Der Rösselsprung des Büros

Mein Bürovorsteher war stets gegen jeden Wechsel in den Bürogeschäftsräumen. Grundstücksdezernent Seeberger hatte mir geraten: Sorgen Sie, daß Sie in die Meckenheimer Straße kommen. Ich folgte seinem Rate. Im Jahr 1930 gelang es mir. Es fehlte nicht an Stimmen, die Böses weissagten und die außerdem in unserem Auszug eine unliebsame Härte gegen den Hausbesitzer Kuth sehen wollten. Das Büro wurde in das Haus der Arztwitwe Breuer in der Meckenheimer Straße verlegt. Dieses Haus war, von der Stadt aus gesehen, linker Hand das erste, das einen Vorgarten besitzt. Auf dessen Gartenpfeiler wurde das Firmenschild als Blickfang aufgemalt. Das Büro hatte zwei Zimmer, von denen eins nach der Straße und eins dem Garten zu lag. Eine lange und gedeihliche Zusammenarbeit mit der Hauseigentümerin, die darauf großen Wert legte, wie darauf, daß sie eine geborene Josten war, sollte dem Büro nicht beschieden sein. Gelegentlich eines nächtlich wahrzunehmenden Termins hatte ich sie herausschellen und klar machen müssen, daß ich auch nachts Zutritt zum Büro haben mußte. Es kam die Möglichkeit einer gesetzlichen Kündigung, von der ich zwecks Ermäßigung der zu hohen Miete Gebrauch machte. Hier schob sich in ziemlich hinterhältiger Weise ein junger Rechtsanwalt Koch ein, der negerhaarige Sohn des früheren Instrumentenhändlers, der mir wohl bekannt war durch einen Haushandel mit Frau Witwe Rolshoven, bei welchem er die Frau drankriegen wollte und dessen Beurkundung ich ablehnte. Er setzte sich selbst in diese Büroräume. Das ganze war mir nicht ganz unerwünscht, da ich weiter unten und auf der anderen Seite im Hause einer jüdischen Arztwitwe Dr. Edelstein, Meckenheimer Straße 58, noch besser gelegene Büroräume fand. Zudem waren diese auch noch billiger. Diese Hauseigentümerin versuchte mich sofort mit ihrer Heizungsverteilung zu düpieren. Ich lehnte es ab und ließ durch einen Sachverständigen feststellen, daß meine Beteiligung an der Heizung 13 % betrug. Beim Auszuge aus Breuer stellte der Elektriker fest, daß die Flurlampe über meinen Zähler lief. Auch behauptete der Elektriker, eine weitere Privatlampe, die angeblich nicht gebrannt habe, sei ebenfalls darüber angeschlossen. Ich schied mit dem Spruche: „Das billige Licht leuchte ihr.“ und ließ mich auf eine Auseinandersetzung weder mit ihr noch mit ihrem Rechtsanwalt Meyer ein. Trotz der Bedenken des Bürovorstehers zeigte sich, daß die Lage eine bedeutend bessere war. Noch eben rechtzeitig verkaufte die sehr geschäftstüchtige Jüdin an einen Herrn Broch, mit dem ich mich sehr gut verstand. Er hat mit Jonen jahrelang den Plan eines dritten Zimmers erwogen und mit Hülfe von Baumeister Gerhardts ein solches vor das Gartenzimmer in den Garten hinein gebaut. Es hat sich wenig bewährt, und ich würde einen solchen Anbau nie mehr befürworten. Trotz Isolierung von Decke und Fußboden wurde es im Winter nicht über zehn Grad warm dort, im Sommer gab es eine Überfülle von Licht und Wärme, und das mittlere Zimmer schwamm stets in einem seltsam schwebenden Halblicht, trotz der großen Glasdoppeltüre. Es war alles gut und richtig überlegt, bewährte sich in der Praxis doch nicht.

Jahrelang hatten Bürovorsteher und Notar den alten Arzt Dr. Bardenhever in seinen Steuern und sonstigen Angelegenheiten besonders sorgfältig beraten. Jahrelang war Aussicht gewesen, in dessen Hause, Meckenheimer Straße 62, das der alte Herr mit zwei Dienstboten allein bewohnte, Büroräume zu erhalten. Es war auch gelungen, den Verkauf dieses Hauses an die Keramag zu hintertreiben. Aber auch nachdem die lange krank danieder liegende Ehefrau Bardenhever gestorben war, konnte ihr Mann gegen den Willen seiner Kinder unserem Büro keine Räume darin vermieten. Und erst, als ich ein Jahr nach seinem Tode von den Erben mit der Regelung des Nachlasses betraut wurde, eröffnete sich die Möglichkeit zum Erwerb dieses Hauses und zur Möglichkeit, das Büro und die Wohnung dahin zu verlegen. Der Tatkraft des Baumeisters Gerhardts gelang es zu Anfang des Krieges, die nötigen Umbauten herzustellen, und zum 1. April 1941 konnten wir die Parterreräume des Büros beziehen und verließen zum großen Leidwesen des Eigentümers Broch die Zimmer in der Meckenheimer Straße 58.


