Für mich stand von da ab fest, daß ich mir einen anderen Weg suchen würde. ich hielt mit diesem Plan auch keineswegs hinter dem Berg und betrieb die Ernennung zum Notar unausgesetzt. Es zog sich natürlich in die Länge, und häufig war auf der Gegenseite der Gedanke lebendig, daß es sich lediglich um einen von mir erdachten Bluff handele. Bis ich dann schließlich mit der Tatsache kam. Dieser Gegenstoß glückte mir gerade noch zur rechten Zeit, kurz bevor Onkel Dietrich durch Krankheit und Tod abging. Dies spielte sich alles ab wie auf der Bühne. Dabei waren eine Zeitlang die Rollen umgekehrt. Will und Otto nahmen meine Absicht, für den Rest meines Lebens Notar zu sein, nicht ernst und glaubten immer noch, außer dem in der Mühlengasse sei kein Heil und ich würde mich eines Tages dieser besseren Einsicht auch nicht verschließen und dauernd in der Mühlengasse als Angestellter bleiben. Endlich aber erfaßte Will, und ich glaube hauptsächlich an meinem selbstherrlichen Verhalten gegenüber der für die Firma stets selbstverständlichen Pünktlichkeit.
Hierbei muß ich auf eines zurückgreifen. Als ich in die Firma eintrat, hatte ich bei meiner ersten vertraglichen Abmachung festgelegt, daß ich meine Haupttätigkeit in Bonn, und zwar daheim entwickeln würde und daß ich nur ausnahmsweise und nur an bestimmten Tagen nach Köln zur Firma zur Arbeit kommen sollte. Der riesige Geschäftsmechanismus hatte diese vertragliche Abmachung bald gänzlich ausgehöhlt, und ich fuhr Tag für Tag nach Köln und arbeitete dort von morgens spätestens neun Uhr ab. Eines hatte ich allerdings nicht aufgegeben: Ich behielt mir je nach Lage der Geschäfte vor, selbst zu bestimmen, um welche Tageszeit ich nachmittags nach Hause fuhr. Außerdem hatte ich mir von vorneherein den Samstagnachmittag freigehalten und fuhr samstags bereits vor Tisch nach Hause. Um diesen freien Samstagnachmittag hatte sich ein jahrelanger Kampf in der Firma auch unter den jüngeren Teilhabern entwickelt, und ich gedenke noch mit einem behaglichen Schmunzeln des Hergangs der hierüber abgehaltenen Konferenz: Es war schon wochenlang vorher dafür gesorgt worden, das so gut wie kein Kunde im Engrosgeschäft Samstags nachmittags mehr erschien, auch nicht etwa nur zum Bezahlen. Es war statistisch festgestellt worden, wie der Verkehr um diese Zeit auf ein Minimum zusammengeschrumpft war. Zum Schlusse hieß es: Was sagt der Matthias dazu (zum freien Samstagnachmittag)? Ich entgegnete durchaus ernst und trocken: Ich bin dafür, daß Samstags nachmittags durchgearbeitet wird. Alles lachte und war voller Entrüstung. Ich gab zu verstehen, daß dies mich persönlich gar nicht berührte, da ich ja von vorneherein mir die volle Freiheit über meine Arbeitszeit vertraglich ausbedungen hatte. In dem allgemeinen Gelächter, das sich hierüber erhob, war die Arbeit am Samstagnachmittag sang- und klanglos verschwunden. Der Erfolg meiner trockenen Bemerkung war restlos durchschlagend.
Nach dem Tode von Onkel Dietrich begann ich mein Notariat aufzubauen und beschränkte die Arbeitstage zuerst auf einige wenige und schließlich auf nur zwei Tage, von denen dann einer regelmäßig zum Mittagessen bei Tante Maria verwendet wurde. Sobald Will dieser Sachverhalt klar geworden war, drängte er auf immer kürzere Vertragszeit, und schließlich löste sich das ganze beiderseitige Verhältnis allerseits in Wohlgefallen auf. Noch einige Jahre und die Sache war vorläufig zu Ende, schließlich auch so weit, daß ich nicht mehr zu notariellen Beurkundungen herangezogen wurde.
