1914/15
 
 
 

Was der Krieg uns lehrt:
1. Verachte Gold als Zahlungsmittel, gieb es der Reichsbank und bitte diese, dir recht kleine hübsche Geldscheine in der Größe von Fahrkarten zu geben.
2. Lasse die Gesetze, und zwar möglichst kurze, durch den Reichskanzler nach vorgängiger Ermächtigung vom Reichstag und Bundesrat machen. Die sind knapp und gut und viel Gezänk ist erspart.
3. Einigt Euch bei politischen Wahlen auf einen vernünftigen Kandidaten nach Verhältnis der früheren Stimmen und spart das unnütz verschwendete Geld für Wahlzwecke.
4. Lege stets ein gutes Stück Geld bei einer Sparkasse an, du kannst dich dann bei prächtigen Anleihen beteiligen, wenn einmal Not an den Mann kommt.
5. Roggenbrot und halte Weizenbrot für entbehrlich!
6. Überlaß das Gesetzmachen dem Bundesrat, er kann es auch ohne Reichstag ganz gut.
7. Möge die Engländer der Teufel und ihren Handel unsere Useeflotte holen.
8. Auch im Krieg kann man alles das tun, was man im Frieden tut, getan haben sollte und nicht tat. Helene z. B. ließ sich operieren.
 

Reichsbund zur Unterstützung der deutschen Veteranen
Postscheckkonto Berlin 16 399 Berlin W9 Potsdamer Straße 126
Kriegsblindenstiftung der deutschen Gesellschaft für künstlerische Volkserziehung Wilmersdorf, Emserstraße 3

31. Juli 1914.
Freitag: Nachmittags hatte ich bei allem Druck und Unruhgefühl die bestimmte Erwartung: Es geschieht jetzt was. Ich nahm daher schon keinen Tee mit zum Garten und kam um ½ 5 nach Hause. Blau jr. und Krings teilten mir sofort mit: Kriegszustand für das Gebiet des VIII Armeekorps erklärt. Ich dachte, gottseidank. Jetzt wird namentlich den Revolverblättchen mit ihren widersinnigen und ewig widersprechenden Nachrichten das Maul gestopft. Noch vor Kaffee ging ich zu Frau Winckler, deren Mann in Wiesbaden übt. Die Familie soll nach Kreuznach. Endlich ist die Brücke unter Bewachung genommen, mit Ketten gesperrt, kein Auto oder Fahrrad wird ohne Passierschein durchgelassen. In Frankreich scheint die Stimmung arg gedrückt und gar nicht kriegslustig. Vorigen Samstag wurde das österreichische Ultimatum von den Serben ausweichend beantwortet und der Gesandte reiste sofort ab. Montag war hier großer Sturm auf Lebensmittelgeschäfte und bis nachts 1 Uhr wurde gewogen und gepackt.

Samstag Nachmittag 6 Uhr 1. August 1914
Wir sitzen im Wolff’schen Garten, es ist ein wundervoller warmer Sommertag, auf der Graacher Chaussee sehen wir in der warmen Abendsonne einen älteren Mann laufen, der mit lauter Stimme brüllt: Hermann, nach Hause kommen, es ist „mobil“. Endlich das erlösende Wort! Bald darauf eine Menge Menschen an der Brücke und man hört verworrenes Geschrei wovon nur immer das Wort „mobil“ durchklingt. Herta macht ... Musik und Marianne (die 7 Monate alt) kräht laut dazu. Die Weinberge leeren sich, alle Arbeiter gehen nach Hause, beim Amtsgericht sind eben alle im Ferienurlaub befindlichen Arbeiter und Beamte zurückberufen.
Wir sprachen davon, daß Papa nun auch endlich das Geschäft auflösen will; freilich ein trauriger Anlaß dazu! Josef muß Montag als Pion. Off. nach Coblenz. Allenthalben hört man einzelne Rufe: Mobil! Hurrah! Es wird heute abend im Deutschen Reich sicher viel Bier getrunken werden. Gestern hat der Kaiser in Berlin vom Schloßbalkon zum Volk geredet, die allgemeine Begeisterung ist sicher wie 1870. Sogar die Sozi sind dafür, gegen die Russen zu marschieren.
Schönberg erzählt, in Trier solle ein „Freund“ von ihm, so ein Vagabund mit Wanderkarren und ein Frieseur versucht haben, die Brücke zu sperren und alsbald standrechtlich erschossen worden sein. Hier hat man einen russischen Handwerksburschen verhaftet. Wincklers fuhren mit Kindern morgens mit Auto nach Morbach (von dort nach Kreuznach). Es war frisch und stark neblig, die Kinder freuten sich riesig über den frühen Ferienbeginn.
Es ist ein wundervoller Abend, ein leichter Wind bringt wohltuende Kühle. -- Leny sollte schon am 18. ein Kind haben und wartet noch, wie ist sie zu bedauern, daß jetzt Johannes fort muß.
Die Zwanzigmarkscheine -- man hat fast nur noch solche -- sind im Ansehen arg gesunken. Man nimmt sie, giebt aber nicht gerne drauf raus. So ließ ich mir im Rhein. Kaufhaus, wo ich ½ Ct. Zucker bezahlte, für die Differenz von 8,50 M einen „Bon“ geben. Für den äußersten Hungersfall traf ich noch besondere Anordnung.