Epilog zu meiner Tätigkeit im Hause Brügelmann         

Bonn, den 23.10.1942

Otto B. rief mich heute morgen an und erzählte mir des längeren, daß der Vormund Rechtsanwalt Ellscheid für seine beiden Mündel und als Anwalt des älteren inzwischen schon großjährigen Jungen (Kinder des verstorbenen Werner Brügelmann) Anfechtungsklage gegen den Firmenvertrag von 1936 zu Gericht erhoben habe, ebenso gegen den notariellen Vertrag über die Auseinandersetzung des Hauses an der Münze usw. usw. Schiedsrichter Dr. Rech wird abgelehnt. Ich war über mich selbst erstaunt, mit welcher Gelassenheit ich diese Nachricht anhörte, welche doch nichts anderes bedeutete als einen ernsthaften Angriff auf meine Mitarbeit für mehrere Jahrzehnte am Aufbau der Firma. Es wurde angeregt, daß ich mich als Schiedsrichter ablehne, und ich muß gestehen, ich tue es ohne Bedauern. Man will dann eine Gegenklage erheben auf Ausschluß des Stammes Werner aus der Firma. Ich gab die Voraussage, Klage und Gegenklage werden kostenfällig abgewiesen werden. Ich soll den zuständigen Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen am Landgericht als Schiedsrichter vorschlagen, vorausgesetzt, daß dieser als Schiedsrichter in Tätigkeit treten will. Auch dies werde ich ganz gerne tun. Ich muß gestehen, so sehr ich mich früher darauf gefreut hätte, in einer solch grundlegenden Sache das scharf geschliffene Schwert des Richters zu führen und den Prozeßstoff mit Stumpf und Stiel auszurotten, ebensosehr befriedigt mich heute, daß ich mich dieser Arbeit nicht zu unterziehen habe. Selbst der damit verbundene Verlust eines erheblichen Verdienstes ficht mich nicht an. Früher hätte ich mit beiden Händen zugegriffen und mich mit ganzer Seele der Sache bemächtigt. Heute stehe ich ihr merkwürdig kühl gegenüber. Als Zeuge werde ich vermutlich später in Erscheinung treten und dabei nur das sagen, was richtig ist und was ich verantworten kann. Ich habe davon abgeraten, meine Ablehnung als Schiedsrichter jetzt schon dem Gericht oder der Gegenseite bekannt zu geben. Es wird sich vielmehr empfehlen abzuwarten, bis man von einer der beiden Seiten an mich herantritt. Die Schriftstücke sind sehr umfangreich und langatmig, was bekanntlich selten ein Beweis für die Güte ihres Inhaltes ist. Innerlich liegt diese Angelegenheit ganz hinter mir, und so kann diese Sache höchstens als Stoff zu einem Epilog meiner Erinnerungen über meine Tätigkeit bei Brügelmann dienen. Eine seltsame Parallele bildet die fast völlig ausgebrannte Arbeitsstätte, in der ich jahrzehntelang gewirkt habe und die nunmehr restlos ein Opfer der britischen Fliegerbombe geworden ist.

Einlage

Wilhelm Wilhelm Vogel Vogelsang

Einige Zeit nach dem im November 1925 plötzlich und unvermutet erfolgten Tode des Vetters Werner äußerte sich O. B. dahin, Erna sei verurteilt, das Leben einer Nonne zu führen. Es sollte ganz anders kommen. Nachdem der Vetter Max Brügelmann seine gute Frau Luise verloren hatte, sich von der Bergstraße zu seiner Mutter nach Godesberg verzogen und in das Versicherungsgeschäft eingearbeitet hatte, kam mir der Gedanke, er sei ein guter Vater für die drei Kinder Werners. Ich machte ihm den Vorschlag und ihn noch heute, wie er mir gegenüber in der Rheinuferbahn sitzt und mich halb verlegen, halb belustigt mit einem eigentümlichen Gesichtsausdruck anblinzelt: nein, das tut mir leid, für Erna habe ich gar keine Gefühle. Ich dachte bei mir, dann hast du gewiß andere Gefühle. Trotzdem suchte ich den Plan weiter zu verfolgen und sprach mit Onkel D. B. darüber. Dieser war ganz begeistert von dem Plan, aber eben bei einem Gartenfest bei D. B. – oder war es bei Tante Maria? – wurde es der ganzen Familie offenbar, daß Maxens Gefühle sich seiner Kusine Frau Witwe Partenheimer zuneigten, die er später auch heiratete.