Der Schiedsgerichtsvertrag besteht aber bis heutigen Tages, im März
1943, noch zu Recht und kann jederzeit akut werden. Aber auch hierin haben
wir uns bereits grundsätzlich neu geeinigt, und ich werde voraussichtlich
in dem Anfechtungsprozesse der Erben Werner Brügelmann gegen die Firma
mein Amt als Schiedsrichter ablehnen oder einen anderen Schiedsrichter
benennen. Dieser Prozeß wird wohl mit Rücksicht auf den Krieg
so bald nicht in eine entscheidende Wendung gelangen.
Zu Gute halten muß man den Eheleuten F. das schwere Leid, das sie
durch den Krieg betroffen hat. Ein blühender Junge ist gefallen, desgleichen
ein Schwiegersohn, und wer weiß, was noch passiert.
Der Vetter Werner, der schon die Steinersche Korsettfabrik an F.W.B.S.
angegliedert sah und seinem angeheirateten Vetter, den er bisher den Prinzregenten
nannte, einen neuen Spitznamen gegeben hatte, nämlich den Busenkönig,
behielt unrecht, denn kurz vor der Entscheidung über die endgültige
Abgabe der Fabrik fiel alles zusammen, und die Verhandlungen zerschlugen
sich. Durch Günthers einflußreichen Vater erhielt er eine Anstellung
bei der Bankfirma A. Levy, und deren Inhaber, dem berühmten Louis
Hagen. Er muß dort sehr fleißig gearbeitet haben, aber vermutlich
sah er wenig Fortkommen und schloß sich frühzeitig der N.S.D.A.P.
an.
Nachdem drei Kinder da waren, waren die jungen Eheleute zu der Schwiegermutter,
der Tante Maria, in deren großes Haus in der Wörthstraße
gezogen, wo sie zwar in demselben Hause, aber sonst getrennt lebten. Hierbei
kam es schon zu mancherlei Differenzen mit der Schwiegermutter. Ein Kinderfräulein
Nasdala aus Brandenburg, dessen Bruder dort mit Heinz Reitmeister die Schule
besucht hatte, wußte sich das Vertrauen der Familie in so weitgehendem
Maße zu erwerben, daß sie schließlich die Geliebte des
Hausherrn wurde und heute dessen Ehefrau ist.
Der Umbruch brachte den Ehemann auf eine Stelle, der er nicht gewachsen
war, er wurde Oberbürgermeister von Köln und hielt sich in dieser
Stellung bis zum Jahre 1936, als der große Steuerkladderadatsch in
der Firma erfolgte. Rückblickend muß ich immer noch einer Firmenkonferenz
gedenken, bei welcher damals über den Eintritt von Günther in die
Firma beraten wurde. Onkel Dietrich und sein Schwager Will setzten sich fast
mit der gleichen Bewegung, indem sie beide Arme gleichzeitig ausstreckten,
auf ihre Stühle nieder und fällten fast einstimmig und ebenso das
Urteil über ihn: „Seriös ist er nicht.“ Damit war er unter Kaufleuten
erledigt. Daß er nicht seriös war, zeigte er auch insbesondere
als Oberbürgermeister und als Ehemann. Er wurde dann Landrat im Kreise
Merseburg und die Eheleute bezogen das dortige Landratsamt. Gottlob erlebte
die Schwiegermutter nicht mehr das Zerbrechen der Ehe. Heute sind die Eheleute
geschieden, der Mann hat bereits wieder zwei Kinder mit dem früheren
Kinderfräulein, ist in seiner Zivilstellung Landrat eines schlesischen
Kreises in Breslau und bei der Marine wieder als Offizier in der Ostsee
tätig. Angeblich sitzt er in Memel oder Mitau und führt noch einen
Prozeß mit seiner Frau wegen des Vermögens.
Der zweite von den beiden netten Söhnen ist in Stalingrad durch einen
Kopfschuß gefallen, und der ältere ist auf einem großen
Kreuzer jetzt unterwegs.
Mutter Grete aber wohnt mit ihrer Tochter in einer schönen Wohnung
am Deutschen Ring und ist bis heute, 3. April 1943, von großen Fliegerangriffen
in Köln verschont geblieben.
