumal heute völlig
unmöglich.
Kein Funke eines geistigen Contaktes mit den Zuhörern, die
größte
Ruhe zeigten, so daß das in seiner Leistung beschränkte
Organ
gut zu hören war. Eine kleine Enttäuschung. –
26.4.42. Wundervolle Frühlingstage, Birnen in
voller
Blüte. Trudel Storp reiste 1430 nach Stromberg zurück.
Führer-Rede,
Ermächtigung zum Absägen fehlbarer Beamter ohne Verfahren,
auch
Justiz. Helene gottlob fieberfrei, mittags auf.
28.4.42. Diese Nacht 3 Stunden Alarm mit heftigem
Schießen.
Brände und Zerstörung in Köln. 12 Bomber abgeschossen. –
– Überschäumende Baumblüte, Sonne, kalter trockener Wind
und Staub. Lese in Schäfers Anekdoten. Müde. Jonen: „Flieger“
Dortmund. 12. Rekrut. Kompg.
29.4.42. Im Garten voll Sonne und Wind schneit es Blütenblättchen der Birnen. Die Kirschbäumchen haben sich in einen Überschwang von weißen Blüten gekleidet. Wie schön könnte alles sein, wenn Mutter gesund und der Krieg nicht wäre. Bruder Josef hat fast zu viel Glück mit seiner Heilung ohne Operation gehabt. Er beginnt schon wieder mit dem Salzen und dem unsinnigen Wassertrinken.
1. Mai mit Schnee und etwas Hagel. +7°. Hoffentlich
leiden die Blüten nicht.
3. Ein etwas melancholischer trüber Sonntag. Eugen sprach
fernmündlich seinen Frontkameraden Major Denker in Truft am Main,
wo er jetzt auch in Urlaub ist, in den man ihn zwangsweise von der
Ostfront
heimgeschickt hat. Denker, Eugen und ein Hauptmann Reinhart +) waren
die
einzigen Überlebenden des Kasseler Inf. Reg. 15 und nun ist der
Hauptmann
nach kurzem Urlaub in der Heimat, an die alte Front zurückgekehrt,
dort auch gefallen, so daß nunmehr nur noch 2 Offiziere und 116
Mann
vom alten Bestand übrig. Eugen soll jetzt hier zur
endgültigen
Diagnose in das Offizier-Lazarett im Königshof aufgenommen werden.
Seine Doktorarbeit hat er so ziemlich fertig. Der gefallene Hauptmann
war
verheiratet und Vater. – Die männermordende Ostfront ist
schrecklich.
Wir hatten jetzt einige Tage Nachts Ruhe ohne Flieger. In Köln
sieht
es böse aus. otan essitai hma..?? – Ich lese jetzt Kellers
Novellen
und dazwischen seltsamerweise den Roman der Ebner-Eschenbach, Arbeit
tut
am besten. Schrieb heute an Cleff, sollte es sich überlegen, als
Bürochef
zu mir zu kommen?
+)Reinharts Vater fiel im vorigen Kriege, als er
2 Jahre alt war, jetzt hinterläßt er ein Söhnchen von 2
Jahren und die 20jährige Witwe erwartet ein zweites Kind. – – –
7.5.42. Leuchtender Frühlingstag, auch gestern, da
ich in Hersel war. Schreiner Bovelet ist ein II. Sohn im Osten
gefallen,
auf eine Mine gefahren, man fand nichts mehr von ihm als den
Totenzettel
seines Bruders, an dem man ihn feststellte. Hat noch einen dritten Sohn
an der Ostfront. Sprach eben Sparkassendirektor Kerner, der mir
erschüttert
die soeben erhaltene Nachricht vom Fall eines seiner 3 Söhne, alle
im Osten, zeigte. Schrecklich. Eugen erhielt gute Nachricht von seinem
Divisionsarzt, soll sich nur erst ruhig hier auskurieren. Mehrfach
verwundete
Sanitätsoffiziere sollen nicht mehr zur Front. – Er wird wohl
jetzt
ins Lazarett gehen. „Wolhynisches Fieber“ heißt jetzt seine
Krankheit.
–
18.5.42. Wir leben in einem traumhaft schönen
Frühjahr.
Seit Wochen keine Nachtangriffe der Briten mehr. Trotz aller Unkereien
der Intellektuellen und Übermacht der USA Americaner: Ich glaube
an
ein Wunder und daß wir siegen werden.
30.5.42. Roisdorfer Mariechen 84 begraben. Eugen und
Marianne
schreiben selig aus Oberstdorf.
Seite 23
30.6.42. Nun hat der Brite vor 4 Wochen Köln
zerstört,
in einer Nacht, in 3 Stunden, grauenvoll. Jetzt ist er das 3te Mal in
Bremen
gewesen, wann kommen wir daran? Eugen ist im Stab des
Oberkommandierenden
(v. Stülpnagel) in Frankreich zu einem Sonder-Kommando bei Paris,
lebt wie ein Gott in Frankreich und hat viel zu tun. Den Enkeln gehts
noch
gut. In Nordafrika hat der Brite von Rommel furchtbare Schläge
bekommen.
Tobruk, Marne und Matryk fielen unseren stürmenden Truppen in die
Hand, heute wieder Sondernachricht über Schiffsversenkungen. Ich
lebe
wie im Traum. Ob der Krieg noch mal ein Ende nimmt? Ich lese
Bücher
fast wie man ein Narcotikum nimmt. Carossa’s Verwandlungen einer Jugend
lese ich immer wieder von neuem und glaube in gelinder Sommernacht in
Landshut
an der Isar zu leben. Lese ich in Erzählungen der
Ebner-Eschenbach,
wie z. B. Bozena, so meine ich im südlichen Mähren zu wohnen
(eine slowakische Bozena im „Gänsestall“ unter den Lungenkranken
in
Arosa, klein und drall, als gerades Gegenteil jener heroischen
Romanfigur,
kommt mir oft in den Sinn). Lese ich wie jetzt zu wiederholtem Male die
Kriminalgeschichte „Unterm Birnbaum“ von Th. Fontane, so glaube ich in
der scharfen Luft des Oderbruchs zu leben und einen schneidenden
Seewind
zu spüren. Nachts träume ich von allem durcheinander. Eine
Zeitlang
hat mir, wie im vorigen Kriege ein Richter’sches Geduldsspiel
Abwechslung
und etwas Erlösung aus einem unbekannten Druck gebracht. Viele
schwierige
Figuren des „Sternrätsels“ habe ich gelegt und mir die Lösung
aufgezeichnet. Jonen ist schon fast 2 Monate weg, arbeitet jetzt auf
dem
Hangelarer Flugplatz und hatte einige Tage Urlaub, war auch Samstag
morgen
hier. Morgen soll Frau Hälter ihren Dienst antreten, muß
aber
noch einige Tage ihre kranke Mutter besuchen. Alarm hat uns die letzte
Zeit nachts verschont. Wie lange? Den Enkelkindern geht es gut. MR.
2.7.42. Ein herrlicher ausgeglichener Sonnentag heute mit frischem Wind. Gestern Sondernachricht: nach 25tägigem Sturm Sewastopol gefallen. Dazu Rommel auf dem Marsch nach Alexandrien und neue Schiffsversenkungen. Ob das die Entscheidung bringt. – Morgens Scharen von meist weiblichen Wanderern mit Koffern, Eimern, Kartons und Behältern aller Art von der „schäl Sick“, ja bis vom Sauerland her zum Vorgebirge, um – Erdbeeren zu holen. Gestern soll ein Gendarm oder Polizist von einem Soldaten von der Ostfront niedergeschossen worden sein, dem er ein Körbchen Erdbeeren abnehmen wollte. Gestern nachmittag habe ich auf einem Stuhl sitzend, in Hersel fleißig Johannisbeeren gepflückt, so daß mir heute alle Knochen lahm sind, trotz guten Schlafs. ––
7.7.1942. Heute vor 32 Jahren hatten Helene und ich unsere Hochzeit. Wir leben noch und sind leidlich gesund, was haben wir alles erlebt? Und was haben wir noch zu erleben? College Leyendeckers Schwiegersohn, ein Forstbeamter, ist gefallen, was Marianne sehr nahe geht. Nach kurzem Sommergewitter gestern ist es heute etwas frischer.