Für die unglückliche Erna tauchte aus einer Fastnachtsbekanntschaft ein neuer Bräutigam auf, der mit großer Ruhe zwei Silben stotterte und zunächst durch ein ruhiges und bescheidenes Wesen auffiel. Merkwürdig an ihm war, daß er früher keine rechte Beschäftigung gehabt zu haben schien und es meist dunkel blieb, womit er sich bisher beschäftigt hatte. Dieser Mangel an Beschäftigung in Verbindung mit einem ziemlich dreisten Wesen machten ihn bald lästig. Er mischte sich in allerhand Sachen hinein und langweilte den Justitiar der Firma mit endlos ermüdenden Gesprächen. Dabei stellte es sich heraus, daß er im Grunde alles besser wußte und daß alle möglichen Fehler vermieden worden wären, wenn er die Sache von vornherein richtig gemacht hätte. Anfangs war man geneigt, sein uferloses Geschwätz unbeachtet zu lassen, bald aber zeigte er sich von einer gefährlicheren Seite. Seine ersten Sporen verdiente es sich „im Interesse der Kinder“ in der Hauszinssteuerfrage der Amsterdamer Straße. Um einige wenige Mark in der Einkommensteuer zu sparen, versuchte er die Frage des veranschlagten Mietertrages dieses Hauses neu aufzuwerfen und zu revidieren. Mit Rücksicht auf die Hauszinssteuerfreiheit war nämlich der Mietertrag des Hauses ziemlich hoch festgesetzt worden. Da aber die Frage der Hauszinssteuerfreiheit auf tönernen Füßen stand, so war jede Erörterung darüber für den Steuersachverständigen ein Kräutchen-rühr-mich-nicht-an. Ungeachtet aller meiner Abwarnungen begann Wilhelm ganz fromm und dreist mit wuchtigen Steinen auf dieses Glashaus zu werfen. Ich wußte sogleich, wohin der Hase lief und gab in der Geschäftskonferenz schriftlich zu Protokoll, daß Vogelsang nicht rasten würde, bis er die Hauszinssteuerfreiheit beseitigt hätte. Zugleich ließ ich mich ermächtigen, daß ich alle weiteren Schritte in dieser Sache ablehne. Es kam, wie ich vorausgesagt hatte. Der Mietertrag wurde um einige hundert Mark ermäßigt, dafür aber das Haus der Kinder mit einer jährlichen Hauszinssteuer von sage und schreibe 3000 Mark belastet. Rechne ich, daß diese bis heute zwölf Jahre und heute ein Abgeltungsbetrag eines Zehnfachen zu zahlen ist, so ergibt sich für die Kinder Werner aus dieser törichten ... des Stiefvaters ein Barverlust von mindestens 66.000 RM, die glatt erspart werden konnten. Dazu fehlte dem Stiefvater jede Legitimation, denn für die Kinder Werner wurde entsprechend dem Testamente ihres Vaters ihr Onkel Kurt Brügelmann zum Vormund bestellt.