2. August 1914
Mit Helene zur Kirche gegangen. Kramm predigte gut, „seid männlich und stark“, ein gutes Wort, von Paulus natürlich. Nebel, warmer Regen.
Auf meinem Amtszimmer saß bereits Reinecke. Er und Schönberg drängen mich, zur Post (Hotel) zu kommen; ich erledige erst 1 Stunde lang meine Akten mit einer verwickelten Erbbescheinigung darunter. In der Post dann Conferenz: Es weisen Spuren eines organisierten Landesverrats anscheinend auch nach hier. Bestelle durch Feldschütz Danzer eine Frau und Durch Frau D-Licht deren Stiefvater Benedikt Hettgen zu mir. Nach Tisch nehmen Reinecke und ich ihn in scharfes Kreuzverhör, er ist anscheinend halber Idiot: wir suchen den Kreisarzt auf, der das bestätigt, er hat ihn bereits so in einer „Falschmünzereisache“ begutachtet. Kaum Kaffee getrunken, kommt Louis Hauth-Wehlen, ich gehe mit ihm zu Jos. Hauth jun. und nehme Prokuraerteilung des Egon an seine Mutter auf. Frau Hauth ist bei Helene, Besprechung wegen Notexamens ihres Stiefbruders. Justizminister hat Anordnung darüber erlassen. Wir sitzen zusammen am Atlas, kommt Schönberg, der schon vorher mit meiner Landesverratskombination da war, er hat „authentische“ Nachrichten durch Anton Thanisch aus Trierer Kaserne: Franzosen Luxemburg besetzt, Großherzogin sich angeblich unter ihren Schutz gestellt. Vorstoß französischer Kavallerie bis Wasserbillig, von Schützen mit Maschinengewehren zurückgeschlagen, 400 franz. Gefallene. 8 Deutsche. Franzosen zurückgedrängt bis Luxemburg, ob dies genommen zweifelhaft. Nachts 3 Uhr Kriegserklärung und kaiserlicher Befehl: Angriff auf Frankreich durch Luxemburg hindurch. Nicolay, der in Cochem 50 Franzosen auf Schiff zur Tunnelsprengung herangebracht, mit mehreren in Coblenz füsiliert. (Ich habe „Falschmünzerakten“ des Kgl. Staatsanw. Trier sofort an Kriegsgericht Coblenz abzugeben ersucht, darin vielleicht neue Spuren!) Bombenwerfer sollen bei Hosel Brücken beschädigt haben (wäre schade, dort sind die hohen Viadukte der Hunsrückbahn), in Trier einer auf Brücke erschossen beim Versuch, Brücke zu beschädigen, mehrere bei Bombenauswerfen ertappt, als Geistliche verkleidete mehrfach gefaßt, in Gillenfeld 3 angebl. belg. Geistliche so abgefaßt, auf Fähre rudern, es kommt alles mögliche, zweifellos Richtiges und unfehlbar Falsches zu Tage. Es ist doch mit Invasion der Franzosen hier zu rechnen und man muß sich drauf einrichten. Fräulein mit Kindern im Garten, währenddem Gewitter mit starkem Wind und heftigen Schlägen, ganz symbolisch. Gleich drauf heiße Sonne. Mirabellen werden reif. Bienenkästen aufmontiert. Helene schrieb Karte nach Hause, ich hatte morgens langen Brief an meine Mutter geschrieben. Ernste und erhebende Zeiten. Bürgermeister hier etwas kopflos, keine Wachen an Flughalle, Blinkfeuer, Gasfabrik! Landrat hat leider keine Waffen mehr, Wehlener Brücke unbewacht! Morgen gedenke ich kupplernest mit verdächtigen Burschen am Burgweg auszuheben. Bei Diedenhofen soll eine franz. Abteilung abgeschnitten und gefangengenommen sein. Gottlieb Häseler soll dort die Gegend sichern!
3. Aug. 14. Diese Nacht war unruhig. Ununterbrochenes Hufegetrappel: alle Pferde stellten sich in Morbach. Louis Hauth -- ich schreibe auf dem Liegestuhl auf der Veranda im Moselgarten und höre wieder einen leisen Schritt, vorsichtig aufstehend bemerke ich den gleichen älteren Herrn, der eben moselaufwärts ging, abwärts zurückkommen. Es ist ohne Zweifel derselbe, den Helene und ich am Abend nach der Erklärung des Kriegszustandes (Freitag) abends mit einem Rucksack als harmloser Tourist ankam, Obdach suchte und schließlich bei Odermann sich hineinfand. Wir äußerten noch damals unser Mißtrauen über ihn. Jetzt stehe ich auf, gehe schnell durch den Garten und lasse ihn dicht an mir vorbeigehen. Er mustert, wie alles, auch mich genau und schlendert weiter. Ich beschäftige mich ein wenig an meinen Bohnen und sehe, wie er sich die Gasfabrik ect. aufmerksam besieht. Ich folge ihm, überhole ihn und gehe zur Brückenwache. Dort mache ich Dönes und den herzukommenden Wachhabenden Peter Dahm auf ihn aufmerksam. Mittlerweile kommt er, ich gehe wieder, ohne ihn anzusehen, an ihm vorbei und fühle, wie er mich mustert. Bei späterem Umwenden sehe ich, wie er zu Odermanns hereinsteuert. Ist es nun ein harmloser oder sind wir Spionensüchtig geworden? -- (nachträglich eingefügt:) Nb. Es war ein völlig harmloser älterer Sommerfrischler, der seit Jahren schon öfter hierher kam. Vielleicht taucht er nächstens wieder auf.
Hauth also erzählte, daß er selbst seine Pferde hinzubringen gedenkt. Es tut ihm leid darum. Karl Liell kommt mittags -- bereits zum zweitenmal von Trier, diesmal per Auto, das 8 mal angehalten und 2 x fast beschossen wurde. Er erzählt: Libau sei beschossen und stehe in Brand. 2 Flieger hat man am Rhein herabgeschossen, einen zwischen Cöln und Coblenz, einen bei Wesel. Die Abfertigung in Trier sei bewundernswert. Auf der Bahn gehe alles glatt und ruhig.
Ein Hauptmann und 12 Unteroffiziere einer Gewehrmaschinenabt. sollen gefallen sein u.s.w. Nun zurück: Die Sonne schien schon früh glanzvoll am wolkenlosen Himmel. Obwohl wir nicht allzuviel geschlafen hatten, standen wir schon zeitig auf. Immer fahren Züge voll Krieger ab. Der Landsturm ist hier aufgeboten. Er tritt am 7. zur Versammlung am Bahnhof zusammen. Noch vor Kaffee schicke ich Lena mit dem gestern abend zurecht gemachten Wägelchen zum Garten. Nach dem Frühstück gehe ich selbst hin und besorge Bienenhaus, pflücke dann die reifen schönen Mirabellen, die bei jeder Berührung herunterregnen. Um 9 ½ gehts zum Amt, es ist fast nichts zu tun. Eine Angeschuldigte will früher vernommen werden, es geschieht. Ein anscheinend halb schwachsinniger Baier aus Dillingen (Ba...), der wegen Bettelns sitzt, lasse ich frei, Friedrich bringt ihn zur Bahn. Er hat auf meine Veranlassung festgestellt, daß der vor 3 Tagen hier anwesende Bez.amtsunteroffizier Buch heißt und bei 31er in Trier steht. Er war bei der schlecht beleumundeten Familie Teschlen zu Besuch. Ich teile es dem Kreissekretär mit, der es nach Trier melden wird. Ich spreche RA Schönberg, der wieder phantastische Neuigkeiten weiß: so, daß man „unsichtbare“ Luftfahrzeuge der Franzosen gehört haben will, aus Celluloid mit Dampfwölkchen unter der Maschine! Herrlich!! Die Nönnchen hier bekommen Passierscheine, denn jede Nonne und Geislticher ist dringend verdächtig. Um 11 zu Hause, machte ich 7 Glas Mirabellen ein und einen Kessel desgl. für Marmelade fertig. Dann gegessen und zum Garten -- Liegekur mit jener „Spionage“ Unterbrechung. Beim Frühstück kam eine von Bruhns gestern 11.40 mittags in Basel aufgegebene Depesche: „Reise unmöglich.“
Karl Liell erzählte von der erhebenden Andrang der jungen Freiwilligen in Trier. 200 hätten stundenlang vergebens beim Büro des Bez.kom. gestanden und trotzdem ihnen des öfteren bedeutet worden sei vom Sergeanten, sie möchten gehen, vorab sei keine Verwendung für sie u.s.w., blieben hartnäckig stehen und wollen angenommen sein. Ob das auch in Rußland vorkommt? In den Weinbergen wird hier und da noch gearbeitet, Knaben, Mädchen und ältere Männer. Liells Baumann Mayer aus Graach machte heute morgen ein Faß zum Spritzen mit Nikotin zurecht, Pferde sind nicht mehr da und so müssen er und seine Jungen die Kübel einzeln hinaufschleppen. Die arme Frau L. war gestern abend so aufgeregt, daß Helene, als ich schon im Bett lag, noch lange bei ihr war und von Frau W. Hugo Thanisch alle Neuigkeiten hörte, insbesondere eines ihrer Tochter Margareth in Prüm bei der -- 1monat vorzeitige Geburt des ersten Söhnchens gegangen habe. Der Vater, Prümer Landrat, hat geradezu scheußlich zu tun.
4. August. Eine scheußliche Nacht, ein scheußlicher Tag! Ich beobachtete gestern nachmittag auf dem Liegestuhl hübsche Bilder: Immer jagen kleine Trupps Graacher nach Bernkastel, immer eilten die Mädchen aus den Weinbergen eiligst herab und verabschieden sich von den Burschen mit Händedruck, oben von den Weinbergsmauern herab -- Helene war abends mit Herta aus dem Garten nach Hause, ich ruhte noch ein wenig aus, da besuchte mich die ganze Familie Kramm in meinem ‘Tusculum’, wie er sagte. Wir saßen oben auf der Terrasse in prächtig mildem Abendlicht. Susi fuhr die etwas unruhige Marianne im Wagen herum. Nachher zusammen nach Hause, wo Pfarrers uns nach Tisch aufsuchten. Bei einer Flasche Rheinwein und leckeren Pfirsichen wurde es bald spät. Eben ausgezogen zum Schlafen, werden wir von Liells alarmiert, die Lichtsignale an der Kaiser-Wilhelm-Höhe gesehen hatten. Draußen Menschen in heller Aufregung; als ich schon im Bett wieder liege und schon über Helenes langes Verweilen bei Frau L. ungeduldig werde, kommt RA Schönberg fast wahnsinnig vor Aufregung: Luftschiff zur Brückensprengung sei da, Signale seien beobachtet, endlich sah man sich entschlossen, die Brücke abzublenden. Ich lasse mich verleiten, gegen L. hier, einen Schiffer in Zeltingen und einen F. in Mülheim und Hausgenossen Haftbefehle zu geben, die noch nachts ausgeführt werden. L. sehr ruhig dabei, er hatte russische Damen zu Besuch gehabt. Helene mit Kindern und Mädchen und L’s im Weinkeller, arme Herta zitterte vor Aufregung, Marianne ganz vergnüglich. Angezogen, in Stadt, mit Bürgermeister und anderen besprochen, ½ 3 alles zu Bett beordert und bald auch geschlafen. Morgens um 8 Uhr mit Brinkmann und Polz.D.Welter Haussuchung bei L, dessen Hausdame sehr zuvorkommend. Sachen der Russen durchsucht, nichts Verdächtiges gefunden, L. herbeigeholt und aus Haft entlassen. Er ist sehr ruhig und geht mit auf Gericht seine abgenommenen Sachen holen, solle er doch nicht ...? -- Dann um 10 Uhr mit Br. in Dr. Schmitz Auto mit diesem nach Zeltingen, von wo man nachts den Schiffer S. mit Frau, 4 Söhnen und 1 Tochter gebracht hat. Alles, 4 Schiffe, Haus, alle ... genau durchsucht. Völlig zwecklos. Laut ganz augenscheinlich unverdächtig. Um ½ 11 in Bernkastel alle entlassen, dem alten eine Bescheinigung darüber ausgestellt, daß er gänzlich unverdächtigt: die läßt er ausschellen. Von 8 bis 1 angestrengt und zwecklos gearbeitet: Spionensucht! Rein. kommt zu gleichem Resultat mit den Mülheimern. Wir sind derlei Sachen gründlich satt. Nach Tisch mit Helene aufs Bett gelegt, geschlafen. Um 4 ½ zum Amt: ca 6 eingelieferte Burschen, Arbeitslose; meist laufen gelassen oder zur Bahn zu Militärtransporten geschickt.