19.7.42. Gestern schauerlichen Eindruck gehabt: Nachdem
ich mit Helene und Marianne im UT einen lustige Film Alles für
Glück
gesehen, 6 ½ heim, hatte gehofft, Termin für Verkauf eines
Judenhauses Wenzelgasse 39 wäre nicht, traf ich versammelte
Mannschaft
an und mußte mit Frl. Walter und 3 Käufer zur Mordkapelle,
Kloster
zur ewigen Anbetung, jetzt Judenghetto, wo alles vor dem Aufbruch
stand:
Morgen, also heute einige 100 ab nach Osten mit je 30 Pfd.
Handgepäck
und 50 RM, Greise, viele Kinder, auch Dr. Hermanns und Frau.
Schrecklich,
furchtbar und doch ein großes Geschehnis der Zeit. Verkauf in
letzter
Stunde, Gänge voll Möbel, Koffer, Reisehabitus, Kisten.
Gegenstand
zu neulich Kaufvertrag im Gefängnis. Der damalige Käufer,
Buda
2 Schwestern sind schon fort. Wo mag Walter Cohen sein? Heimweg mit
Frl.
Walter interessante Unterhaltung. Heute Löllgen mit Wenzel
Herschel
wegen Beleuchtung.
Trotz Regen nachmittags Kirschen gepflückt,
getrocknet.
Faulen meist. Mit Klein Herbert, 2 Jahre, 3 Monate, 3 Wochen alt,
Schnellboot
nach Königswinter. Spaziergang dort, mit Elektrischer heim. Voller
Eindrücke. Neues mal gutes Kindermädchen Adda erzählte.
Seite 25
Bonn, 24.7.42.
Zwei Eindrücke unangenehmer Art lassen mich nicht
los und ich will versuchen, sie dem Papier anzuvertrauen, um mir eine
Erleichterung
zu verschaffen. Am vergangenen Samstag hatte ich ein großes
Geschäftshaus
auf der Wenzelgasse, was mir von Jugend auf bekannt ist (es waren
früher
das Papiergeschäft Herschel und eine Buchhandlung Habicht darin)
aus
jüdischen Händen an einen christlichen Konzern zu beurkunden.
Der Akt wurde in der Mordkapelle gemacht, aus der man die Nonnen von
der
ewigen Anbetung entfernt und Juden von Bonn als Ghetto eingesetzt
hatte.
Ich bin wohl 50 Jahre lang dort vorbei spazieren gegangen, war aber das
erste Mal in diesem Gebäude, aus dessen kleiner Kapelle unser
Messingkronleuchter
stammt. Die Nönnchen hatten s. Zt. sich einen „stilechten“
Leuchter
verschafft und den alten wirklich echten an den Juden Herz verkauft,
bei
dem ich ihn fand. Ich schenkte ihn meiner Frau zur Hochzeit.
Es war schon wenig angenehm, an einem dunklen und
regnerischen
Spätnachmittage durch die Kapelle in das Gebäude zu gelangen,
deren Flur mit Möbeln, Schränken, und selbst zum Kochen
benutzten
Herden, voll bepackten Handkoffern usw. voll gepfropft war. Der
frühere
Rechtsanwalt und jetzige Konsulent Dr. Ernst Israel Herrmanns
führte
uns und die Verhandlungen fanden statt in einem Raume, der außer
einigen Tischen und Stühlen vollständig kahl war und als
Dienstraum
für die Gestapo vorbehalten ist. Jedes Wort, das man sprach, klang
derartig hohl, daß man Mühe hatte, sich verständlich zu
machen. Es war schwierig, die Leute bei der Stange zu halten, Herrmanns
hatte natürlich das Bedürfnis, stets von der Lage der Juden
zu
sprechen. Von den Käufern wurde es dem älteren Gesellschafter
in der ganzen Atmosphäre derartig schwül, daß er
mehrfach
Versuche machte, auszukneifen, ehe die Urkunde fertig war. An dem
darauffolgenden
Freitage, oder Samstage sollte der Abtransport der Juden stattfinden.
Die
Verkäuferin, eine halblahme fast 70jährige Greisin muß
mit. Ebenso Kinder und Kranke. Gestern war ich in der gleichen Sache
nochmals
dort und hörte von Herrmanns, daß die „Reise“ nach
Theresienstadt
ginge. Seine Tochter, die Medizinerin, sei als Ärztin mit einem
Transport
von 1700 schon nach dorthin. Was mit ihnen geschieht, ist ganz
ungewiß
und es schwirren darüber die tollsten Gerüchte. Herrmanns
versicherte
mir, daß jeder nur 15 kg Gepäck und 50,- RM mitnehmen
dürfe.
In Köln wollte man wissen, daß die Reise sehr abgekürzt
würde.
Am vorigen Mittwoch entschloß ich mich endlich nach
fast zwei Monaten zu einem Besuche in Köln. Ich hatte von Otto
gehört,
daß das Archiv gerettet sei. Einige Urkunden, die in meinem
Notariat
gemacht waren, waren aber vernichtet. Ich nahm ihm neue Ausfertigungen
mit und fuhr nach Köln. Die alte Universität steht zwar noch,
aber dann fingen die Zerstörungen an. An der Witschgasse und an
der
Hängebrücke fehlen ganze Viertel. Die Mühlengasse und
Biergans
sind vollkommen ausgebrannt. Das von der Stadt gemietete Haus zum
Rosendahl
hatte Otto noch retten können. Das ganze ging mir doch sehr nah.
Zum
Mittag war ich in Deutz und aß mit O.B., H.B. Dr. Finke und Frl.
Funke zu Mittag, sehr gut. Alle fanden mich schlecht aussehend, kein
Wunder,
der Eindruck der vernichteten Mühlengasse war erschütternd.
Onkel
Dietrich würde das nicht überlebt haben. Nachmittags besuchte
ich noch den 84jährigen Onkel Albert, der völlig taub, aber
sonst
sehr frisch ist. Seine Firma Peipers & Co in der Domstraße
ist
schon bei einem früheren Angriff der Briten vollkommen
verschwunden.
Der Totalschaden der Fa. Brügelmann (auch die Zeppelinstraße
ist vollkommen zerstört) beläuft sich auf etwa 10 Millionen
Rmk.
In der Deutzer Fabrik ging es zu wie in einem Bienenkorb. Eine schon
früher
fliegergeschädigte Korsettfabrik, die dort aufgenommen wurde, ist
ihnen jetzt sehr im Wege. Auf dem Grundbesitz, den ich s. Zt. im Kampf
gegen die anderen mit Onkel Dietrich zusammen erworben hatte, wird
jetzt
eifrig Landwirtschaft betrieben, die Obstbäume hängen zum
Brechen
voll. Gänse, Enten und Hühner bevölkern die
Fußballwiesen
und viele Schweine werden vom Abfall der Kantine genährt.
Seite 27
22.7.42.