Schon bald zeigten sich bei Vogelsang die üblen Seiten in voller Blüte. Er entpuppte sich als höchst engstirniger Mann von beschränktem Verstand, der aber sein einmal von ihm ins Auge gefaßte Ziel mit unglaublicher Hartnäckigkeit verfolgte. Es kam dazu, daß der ursprüngliche Vertrag von 1921 mit Rücksicht darauf, daß der Stamm Werner voraussichtlich eine ganze Generation hindurch des tätigen Teilhabers entbehren mußte, zu neuen Vertragsverhandlungen, bei denen die Kinder Werner durch einen vom Gericht bestellten Pfleger, einen in Rechnungssachen erfahrenen, älteren mittleren Justizbeamten Gorges vertreten wurde. Die Mutter, die nach dem Gesetzgeber zu hören war, zog unter dem Einflusse ihres Mannes einen Rechtsanwalt Dr. Dr. Nelte vom Obergericht in Köln zu. Es fanden endlose Palaver statt, bei denen aber nie etwas Rechtes herauskam. Man sah dagegen deutlich den Plan des tüchtigen Wilhelm Vogelsang: er wollte es dahin bringen, daß die drei übrigen Stämme, um nicht den alten Vertrag zu verlängern, diesen kündigen mußten, und dann hätte Vogelsang mit den Kindern Werner die Firma übernehmen können. So unglaublich dieser Gedanke ist, ebensosehr wurde er von Vogelsang angestrebt. Umgekehrt wurden die Kinder Werner durch die beiden Teilhaber, namentlich Otto, nicht mit Unrecht in eine viel ungünstigere Vertragslage zurückgedrängt, da man mit Recht den störenden Einmischungen des Stiefvaters auf das Äußerste mißtraute. Schließlich kam nach viele Monate lange Überlegungen ein neuer Vertrag zustande, den Gorges als Pfleger für die Kinder mit allen übrigen Beteiligten abschloß. Nunmehr lief Vogelsang mit seinem Rechtsanwalt Nelte einen verzweifelten Sturm gegen die zwar drohende, aber noch ausstehende Genehmigung des Vormundschaftsrichters Amtsgerichtsrat Lemfried. Was in zahllosen Eingaben an den Vormundschaftsrichter, an dessen vorgesetzte Dienstbehörde bis zum Oberlandesgerichtspräsidenten, an vollständig unzuständige Parteistellen an Eingaben geleistet wurde, geht über alle Vorstellungen hinaus. Die Eingaben strotzten von Beleidigungen namentlich gegen Kurt und Otto, gegen Gorges und auch wohl gegen mich, der ich damals die Interessen der Firma vertrat. Lemfried, den ich schätzen lernte, blieb ruhig und sachlich und legte den gesamten Sachverhalt in einem ausführlichen Bericht vom 17. Dezember 1935 dem Oberlandesgerichtspräsidenten vor. Dieses Schriftstück zeigt den ganz überlegenen Kopf dieses trefflichen Vormundschaftsrichters, der wirklich alle Triebfedern bei sämtlichen Parteien scharf durchschaut hatte. Er genehmigte den Vertrag, und nachdem Vogelsang es verstanden hatte, seinen Rechtsanwalt Dr. Dr. Nelte zu verabschieden, setzte er es im Laufe der Zeit durch, daß ein Rechtsanwalt Ellscheid an Stelle von Kurt zum gerichtlichen Vormund der Kinder bestellt wurde. Leider war Otto nicht dazu zu bewegen gewesen, seinerseits im Interesse der Firma und zur Rettung des Stammes Werner zum Angriff vorzugehen und den Antrag zu stellen, daß der törichten und verblendeten Mutter die Sorge für die Person der Kinder, zum Mindesten aber des ältesten der drei Söhne, gerichtlich entzogen wurde. Grund genug hätte die von Vogelsang betriebene Ausbildung des Sohnes in der Schweiz geboten. Der Fehler rächte sich. Nach erfolgter Großjährigkeit klagen heute der älteste Sohn Dietrich und der Vormund für die beiden minderjährigen Kinder gegen die Firmeninhaber darauf, den Vertrag von 1935 für ungültig wegen arglistiger Erschleichung zu erklären. Gegen diesen Prozeß ist wieder Klage erhoben auf Ausschluß des Stammes Werner aus der Firma.

Am 9. Dezember 1942 wurde zu Ungunsten von Erna ein Prozeß entschieden, den diese auf die Kündigung der Firma für ihr Darlehenskonto erhoben hatte. Das war vor zwei Jahren geschehen, und man hatte ihr keine Zinsen mehr bezahlt. Das Gericht entschied aus sachlichen und zutreffenden Gründen, daß sich ihre Beteiligung aus dem Nachlasse ihres Mannes Werner in ein Darlehen verwandelt habe, das mit Recht gekündigt werden konnte. Sie verliert damit zwei Jahre Zinsen und die Kosten. Ich schätze den Verlust auf mindestens zwölf bis fünfzehn tausend Reichsmark. Sie verdankt ihn der Kurzsichtigkeit und Borniertheit ihres zweiten Mannes. Ich stellte eine kleine Bilanz über die weiteren Schadensbeträge auf, welche der Stiefvater seiner Familie verursacht hat. Durch die Hauszinssteuer hat er die Kinder um mindestens 66.000 RM geschädigt. Der heutige Anfechtungsprozeß, der im Laufe Januar 1943 erstmals zur Verhandlung kommen soll, wird nach meiner Ansicht ca. 25.000 RM unnütz Kosten verursachen. Die mehreren Jahre Vormundschaft werden die Kinder einen ordentlichen Batzen gekostet haben und noch kosten, während ihr Onkel Kurt Brügelmann die Vormundschaft unentgeltlich führte. Alles in allem gerechnet beträgt der mögliche Schaden 120.000 bis 150.000 RM, ganz abgesehen von den unberechenbaren Folgen, welche der Streit in der Familie nach sich ziehen kann. Wie man sieht, bedeutet die Querköpfigkeit des Stiefvaters eine ernste Gefahr für die Familie. Hoffentlich erlebe ich es noch, daß die Kinder zur Einsicht gelangen und ihren Weg zur Familie zurückfinden.