Morgens übrigens ein prächtiges Bild: Als ich mit Br. über die Brücke gehe, fährt eben langer vollbesetzter Moselbahnzug unter großer Begeisterung der dort angesammelten, in Staffeln übereinander stehenden Volksmassen ab. Landwehr. -- Wehlener Brücke jetzt auch bewacht. Abends müde, vor Tisch etwas gelegen, nach Tisch mit Helene mal eben zum Garten, dunkel dort und tiefster Frieden, erquicklichste Stille. Nr. 8 von W. einen Ballen Futter gegeben. Sonst bei dem schönen Wetter wohl noch etwas draußen für die Bienchen zu futtern. Ich komme nicht mehr dazu, sie mit Ruhe zu beobachten.
Früh zu Bett und gut geschlafen. Alle sehr ernst dabei. Wird verzweifelter Kampf werden! Ich habe ein dumpfes und sehr drückendes Gefühl im Bauch, Sucht nach Schlaf und Ruhe. Nahm Karlsbader Salz und kann noch ziemlich was zu Mittag essen. Heute kaiserlich angeordneter Bettag. Astor mit Frau , die ganz verweint, begegnete mir um 8 Uhr am Gestade. Helene war auch in der Kirche. Die Brücke soll heute nachmittag militärisch besetzt und nur mit Passierscheinen zu betreten sein. Mit Kr.schulinsp. hole ich mir 4 Stück. Der meint, „wenn England gegen uns loszieht, ist der Krieg in 4 Wochen zu Ende, dann sind wir fertig“. Na, das hoffe ich nun doch nicht. Die Sorge liegt auf einem wie ein grauer Sack. Habe lange nicht ein solches Gefühl gehabt. Es kann nicht bloß vom Magen kommen. In Kirchen wird viel gebetet, auch von rauen in Zügen auf der Straße. ½ 2 -- ½ 5 gehe ich zum Garten, liege auf Stuhl, schlafe ein wenig wie unter einer schwülen Bleidecke, dann lange wach mit schweren Gedanken. Man hört fortwährend Klirren von Eisenbalken. Die Zeitungen bringen wenig oder gar nichts. Der Himmel meint es gut, er ist prächtig. Fr. Müller erzählt von tollen Sachen: Franz. Arzt mit Assistent in Metz abgefaßt, der dort Brunnen mit Cholerabazillen vergiften wollte. Niedlich! Die Russen sollen sie übrigens schon haben. Man kann es ihnen wünschen. -- Die Kinder sind glücklich. Herta und Marianne sind unsere ganze Freude. Übermorgen soll Schöffensitzung sein, ob das was giebt. Ein russisches Auto soll angeblich irgendwo gesehen sein, die Bevölkerung ist derart wütend, daß die Frauen mit Steinen an der Straße stehen, um dieses Auto zu empfangen. Kommt eins, so wird sofort die Kaiserallee leer gelassen, damit die wackeren Landwehrmänner ungehindert schießen können. Ich sah die ersten Tschakos an ihnen. Diese, Seitengewehr und Patronentasche sind jetzt die ersten Uniformrudimente, die ich in diesem Kriege sehe.
Heim nach Hause. Am liebsten hörte ich gar nichts von all den tollen Gerüchten, die umgehen.
Abends nach sechs mit Helene und den Kindern im Garten. Die gewitterhafte Schwüle wird durch einen Regen mit prächtigem Regenbogen und sanfter Abendsonne hinterher aufgelöst. England hat den Krieg erklärt! Natürlich, jetzt ist die billigste Gelegenheit, dem zu groß gewordenen Deutschen seine Flotte und Überseemacht zu vernichten. Hoffentlich giebts Nüsse für die englischen Gentlemen zu knacken, jedenfalls wird unsere Flotte sich nur sehr teuer verkaufen. Ob diese Nacht nicht bereits ein Zeppelin den Engländern in die Ohren brummt. Während des Regens waren wir hübsch friedlich auf der Veranda zusammengedrängt. Die leuchtende Abendsonne giebt neuen Mut. Die Kinder Funke brachten Br. einen kurzen Brief ihres Onkels Oberhofer aus Coblenz zu lesen. Darin stand, es sei rührend anzusehen, wie selbst Kinder eifrig hülfen, Bagage und Ausrüstungstücke zu schleppen. Es scheint bis ins Mark in Deutschland das Gefühl zu herrschen, daß es sich um einen Kampf um seine Existenz handelt. -- Dr. Schmitz ist, als er mit Auto ins Kirchspiel fuhr, in Frohnhofen beschossen worden, trotzdem er rechtzeitig hielt u.s.w. Es spukt jetzt ein russisches Auto, sowie ein französischer Goldtransport nach Rußland stark herum. -- Der Abend ist von einer Ruhe, Stille, Glanz und Farbenfeinheit, nicht zu sagen. Leuchtend kobaltblau stehen die Schieferdächer der Stadt in der sanften Abendröte. Verfl. Krieg! Man will nur, wie s. Zeit die Balkanräuber die Bulgaren, auf die Knie zwingen.
Do 6. Aug. (5. Mob.mach.tg.) Große Ruhe im Nest. Alles geht hübsch mit Passierscheinen über die Brücke, nur der dicke Bürgermeister hat keinen und wird dafür 2 x auf Wache gebracht. Allgemeine Heiterkeit. Gestern war eine einzig dastehende Sitzung des Reichstags, alles einstimmig und ohne Debatte angenommen und die Sozis blieben beim Kaiserhoch stehen. England machen allerlei Redensarten, sind natürlich auf französischer Seite. Reichskanzler sprach offen: Not kennt kein Gebot, daher in Belgien eingerückt. Die französ. Norküste wollen wir unbehellligt lassen, wenn England neutral bleibt. Scheint es aber nicht zu wollen. Die Deutschen stehen wie ein Mann. Man hat wieder eine feste zuversichtliche Stimmung. Alles wird jetzt amtlich dementiert und damit große Beruhigung geschaffen. -- Ich stand zeitig auf, pflückte fast alle noch hängenden Frühpfirsiche und arbeitete hieran, sowie Herrichtung zur Pfirsich- und Mirabellenmarmelade bis 11. Dann zum Amt, Reinecke heute nach Trier. Brief von meiner Mutter, sehr gefaßt. Josef nach Ehrenbreitstein, Johannes, dessen Frau immer noch Kind erwartet, zum Feld Art. Rg. 75. Gestern abend entwickelte ich drei Platten, auf denen ich am Montag Helene mit Kindern aufnahm, Leidlich gelungen. Großmütter sollen morgen je ein Bild auf Karte haben. Nachts starker Regen. Reiche Ernte fast in allem. Nach Tisch noch Helene an Marmelade geholfen, dann auf Liegestuhl im Schlafzimmer geruht. Nach Kaffee zum Garten. Mit Magen geht es langsam besser. Muß eifrig auf „Beförderung“ bedacht sein. Morgen soll Schöffensitzung sein. Die Kinder üben jetzt ein neues Spiel: Krieg mit Franzosen und Russen. Namentlich nachmittags und abends ist es an beiden Flußseiten in den Weiden sehr beliebt. Erst werden mit viel Geschrei die Parteien gebildet, alles reißt sich Weidenstöcke ab, dann gehts aufeinander mit Feldgeschrei „mer sein Deitsche“. Es giebt da mitunter scharfe Hiebe und gerade eben zieht sich ein blessierter 8jähriger greinend zu seiner älteren Schwester aus dem Gefecht zurück. Gestern war an der Moselbahn ein regelrechter Hinterhalt gelegt und es wurde mit viel Geschrei eine Operation vorgenommen, die sie als „Umzingeleiausschrieen. Auch hierbei setzte es brave Hiebe. Die Mädchen sahen eine Zeitlang zu, dann erfaßt sie auch die Kampflust und sie schlagen mit drein. Jedenfalls müssen die Weidenbüsche sehr daran glauben, daß ernsthaft Krieg geführt wird. --
Freitag, 7. August 14. Nun ist der Krieg mit England auch erklärt. Das schafft Klarheit. Meine Mutter schickte gestern langen gefaßten Brief, wir sandten ihr Karte mit Bild von Helene mit den Kindern. Reinecke ist gestern als Kreigsfreiw. Unteroff. III Comp. Ersatz Bat. Inf. Reg. 69 genommen worden. Wir tranken nach Tisch eine Flasche Wein zusammen auf heile Rückkehr und Sieg. Er hat noch allerhand zu ordnen. Gab mir Schlüssel zu seinem Silberschrank. Heute morgen kam er ½ 8, trank noch eine Tasse, gab mir sein Testament und eine wichtige Privaterklärung, auch amtl. . . . Helene und ich begleiteten ihn zur Bahn. Er will in Trier bei Anton Thanisch in Quartier bleiben. Nun bin ich als Richter allein und bekam es bald zu spüren. Schöffensitzung, bei der nur 2 Sachen verhandelt werden konnten. Alle Sachen, auch noch großen Stoß Grundbuchsachen bis ½ 1 erledigt. Nachmittags bei sanftem Sommerregen auf der Veranda gelegen. Das Liegen muß ich jetzt streng durchführen, um meine Kräfte ökonomisch zu behalten. Etwas mehr Sputum ist morgens zu verzeichnen. In Trier sitzt der Präsident mit 2 Landrichtern.