„Meine Großmutter heißt Kickel und wohnt Kessenich,
Karthäuserplatz
15.“
Die deutschen Truppen an der Ostfront gabeln einen etwa
10jährigen Jungen auf, der elternlos und vollständig
verwahrlost
sich in der Landschaft herumtreibt. Der Junge ist sehr intelligent und
spricht nur Russisch, dies aber sehr gewandt. Er kann einen einzigen
deutschen
Satz: „Meine Großmutter heißt Kickel und wohnt in Kessenich
bei Bonn, Karthäuserplatz 15.“ Der Junge wird von den Truppen zum
Spionieren angelernt und bewährt sich glänzend. Auf irgend
eine
Weise kommt die Sache dem Führer zu Ohren und er veranlaßt,
daß der Junge zu seiner Großmutter hingeschickt wird. Die
Sache
stimmt.
In Bonn war früher am Landgericht ein
Landgerichtsdirektor
Thielemann. Von seinen beiden Söhnen war der eine Jurist, war eine
Zeit lang bei der Braunkohlen-Kraftstoff A.-G. und arbeitet z. Zt. in
Berlin.
Der andere war ein ideal gesinnter Junge und als solcher Kommunist. Er
zog bei öffentlichen Umzügen der Kommunisten mit der
Schalmeienkapelle
durch die Stadt. Er heiratete ein Mädchen aus Kessenich. Er ging
aus
reinem Idealismus viele Jahre vor dem Kriege nach Rußland und
ließ
schließlich seine Frau nachkommen. Die Frau ging dorthin, obwohl
ihr von der Schwiegermutter Thielemann (inzwischen Witwe Thielemann)
dringend
abgeraten wurde. Außer zwei ganz kurzen Nachrichten, daß es
ihnen gut ginge und daß sie in einem Zimmer mit ihrer Familie von
14 Personen durch einen Kreidestrich getrennt lebten, hat man nichts
gehört
von ihnen.
Ich werde feststellen, ob die Frau geb. Kickel aus
Kessenich
stammt, dann ist der Spion ihr Sohn. Dessen Eltern sind als politisch
verdächtig
nach Sibirien abgeschoben worden, vermutlich als Zwangsansiedler. Der
Junge
soll Uniform und E.K. II haben.
Später: Helene hat Frau Thielemann gesprochen: Ihr
Enkel ist aus Rußland zurückgekehrt.
Seite 29
12.8.42. An einem herrlichen Tag voll Wind und Wolken
begruben wir heute in Rheinbach den 74 Jahre alt gewordenen
Rechtsanwalt
Justizrat Wilhelm Schneider. Nachts war mehrere Stunden Alarm gewesen
und
als der Zug kurz vor 8 von Bonn herausfuhr, muß auch wieder Alarm
ertönt haben. Ich hörte davon nichts und war erstaunt, in
Witterschlick
Entwarnung kurz nach 8 zu hören, worauf wir mit einer
Viertelstunde
Verspätung nach Rheinbach kamen. Das Amt fand ohne Geläute
eine
Stunde später statt. Die vierschiffige Hallenkirche war ziemlich
gefüllt.
Außergewöhnlicher Weise sprach der Dechant einige Worte von
der Kanzel über den Verstorbenen und lobte rühmend sein
Eintreten
für die Belange der Pfarre. Ein stattlicher Zug brachte den Toten
vom Hause bis zu dem schön gelegenen Friedhof. Die Straße
war
allenthalben flankiert von H.J., B.D.M. und Arbeitsdienst. Auch
sonstigen
Parteiorganen und Schulen, die in Rheinbach ihren Sitz haben. Nach den
geistlichen Zeremonien zog sich die Rede des kleinen kugelrunden
Stadtbürgermeisters
endlos in die Länge. Daran schlossen sich Ansprachen der
Kriegerverbände,
Amtsgerichtsrat Krautwig von der Justiz usw. usw., so daß die
Witwe
ganz erschöpft nach Hause gehen mußte. Dazu zwei
Gesangschöre,
zwei Trompeterchöre und eine Abteilung Schützen, die die
Gewehrsalven
abfeuerten. Zum Mittagessen war ich nach Verabredung bei Gottfried
Langen,
Martinsplatz, dessen Frau gut für mich sorgte und mir morgens
schon
ein Frühstück gegeben hatte. Die Rheinbacher Landschaft war
unvergleichlich,
umsäumt vom Siebengebirge, dem Vorgebirge und den Waldsäumen
der Eifel. Die Fernsicht war ganz klar. Nach dem Begräbnis bot mir
Sparkassendirektor Schiele an, mit seinem Wagen nach Bonn zurück
zu
fahren. Es tat mir leid, daß ich dies ablehnen mußte, denn
der Blick in die großräumige Landschaft wäre gerade aus
dem offenen Wagen aus am schönsten zu genießen gewesen.
Auffallenderweise
war außer dem Rechtsanwalt Heitmann kein Bonner Anwalt dort.
Von Bekannten sah ich auch nur wenige, die meisten sind
in den 22 Jahren seit unseres Fernseins von Rheinbach gestorben. Ich
ging
mit dem Pfarrer i. R. Echternach und sprach Fritz Gerhartz, den alten
Krüger
von der Eisenbahn, der mir erzählte, daß sein Mündel
Gretchen
im Wochenbett als Mutter von mehreren Kindern und Frau eines Arbeiters
mit 14 Morgen in Niederdrees gestorben sei. Am Grabe waren zwei
Brüder
des Verstorbenen. Ich sprach den Staatsanwalt aus Essen. Unter den
vielen
Lobreden auf den Verstorbenen vermißte ich ein Eingehen auf seine
starke Gabe des Humors. Ich erinnere mich genau, daß er alle
Register
vom leicht ironisierenden Plaudern über schneidende Ironie bis zum
tiefgründigen vollen Humor souverän beherrschte, ohne eine
Miene
dabei zu verziehen. Auf meine persönlichen Erlebnisse werde ich
noch
einmal zurückkommen.
Seite 31
13.VIII.42. Eugen ist vom 8. bis 16. auf 8 Tage aus
Frankreich
in Urlaub. Erzählt Interessantes. Flog nach Spanien und kaufte von
einem Engländer, der auch Käufer ..., 8 t lose China Faulbaum
Rinde. Badete auch eine Stunde im Meer dort. Zurück. Machte Reisen
und Flüge auch ins unbesetzte Frankreich. Bekam Auftrag, binnen
einem
Tage völlig neue Einrichtung zur Entlassung einer Waffen SS
Brigade
Sepp Dietrich auf den und den Bahnhof zu schaffen, ehe die SS Leute
ihrer
Propag. Marsch in Paris machten, den wir gestern in Kino Wochenschau
sahen.
Unterhielt sich mit Sepp Dietrich hierüber, der durchschaut hatte,
daß er, und nicht der unfähige Vertreter, ein Generalarzt
Ammon,
die Sache gemacht hatte. –
Engländer und Amerikaner haben durch Belgisch Congo
quer durch Afrika eine Transportstraße von Westen nach Osten
gebaut,
wo sie Material ect. quer durch Afrika mit Autos fahren!! – Auch sonst
Interessantes. Hat gutes Essen in Fontainebleau, Karl von der „Bremen“.
Ob er da bleibt? Er hörte schlecht. Die Nacht bei Augen gemerkt.
Hört
Maschinengewehrschießen gar nicht, leichte Flag auch nicht, nur
schwere
Flag. –
29.8.42. Heute morgen geschwänzt und den ganzen Tag 9 - 9 in Honnef. Morgens 9 erster Gast im Thermalbad, auch geschwommen und gesessen. Bis 12 Uhr in Gaststätte Grafenwerth, treffliches Mittagbrot mit Schollenfilet! gut und reichlich, auch 2,50 mit Suppe und Eis, dazu Bier hinterher (3,35). 2.00 Bezahlt, dann durch die Mittagsglut zu Bretzens, 2 ½ dort. „Pan schläft“, sofort auf Sopha ein- und bis 400 fest geschlafen. Kam Helene. 4 ½ Thee im Garten unter Terrasse, daselbst 8 Uhr auch Abendbrot mit Wein. Sehr angenehme Unterhaltung. Stilleben, auch Blumenstücke in Pastell, Landschaften in Öl schwächer. Herrliche Stift Zeichnung meist Sonnenblumen. Empfahl Litho. Genußreiche Unterhaltung. Große Nachfrage nach Bildern. Hauszins ohne Ablösung besprochen. Müde heim.