Auch der Spießer will ein wenig Tragik im Leben haben. Im Jahre 1935
war ich noch Hans im Glück und feierte als „junger Notar“ unsere 25jährige
Hochzeit in Hersel als Volksfest. 1936 schlägt der Blitz ein und droht
Vernichtung der ganzen Familien. Dann folgte eine lange Zeit wenig erfreulicher
Tage. Vom 22.7.1937 bis 17.11.1938 erfolgt das Intermezzo „bei dem ich mit
einem blauen Auge davonkam und das mit dem Reichsgerichtsurteil endigte.“
Wie öfters, so hatte ich auch in den letzten Tagen in der Mühlengasse
eine Art Vorahnung und malte eines Tages den Teufel an die Wand: Nehmen wir
an, so führte ich in der inneren Konferenz aus, es treten eines Morgens
zwei Steuerhäscher bei uns ins Zimmer, bitten alle ruhig sitzen zu
bleiben und ihnen sämtliche Papiere aus dem Geheimschrank im Chefkabinett
und aus den Schränken bei Otto und Papst vorzuzeigen. Diese Skizze begegnete
allgemeinem Gelächter, worüber ich gar nicht erbaut war und das
ich mit ausführlich ernsten Darlegungen beantwortete. Die ganze Szene
behielten die Beteiligten infolgedessen gut in Erinnerung.
Onkel Dietrich und Vetter Will lagen schon im Grabe, da besuchte mich
eines Sonntags morgens im August 1936 Otto in Hersel, wo wir damals unseren
Sommersitz abmachten. Der von mir vorausgeahnte Teufel war eingetreten und
der große Kladderadatsch war da. Zwei Steuerfahndungsbeamte hatten
gleichzeitig das Zimmer des Chefs und des Prokuristen sowie die Wohnung
des Chefs durchsucht und alle Papiere beschlagnahmen lassen. Jetzt war guter
Rat teuer. Das grüne Aktenheft mit meinen Verträgen hatte man
auch gefunden und sichergestellt. Ich wußte sofort, was mir alles
blühen würde. Es sollte aber noch viel bunter kommen. Zunächst
lehnte ich eine Zumutung von Otto ab, mit ihm eine Reise nach Holland zu
machen und das dortige Konto Greta den Steuerfahndungsbeamten aus zu antworten,
statt dessen sah ich meine Papiere in Hersel und Bonn durch und brachte
alles Verfängliche in Sicherheit. Den darauffolgenden Donnerstag erschienen
zwei Steuerfahndungsbeamte, darunter der eine ein sehr fähiger und
gewandter Mann mit Namen Henseler, sie beschränkten sich zunächst
darauf, den Schrank in meinem Bürozimmer (Büro war noch im Hause
Broich) durchzusehen und sich alle Wertpapiere und Bankverbindungen zu notieren.
Die Differenz zwischen dem in der Mühlengasse gehabten Einkommen und
meinen Steuererklärungen ließ sich natürlich nicht leugnen,
und so mußte die Sache ihren Weg gehen.
Am 5.0.1936 erhielt ich vom Finanzamt Köln-Altstadt eine Nachveranlagung
für Einkommensteuer in Höhe von 31.000 Reichsmark. Nachdem die
Steuerfahndungsbeamten noch mehrfach im Büro, auch am 25.8. in Hersel
und in der Privatwohnung in der Bachstraße gewesen waren. Am 26. Juni
1937 erhielt ich die Einleitung des Dienststrafverfahrens, ab 1.7.1937 dem
Amt enthoben und am 29.7. erstmals in dieser Sache vernommen. Das Dienststrafverfahren
zog sich dann ein ganzes Jahr hin, bis es endlich zu einer Verhandlung in
Düsseldorf kam. Am 3. Juni 1938 Ergebnis: der mitbeschuldigte Oberstaatsanwalt
Z. wurde seines Amtes ohne Pension enthoben. Er sah von Berufung ab, gegen
mein Urteil, welches über 3000 RM Geldstrafe lautete, wurde von der Einleitungsbehörde
Berufung zum Reichsgericht erhoben, und am 17. November 1938 wurde ich von
Rechtsanwalt Schönberg dort gerettet, erhielt statt der 3000 jetzt 5000
RM Geldstrafe und blieb am Leben. In einigen Tagen kann ich auf ein fünfjähriges
Jubiläum dieses Dienstgerichtsurteils zurücksehen. Erlebe ich noch
weitere fünf Jahre, so wird dieses Urteil aus meinen Akten gelöscht.