Es besteht die Möglichkeit, daß der Stiefvater sich selbst vorredet, im besten Glauben und ausschließlich im Interesse seiner Frau und Stiefkinder zu handeln. Vergegenwärtigt man sich sein Äußeres, so muß man sagen, daß er einen gewissen Ausdruck der Beschränktheit und Engstirnigkeit am Gesicht trägt. Diese ist verbunden bei ihm mit einer nicht geringen Energie, die völlig fehl zu gehen pflegt.

Otto vergleicht ihn mit Recht mit einem Maulwurf, der blindwütig seinen Weg durch die Rabatten der Firma nimmt und keinerlei Rücksicht darauf nimmt, daß durch seine rücksichtslose Wühlerei nur Schaden anrichtet. Wird diese allzu heftig, wird die Reaktion hierauf nicht ausbleiben, und wir werden noch Seltsames erleben. (16. Dezember 1942).





28. November 1942 – Magischer Nebeltag

Als ich gestern ans Fenster trat, war im Garten alles dicht mit Nebel verhangen. Der Nebel webte ordentlich und zeigte eine gelbliche Farbe. Dabei war denkbar hoher Luftdruck, und der Feuchtigkeitsmesser zeigte den höchsten Gehalt der Luft an Feuchtigkeit an. Kein Lüftchen regte sich, es hätte nur eines halben Grades Frost bedurft und das schönste Schneegestöber hätte sich eingestellt. Alles spannte darauf, aber die Spannung wurde enttäuscht, die Temperatur stieg, und der Schnee blieb aus. Es war recht dunkel, und draußen hatte fast alles die Farbe verloren und hob sich mehr oder weniger dunkel gegen den schwach leuchtenden Nebel ab. Links aus der Gartenecke kam eine Unmasse schwarzer Vögel, zwitscherten eine Zeitlang auf den Holunderbäumen und unterhielten sich sehr angelegentlich untereinander. Es waren Schwarzamseln in allen Altersstufen und von verschiedener Größe. Sie waren zu vergleichen mit den Gedanken, die sich gleichsam im Nebel verdichteten.

Nach einiger Zeit kam Johann aus Roisdorf und erzählte mir folgendes: Jüngst hat er nachts sich deutlich mit Namen rufen hören, es rief Johann, und er wurde wach davon. Es fiel ihm ein, daß es genau ein Jahr nach der Nacht war, in der es bei ihm plötzlich an den Fensterladen geschlagen hatte. Damals war er auch wach geworden und hatte festgestellt, daß niemand am Fenster gewesen war. Einige Zeit darauf erfuhr er, daß dies in derselben Nacht geschehen war, in der man vor Leningrad seinen Sohn Christian von einem Raderkundungsvorstoß vermißt hatte. Er ist der festen Überzeugung, daß er nicht wieder zurückkehrt und seine Frau und Kinder verwitwet und verwaist sind. Ich hatte gehört, daß durchaus die Möglichkeit bestehe, daß solche Vermißte von den Russen gefangen genommen und sogar ganz gut verpflegt worden seien. Er lehnt dies alles ab.

Am selben Tage stellte ich fest, daß ich an einem Montage vor vierzehn Jahren die Nachricht erhielt, das Notariat in Bonn sei mir zugesprochen worden. Aus meinen Notizen ersah ich, daß ich gleich am folgenden Sonntage den alten Geheimrat Bardenhever wegen eines Büros in seinem Hause aufgesucht hatte. Er hatte mir damals voller Freude das ganze Haus gezeigt, auf dessen zweiten Stock seine Frau damals gelähmt lag. Er hätte gerne Büroräume vermietet, aber daraus wurde nichts, weil seine Frau, scheu gemacht durch Abraten der alten Witwe Justizrat Rudolf Meyer ihm davon abgeraten hatte. Heute, nach vierzehn Jahren, wohne ich schon über ein Jahr darin.

Ich habe die Ahnung, daß wir mit diesem Hause ein besonderes Glück haben sollen, nachdem wir in der Bachstraße nicht allzuviel Glück, wohl aber manches Unglück erlebt hatten. Hoffen wir das Beste. An Luftangriffen in der Zeit, wo wir hier wohnen, hat es zwar noch nicht gefehlt, aber es ist noch nie etwas passiert. Ich hatte ein merkwürdiges Glücksgefühl, ich sah aus der Zeitung, daß ein größerer Erfolg mit Schiffsversenkungen erzielt worden war.