30.8.42. Auf den schönen Tag von gestern, Marianne hatte sehr
üblen
Traum, heute die harte Wirklichkeit: Fliegerangriff Kassel brachte ein
Lufttorpedo in der Tischbeinstraße parallel zur
Albrechtstraße
zur Explosion. Wohnung beschädigt, schreibt der unange. College
und
Hausbesitzer Müller. Helene und Marianne fahren Montag hin, 31.8.
bei großer Hitze, +27°C. 1119 Personenzug nach Köln, ab
dort 1333 D-Zug Kassel. Eugen telefoniert aus Frankreich, fährt
morgen
1.9. Hin. Schaden besehen. Marianne schon alle möglichen
Dispositionen
ins Auge gefaßt. Reparatur Möbel, deren Sicherstellung im
Bayrischen
Wald oder auf der Rechen Alp. – Aufgabe der Wohnung?
Morgen kommt Lilly Sondag nach hier. Mädchen machen
Bohnen ein. Vetter, dessen Mutter +, ist Notar in Elberfeld (Stelle
Geller)
gewesen.
Man spricht von: Im September seine die Russen down (Gott
gebe es!). Die Landungsmanöver britischer und amerikanischer
Truppen
in Frankreich habe man 1 Monat früher erwartet. Große
Ansammlung
amerikanischer Truppen, Materials und Flugzeuge seien auf Irland.
31.8.42. Unsere U-Boot-Verluste seien verhalten und
gering
(Schwetzte W. R.). In Westdeutschland müsse man mit großen
Flugangriffen
rechnen. – In Calais hätten Engländer auch zu landen
versucht.
– Auch die jüdischen Ehegatten arisch Verheirateter seien
gefährdet.
(de Claer, Fahnen Meyer auch in Gefahr (sah ihn heute morgen recht
erregt
aus Römers Büro kommen.) Die Ostfront ernähre sich heute
selbst aus dem Osten. – Türken noch in Reserve, bis sich
Siegesschale
für uns entscheidend im Osten gesenkt habe. Wenig von Brasiliens
Kriegserklärung.
– Japaner kämpfen auf Vorfeld vor Australien.
College Schmitz Bonn krank, Ganser vertritt ihn. Renscher
arg abgemagert, selbst für ihn. | Rech? | Nöller sieht
gut aus. Bretz fast blind. Anemies Vetter Notar in Elberfeld Stelle
Geller
geworden. Stelle sehr herunter. Reichsnotatur giebt schon Zunahme. Sohn
Wolpers soll ich vertreten. – Willi Rm gut aussehend, viel ruhiger
geworden.
Glaubt stark an Hersel bald zu bewohnen. Will Weber in Schetterwohnung.
– 845 abends. Erwarte Anruf Marianne und Helene aus Kassel.
1.9.42. Helene und Marianne telefonierten 7 ½ aus Kassel. Haus stark beschädigt, Wohnungsinhalt weniger. Hilfe aus Lazarett wird Fenster und Türen verschlagen. Eugen kommt nicht heute sondern Mittwoch nach dort. Helene bald zurück. In OStA. Müllers Wohnung trefflich untergebracht. Nachts hier ausgiebig Regen. Frl. Wolter frisch und braun aus Urlaub im Siegerland zurück.
12.9.42. Hella. Neuerdings sehen welche in ihrem
Gesichtchen
eine Ähnlichkeit mit meiner +Mutter, ihrer Urgroßmutter.
Jedenfalls
hat sie ein kluges, ruhiges bedächtiges Wesen mit viel
Lebensfreude.
Der Vater war jetzt wegen der Kasseler Fliegerschäden dort und
daheim
in Urlaub und sie machte mit Bübi und Eltern den ersten Ausflug im
Wagen durch die Stadt. So viele Eindrücke wirkten ermüdend
und
sie schlief sehr fest danach. Ziemlich schnell übt sie neue
Lall-Töne
und kommt zu neuen Worten. Langsam wird sie auch ein wenig
verwöhnt
und weint, wenn keiner in ihrer Nähe ist. Lächelt aber sofort
wieder ganz beseligt, wenn ihr nur jemand von weitem zuruft. Hat gar zu
gern etwas Gesellschaft. Macht energische Übungen, sich auf die
Füße
zu stellen. (Eugen von und nach Paris im „Kourier Zug“, 6 Stunden,
wenig
Personen, Köln Lyon Paris). (Angeblich Stratosphärenflugzeuge
fast ohne Geräusche)
21.9.42. Büro nachts 045 h. Wunderbar stille Mondnacht
draußen. Kann nicht schlafen. Magenbeschwerden, mich gestern an
Pflaumenkuchen
etwas überfressen. Alle erwarten Alarm diese Nacht, er kommt
nicht.
Vorgestern Nacht Britischer Angriff auf München und Stuttgart.
Marianne
Sorge um Uroma Brunhuter. Waldemar in Straßburg auf
Wohnungssuche,
habe Gefühl, er findet was. Will Haus mieten, auch für
Mariannes
Möbel mit. –––
Angeblich Abkommen mit England: Sie nicht auf Berlin,
wir nicht auf London!!? Lese mit Genuß Fontane „Quitt“, aus Lese
entliehen. Habe Vertrauen: Unserem Haus geschieht nichts. Heute
geruhsamer
Samstagnachmittag, im Garten mit Mariannes Enkeln. Schwül warm.
Erinnerten
und an Hertas Geburt, 19. Sept. 1911. Zeiten! –
Heute auch große Erfolgsmeldung: See, U-Boote. Will
wieder ins Bett. Hauswanderung und Niederschrift taten gut.
Seite 33
Bonn, 5.9.42. An Bord Rheindampfer Ostmark. 8 Uhr, noch
dampft die Welt im Nebel, bald bessere Tage. Leider Helene nicht mit.
Die
kam vorgestern aus Kassel, wo Mariannes Wohnung Albrechtstr. 59 II
durch
in der Tischbeinstraße niedergegangene Luftmine unbewohnbar
geworden
ist. Glas hin, Porzellan und Möbel ... erhalten, dank der
trefflichen
Arbeit und gutem Olsdorfer Holz, sieht wüst aus. Kinder traurig,
Heimat
sozusagen verloren. Wollen vielleicht in Rheinbach bei der verwitweten
Frau Justizrat Schneider unterstellen. Eugen kommt ohnehin nach Krieg
schwerlich
wieder nach Kassel. Ist eben mal mit Marianne im Hotel Schirmer, vorher
mit Helene in Dr. Winklers Wohnung, Wilhe. Löher Allee 189 II, gut
aufgehoben. Gestern per Expreß 1 Korb Bohnen und Birnen nach dort
gesandt. Hoffentlich bleiben wir von weiterem verschont. Die
großen
Städte kommen alle dran. Gemüsegroßhändler Schmitz
Endenich schilderte mir gestern sein Erlebnis in kürzl. Brandnacht
in Nürnberg. Schauerlich muß es in Mainz aussehen. Aber die
fast 70jährige Frau Witwe Generalarzt Dr. Tester, die in Kassel im
Hause von Sondags früherer Wohnung schon 25 Jahre vor diesen
wohnte,
die jetzt durch die Glasscherben nur so watete: Die Engländer
sollen
doch nicht glauben, daß uns dies erschüttert. Ob wohl der
II.