Leider hat sich das Dienststrafverfahren trotz seiner zermürbenden Länge
noch nicht lange genug hingezogen, hätte es sich bis zum Kriegsausbruch
hinziehen lassen, so wäre ich vermutlich amnestiert worden.
An dem bösen Donnerstag, als die Steuerhäscher bei mir erschienen,
hatte ich am Spätnachmittag Besuch von dem berühmten Kunstgelehrten
und Sammler Fritz Lugt aus Den Haag. Er besah sich meine Handzeichensammlung
und konnte mir einige wichtige Winke geben. Vor allem erkannte er sofort
eine durch Bamann von de Boer in Amsterdam gekaufte Kreide- und Rötelzeichnung
von Hendrik Golzius als Faksimile. Er fuhr abends noch mit mir nach Hersel
hinaus und aß mit riesigem Appetit köstliche Brombeerpfannekuchen.
Ich hatte mit Helene schon vorher zum Besuch der Ausstellung von Hieronymus
Bosch im Boymansmuseum in Rotterdam für mich, sie und Marianne Plätze
auf dem Holländer Siegfried gesichert, und so machten wir in den Tagen
vom 19. bis 22. August 1936 diese schöne und unvergeßliche Rheinfahrt
auf dem Dampfer von Köln bis Rotterdam und zurück. Wir logierten
auf dem Schiff und aßen auch dort. Der Rhein führte ziemlich
hohes Wasser, und die landschaftlichen Eindrücke waren ganz gewaltig.
Am Niederrhein imponierten uns die zahlreichen großen Brücken.
Das Städtchen Rees lag unvergleichlich malerisch am Niederrhein, und
es gelang mir eine hübsche flüchtige Skizze davon zu machen. In
Emmerich gaben wir unser deutsches Geld ins Zolldepot und fuhren sozusagen
ohne Devisen nach Holland hinein. Die Mündungsströme des Rheins
in Holland führten starkes Wasser und waren überraschend malerisch
und imposant. Insbesondere der Anblick von Dordrecht blieb mir ebenso unvergessen
wie das abendliche Bild im Rotterdamer Hafen mit der riesigen Eisenbahnbrücke,
über welche die Schnellzüge sausten.
Die Ausstellung im Boymansmuseum war ungewöhnlich schön und reichhaltig.
Vor allem habe ich ein herrliches Altarwerk des seltsamen Künstlers
aus Lissabon dort gesehen, was man sonst nicht zu sehen bekommt. Das Publikum
in den luftigen und stillen Räumen war ein ungewöhnlich gutes.
Die Museumsräume hatten den Ausgang nach dem luftigen großen Museumsgarten,
in dem eine ganz einzigartige riesige Bank zum Sitzen einlud. In der Stadt
besahen wir uns auch noch manches und besuchten unter anderem ein sehr modernes
Warenhaus „De Beyenkorv“ auf dessen Dachduin wir köstliche Milchgetränke
bei großer Hitze mit prachtvoller Übersicht über die Stadt
beim Sonnenschein genossen. Auf der Rückfahrt waren wir allmählich
mit dem Schiffspersonal, dem Restaurateur näher bekannt geworden, hatten
eine wundervolle Verpflegung und erhielten den Rat, eine solche Fahrt auch
einmal im Winter zu wiederholen, das Schiff sei dann schön geheizt
und die Fahrt habe auch ihre wundervollen Reize.
Als wir dann nach Hause zurückkamen, erschienen wenige Tage darauf
die lästigen Steuerfahndungsbeamten in Hersel, fanden aber in dem von
ihnen durchsuchten Geldschrank nichts als einige Büchsen Gartendünger
und eine Reihe von Briefen mit Blattgold vom früheren Betrieb der Firma
Reitmeister. Wir fuhren dann mit ihnen nach Bonn, und dort wurde das Bibliothekszimmer
und mein Bücherschrank einer abschließenden Musterung unterworfen,
wobei sie sich gewaltig wunderten über die vielen Bücher und Bilder.