Helene ist mit Uschi glücklich nach Straßburg gelangt. Hoffentlich geht dort auch alles gut. Meinem Magen gab ich den Abend vorher einige Tropfen, und so ist er wieder ganz in Ordnung. Marianne konnte ich davon abhalten, einen wenig schönen Brief ihrer Schwägerin Lilo zu beantworten. Sie schickt ihn ihr heute ohne Kommentar zurück.

Heute ist wieder alles entzaubert, alles naß und schmutzig.




FREMDER  TEXT:  Otto  Brügelmann

10.06.1942

Bericht über den Terror-Angriff der Engländer in der Nacht vom 30./31. Mai 1942 und seine Auswirkungen auf unseren Geschäftsblock Mühlengasse/Altermarkt/Neugasse.

Nach den Meldungen der Feuerwache erfolgte der Einflug der Flieger kurz nach 24 Uhr.

Brandbomben fielen zuerst in Richtung BRAUNSFELD/EHRENFELD, dann wurden die Hohenzollernbrücke, Hauptbahnhof und Eisenbahndirektion stark angegriffen. Auch die Schule in der Martinsabteigasse fing Feuer. Darauf wurde unser Block überflogen, und die Brandbomben fielen in großer Zahl, so daß es wie Regen rauschte.

Die Brandwache trat sofort in Tätigkeit, auch die Mannschaft des Scheinwerfers half. Es wurden Brandbomben in der Kantine gelöscht, es wurde mit der großen Schlauchleitung auf dem dritten Stock gearbeitet, aber es brannte an den verschiedensten Stellen oben und unten, auch in den Privathäusern in der Bechergasse.

Das Feuer griff mit solcher Wucht um sich, daß die Löschung aussichtslos erschien, und so beschränkte man sich auf die Bergung von wertvollem Material. Es gelang vor allen Dingen, fast alle Fakturier-Maschinen, eine größere Anzahl Schreibmaschinen, Additionsmaschinen und dergleichen zu retten.

Auch im Keller wurde die Rauchentwicklung so stark, daß hier kein Aufenthalt mehr war, die Brandwache verließ daher das Haus. In diesem Augenblicke traf der Betriebsführer (es wird gegen 3 ½ Uhr morgens gewesen sein) in der Mühlengasse ein.

Herr Dr. OTTO BRÜGELMANN berichtet weiter:

Bei Alarmbeginn begab ich mich in den Luftschutzkeller meines Privathauses und nahm die Telefonverbindung mit den drei Wachen der Firma

Mühlengasse,
Zeppelinstraße,
Deutz
auf.

Es war bald klar, daß der Angriff ein überaus schwerer und gefährlicher war. Zuerst meldete die Zeppelinstraße, daß schwere Bomben und Brandfackeln überall um das Haus herum niedergingen.

Die Mühlengasse meldete Feuer in der Brigittenschule, dann fiel die Verbindung aus. Ein Anruf in der Nachbarschaft (z. B. Jan von Werth-Apotheke) erbrachte die Mitteilung, daß die Ostseite des Altermarkts in Flammen stehe.

Die Verbindung mit Deutz bestand weiter, und ich hörte über Deutz, daß das Haus von KURT BRÜGELMANN brannte. Ich beauftragte PROEPPER, mit mehreren Männern zu Löscharbeiten nach der Münze zu gehen, wollte mich aber vorher mit ihm in der Mühlengasse treffen. Mit dem Fahrrad gelang es mir, mein Haus noch vor der Entwarnung verlassend, trotz aller Streckenstörungen an der furchtbar brennenden Rheinfront, gleichzeitig mit dem von Deutz abgehenden Hilfsauto in der Mühlengasse einzutreffen.

Aus allen Fenstern der Firma schlugen riesige Flammen empor, auch die gegenüber liegenden Häuser brannten lichterloh. Da auf dieser Seite nichts mehr zu machen war, versuchte ich, in den Keller zu steigen, und es gelang mir vom Hause Mühlengasse 19 aus, den Keller von Nr. 17 und von hier aus den Tiefkeller der Nachtwache zu erreichen. Nach oben in das Treppenhaus 1 einzusteigen war aber wegen Rauch und Hitze nicht möglich. Infolgedessen stieg ich durch das Schlupfloch in das Haus BOMM in der Neugasse über. In der Neugasse angekommen, das ich, daß das Haus BIERGANS nach dieser Seite  nur oben brannte, ließ daher das Tor Nr. 3 einschlagen. Im Toreingang lag ein großer Stoß Postpakete, die mit Hilfe der anwesenden Männer auf der Neugasse freigestapelt wurden.

Ich drang auch in die Spedition im Nachbarhause Neugasse 18 ein, die aber schon brannte. Trotzdem gelang es auch hier, eine Menge Ware zu bergen, die unverpackt in Körben stand. Als diese Arbeiten nicht mehr möglich waren, ließ ich die Ladenspedition einschließlich der Adrema-Vorrichtung, zwei Schreibmaschinen und sämtlichen Pulten ausräumen.