Teil meiner Handzeichnungs-Sammlung, die sich in den Gewölben des
graphischen Kabinetts in Kassel befindet, gelitten hat? Wohl kaum.
Selbst
in dem Papierhaus, in dem Mariannes Wohnung ist, waren die Leute im
Luftschutzkeller
unbeschädigt. Nur fruchtbarer Knall. Gut, daß Marianne mit
Kindern
in Bonn. Wir erfuhren letzten Sonntag von dem Schaden und Montag fuhren
Helene und Marianne hin. Eugen, dem wir depeschiert hatten, hatte mich
Montag aus Frankreich angerufen, fuhr Mittwoch nach Kassel. Dort war
auf
solche Heimsuchung wenig vorbereitet und statt zu helfen,
schwätzten
alle Leute. Aus benachbartem Lazarett holte Eugen Hilfe.
Eugen erzählte, er war 3 Stunden nach
Gefechtsschluß
in Dieppe. Schauerlicher Anblick. Meer tatsächlich vom Blut
gerötet.
Kanadier, hochgewachsene Leute, wie Waffen-SS, als Gefangene vollkommen
erledigt. Eugen sprach mit kanadischem Offizier, der in Bonn studiert
hatte
und Deutsch sprach, er kam nicht aus dem Weinen. Hölle gewesen,
vermutlich
sich „angenehmen Sport“ vorgestellt. Wird natürlich mit seinen
Kameraden
nicht zusammen kommen.
Schiff wegen Nebel nicht abgefahren. Verspricht
schöner
Tag. Schrieb eben Brief an Herta wegen Uschis Schuhen für Winter.
Manche hart getroffen, z. B. Bürovoersteher Iske
bei College Müller in Kassel: Einziger Sohn im Osten gefallen.
Mann
ganz gebrochen, alter Mann und zusammengefallen, Kinder
erschüttert.
Alle Mieter wollen nichts mehr zahlen.
Jeden Tag liest man in der Zeitung neue Opfer, fast stets
im Osten: Gestern Neffe von Frau AGR Pütz geb. Fischenich, Sohn
von
Schwager Kieselstein (Rey-Kieselstein), Burg Bodendorf bei Euskirchen
mit
19 Jahren im Osten gefallen. Hoffentlich geht diese Saat auf.
Heuer ein Sommer, Ernte wie nie.
Seite 35 (diese Seiten mit Datum vom 5.9.42 sind zwischen S. 33 und
37 eingeklebt)
5.9.42. Enkelkinder unsere größte Freude,
Mariannes
Heribert und Hella bei uns (Beuel) geboren und in den Kriegsjahren als
Säugling aufgewachsen, täglicher Genuß. Heribert,
anfangs
ein kümmerliches Männchen, Eugen bis zur Karikatur
ähnlich.
Vergesse nie seinen Anblick in Hersel, saß im Garten und sah ihn
im Halbdunkel des Hausflures auf dem Arm eines Erwachsenen: Sah aus wie
Eugen, von einem Südseeinsulaner gekopfjägert und
sorgfältig
geräuchert a la Perouse. Erschreckend. Machte in seinen ersten
Monaten
zur Aufregung der Mutter einen heftigen Darmkatarrh mit blutigen
Ausscheidungen
mit. Bestand die Erkrankung siegreich und wurde ein stämmiges
Bürschchen.
Heute – 125 Jahre nach Otto v. Bismarck geboren – ein kräftiger
Junge
von 2 Jahren und 5 Monaten, stets auf den Fraß bedacht. Spricht
noch
wenig, denkt und beobachtet aber gut und viel. Außer Mama, Opa,
Papa,
Omi sein erstes Wort: Bo = Brot. Hauptwort. Ißt Brot in jeder
Form
und zu jeder Tages- oder Nachtzeit. Schon in seinen ersten Tagen
Bachstraße
Mai 40 französischen Fliegerangriff nachts im Keller erlebt.
Einige
Glasscherben aus dem Fenster im gemeinsamen Luftschutzkeller bei
Nachbar
Krath fielen auf sein Bettchen. Anderen Tags Mutter mit ihm voller
Schreck
zu Bretzens in Honnef, aber bald zurück, als dorthin auch Flieger
kamen. Mai 1941 Photo mit nach Tölz, dort viele Bernwieser
besucht:
Frißt er gut? Nocha ist era echter Bernwieser! – Spricht heute
mit
Gewalt, Zunge noch sehr ungelenk. Bo = Brot, Le = Gelee, Löll =
Löllgen,
den er sehr liebt. Deutlich: Hanne = Hammer, Hoëff = Honnef, Omi,
Opi, Mami, Papi, Leusj = Häuschen, Wauwau = Hund, Hottehott =
Pferd.
Hella, nun erst 9 Monate alt, wird sehr bald besser sprechen lernen.
Übt
schon Lé! Lé! Papapapapp! –
Heribert von ausgesprochenem Willen, oft geniert und wenn
große Freude, sieht er stur beiseite. Bei Verdruß sehr
heftiges
Fußstrampeln und aufbocken. Klettert gern und gewandt, dabei
nicht
ohne Vorsicht. Gegen Schmerz ziemlich unempfindlich und erträgt
Verletzungen
recht tapfer. Hat Freude an allem Handwerklichen. A und O ist das Auto.
Sagt gut „Oto“, Toloto = Kohlenauto. Hat auch originelle Ideen: sieht
die
aufgeblasenen Sperrballons in Hersel: Happ happ für Fiege = Essen
(Wurst) für Flieger. Sehr erpicht auf Feisch = Fleisch und Fisch,
auch Feisch genannt. Wenn er ißt, sollen andere auch essen: Mami
hap hap, Opi hap hap, Omi hap hap, Wau wau hap hap. Ada hap hap. Odo
(=Grete)
hap hap. Hat bis heute schon über 250 Fliegeralarme im Keller
miterlebt.
Meist geschlafen. Geborener Bauer. Mit größtem
Vergnügen
in Hersel im Garten. Dort ohne weiteres Früchte mit 2 Jahren,
richtig
in die Hand genommen und abgepflückt. Arbeitet weniger mit
Spielzeug,
als mit richtigen Gartengeräten. Nimmt dem kleinen Edi
Müller,
Webers Enkel, gleiches Alter, der viel besser spricht, ohne weiteres
Schubkarre
ab und zieht damit los. Bestimmt Spiel und ist selbstverständlich
Herr und Führer, ausgesprochene Herrennatur. Hatte als
Säugling
schon 35 cm Kopfweite, heute aber ordentlicher Dickkopf, auch geistig.
Zärtlich und liebebedürftig, aber auch eigensinnig. Macht
sich
aus Strafen nichts und vergißt sie im Nu. Gute Veranlagung zu
Erbhofbauer.
Ob er mal Obstanbauer wird? Auch Neigung zum Kochen und Apotheker
Spielen.
Von seinem Vater, der ihn öfter kräftig verhaut, soweit seine
Kriegszüge ihm dies gestatten, und Opi, der ihn selten haut, hat
er
ziemlichen Respekt. Weniger vor Mami und Omi. War seltsam still, als
diese
jetzt 1 Woche in Kassel waren. Sprach nicht von ihnen. Kam aber
öfters
ganz still mit „Auto“ zu Opi ins „Bro“ = Büro. Hat im allgemeinen
Abneigung gegen dunkel gekleidete Frauen. Sah nie bisher seine
Urgroßmutter
Brunhüter in München und seine Oma Storp-Reuter in Stromberg.