Josef schrieb Feldpostkarte von Coblenz, geht Samstag nach Metz, vermutlich zu Befestigungsarbeiten. 2 Rechtsanwälte (Josten - Cöln) sind als Reserveoffiziere bei seinem ersten mobil. ersatz Pionierbat. des VII. Armeekorps. Von Reinecke haben wir uns sehr ernst verabschiedet. Die seit Jahren nicht mehr gewohnte Grundbucharbeit schafft mir einige Ablenkung von den schweren Gedanken und inneren Bedrängnissen, in denen man jetzt ist. Brinkmann und Bollig waren zur Landsturm Musterung und haben sort, wie ich höre, fleißig zu schreiben. Bei Faber hatte ich 4 Testamente zu versiegeln und zu verschließen. Es ist noch ein eben verheirateter Sekr. Laufenberg da. Aktuar Reuter will sich morgen auch in Trier melden. Ein prächtiger Mensch: trotz seines schwächlichen Körpers will er mit. Es ist ein scheußliches Gefühl, schließlich als einziger Krüppel hier zu bleiben. Freilich würde ich nach etlichen Wochen mit Bestimmtheit auf dem Rcken liegen und die Lunge am Bluten haben, auch ohne Schußverletzung. Merkwürdig ist mir an mir selber das häufige und dringende Bedürfnis zu ruhen. Ich schlafe fest. -- Josef schrieb, daß Johannes seine Frau in Halle zur Entbindung ins Krankenhaus gebracht hat. Die arme Leny! Sie hat schlimmes mitzumachen, ihre Mutter kann anscheinend nicht zu ihr. --
Sonntag, 9/8.14. Die letzten Tage waren hier sehr ruhig. Freitag wurden die Landsturmpflichtigen gemustert. Jetzt wissen wir, daß am gleichen Morgen die unsrigen um 8 Uhr Lüttich im Sturm nahmen! Hurrha! Wir liegen hier zwar nah beim Kriegsschauplatz, aber doch seitab.
Am 3., wohl gerade am Tag seines Ausrückens, bekam Johannes -- er nennt sich jetzt Jann -- ein Söhnchen Horst. Ein echter Sohn des Mars. Er soll Soldat werden und erlebe ich es noch, so stifte ich ihm einen Ehrensäbel mit seinem Geburtsdatum.
Heute ist ein wolkenloser heißer Sommertag. Helene schreibt täglich an ihre Mutter, von der auch fast täglich Nachricht kommt. Leider scheint sie sehr aufgeregt, dort in Hersel, woran Papa gewiß sehr mit schuld ist. Willy, der seine Schwiegermutter noch daheim hat, muß es scheußlich schwer mit der Arbeit haben -- dabei stets Furch vor feindlichen Fliegern und Bombenwürfen. Soll nächstens ein Drahtnetz über die ganze Geschoßfabrik gespannt werden. Ich bin reichlich, namentlich mit Grundbucharbeit versehen, arbeite mich aber heute vor Tisch „blank“. Es kamen Karten von Reinecke, Sondag, als erstem der mir ganz genaue Adresse schrieb, Macke aus Cochem: „Auf der Durchfahrt nach Paris. August.“ Das kennzeichnet die Stimmung unserer braven Truppen. Eine russische Kavalleriedivision soll von unserer wackeren Infanterie bei Attacke zusammengeschossen worden sein. Censtochau ist bereits von den unsrigen besetzt, dort werden von Süden auch bald die Österreicher eintreffen. Das X. Armeekorps an der Maas wird jetzt wohl auf Namur zu marschieren. Holland verhält sich freundlich. In Frankreich und namentlich auch in Belgien sind die abziehenden sehr wüst behandelt worden. Besser dagegen in England. Heute nachmittag zogen zahlreiche Frauen gegen die pralle Sonne mit aufgespannten Regenschirmen bewaffnet, laut betend auf der Graacher Chaussee auf und ab. Die Mittagshitze geniert sie wenig. Bei manchen z. B. Frau L. und ihrer Dienstmagd nimmt das Kirchenlaufen ganz groteske Formen an, so z. B. fünfmal am selben Tag hineinzugehen, ist jetzt ein Luxus. Besser sollte man das reichlich im Garten liegende Fallobst konservieren, denn jetzt darf man nichts verkommen lassen. Im gleichen Sinne äußern auch schon lobenswerte öffentliche Aufrufe. An solchen ist jetzt allenthalben großer Reichtum, es zeigt sich bei allem Opfersinn dabei, glänzend der unvergleichliche Trieb des Deutschen zu organisatorischen Tätigkeiten. Ich hebe mir die Zeitungen für später auf, sie sind wahre Dokumente der Zeit hierfür. -- Ich muß jetzt oft an Herrn v. H. denken, was wird es ihm ein bitteres und peinliches Gefühl sein, wie ein lahmer Falke zu Hause sitzen zu müssen.
Mo 10.8.14. Früh auf. Mirabellen gepflückt. Mutter Rr soll ein Körbchen bekommen. Beinenvolk Nr. 8 W’s nachgesehen, anscheinend weisellos, hat keine Brut mehr, viel Honig, viel Volk. Nr. 2, aus dem ich Brut holen wollte, hatte auch nur gedeckelte. Nr. 4 bestiftet gefunden, eingehängt.
Am Gericht viel zu tun. Scheußliche Schandtaten belgischen Pöbels an dortigen Deutschen. Sollen es büßen. Deutsches Schiff, das Minen in der Themse legte, von englischem Tropedo zum Sinken, Torpedo gleichfalls gesunken. Die Herren Engländer werden sich wohl auf noch mehr Überraschungen gefaßt machen müssen. Helene und ich wollten heute nachmittag mit Citronen, Roisdorfer, Himbeersaft, Pfirsichmarmelade nach Wengerohr, Truppen laben. Der Drang zur vaterländischen Betätigung läßt sich nicht mehr zurückhalten.
In der Kölnischen Zeitung wurde kürzlich den Engländern gedroht, wir kennten die verwundbaren Stellen am Körper des britischen Weltreichs. Heute scheint es, daß in Ägypten, das sich zunächst „für neutral“ erklärte, der Kriegszustand erklärt wurde. Sollten die Mohamedaner lebendig werden. Es soll ja schon lange unter dem arabischen Islam eine Bewegung im Gange sein. Ganz Nordafrika und Vorderasien, vielleicht auch ein gut Teil Indien im Aufstand, könnte den Herren Engländern eine harte Nuß zum Knacken geben. In Russisch Polen scheint Aufstand gut und langer Hand organisiert. Die deutschen Truppen werden dort sehr freundlich empfangen. Autos müssen jetzt unbehelligt gelassen, auch darf nicht mehr auf Flieger geschossen werden. Ich habe noch keinen gesehen.
Es ist heute wieder ein heißer Sommertag. Frau Zopp hat sich gestern in Wengerohr heißen Dank bei schlesischen Truppen durch die Verteilung von Pfirsichen erworben.
Di 11/8. 14. Hurrha! Amtliche Nachricht eines Sieges in der Nähe von Belfort. Franzosen dort aus verschanzten Stellungen zurückgeworfen. Wir haben anscheinend drei Heere hier im Westen: eins an der Maas, X. Armeekorps, eins bei Metz, VIII., eins im südlichen Lothringen. Gestern war ein heißer Tag. Wir fuhren, Helene und ich, um ½ 5 bei glühender Hitze nach Wengerohr. Zum Dank für unseren großen grauweidenen Korb wurden wir gleich in die „Schorlemmerschen Salonquartiere“, wie v. Hymmen die rotausgeschlagenen Abteile unseres Lokalzügleins stets zu nennen pflegte, vrepackt. In Wengerohr gab es zu tun. Bald kam ein Zug mit den ersten Verwundeten, 2 Wagen voll, von Trier herunter. Unser Himbeersaft mit Roisdorfer Wasser fand reißenden Absatz. Manche, ich sehe noch einen mit verklebter Nase und Armwunde vor mir, riefen: In drei Wochen fahren wir wieder herauf! Pfirsiche und Citronen wurden bereitwilligst genommen. Einer starken Nachfrage nach Feldpostkarten konnten wir nicht genügen, wir hatten keine. An einigen sehr lang sich hinziehenden Zügen, die nicht lange hielten, ging ich entlang und sammelte ganze Päckchen Postkarten. Manche Bernkasteler Damen waren da, freilich mit wenig Sachen. Manche verwunderten sich über unseren großen Korb. Der Eimer voll Pfirsichmarmelade wurde von mir löffelweise in die Trinkgeschirre ausgeteilt. Nachdem die biederen Sachsen, es waren alle Züge mit Sachsen, Feldart. und Infaterie, ihr anfängliches Mißtrauen in das bräunliche Mus überwunden hatten, sah ich nur noch eine festgedrängte Phalanx Trinkbecher um mich und war alles bald bis aufs letzte los. „Endlich mal was anderes“, konnte man mehrfach hören. Ich sah u. a. mehrere riesige grobe Geschütze. Allerlei Aufschriften, Verse und Zeichnungen hatten die Wagen. Alles winkte lebhaft Abschied, die Offiziere meist sehr ernsten Angesichts, sie dachten beim Anblick der Damen gewiß an ihre Frauen zu Hause. Mit Frau Clemens und mit Frau Kreisarzt Knoll fuhren wir um 655 heim, anderen Zug hatten wir nicht. Ich habe lange nicht mehr so geschwitzt. Leider haben wir 1 St. bis dorthin zu fahren. College Koenen stelzte als behäbiger Leutnant dort herum. Die Wittlicher Damen haben regelrechten Dienst dort organisiert. Frau v. Schorlemmer mit Tochter waren auch fleißig bei der Arbeit. Unsere Frauen wollen auch Organisation machen, hoffentlich bekommt man freie Fahrt auf der Eisenbahn. -- In Lüttich solle einige 6000 Belgier, ¼ der ganzen Armee, gefangen sein. Z VI aus Cöln hat 12 Bombentreffer gemacht und ist wohlbehalten in Cöln. Die Engländer besetzen Lome und Togo, wo keiner war! Gehen auch wieder raus! Der glänzende Streich unserer Marine, die Themse mit Minen zu sperren, ist anscheinend geglückt. Das „Bäderschiff“ ist dabei zwar gesunken, desgleichen aber auch ein kleiner englischer Kreuzer. Hangö haben die Russen bereits geräumt. Was mag bis jetzt schon alles passiert sein. 3 St. Goldautos hat man doch im Osten abgefangen. -- Spionensucht läßt nach, der Brückenverkehr hier ist jetzt freier. Hatte Zivilsitzung, wenig. Können bis 31. Okt. 1914 dem Schuldner Ausstand geben. Sämtliche Straferlaß-Sachen bearbeitet. Heißer Tag. Werde Mirabellen heruntermachen, als Mus später gut für Verletzte. Bonner Husaren: + Husar Reich, Res.lt. Junghanns. Große Lust, mal an Hennig zu schreiben.