Es gelang auch, die geborgene Ware und Einrichtungsgegenstände gegen den starken Funkenflug zu schützen und ein Auto aus Deutz herbeizurufen, das in zweimaliger Fahrt diese Gegenstände sicherstellen konnte.

Mittlerweile drang ich nochmals in den Tiefkeller der Nachtwache ein und konnte jetzt, trotz Rauch und Hitze kurz verweilend feststellen, daß dieser Keller einschließlich der alten Herren- und Damengarderobe intakt war. Die Türe zum Wollkeller war glühend heiß, hielt aber.

Weiter aufsteigend im Treppenhaus der Neugasse kam ich in die Garage und sah zu meiner Bestürzung, daß die feuersicher Tür nach der Spedition zu offen stand. Die Garage lag dicht voller Kisten, Ballen und Holz, alles brennbares Material. Trotz des beißenden Rauches und großer Hitze gelang es mir, die Türe zu schließen und dadurch die Garage vor dem Brand zu bewahren.

Zurückkehrend zur Mühlengasse stellte ich fest, daß ich der Wehrgasse ein Hausgiebel zu brennen begann. Die Männer meiner Nachtwache schlugen die brennenden Teile herunter und retteten das Haus und damit wahrscheinlich auch den ganzen am Rhein gelegenen alten Häuserblock.

In der Mühlengasse mußte ich zu meinem Schrecken feststellen, daß das Haus Nr. 17 am Dache und auf dem I. Stockwerke Feuer gefangen hatte. Ich leitete sofort Löscharbeiten ein, die auf dem I. Stockwerke von baldigem Erfolge begleitet waren, weil sich hier eine massive Betondecke befand und das Feuer sich nur nach oben ausdehnen konnte. Es begann der Boden der II. Etage zu brennen, aber hier waren die Löscharbeiten mit einigen Eimern Wasser zunächst schnell erledigt. Desto mehr Schwierigkeiten aber bereitete der Dachstuhl, dessen Löschung ohne Hilfe des SHD unmöglich gewesen wäre. Auf meine Aufforderung, doch das historische Haus zu retten, fand sich der betreffenden Schlauchführer bereit, aber das Wasser reichte nicht hoch genug. Der Schlauch mußte daher zum ersten Stock heraufgezogen werden. Inzwischen bekämpfte ich das Feuer von der Dachrinne im obersten Stockwerk aus mit drei Minimax-Apparaten. Ferner ließ ich die vergitterte Dachluke durch den Nachtwächter Krings öffnen, und so konnte man vom Dache aus die Reste des Feuers beseitigen, die verblieben waren, nachdem der SHD mit dem inzwischen auf die II. Etage gezogenen Schlauch die Flammen gelöscht hatte.

Weiter durch das Haus Nr. 17 durchdringend, fand ich, daß an der Verbindungstür auf dem II. Stock zum Hause Nr. 15 sich das Feuer einen Durchlaß erzwungen hatte, hier schlugen mir erhebliche Flammen entgegen. Trotz unerträglicher Hitze und scheußlicher Rauchentwicklung gelang es allmählich durch Wasserwurf mit Eimern, auch diese Flammen zu löschen. Es dauerte allerdings noch eine ganze Weile, verborgene Feuerherde unter den Fußböden und in den Wänden endgültig abzulöschen.

Im Anschlusse hieran nochmals den Keller inspizierend, fand ich einen Feuerherd in dem Keller unter Haus Nr. 17, in dem das Altmaterial verwahrt wird. Hier waren Flugfunken auf Jute gefallen. Glücklicherweise konnte ich dieses Feuer im Entstehen löschen, aber die Wache hat im Laufe der Nacht noch mehrmals an dieser Stelle eingreifen müssen.

Damit war alles geschehen, was in der Mühlengasse geschehen konnte.

Ich fuhr auch noch mit dem Rad zur Zeppelinstraße und mußte hier leider feststellen, daß das große schöne Gebäude ebenfalls nicht mehr zu retten war. Auch hier ist seitens der Brandwache zahlreiches und wertvolles Material gerettet worden.

In der Mühlengasse beteiligten sich an den Löscharbeiten vor allen Dingen der Packer Owin, Josef Büchel, Packer Scheben, der Angestellte Fuss sowie der Nachtwächter Kring und Assenmacher. Aber auch die Frauen der Nachtwache haben sich sehr betätigt dadurch, daß sie die wertvollen Fakturier- etc. Maschinen in das Treppenhaus I im Souterrain retteten, wo sie vom Feuer verschont blieben.