Olsdorf - Alfter sehen in ihm Ähnlichkeiten mit Bruder Christian
Rech
in jungen Jahren. Sonst Stupsnäschen, im Wesen auch Kopf
ausgesprochen
Storp. Sehr zärtlich zu seiner Schwester, die er „Titti“ nennt.
Ist
furchtbar aufs Trinken, muß gezwungen werden, den Becher
abzusetzen,
säuft sonst stets ex wie ein Student. Wird im Genuß von
Flüssigkeiten
etwas beschränkt. An unreife Birnen im Bonner Garten
gründlich
den Magen verdorben. Vor 14 Tagen auf Samstag Honnefer Thermalbad, Hose
voll, Opi über Holzfeuer getrocknet. Ist versessen auf Wasser und
geht unbedenklich ins Wasser. Vorsichtig aber im offenen Rhein, den er
Ba = Badewanne nennt. An heißen Sommertagen nackt in
Waschbütte
im Garten zu sitzen, höchstes Vergnügen. Wird gewiß ein
entschlossener und tüchtiger Schwimmer. Marschiert gern und gut,
aber
„Bo“. Er ist amüsant zu beobachten. Hat m. E. zu viel Spielzeug,
Stoffbär
und Auto die Hauptsachen. Erstmals im Postauto kurz gefahren, Geschrei,
weil ich nicht mit einstieg. In Dr. Auto Hersel voll Verständnis.
Klein Hella, die schon unten und oben Zähnchen hat,
beginnt jetzt zu lallen: Omama, Papapap. Sie hat mehr Sprachtalent wie
ihr Bruder und wird diesen voraussichtlich bald einholen. Sie ist ein
sehr
liebes, würdiges und zufriedenes Kind. Schreit sie mal
ausnahmsweise,
so hat sie stets triftigen Grund dazu, ist wund usw. Sie hat jetzt auch
augenscheinlich Zahnbeschwerden, bewegt die Stangen im Griff des
Kinderwagens,
haut auf Finger usw., schreit aber nicht deswegen. Schon sehr
zufrieden,
wenn sie Leute von weitem sieht. Sie ist bis jetzt nicht ausgefahren
worden,
steht im Wagen und Korbbettchen entweder vor unserem Schlafzimmer auf
dem
Balkon oder unten im Garten. Hat sich selbst das Sitzen beigebracht und
übt jetzt das Stehen. Sie hat ein nettes, ruhiges und zufriedenes
Wesen. Großen wohlgeformten Mund, die klugen dunklen Augen meiner
Mutter. Manche Ähnlichkeit auch mit Eugen Storps Schwestern, ihren
Tanten und der Großmutter Brunhüter in München, ihre
Urgroßmutter.
Ihre größte Freude ist, wenn sie vor der Abendatzung etwas
auf
den Arm genommen wird und die Familie um sich sieht. Sie hat die
Fähigkeit,
allerliebst lächeln zu können, auf den Seiten der Oberlippen
bilden sich dann kleine neckische Grübchen. Sie lacht, aber
selten,
auch aus vollem Halse und jauchzt: he! he! – Alle haben ihre Freude an
der Kleinen. Für alles, was man ihr tut, ist sie sehr dankbar.
Möge
ihr das Gleiche im Leben blühen. 6.9.42.
(Gestern: Waldemar Bibliothekar in Straßburg geworden.)
6.9.42. Gestern abend eine frohe Botschaft: Waldemar mit September Bibliothekar an der Universitäts- und Landesbibliothek in Straßburg geworden. Große Freude. Sofort an Beyer-Eltern geschrieben und an Beyer depeschiert O Straßburg! ––
9.10.42. Eben verabschiedet sich Pitt Müller, der
plötzlich fort mußte, gleich nachts nach Berlin Staaken. Ich
hielt Kündigungsbrief zurück, den ich gerade fertig abgehen
lassen
wollte.
Gestern war College V. da, blendend schön wie ein
junger Kriegsgott, jetzt eben mit Ausbildung fertig, wird wohl wieder
zur
Ostfront müssen. Erzählte allerhand Interessantes:
Ölproduktion
in Rumänien nehme rapid ab, für 2jährigen und
längeren
Krieg seien wir auf Russenöl angewiesen. Bei den Russen der
Truppenersatz
jetzt auch schlechter, aber noch kein Boden von dem Faß
abzusehen.
Notariat in Elberfeld wollte er der Notarkammer überlassen und
erst
später antreten, sei jetzt ein Zuschußbetrieb.
Prächtige...
den N Kammer damit einverstanden. Waldemar hat gute Wohnung in
Straßburg
und 3 Zimmer für Marianne mit gefunden. Herta will im Winter hin.
Alice Reitmeister ist einige Tage hier, aufgescheucht von Pannhorst,
der
Möbel schon beschlagnahmt sah. Jetzt ist alles wieder in Ordnung.
Hersel noch eben rechtzeitig umdisponiert, um Zwangseinsetzung einer
fliegergeschädigten
Familie Leyendecker aus Üdorf, holde Proleten, zu verhindern.
Weber
bereits in Schetterwohnung, Müller mit Frau und 2 Kindern drin
vorläufig,
dann Büro für Marmeladefabr., der vorab 1 kleines Zimmer
bekommt.
Alles übrige kriegen Heinz Reitmeister u. Frau, Frau jetzt hier,
sonst
Kirchmöser wegen Fliegerangriff.
Heute erschreckt morgens 7 ¼ - 8 Alarm mit
Schießen
über Troisdorf. – Wir immer schöner. Im Notariat jetzt zu
tun,
kann mich über Arbeit nicht beklagen. Kartoffelzuteilung, bekamen
28 Zentner zugewiesen!
Seite 37
9.10.42. Mit Ende des Monats soll Hans Weber als Lehrling
aufs Büro, Unterbrechung Landdienst. – ? – Marianne neues
Kinderfräulein,
Anni Ley, nachdem Ada Bayer zuletzt sehr gut sich gemacht hatte.
11.10.42. Amüsante Unterhaltung gestern abend Lese bei Wein mit
v. Claer, dieser verwandt mit Notar + Schäfer, dieser mit General
Schäfer, Schoppes mit Schäfer verwandt. Schoppe mit v. Claer.
Reitmeister mit Schoppe, ergo! v. Claer mit Reitmeister. Erzählte
amüsant. Seine Großeltern kauften Kanonikatshaus am
Münsterplatz.
Darin behält Wohnrecht bis zum Tode Kanonikus v.
Parmentier-Steinberg,
eigene Hauskapelle wunderlicher Herr, der nicht, wie erwartet, mit 70
bald
starb, sondern uralt wurde und erst mit 91 +. Sein Diener: Vater
braucht
ihm nicht mehr Messe heute zu dienen, Kanonikus ist ein Engel im
Himmel,
do sitz er im Sessel un is su drügg wie ne Stockfisch! –
v. Claer erzählte uns allerlei aus Leben und Ehe
von Adam Huser, den Helene so gern hatte.
Bübi spricht jetzt viel. Manches gelingt ihm
überraschend
gut, z. B. Beethoven Musiker nennt er „Mukemiker“. Sonntag, Okt. 42
bewundert
er Spielmannzug in Poppelsdorfer Allee: „Mukemiker mit Bumbum.“ Selbst
Hella beschäftigt sich schon mit Tonbildungen 19.10.42
23.X.42. Trüber Tag. Helene und Marianne fahren
nach
Kassel, Möbel einpacken. Ich konnte Helene noch Taschenlaterne
mitgeben.