Do 13/8.14. Gestern war ein schwülheißer Tag. Was werden unsere tapferen Soldaten da alles haben ausstehen müssen. Ich bin nicht zum Garten gekommen, ersten Mal seit langer Zeit. Am Amt jetzt doch recht reichlich zu tun. Vorgestern hatte ich im Garten reichlich Reineclauden gepflückt. Auch machten wir abends noch prächtige Kappesköpfe zu Sauerkraut ein. Helene hatte mit Frau v. Nasse geprochen, deren alter Vater Platztour in Aachen. Sturm auf Lüttich muß große Verluste gebracht haben. Wir sollten vorab nur alles zusammenhalten. Einquartierungen und Verwundete bekamen wir noch gar nicht. Ich besorgte mir 4 Bettsäcke à 3,50 und Stroh bei Lord; schrieb auch an Rein, ob und welche seiner Betten ich im Notfall haben könnte. Heute wird es wieder ein heißer Tag werden. Ich sitze in der Morgenfrische am Tisch im Garten, in feinem zartem Duft liegt sonnenüberglänzt Mosel und Weinberge, ein Bild sattesten und tiefsten Friedens. Es sollen sich an 1 ¼ Million Freiwillige gemeldet haben, ein Vorgang, der in historischen Zeiten noch nicht vorgekommen ist. Daß wir eine Kriegernation sind und bleiben, dürfte wohl jedem klar werden. Der Vorstoß der Franzosen in Südlothringen von Belfort aus gen Mülhausen zu, ist zurückgewiesen, Franzosen scharf geschlagen und aus befestigten Stellungen herausgeworfen. Erster Erfolg gegen unsere alten Freunde. Selbst die leitenden Männer bei ihnen müssen noch ganz phantastische Vorstellungen von unserem Volk und den unbezwingbaren Drang haben, sich selbst etwas über deutsche Uneinigkeit und derlei Flausen vorzureden. Die Kölnische Volkszeitung hat schon entdeckt, daß Lüttich ein altes Suffraganbistum von Cöln gewesen ist und stets zum alten Deutschen Reich gehört habe. Also! -- Obst und Feldfrüchte reifen herrlich und mein Gärtchen bedarf gründlichster Bearbeitung. Muß mich bald nach einer Hilfskraft umsehen, denn ich kanns leider nicht. Der Magen macht mir mit anscheinend nervösen Beschwerden viele Plage, scheinbar „schlägt mir jeder Ärger drauf“. Mit Einquartierung werden wir bald zu rechnen haben. Woher, weiß freilich keiner, denn über jede Truppenbewegung wird erfreulicherweise strengstes Stillschweigen beobachtet und verlangt. Einige Zeitungen, die sich nicht genügend beherrschen konnten, sind bereits unterdrückt worden. Famos! Vorletzte Nacht wurde Marianne unruhig, am Morgen hatte sie ein erstes Zähnchen durch. Beide Kinder sind durch gesundes und munteres Wesen unsere ganze Freude in diesen Zeitläuften.
Abends 7 wieder ein heißer Tag herum, an dem geiß manch tapferer Soldat blieb. Eine erfrischende Kühle weht. Mit dem kleinen Jakob habe ich fleißig im Garten und Feld gearbeitet. Soll Früchte tragen. Am Gericht war reichlich zu tun, ich mußte sogar eine Sache halbbearbeitet liegen lassen, mir schon lange nicht passiert. Mutter Reitmeister hatte meine Mutter besucht, hörte dort, daß Johannes erst am 6. wegmußte und das Kind am 3. ihm geboren wurde. Emma hat 2 Mann Einquartierung, Mama einen. Ich zahlte meine Steuern, bekam sogar Gold heraus und hörte auf der Sparkasse, daß alles sich wieder in normalen Gleisen bewege, auch manche Einzahlungen gemacht seien.
14/8 14. Wieder ein heißer Tag heute! Unser schöner Kreuzer Goeben, dem die Engländer vorm Hafen von Messina auflauerten (er übernahm dort Kohlen), ist mit einem anderen den Herrn Englishmen glücklich entwischt. Hoffentlich findet er sich in der Adria mit den Österreichern zusammen. Was in ausländischen Zeitungen insbesondere aus englischen Nachrichtenbüros zusammengelogen wird, übersteigt alle Begriffe. Die Kölnische bringt davon eine tabellarische Übersicht als „Lügenkalender“. Bei Lagard (Deutsch Lothringen) sind die Franzosen über die Grenze zurückgeworfen, 1000 Mann Gefangene, 8 Geschütze ect. 500 gefangene Belgier gingen schon über Cöln nach der Senner Heide. Werden wohl noch mehr kommen. Mit Herta war ich morgens im Garten, musterte kleine Äpfel an überladenen Pyramiden aus zum Geleekochen. Am Amt genug zu tun bis Mittag. Nachmittags mit dem kleinen Jakob im Garten gegraben, Kartoffeln gebuddelt u.s.w. Unser Gerichtsvollzieher Norgat muß am 20. Mobil... und 21. August weg. Mein Assistent Brinkmann vermutlich auch. Kommt vielleicht als Besatzung nach Belgien, meint, er bleibe später als Beamter dort, nach 70 seien auch eine Reihe Assistenten zu Sekretären in Elsaß-Lethringen befördert worden. --
15/8 14. Nach heißen Tagen heute kühler und windig bei bedecktem Himmel. Hoffentlich unseren Kriegern auch eine Erquickung. Unsere Unterseeboote sind die Ostküste Englands entlanggefahren. Hoffentlich alles gut mit Minen bespickt. Der Dampferverkehr mit Dänemark soll so ziemlich ruhen. Vielleicht daß die englischen Gentlemens noch mal verspüren lernen, wie Hunger schmeckt. Kartoffel, für die hier ein Höchstpreis von 5 M per 50 kg festgesetzt war, sind schon zu 4 M zu haben. Immer noch habe ich mit Grundbuchresten, auch ungelesenen meiner Collegen, reichlich Arbeit. Brinkmann und Bollig, unsere beiden Assistenten, müssen Freitag, 21., fort, in Trier melden. Meine Mutter schrieb mir eine Karte mit genauer Adresse von Josef und Johannes. Sie selbst ist sehr gefaßt. Ohm ist dagegen vom Kriegsgeschrei arg mitgenommen. Nun, er hat drei Feldzüge mitgemacht und kennt die Sache.
Mo 18/8 14. Die Tage gehen unheimlich still und träge dahin. Man hört nichts. Fleißig sind wir beim Arbeiten. Papa schrieb, daß er wucherische Ansinnen der Bankiers höflich dankend habe ablehnen können. Fabrik steht still, er hat keine Schulden und Steuern bezahlt. Merkwürdigerweise schrieb ich ihm gleichzeitig dasselbe. Anton Thanisch, der mir gestern morgen hier begegnete, erzählte, daß Reinecke nun doch Kriegsgerichtsrat geworden. 2 Karten von ihm heute bestätigen das. Schnell avanziert -- Gefreiter -- Unteroffizier -- Hauptmannsrang beim Stab der 8. Ersatzdivision VIII Armeekorps bei Z... Oberstlt. v. Hansmann. Muß gleich fort. Heute trüber Regen, komme weder zum Spinat säen noch zum Mirabellen pflücken, wozu ich Hermann Kramm, den Pfarrerssohn, eingeladen hatte. Die Japaner sind nun mit ihrer Flotte auch unterwegs, der Teufel holt sie, wenn sie sich auch in europäische Gewässer verlaufen wollten. In Russisch Polen und in Finnland werden die Deutschen als Erretter empfangen. Die Ostsee ist anscheinend in unserer Hand.
19/8. Zwei schöne, hier sehr friedliche Tage, gestern und heute. Brinkmann pflückte sich gestern nachmittag einen Korb voll Reineclauden bei mir im Garten, desgleichen Hermann Kramm ein Körbchen Mirabellen. Morgens hatte ich selbst solche gepflückt. Br’s Töchterchen Erika spielte mit Herta vergnügt im Garten und Hermann fand es schließlich auch vergnüglicher mitzuspielen, als oben im Baum zu hocken. Spinat habe ich gesät, desgleichen heute vormittag Wintersalat. Viele Militärautos sausten gestern hier durch, natürlich hieß es, der Generalstab S.M., der in Lieser Quartier nehmen soll. Heute endlich mal wieder eine amtliche Depesche: Bei Stallugonen 3000 Russen gefangen und 6 Maschinengewehre erbeutet. Französische Kanonen sind in Straßburg und Saarbrücken öffentlich als Beutestücke zu sehen. Heute morgen war hier große Musterung oder Aus... aller nicht gedienten Gestellungspflichtigen. Reuter, unser schlanker blasser Aktuar wurde für leichte Kavallerie und Sekretär Laufenberg zur Infanterie für gut befunden. Ein Assessor Servais aus Ehrang, seit 2 Tagen vom Präsidenten avisiert, ist noch nicht angeturnt. Noch ist keiner unserer Häfen blockiert. Engländer scheinen sich nicht an unsere Küste zu wagen. Angeblich wird eins unserer Unterseeboote (U15) vermißt. 16 russische Schiffe, meist mit Holz beladen, sollen wir schon aufgebracht haben. Es ist gewiß etwas im Zentrum unserer Stellung, d. h. um Metz herum im Gange. Unsere Angriffsfront soll 450 km durch ganz Belgien bis Oberelsaß sein. In Belgien scheint das fixe Eniäschern von hinterhältischen Dörfern den scheußlichen Greueln guten Einhalt zu tun. Es geht diesmal gleich viel strammer zu als 1870 und das ganz mit Recht. Gestern bekam ich von Kreisarzt Dr. Lehmann eine liebe Karte aus Lüttich, freilich ohne Datum. Er ist als Stabs- und Reg.arzt bei Fuß Arl Nr. 7 (?) Ich schrieb ihm gleich wieder. Feldpostkarten bekommt man an der Post nur noch je 10 Stück.
20/8 14. Heute ist durch die Aushebung viel Leben in der Stadt. Beim Mittagessen kam eine lange Autokolonne, Frau Liell holte sich 6 hungrige Leute heraus und gab ihnen ihr Mittagessen. Sie hatten kaum Zeit und wir kamen mit unserem zu spät. Obst nahmen sie noch mit. Assessor Servais trat heute an, machte auch 12 Besuche, er hatte gern – von Ehrang stammt er – nach Trier gewollt, war ihm aber bedeutet worden, daß er unbedingt nach hier müsse. Lästig war mir eine Heimsuchung von H. T. Ich mußte in der Mittagshitze 2 Uhr hin, um Sachen herauszugeben. Helene war seit langem gestern nachm. zum erstenmal  wieder mit im Gartten. Ich sah eine Frau sich an den Brennesseln abmühen, ließ ihr meine Imkerhandschuhe, wofür sie sehr dankbar war. Es stellte sich heraus, daß ihr vom Eigentümer gestattet worden war, die Nesseln für … zu holen. Ihr Mann hatte schon am ersten Tag fort gemußt. Ich ließ sie und ihre beiden Mädchen im Garten Obst aufheben, wofür sie sehr dankbar waren. An meine Mutter schrieb ich mal langen Brief. Winkler schreibt heute aus Rammelingen in Luxemburg eine Karte.