Der Stadtkölnische Beigeordnete Z., der ein ungemein sympathischer
Mensch gewesen sein muß, hatte drei Kinder. Ich habe ihn mit seiner
Tochter von Ansehen kennengelernt, als ich mich im Hochsommer 1912 mit meiner
Frau zur Kur nach einem heftigen Ischiasanfall in Baden bei Zürich
an der Limmat aufhielt. Er wohnte damals mit uns im gleichen Hotel Seehof,
Besitzer Amsler Hüderwadel. Wir waren in einem regnerischen August
in Arosa gewesen, und ich hatte dort Helene den Schauplatz meiner früheren
Kur gezeigt. Ich bekam dort im Zusammenhang mit regnerischen Abkühlung
einen derartigen Ischiasanfall, daß ich glaubte, die Wände herauskrabbeln
zu müssen. Sanitätsrat Jakobi empfahl sofortige Kur in Zürich,
deren gute Wirkung er aus eigener Erfahrung kannte. Tatsächlich haben
mir sieben Bäder dort für eine Reihe von Jahren Heilung gebracht.
Das Fräulein Z., das sich damals mit einem Vetter, dem Werner B., einem
Neffen von Tante Emma, dem Sohne ihres Bruders Hill verlobt und wieder entlobt
hatte, sollte später die Frau von Max B. werden, was wir damals noch
nicht ahnten. Von ihren beiden Brüdern war der eine Kaufmann, der andere
Staatsanwalt. Der Staatsanwalt war ein schlanker und kluger und smarter Mann,
der schon in jungen Jahren eine vermögende Frau geheiratet und als tüchtiger
Jurist und zielbewußter Streber es zu einem Adjutanten des Generalstaatsanwalts
in Köln gebracht hatte. Ein Onkel seiner Frau verstarb und hinterließ
ihr unter anderem ein schönes Vermögen, das er in der Entwertungszeit
und zu Steuerzwecken auf einer Bank in Basel angelegt hatte. Weder zur Erbschaftssteuer
noch zur Vermögen- oder Einkommensteuer war es veranlagt. Nach dem Umbruch
im Jahre 1933 wurde der Besitz dieses Auslandsvermögens dem Besitzer
etwas mulmig, und er wandte sich durch seinen Schwager an mich, um es ins
Inland zu verbringen. Gleichzeitig hätte er tätige Reue nach der
Reichsabgabenordnung bei der Steuerbehörde machen müssen, er genierte
sich aber deswegen, weil er selbst wiederholt an scharfen Erlassen gegen
jede weitere Steuerflucht erlassen hatte. Nach Erkundigung bei der Reichsbank
fand ich einen Weg, die Papiere über die Reichsbank hereinzuziehen,
zu veräußern und den Gegenwert in guten inländischen Papieren
unter Mithilfe Dr. Konrads für ihn anzulegen. Das ganze ging ganz glatt,
vergeblich aber hatte ich empfohlen, die Sache mit der Finanzbehörde
in Ordnung zu bringen, dabei aber törichterweise meine persönliche
Mithilfe abgelehnt. Auch bei späteren gelegentlichen Zusammenkünften
mit Z. hatte ich ihn immer wieder vergebens dazu ermahnt, als ob mich eine
böse Ahnung plagte. Diese Sache sollte zum Verhängnis werden. Die
Steuerfahndungsleute fanden bei ihren Nachforschungen von allerhand Bankkonten
auch das frühere nur kurz bestandene Bankkonto bei der Reichsbank und
hatten natürlich gleich die Ansicht, es handele sich um eine Auslandsverschiebung
der Firma Brügelmann. Ich weigerte mich anfänglich, den Namen meines
Auftraggebers zu nennen, telefonierte diesem inzwischen nach Köln und
veranlaßte ihn nunmehr sofort die Erklärung bei dem zuständigen
Finanzamt vorzunehmen. Als ich dies in Ordnung wußte, gab ich erst
seinen Namen bekannt, der natürlich ungeheures Staunen auslöste.