OB rief eben an: Kinder Werner M... prozeß, fechten
alles bis 21 an. Schiedsrichter abgelehnt, ... übergangen. Wollen
Gegenklage machen: Stamm Werner heraus! Voraussage: „Klage und
Gegenklagen
werden abgewiesen.“ Ich werde als Schiedsrichter vermutlich ablehnen
und
den Vorsitzenden der Kam. f. Handelss. als Schiedsrichter benennen. ––
26.X.42. Vorige Woche 2 schlimme Tage, Magen nicht in
Ordnung.
Schwindel im Kopf. Freitag mittags Helene und Marianne weg. Dafür
Sonntag mehr Erholung nach 2 Weihtagen. Erst spät auf,
gemütlich
Toilette und Frühstück mit Kindern und Lilly. Nach ... ...
...
mit Umhang im Säckchen 11 Uhr zur Uni. Veranstaltung Graf v.
Gleichen
von Schmidt-Bonn. Neufassung. Dunkle Aula gefüllt. Weniger
Schauspieler,
sehr gut. Nach gemütlicher Mittagstafel geruht. Lilly fuhr
½
3 nach Köln. ... mit Kindern allein im Garten. Fräulein aus.
Gemütlicher Kaffee. Grete auch mal mit Kindern aus und ich einige
Stunden im seltsamen Wohlbehagen mal ganz allein im Hause. Auch kein
Anruf
störte. Nachmittags 3 hatte ich Heizung neu angesteckt. Herrlicher
Sonntag, 9 zu Bett und herrlich nachts ohne Störung geschlafen. –
Trauriges Zeitbild: Helene und Marianne ... Kassel, um
Möbel nach Straßburg zu verfrachten. Marianne nimmt neu
zurechtgemachten
reinwollenen Hirtenloden-Mantel mit, recht auffallend. In guter
Gaststätte
wird ihr der gestohlen, alle Nachforschungen bei Polizei ect.
Vergebens.
Mit Verlust gerechnet. Aber überall angezeigt. Großes
Wehklagen
bei Rückkehr. Sonst alles in Ordnung, aber Mantel weg. Heute,
1.11.42,
fast 1 Woche später ruft Frau Generaloberarzt Ferber bei Kalb an:
Mantel hat sich gefunden. Der Gaststättenbetriebsleiter sieht Dame
darin reinkommen, telefoniert Kriminalpolizei. Diese stellen Dame fest,
die gleich alles gesteht. Leeres Portemonnaie noch in Tasche. Diebin:
35jährige
junge Frau eines Studienassessors, der im Felde steht, 2 kleine
Kinder!!!
Tableau. Fleht um Gnade und Nichtversetzung, sonst unmöglich!! =
1.11.42. Nasser Tag. Hella plappert und hat stets Hunger, jedenfalls fortgesetzten Kau-Reiz. Fährt täglich aus. Sehr weinerlich und will täglich unter allen Umständen Marschübungen machen. Fortgesetzt neue Zähne. Hält mickerig aus!! –
2.11.42. Gestern feuchter und dunkler Novembertag, darin im Sprühregen mit Bübi zum alten Zoll marschiert, Zamp patschnaß. Nachmittags Grete Riesen mit hübscher Tochter zu Besuch. Erzählte interessant: Angriff auf Köln nachts in Jagdhütte gewesen. Töchterchen allein in neuer Wohnung am Ring. Brand bei Kurt an der Münze, gegen Morgen heim. Ilse mit Kindern als Flüchtlinge zu ihr in Wohnung, nachdem sie erst in W... im Nachbarhause untergebracht waren. Schilderung der Begegnung von Firmenangehörigen frühmorgens auf Deutzer Brücke. Verhältnis Erna und Vogelsang: Kränzchen bisher, jetzt ihr nicht mehr möglich, zu Erna ins Haus zu gehen. Restlos auf Ottos Seite. Prozeß. Brief an Dietrich, vergebens, Vermittlung angeboten. D... Brief an Wilhelm Vogelsang, den Stiefvater. War empört über Klage und sieht Übles für Stamm Werner voraus. Alle 3 Jungen im Felde. Erst mal abwarten. ... ... ... in Stalingrad als Artilleriebeobachter bei Infanterie gefallen. ... ... ... In dieser Zeit sehr zuversichtlich gewesen. Im ganzen angenehmer Besuch. Abends bei Überfüllung des Schnellzuges im Personenzug heim auf Köln. –
3.11.42. Gestern abend kamen Herta und Uschi von Braunschweig hier an. Alle 3 Enkelkinder zusammen. Manchmal Unruhe, vertragen sich gut. Heribert voller Freude über Besuch, Herta zunächst mal eisenbahnmüde. Hat sich inzwischen kräftig ausgeschlafen. –
20.11.42. ... ... Gestern ein kleines Erlebnis in Wesseling Süd: Grauer verhangener Novemberhimmel. ... ... auf schwarze Asche ... ein wundervolle grüne kleine Blumen Rosette mit be... Blättchen von fast ... Schönheit und Regelmäßigkeit mitten in der ... Industrie .... 1 St. Aufenthalt, sah russische Kriegsgefangene mit den Spitz... und Pelzkappen.
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Bonn, 23.XI.42. Ein frostig windiger naßkalter Tag. Hatte
Magenverstimmung
mit Fasten und sitze jetzt wieder im Büro. Eugen ist in Avignon an
der Rhone. Nach Afrika? Hohe Stellung. Herta wollte uns Uschi hier
lassen
und als Dienstverpflichtete zu Waldemars Flugplatz gehen. Abgelehnt.
III.
Kind für uns hier im Hause zu viel. Mein Zustand sehr schwankend.
Halte mich mit Gewalt und Schonung eben noch arbeitsfähig. Dabei
lebe
ich ganz in der Vergangenheit, jetzt in den Jahren 21-23, in
Aufzeichnungen,
Erinnerungen. Dazwischen Gegenwart. Jonen von Göttingen nach Lange
bei Münster. Vor Ausmarsch noch mal nach hier? Notariat wenig zu
tun.
Wüste Tage bei f... Himmel. Gestern abend seit langem mal Alarm 10
- 11 ohne jedes Geräusch. Hans Weber macht sich, Heinrich Magden
ist
tauglich für alle Waffen ausgenommen Marine befunden worden. Ich
diktiere
manches aus alten Sachen. Schrieb an OB um Conferenz-Protokoll Brief
„zur
Auffrischung des Gedächtnisses wegen Prozesses“. Ob er den Braten
riecht? Lese ... 1 Kapitel Raabe. – Letzte Birnen im Garten Samstag
21.11.42
durch Jungens abnehmen und abschütteln lassen. Heute ... Helene
will
übermorgen Uschi nach Straßburg bringen. Hoffentlich. Herta
jetzt wieder andere Pläne: Will in Straßburg den Doktor
machen.–
7.12.42. Gestern, Sonntag abend machte Gretel Müller recht gut
den St. Nikolaus. Bübi hielt sich tapfer, Hella ganz unbefangen
nahm
gern Äpfel und verzehrte sie sofort. Frl. Anni war auf Besuch bei
Großeltern in Ringen an den Ahr, Helene bei Herta in
Straßburg.
Bübi erklärte von sich aus, daß er keine „tosse
Geschäfte
mehr in Hose machte“, auch versprach er, abends nicht mehr zu schreien.
Vom Flugzeug sehr entzückt. Besah sich den Nikolaus mit Maske,
weißem
Wattebart, Eugens Soldatenmantel, Schihandschuhe, Rucksack und roten
Schuhen
genau, merkte aber nicht. Beteuerte hinterher, daß er, Opa,
Hella,
Mammi gar keine Angst gehabt hätte. Nahm auch Äpfel für
„Dodo“ (die in Kur) und Anni in Empfang. Sehr nett und gelungen. Die
Kleine
stand im Ställchen. –
Silvester 1942. Ernst im Osten und in Afrika. Jonen auf dem Weg nach Sizilien. 200 000 Industriearbeiter für Wehrmacht angefordert. Gerd Reitmeister Ausbildung abgebrochen, Ostfront. Sein Bruder Heinz dort. Truppen abgeschnitten? Armee? Alle sehr ernst. Als Jahresletzter unterschrieb Fürst Salm, der 10 gute ... aus Johannes-Hospital holte dort Blinddarm operiert. Erstmals etwas ... ... Gespräch. Was erwartet uns 1943?