22./ [August 1914] Nun sind die unsrigen schon in Brüssel, wo man vor zwei Wochen solche Schandtaten gegen wehrlose Deutsche verübte. Die sollen’s zu spüren bekommen! Eine halbe Milliarde soll man ihnen abnehmen. Die Engl. Haben ihre Armeen ansch. in Belgien. In Lothringen muß eine große Schlacht toben, es sollen schon riesige Massen Gefangene gemacht und Geschütze erobert sein. 2 engl. Unterseeboote hat einer unserer Kreuzer in den Grund geschossen. U 15 scheint von uns verloren an der engl. Küste. Nun wird wohl die engl. Flotte zu einem Schlage gegen unsere ausholen u. die Ostsee haben wir frei. Herr Gott, gieb uns wackeren Deutschlands Verteidigern den Sieg! Ein Gewitter steht und grollt den ganzen Tag am Graacher Berge, es kann nicht fort und kann nicht endigen. Es liegt auf aller Leute Gesichter tiefster Ernst und man wartet sehnsüchtig auf Nachrichten. Gegen die Engl. In Belgien wird mit einer Wut gekämpft werden, von der sich diese Biedermänner schwerlich eine echte Vorstellung machen. In Brüssel ist man schon recht kleinlaut und bringt freiwillig alle Waffen aufs Rathaus. Eben sind 2 Fischer am Netzeauswerfen auf der dunkelgrünblauen Mosel. Ein unheimlicher Frieden hier. Ich kaufte Kohlpflanzen und werde sie gleich in die Erde bringen. Hoffentlich haben wir bis zu ihrer Reife einen ehrenvollen Frieden in Händen! Alles in allem erscheinen uns heute die Engländer als die wahren Drahtzieher bei diesem schauerlichen Kriegsschauspiel. Hoffentlich kriegen sie’s gehörig dafür. / Beim Amt habe ich es bequemer, der Assessor ist schon zu spüren. Heute morgen machte ich neue Aufnahmen von unseren Kindern. Damit können wir unseren Großeltern etwas über die schlimmen Zeiten trösten. Gott helfe unserer Flotte! Frau Hermann aus Commern, die Butter brachte, erzählte, daß Rosa zurückkäme am 1. Sept.; sie hätten reichlich Roggen und Weizen. Mit letzerem möchte ich mich wohl versehen. Weizen wird uns zuerst mangeln, Zucker vermutlich Überfluß. Frau L’s Schwester, Frau Alff (Herta nennt sie Tante Maria) kam vorgestern abends gegen 8 hier an, nachdem sie frühmorgens nach 6 in Bonn abgefahren war! Die Reise hat si natürlich sehr angestrengt. Die letzten Tage sind hier unheimlichst dahingeschlichen. Die wenigen noch hier verbliebenen Männer haben das Bedürfnis sich gegenseitig auszusprechen und setzen sich ins Wirtshaus. Selbst Pfarrer Kr., der sowas selten oder nie tut, bekam Bierdurst und ging hin. Mir widerstrebt’s und ich bin seit Kriegsbeginn noch in keiner Wirtschaft gewesen. Dafür bin ich eifrig im Garten tätig. Gestern grub ich im Schweiße des ganzen Leibes das Feldchen um, auf dem unsere Buschbohnen so brav Früchte getragen hatten. Die Strünke grub ich als Gründünger ein. Reineclauden reifen jetzt schnell, morgen werden wir welche einmachen.Im Krankenhaus und Hehl Gassen sollen Kranke untergebracht werden. Helene nähte gestern wieder mit den Frauen. Sie machen nächstens schon Wasch-Lazarettanzüge. In all dem Weltgetümmel ist nun der Pabst gestorben. Hats irgendwie Bedeutung? Italiener begründen auch mit dem jetzt notwendigen Konklave ihre Neutralität! Wie windig! Wenn sie nur nicht gegen Österreich los gehen. Dann soll sie der Teufel holen.