Die Sache zog sich dann monatelang hin, bis im Laufe der Voruntersuchung
im Dienststrafverfahren bei meiner Vernehmung durch einen beauftragten Richter
in Köln auch eine Gegenüberstellung von mir und Z. erfolgte. Wir
benahmen uns ganz vernünftig dabei. Z. muß aber in wenig vernünftiger
Weise vorher und nachher mit allen Mitteln um die Einstellung beziehungsweise
Verschleppung dieses Dienststrafverfahrens gerungen haben, dergestalt, daß
diesen Juristenkreisen in Köln schon bekannt war, und von den Richtern
des Strafsenats sich der eine oder andere wegen Befangenheit ablehnte. Dadurch
kam die Sache schließlich wegen der Verweisung durch das Reichsgericht
an die Dienststrafkammer beim Oberlandesgericht Düsseldorf, dessen Präsident
Oberlandesgerichtspräsident Schwister (derselbe, den ich im Jahre 13
gelegentlich meiner Notarbewerbung um Köln im Justizministerium gesprochen
und der mir damals bedeutet hatte, man könne mich nicht gut zum Notar
in Köln machen, wenn ich von vornherein erklärte, dort voraussichtlich
nicht, dagegen später in Bonn amtieren zu wollen). Er führte mit
zwei juristischen Beisitzern die Verhandlung am 3. Juni 1938 in Düsseldorf
in geradezu glänzender Weise. Die Verhandlung nahm einen ganzen Tag in
Anspruch. Ich wurde von Rechtsanwalt Schönberg, Z. von dem Sohne meines
früheren Associés Julius Trimborn, Cornelius Trimborn, vertreten.
Der Tag bleibt stets in unserer aller Erinnerung. Mittags wurde eine Pause
gemacht, und wir nahmen zusammen eine Henkersmahlzeit im Rheinrestaurant nahe
beim Obergericht ein. Es war mir gleich zu Anfang verdächtig gewesen,
daß der Vorsitzende, der Z. mit ungemeiner Höflichkeit aber nicht
mit geringerer Schärfe behandelte, ihm gleich vorhielt, daß er
als jungverheirateter Referendar mit einem Einkommen von 11.000 Mark sich
um eine Zuwendung aus einem Dispositionsfonds beworben hatte. Das Gericht
zog sich in den späten Nachmittagsstunden zu einer stundenlangen Beratung
zurück, und leider versäumte ich es, Z. und Trimborn meine Auffassung
vorzutragen, daß Z. besser täte, noch vor Verkündigung des
Urteil schriftlich sein Amt niederzulegen. Hätte er das getan, so wurde
seine Entfernung aus dem Amt nicht ausgesprochen, er behielt zwar ohne Pension
den Titel Oberstaatsanwalt i. R. und konnte bei späterer günstiger
Gelegenheit, z. B. nach einer Amnestie, die fast in einjähriger Zeit
erfolgte, gleich wieder angestellt werden. Ich selbst unterließ bei
der Verkündigung des Urteils die Anfrage, ob die Gegenseite mit dem Urteil
sich einverstanden erklärte. Ich hätte mir dadurch die Berufung
vielleicht ersparen können. Das Urteil erging gegen Z. auf Entfernung
aus dem Dienst ohne Pensionsanspruch, gegen mich auf 3.000 RM Geldstrafe.
Wenige Wochen nachher wurde die Amtsenthebung aufgehoben, und ich amtierte
wieder als Notar. Durch die von der Gegenseite eingelegte Berufung erlebte
ich noch einige Aufregung, die Verhandlung darüber fand im November vor
dem Reichsgericht statt. Mein persönliches Erscheinen war nicht angeordnet,
und wir überlegten, daß er besser sei, wenn Schönberg ohne
mich zu dem Termine hinführe. Das hatte ich gut belehrt. Inzwischen hatte
Z. auf die Berufung verzichtet, dadurch lief das Verfahren gegen einen Notar
allein, und zur Entscheidung in der Dienststrafkammer mußten dementsprechend
zwei Notare als Richter zugezogen werden, was Schönberg auch gleich
durchsetzte. Man hatte schon gedacht, in dieser Sache kurz zur Tagesordnung
überzugehen und wollte sie in einer Viertelstunde vermutlich auch durch
Amtsentfernung erledigen. Auf die energischen Vorstellungen von Schönberg
mußten in aller Eile zwei Notare zugezogen werden, und am späten
Nachmittag des 17. November 1938 erhielt ich eine Depesche aus Leipzig: von
3 auf 5 erhöht. Im übrigen geblieben. Das sollte bedeuten, die
Dienststrafe war von 3000 auf 5000 Mark erhöhnt, der Angeklagte aber
im Amte verblieben.
