Wir hatten denselben Morgen mit einem Kommerzienrat Brunner und einem
Direktor Waltz eine Besprechung und wurden auf nachmittags vier Uhr wieder
bestellt. Wir hatten uns mittags an einem guten Mittagessen erfrischt und
hatten um vier Uhr eine lange Konferenz, wozu sogar der Aufsichtsrat erschienen
war. Es mußten allerhand bittere Redensarten geführt werden,
das Endergebnis war aber ein Nachlaß von 227.000 Mark. Dieses Ergebnis
wurde als Depesche nach Wiesbaden berichtet, und wir beschlossen, dorthin
zu fahren. Wir legten uns zeitig zu Bett, denn es war ein anstrengender
Tag gewesen. Die rußige Fabrikstadt Hof, in der es fatal zog, machte
auf uns einen denkbar ungemütlichen Eindruck. Andern Tags standen
wir schon um vier Uhr morgens auf und waren um halb fünf am Bahnhof.
Es war eine prächtige Fahrt durch helle Sonne und das schöne
Land Franken: Kloster Banz, Staffelstein, Vierzehnheiligen. In Bamberg
hatten wir Anschluß und von Würzburg aus sogar einen D-Zug mit
Speisewagen. Um sechs Uhr drei Minuten holten Tante Emma und Onkel Dietrich
ihren Bruder und Neffen an der Bahn ab, und es ging wieder zum Hotel Rose,
wo wir gut zu Abend aßen. Denselben Tag wurde mit Tante Maria Gretes
Geburtstag mit Sekt gefeiert. Söhnchen Kurt und ein Fräulein
Königs kamen später noch aus dem Theater, und alles blieb bis
Mitternacht in der Diele zusammen. Den anderen Tag brachte eine helle Sonne
wundervolle Wärme, und ich machte mich zeitig zu einem langen Spaziergang
in Stadt und Kurpark auf, wo ich lange gesessen bin. Um halb zehn war großes
Frühstück mit Herrn Dietrich Brügelmann und anschließend
ein gemeinsamer Spaziergang in das Nerotal. Bei dieser Gelegenheit wurde
die Firma Friedrich Cleff gründlich behandelt. Nach einem Mittagessen
im Hotel Rose wurde nachmittags geruht und kurze Zeit im Kurgarten Konzert
genossen. Um sechs Uhr brachte mich mein Zug nach Hause, wo ich halb zehn
sehr befriedigt eintraf. Den nächsten Tag war mein Schwager Willi
Reitmeister Baurat in Kirchmöser geworden.
Die ganze Familie Hill war mit Cleff verwandt. Karl Hill heiratete eine Cleff und führte mit deren Bruder Adolf Cleff die alte Firma Friedrich Cleff. Der Firma ging es nicht besonders gut, und sie löste sich in der Entwertungszeit langsam auf. Der Geschäftsbetrieb ging an die Firma F. W. Brügelmann Söhne, was er heute noch ist. Adolf Cleff, der draußen wohnte, widmete sich ganz seiner Rassehühnerzucht. Ich hatte oft Gelegenheit, diesen ruhigen und sympathischen Menschen kennen und schätzen zu lernen. Nach und nach lernte ich sie fast alle kennen. Ein Bruder Ludwig lebt als ein Kölner Unikum in Köln. Er hatte es glänzend verstanden, ohne Arbeit im Leben durchzukommen und amüsierte sich mit einer Münzsammlung. Im übrigen schmeckte ihm namentlich ein guter Tropfen gut. Irre ich nicht, so lebt er heute noch. Nur unter dem Druck des Weltkrieges hat er sich dazu verstanden, in der Firma mitzuarbeiten, was zu komischen Szenen geführt haben muß.
Zwei Brüder Fritz und Adolf Hill waren schon vor Jahren nach New York gegangen und hatten sich dort mit Seide beschäftigt. In der Nachkriegszeit lernte ich Adolf kennen, der häufig herüberkam und die Geldentwertung dazu benutzte, um mir häufig größere Marksummen in Schecks zu schicken, für welche ich dann Wertpapiere kaufte. Mit einem recht angenehmen Gewinn endete diese angenehme Geschäftsverbindung bei Wiederherstellung der deutschen Währung. Während der jahrelangen Trockenlegung von Amerika war Adolf längere Jahre in Köln, von wo er sich aber vor dem neuen Krieg wieder zurückzog. Seit Jahren habe ich nichts mehr von ihm gehört. Den Bruder Fritz habe ich nur einmal auf einer Kontinentreise kennengelernt. Adolf Cleff war ein sehr ruhiger und bescheidener Mann, in früheren Zeiten war er sehr mit Hans Brügelmann befreundet gewesen. Er ist nun schon seit einer Reihe von Jahren tot, nachdem seine Tochter, das einzige Kind, schon vorher gestorben war. Liesel Schneiders geborene Wolf war mit Cleffs und Hills durch ihre Mutter verwandt und hatte in ihrer Jugend den Adolf Hill heiraten sollen.
Aus der Firma Cleff stammt noch ein umfangreiches Gebäude mit zentralem Innenbau, einer größeren Hofanlage, Schaufenstern usw. in der Breite Straße.