4. Februar 1943. Schlimme Tage. Stalingrad, 6. Armee
hin.
Alles traurig. In 2 Tagen Eugen Urlaub zu Ende, nach Frankreich
zurück.
Allgemeine Volkstrauer. Bett III. Stock für Handwerker Köln
freigemacht.
Köln beim letzten Angriff vor 2 Tagen arg gelitten. Kutter, alt
und
zahnlos besuchte uns heute. Büro viel zu tun. Frau Hutter wird in
einiger Zeit wieder kommen, bekommt leider kein Kind. Ich werde auf
einige
Tage in Johannishospital gehen zur entgültigen Diagnose der
Krankheiten.
Bin jetzt auch noch arbeitsdienstpflichtig bis 65 Jahre! –
Von Montag bis Samstag 13.2.29 (muß
selbstverständlich
43 heißen) zur Beobachtung und Untersuchung in St. Johannis
Krankenhaus
in Bonn, Prof. Heinen und Ärztin Dr. Ley. Schöne Tage.
Besinnlich.
9.2.43 besuchte mich Prof. Schöllgen, erzählte schnurrige
Dinge
von Rauschen, der Dampferfahrt nach Palästina an Bord in
Pantoffeln
machte. (Besuch der Kathol!?) Was bringt die nächste Zukunft?
Viele
schnell ausgebildete Soldaten gehen nach dem Osten. Kaukasus Front
wackelt.
Jetzt 63 Jahre alt, laut Heinen Herz noch für 20!! Jahre
ausreichend.
Ich bin körperlich jedenfalls nurmehr beschränkt
leistungsfähig.
Hilfsdienst? Als was? Städt. Dezernent für
Grundstückswesen,
dt. Sparkasse? Zusammenlegung der Notariate? Römer (wackelig),
Nöller
und Rauschen nicht mehr hilfsdienstpflichtig, wohl ich und Molitor, der
noch kräftig trotz Kriegsbeschädigung. Müllenbach Beuel
dt., er und ich Genossen. – Diese Nacht hatten wir Meckenheimerstr.
erstmals
Einquartierung, junger Straßburger Handwerker, Rahmenmacher, der
mit Gen. in Köln als Glaser arbeitet. Ordentlich. Was mag noch
alles
kommen? –
16.2.43. Alles ist sehr gedrückt. Des Donnerers
Wolken
hangen schwer herab auf Ilion. Am schlimmsten ist die Ungewißheit
über die Vermißten. Wo mag der 2. Sohn der Claers geblieben
sein. Wir streiten uns, sollen wir uns mit ihnen darüber benehmen
oder noch Nachrichten abwarten. Es ist zum Verzweifeln. Jonen hat neue
Feldadresse bekommen, ist er noch auf Sicilien oder hinüber nach
Afrika?
Aus italienischen Heeresberichten liest man von scharfen italienischen
Fliegerangriffen auf Sicilien und Horst sprach ernst darüber. Er
war
der Ansicht, daß unsere Verluste an Fliegern sehr gering seien
und
die Gegner weitaus größere Verluste hätten. Diese Nacht
hatten wir mal Ruhe, auch gestern abend kein Alarm. Bübi
erkältet,
ist heute wieder besser. Hella wohlauf, Marianne allzu nervös,
macht
uns Sorgen.
Eingezogen wird alles, was noch Beine hat. Dr. H. Hersel,
der gestern hier war, sieht schwarz, auch für seine Einberufung.
Sein
jüngerer Bruder ist weniger als Arzt wie als Offizier eingezogen.
Ich wundere mich über mich selber, daß ich überhaupt
noch
Pläne mache: Es steckt mir immer noch das Nebenhaus Bogen in der
Nase,
ich möchte es erwerben aus den Mitteln, die ich mal aus meiner
Lebensversicherung
bekomme. Der Mensch denkt und strebt. Ich freue mich über jeden
Gang
ins Freie, der nicht einen schmerzhaften Brustkrampf bringt. Der Himmel
verfinstert sich und es kommen wüste Märzbiesen. Bei heftigem
Regen bekamen wir gestern Koks, trotzdem froh begrüßt. Es
kommen
immer noch ab und zu Klienten und im Büro ist immer noch was. –
Die
vorletzte Nacht war ein einstündiger Angriff auf Köln mit
vielen
Bränden, auch in Roisdorf hats gebrannt. Seltsamerweise kam kein
feindliches
Flugzeug nach Bonn. – Die Brände im Roisdorfer Oberdorf
beschränkten
sich gottlob auf einige Ställe ohne Vieh, kein Wohnhaus. Vor
Johanns
Haus fiel eine Brandbombe auf die Straße, am Hemmericher Waldrand
ein Lufttorpedo ohne Schaden. In Kalk brannte dagegen eine
Möbelfabrik
aus. – Die Uni Vers. Klinik sandte mir jetzt Kurvorschriften, morgens
ein
Glas Karlsbader Mülbrunnen, 2 x täglich 15 Tropfen
Digitalismedicin,
3 x 1 Tabl. Eupaverin. Alles wird gewissenhaft gemacht. Auch mittags
und
abends nach Tisch je 1 Stunde warmfeuchte Packung auf Galle.
Hoffentlich
hats Erfolg.
2.3.43. Diese Nacht 10 ½ bis 1 h Keller,
Schießerei.
In Berlin Terrorangriff. Hier Gerücht: Bonn kein Angriff, weil bei
Dreesen, Rüngsdorf, amerikan. Zivilinternierte untergebracht! –
Ende Juli 43. Schwere Tage liegen hinter uns, noch stehen
schwerere vor uns. Köln und andere rheinische Städte liegen
in
Schutt und Asche. Was kommt über Bonn? Storp hatte schlechten
Urlaub
hier und fuhr vorgestern mit Marianne, beiden Kindern und Frl. Martha
Lüttgenhaus
nach Mittwald in Privatquartier. Am 21. abends ab, haben 23. noch keine
Nachricht. Mir gehts nicht besonders. Rechtsseitig nervöse
Störungen.
Lese viel. Jonen in Sizilien im Kampf! – Anfang August muß Uschi
in Straßburg zur Schule. Sind noch in Stettin-Finkenwalde.
6.11.43. Mo 3.11.43 war ich nachmittags zu einem Termin
in Bornheim. Neblig trübsonniger nasser Novembertag. Trübe
Ahnungen.
Notierte mir diese im Kalender. Gestern wurde Marianne von Arzt aus
Avignon
angerufen, Eugen vor einigen Tagen mit Auto verunglückt. Auf
„Hindernis“
gefahren, ... Arm gebrochen, schwere Gehirnerschütterung, liegt
bewußtlos,
wird noch lange im Lazarett in Nähe Avignon liegen müssen.
Glücklich
die 4. Gehirnerschütterung in diesem Kriege. Hoffentlich
übersteht
er sie. Marianne hatte es auch Bübi erzählt, den verfolgt es
im Schlafe, diese Nacht (4 x Alarm am Tage und abends) nachdem er sich
am Abend bei seiner Mutter eingehend darüber erkundigt hatte, ob
„Kopf
ganz weg“, „Auto ganz kaputt“ ect. sei. Geht ihm nahe. Heute Reif und
winterliches
Wetter.