Andere Rettungsaktionen, wie z. B. der Versuch, Strumpfwaren dadurch zu retten, daß sie über die große Rutsche in die Spedition geworfen wurden, mißlangen, weil die Spedition leider sehr bald zu brennen anfing.

Ich komme daher zu dem Ergebnis, daß nur infolge des Umstandes, daß die Firma in kürzester Zeit an verschiedenen Stellen oben und unten brannte, das Löschen anderen Bomben durch die Wache ohne Erfolg blieb, weil die Brandherde zu zahlreich waren.

Erfreulich ist die Tatsache, daß keinem der eingesetzten Kräfte ein Unglücksfall zustieß, während leider im gegenüberliegenden Hause Mühlengasse 10 achtzehn Personen den Keller offenbar nicht mehr rechtzeitig verlassen konnten und erstickten.



6.11.1943
Neuere Entwicklung Notariatstätigkeit

Kreissparkasse und die ländlichen Kassen senden uns fortgesetzt Unterlagen zu Löschungsbewilligungen und Löschungen. Beim Gespräch mit den löschenden Bauern stellt sich heraus, daß diese auch schon den Gedanken hatten, als Eheleute ihre erbrechtlichen Verhältnisse zu regeln. Diese Anregungen werden neuerdings durch die wahllos allenthalben niedergehenden Bomben in ihrer Wirkung verstärkt, und so haben wir in der letzten Zeit eine Fälle von Ehe- und Erbverträgen beurkunden können, die früher verhältnismäßig selten vorkamen. Es ist auffallend, wie durch die Fliegergefahr auf der einen Seite und Geldflüssigkeit der bäuerlichen Bevölkerung auf der anderen Seite diese Entwicklung begünstigt wird.

Seit Beginn Oktober ist der Lehrling Heinz Mengden zum Arbeitsdienst eingezogen. Nach Vollendung seiner Ausbildung soll er ins Feld kommen. Der zweite Lehrling, Hans Weber, hat sich gottlob vergebens bei der Marine gemeldet, ist aber beim Examen durchgefallen. Zu einer Einladung der Hitlerjugend zur militärischen Vorbereitung habe ich meine Zustimmung versagt, dafür hat er aber jetzt sich bei einer Feuerwehrübung eine Handverletzung zugezogen und fällt vorläufig aus.

Herr Jonen ist in Sizilien noch an Malaria erkrankt und mit vierundzwanzigstündiger Lazarettzugfahrt in ein Lazarett in Mindelheim in Schwaben in der Gegend von Memmingen gekommen, wo ihn seine Frau bereits einmal besucht hat. Er ist noch äußerst schwach und scheint einen starken Anfall von Malaria zu haben.

Vor einigen Tagen hatte ich nachmittags einen Termin in Bornheim und dabei eine trübe Ahnung für etwas, das als unangenehm bevorstände. Gestern abend erhält Marianne einen Anruf aus Avignon, anscheinend von einem Kollegen ihres Mannes, das Gespräch war schlecht verständlich, aber es ging daraus hervor, daß Eugen nach der Durchführung eines Auftrags zum Transport der Verwundeten und des Sanitätspersonals im Austauschwege mit einem anscheinend höheren Offizier eine Landfahrt gemacht hat und verunglückt ist. Der Wagen fuhr auf ein „Hindernis“, der Begleiter hat den Arm gebrochen, er selbst erlitt eine schwere Gehirnerschütterung, an der er noch bewußtlos darniederliegt. Man könnte zwar sagen, daß er noch mit einem blauen Auge davon gekommen sei, aber die Heilung wird noch geraume Zeit in Anspruch nehmen. Er liegt in einem Krankenhaus in der Nähe von Avignon. Somit hätte er glücklich die vierte Gehirnerschütterung in diesem Kriege erlitten, hoffentlich übersteht er sie.

Helene ist im Begriff, zu Herta nach Straßburg zu fahren, hat ihre Abreise schon mehrfach verschoben, will aber  nun trotz Eugens Unglück morgen auf Sonntag fahren, um jedenfalls dann wieder hier zu sein, wenn Eugen etwa um Weihnachten herum einen Heimat- und Erholungsurlaub bekommen sollte.

Unvorsichtigerweise hat Marianne dem kleinen Heribert von dem Unglücksfall des Vaters erzählt, wobei der Kleine sehr sachgemäße Fragen stellte, z. B. ob der Vater den Kopf ganz weg habe und ob das Auto ganz und gar kaputt sei, so daß man von dem Rest nichts mehr brauchen könne. Diese Nacht schlief er unruhig und sprach im Schlaf wiederholt von dem Auto, was ihm fortwährend im Kopf herum ging.




ENDE