In den Nachkriegsjahren herrschte bei dem politischen Niedergang des Reiches eine wahnsinnige Hochflut auf kommerziellem Gebiet. Die Währung sank immer tiefer, und nur gelegentlich fanden in dem Absinken der Währung kleinere oder größere Pausen statt, und dann schien es auch so, als ob eine rückläufige Bewegung nochmals eine Stabilisierung herbeiführen würde. Alle einsichtigen Köpfe aber glaubten das nicht.
Viele gediegene alte Firmen, die ihr Geschäft in der überkommenen Form weiterführten, gerieten in den Strudel und gingen langsam unter, weil sie nicht in der Lage waren, sich den nötigen Kredit zu verschaffen, der letzten Endes auf die Reichsbank abgewälzt wurde, und weil sie auf der anderen Seite nicht die nötige Entschlußkraft und Kühnheit besaßen, um blind auf dem Warenmarkt draufloszukaufen, ohne Rücksicht darauf, wie sie ihre Verpflichtungen zu erfüllen gedachten. Diejenigen, die das ohne Bedenken taten, gewannen sehr bald Reichtümer, die ihnen aber in der Deflation wieder restlos aus den Händen flossen. Große Vermögen wurden zerstört und gingen im allgemeinen Strom vollständig unter. In der Mühlengasse waren alle Voraussetzungen dafür gegeben, daß diese wilden Zeiten klug und doch wagemutig, gerissen und doch vorsichtig durch Vergrößerung des Geschäftes ausgenutzt wurden. Der Kredit wurde immer größer in Anspruch genommen. Neben dem alten Bankhaus Levy wurde auch mit der Deutschen Bank gearbeitet, und schließlich fand ein sehr erheblicher direkter Wechselumsatz mit der Deutschen Reichsbank statt. Auf dem Gebiete des Wareneinkaufs war man in allen Stücken wohl beschlagen und nutzte die sich bietenden Gelegenheiten rücksichtslos und günstig aus. Es tauchte eine Reihe von Plänen auf, von denen auch viele in die Tat umgesetzt wurden.
Nachdem wir uns genügend alte Fabrikgebäude angesehen hatten, welche zur Aufstellung der in Sachsen gekauften Strickmaschinen und zum Betrieb einer neuzeitlichen Strumpfstrickerei geeignet schienen, sie wieder verworfen hatten, wurde der Erbauer des großen Nähereigebäudes in Deutz, Manz aus Stuttgart, hergeholt und mit ihm der Plan eines großen einstöckigen Shedgebäudes für eine Strickerei entworfen und durchgeführt. Die Ausführung hatte der Bauunternehmer Pilgram, ein Mann von riesigen Körperformen und großer Entschlußkraft. Ich sehe ihn noch heute vor mir, wie er in manchen Nachmittagskonferenzen mit seinem Schwiegersohn und einem Stab technischer Hilfsarbeiter schwer ächzend im Sessel saß und sich unter den Daumenschrauben der Auftragsfirma hin und her wand. Es war ein Ausschreiben unter verschiedenen Baufirmen gemacht worden, von denen Pilgram der teuerste war. Aber trotzdem kam nur er in Frage. Das war längst beschlossen, und es konnte sich nur noch darum handeln, ihm einen Nachlaß von fünf oder zehn Prozent abzupressen. Dabei versicherte er hoch und heilig, daß er am ganzen Bau nichts verdiene und daß trotzdem das Liedchen geflötet werden mußte. Solche Stunden blieben mir unvergeßlich.
Während andere Firmen im Strom untergingen, gewann die Firma immer weiteren Boden, namentlich vergrößerte sich auch der Absatz. Zusätzlich wurde eine Zweigniederlassung der Kleinhandelsabteilung in Dortmund gegründet. Dort hatten sich zwei sehr gerissene junge Bankfachleute unter rücksichtsloser Ausnutzung der gegebenen Lage ein großes Grundstück in der Nähe der des Hauptbahnhofes gesichert und bauten darauf ein großzügiges Rautenberghaus, für das sie eine Reihe größerer Mieter suchten. Aus dieser Miete für den größten Teil des Hauses entwickelte sich allmählich die Zweigniederlassung.
Ein Vertreter Murtfeld heiratete ein Fräulein Friese, welche längere Zeit meine Privatsekretärin gewesen war. Unter ihrer umsichtigen Führung und ihrem rücksichtslosen Einsatz blühte diese Filiale bald auf und gewann einen riesigen Umsatz. Hand in Hand mit der stets sich vergrößernden Miete gingen Belastungen des Hauses, wobei wir und vorsichtigerweise das Vorkaufsrecht grundbuchlich sicherten. Eine Belastung, an der schließlich alle Klugheit der Brüder Rautenberg scheitern sollte. Letzten Endes fiel das gesamte Anwesen uns als reife Frucht in den Schoß, nachdem die beiden Eigentümer alle möglichen Schiebereien damit versucht hatten, z. B. hatte sich der eine, nur um sich die Vorteile der Osthülfe zu sichern, im Osten ein Gut gekauft usw. usw.
Das nächste war dann die Gründung der Frankfurter Großhandelsfiliale durch die Übernahme einer jüdischen Firma Ganz, deren modernes Haus in der Neckarstraße gleichfalls in den Besitz der Firma Brügelmann kam. Eine weitere Vergrößerung war auch die Übernahme einer Firma Schmitt in Wesel. An allen diesen Gründungen hatte ich fleißig mitgearbeitete. Die Gründung einer Zweigniederlassung in Hannover wollte dagegen nicht glücken und ist auch bis heute nicht erfolgt.