23./ [August 1914] Ein herrlicher Sonntag! Endlich kann man wieder Atem holen nach der beklemmenden Stilleder letzten Tage. Hurra, hurra, hurra! Die unsrigen haben bei Metz-Dienze 2 Tage lang gekämpft und eine große Schlacht gegen die Franzosen gewonnen. Letzterer Rückzug soll in Flucht ausarten, hoffentlich haben wir soviel unverbrauchte Reserven, um sie unermüdlich zu verfolgen, zersprengen und gegen Marne und Marnekanal zu drücken. Der bair. Kronprinz Ruprecht war der Führer. Wie mag es da unseren Truppen gegangen haben! Welches Meer von Schmerz und Trauer wird darob auf beiden Seiten in Bewegung gesetzt! Und wozu das! Hoffentlich hat mein Bruder Josef, der als Pionierlt. mitten drin gewesen sein wird, sein Leben noch. Das I. Annaberger hat bei Gumbinnen den vorstoßenden Russen ein großes Gefecht geliefert, 8000 Russen gefangen, viele Geschütze erobert. Jetzt muß ein Schlag gegen die Franzosen, Belgier und Engländer bei Namur und nördlich im Gange sein. Dort sollen vorzugsweise preußische Regimenter stehen. Vor allem kriegen hoffentlich die Engländer die besten Hiebe.