Einige Jahre später, es muß so um 1940 gewesen sein, habe ich
dann mit Hilfe von Oberbösch in wochenlanger Arbeit eine ausführliche
Nacherklärung für meine Vermögenssteuerangelegenheit gemacht
und die gesamten Steuern mit etwa 2000 Mark Nachzahlung in Ordnung gebracht.
Mit Rücksicht auf die Offenlegung der ganzen Sache und unter Berücksichtigung
einer Rede des Reichsfinanzministers Reinhard wurde von einem öffentlichen
Strafverfahren gegen die beiden Inhaber der Firma Otto und Kurt, wurden aber
auf eine Strafe im Unterwerfungsverfahren in Höhe von fünfmal hunderttausend
und dreimal hunderttausend Mark erkannt und diese Strafe auch in der Kölnischen
Zeitung veröffentlicht. Das Strafverfahren gegen mich wegen Steuersachen
wurde schon vorher eingestellt, wodurch ich in den falschen Glauben versetzt
worden war, es würde auch kein Dienststrafverfahren erfolgen.
Trotz eines in der Kölnischen Zeitung offiziell verkündeten Dementis
wurde die Sache, bei der Günter Riesen einige fünfzigtausend Mark
Steuern nachzublechen hatte, der Anstoß zu seinem Sturz als Kölner
Oberbürgermeister. Er rettete sich als Landrat nach Merseburg in einen
Industriekreis, von dem er im Laufe des Krieges nach erfolgter Ehescheidung
vor dem Richter als Landrat nach Breslau versetzt wurde. Im Kriege tut er
Dienst als Marineoffizier.
Einen anderen Brügelmannschen Schwiegersohn ereilte das Geschick in
Flensburg als Regierungspräsident. Seine Frau, unsere tüchtige
Kusine Elly, hätte am liebsten auch mich für diesen Hereinfall
verantwortlich gemacht. Demgegenüber war allerdings zu beachten, daß
ich schon mehrere Jahre vor der Beendigung meines Amtes in der Mühlengasse
die Vertretung der Familie Fulda in Steuersachen abgelehnt und deren Generalvollmacht
zurückgegeben hatte. Noch heute aber hält Elly ihrem Bruder Kurt
ihre weiße Unschuld vor, obwohl dieser im Besitz von Briefen ist, in
denen sie unbefangen schrieb, schicke mir bitte 5000 Mark schwarz usw. Es
ist überhaupt zu verwundern, wieviel Leute sich nachher völlig
unschuldig vorkamen, nachdem sie wegen offenbarer Steuerhinterziehung ordentlich
hatten nachzahlen müssen.
Dasselbe Schauspiel zeigte sich bei einer Reihe von weiteren Angestellten
der Firma, an der Spitze Herr P., dem die Steuerhäscher ganz besonders
wenig grün waren, sowie abklingend für eine ganze Reihe von Firmenvertretern,
deren Steuerangaben alle nicht richtig waren.
Eine Reihe von Angestellten hat sich mit der Firma geeinigt. Bei mir war
die Abfindung meiner Pensionsansprüche ein besonders häufig erörterter
Streitpunkt zwischen mir und der Finanzbehörde und zwischen mir und
der Firma. Schließlich wurde derselbe aber auch noch zu meiner Befriedigung
gelöst, und ein gewisser Rest aus dem Schiffbruche wurde noch dazu verwandt,
um die Erwerbskosten des Hauses Meckenheimer Straße 62 zu decken.
Zurückblickend kann ich wohl sagen, daß die mit dem Dienststrafverfahren
und mit dem Steuerverfahren zusammenhängenden Aufregungen mich in meiner
Gesundheit stark erschüttert und in Verbindung mit den weiteren Aufregungen
der ersten Kriegs- . . . (
Der Absatz ist nicht zu Ende geführt.)
Bis hierhin am 4.05.2002. Bald liest du / lesen Sie mehr!