Dem Ruß – einen Schuß

Dem Franzos – einen Stoß

Dem Brit – einen Tritt                  ist jetzt die Losung

 

Am schönsten und hoffentlich wahr ist die Meldung der K…ztg, daß die Österreicher im Mittelmeer 4 engl. Kreuzer in den Grund geschossen haben. Bravissimo! Hoffentlich geht’s so weiter und die Herren Italiani u. Italianissimi lernen noch rechtzeitig ein Einsehen. Die Haltung der Holländer ist korrekt. Über die Räuberei der Japaner schimpft alle sittlich noch Empfinden besitzende Welt. Ich kam mit Erkleben vom Amt, als uns Heiden anrief und ein Extrablatt der Tiefensteiner Zeitung vorwies, das er vom Hunsrück mitgebracht hatte. Dr. Lochner und Frau kamen herzu und wir lasen frohen Herzens den Bericht von dem Sieg über die Russen bei Gumbinnen. Landratsamt hat geflaggt, 12 Uhr läuteten alle Glocken.

 

24./ [August 1914] Gestern abend erlebtenwir die erste volkstümliche Siegesstimmung. Nach Tisch gingen wir über die Brücke, vor dem Kriegerdenkmal spielten bei spärlicher Papierlampenbeleuchtung die wackeren Stadtbläser und das Volk stand und ging umher. Die Wacht am Rhein hatten natürlich schon alle mitgesungen. Welch neues Lied mag dieser Krieg bringen? Die Leute waren bei aller Freude ernst und ruhig, wie ganz anders würde wohl in einem romanischen Städtchen gleicher Größe ein solcher Riesensieg gefeiert werden! Heute mittag war es schon rauschender, alle Glocken läuteten, Böller krachten, mit Blumen behängte Militärautos, überall wehten Flaggen. Ich hatteauf dem Gericht auch unsere ernste schwarzweiße ziehen lassen. Dazu eine lachende Sonne und ausrführlichere Nachrichten über die gewaltige männermordende Schlacht von 20/21 August, deren Front über 100 km von Metz bis zu den Vogesen ragte! Die Franzosen sind mit 8 Armeekorps (1/3 ihrer Streitkräfte!) auf der Flucht und schon am 23. bis LunevilleBlamont, also weit südlich über den Marnekanal zurückgedrängt. In Belgien ist der linke Flügel der Franzosen anscheinend fest umklammert und vor allem vor Antwerpen völlig abgeschnitten. Bis Maubeuge – also die ganze Maas und Sambre hinauf sind schon die unsrigen vorgedrungen und eine englische Kavalleriebrigade hat feste Hiebe auf den Buckel bekommen. Gegen diese Pappsoldaten der Engländer wird sich die Hauptwut richten. Hoffentlich bestätigt sich die österreichische Meldung von einem Flottensieg über die Engländer bei Castelnuovo, (eingefügt: nein) wo 4 englische Schiffe und nur 1 älterer Österreicher zugrunde gingen. – Mehl wird teurer, kostet jetzt 28 Pfg. Werde sehen, in Commern neuen Weizen  zu kaufen und mir einen Sack mahlen lassen. Zucker auch 28 Pfg., was ganz unsinnig ist, das wir keinen Ausfuhr von Zucker nach England mehr haben. Metzger Dahm riet uns, Fett in größeren Mengen jetzt zu nehmen, da es bald knapp werden würde. Natürlich haben die Engländer und Franzosen Lebensmittel an Contrebande erklärt. Könnte ihnen u. U. noch selbst sauer werden! Frl. Liell, die mit städt. Listen für arme Familien, deren Ernährer im Felde stehen, sammeln kam, gaben wir 20 Mark. Heute nachmittag muß ich auf Ersuchen der … Unters. In Graach eine Haussuchung machen, die Witwe K. ist – mir schon längst – der Steuerhinterziehung dringend verdächtig. So gehen die Geschäfte weiter ihren Gang. Ich half fleißig bei Zubereitung von Mirabellen- und Reineclaudenmarmelade, machte auch ein 2-l-Glas voll Reineclauden ein. Wir aßen von unserem neulich selbst eingelegten Sauerkohl eigenen Wachstums und er schmeckte uns vorzüglich. Die Verlustlisten weisen bei etlichen Infaterie Regimentern bös lange Reihen auf. Herr Gott schütze unsere Soldaten! Ich meine, selbst diekühlberechnenden Engländer haben eine derart schnelle Abwicklung des Auf- und Vormarsches nicht erwartet. In Lüttich ist schon alles friedlich unter deutscher Militärverwaltung. Das bleibt unser!

Die großmäuligen Engländer, die von einer Ersatzarmee von 500 000 (!!!) Mann orakelten, haben ganze 2000 Mann aufgebracht.

 

25/ [August 1914] Wieder ein Schritt weiter. Namur ist bis auf etliche Forts gefallen. Es geht allgemein die Sage von verschiedenen neuen Kruppschen Geschützen schwersten Kalibers, die noch von Kruppschen Ingenieuren bedient würden und eine ganz fürchterliche Wirkung beim Beschießen der Forts entwickeln sollen. Meterdicke Betonwände sollen sie wie Glasflaschen zersplittern und die Besatzung im Handumdrehen unter den Trümmern begraben. Diese seien bei der Erstürmung Lüttichs erst gegen Schluß aufgetreten und hätten derart gründliche Arbeit getan, daß die Beschossenen kaum mehr Zeit fanden, die weiße Fahne zu ziehen. Ob amtlich in Belgien jetzt auch noch immer weiter gesiegt wird? Ich denke jetzt oft an meinen Vater, der 66 und 70 mitmachte, in vielen Gefechten in harter Lebensgefahr war, schließlich am Typhus zusammenbrach und krank nach Hause kam. Er sprach nicht oft von den Feldzügen, geriet aber, einmal damit angefangen, in hellen Eifer und tiefe Begeisterung. Nun ist er schon 7 Jahre tot und trotz aller Unruhe und Aufregung, die er jetzt ausstände, möchte ich ihm doch gönnen, daß er das noch erlebt hätte. Von seinen Söhnen stehen 2 im Feld und das würde ihm eine große Freude sein. Ohm, der ja 64 – 70 mitmachte, soll sehr angegriffen sein, vor allem kein Wunder, denn er hat gräßliche Szenen erlebt, namentlich auf dem Schlachtfeld bei Königgrätz.

Um 11 begegnete mir unser Polizist und sagte mir, falls wir Eier überflüssig hätten, sollten wir sie schnell zum Rathaus bringen, ½ 12 käme ein Schiff mit Verwundeten. Helene machte gleich Rauchfleischbutterbrote, Eier, Zigarren, Roisdorfer Wasser und Himbeersaft mobil und wir zogen in der Mittagshitze los. Auf der Brücke wurde uns schon bedeutet, heute nachmittag kämen noch mehr, und, was ich gleich vermutet, bestätigte sich: Ganz Bernkastel drängte sich zur Landungsbrücke, wir wären gar nicht mehr hin und noch viel weniger ran gekommen, sahen daher allem nur von weitem zu und schleppten unseren Korb wieder zurück. Viele betrachten dergleichen nur als Schauspiel und denken nicht dran was mitzubringen. Endlich, endlich – und jetzt natürlich mit überstürzter Eile denkt man ans Herrichten eines Lazaretts. Ich konnte schon seit 1 ½ Wochen 4, schließlich auch 6 Männer bei mir unterbringen.

Gegen 5 bin ich bei schwüler Hitze am Plücken der dicken blauen Pflaumen, als das Kinderfräulein voll Aufregung gestürzt kommt: Hinten kommen Schiffe mit Verwundeten. Schnell eile ich auf die Terrasse. Brücke und Gestade sind schwarz voll Menschen, ein Moseldampfer mit dahinter gehängtem Kahn, alles mit z. T. recht lebendigen Verwundeten treibt mit halber Fahrt herunter, von beiden Seiten hängt sich je ein Kahn zu, aus dem eifrigst Liebesgaben herüber gereicht werden. Die Leute liegen und stehen umher, alle in feldgrau, die ersten Soldaten in größerer Menge, die ich in diesem Völkerkriege sah. Alles Verwundete. Es ergriff mich so, dass ich an mich halten mußte, um nicht laut aufzuschluchzen. Ich nahm den Hut ab und winkte. Viele hatten den li. Arm in Binde. Langsam glitten die Schiffe die tiefdunkelgraublaue Mosel hinab, farbig wehten die Flaggen mit rotem Kreuz auf weißem Grund. Ohne anzuhalten konnten sie so gut Erfrischungen überholen. Das rheinische Motorboot schleppte nachher die Kähne wieder zur Stadt hinauf. Ich werde das so bald nicht vergessen! So Gott will siegen wir, zum mindesten über Frankreich. Dann aber wehe den Besiegten! Für unseren Frieden muß Frankreich zu einer Macht II. Ranges endgültig herabgedrückt werden. Da hilft keine Schonung mehr! Daß den Russen die polnischen Gebietsteile verloren gehen werden, ist auch wohl ziemlich sicher.

 

26/8. 14 Mittwoch. In Ostpreußen dringen die Russen vor und werden einstweilen hereingelassen. Es ist bedrückend, zumal wenn man an die bemitleidenswerten Einwohner denkt. Im Westen geht anscheinend alles gut vorwärts. Lüttich soll mit 50, Brüssel mit 200 Mill. Kriegsschatzung bedacht sein. Die Kölnische Volkszeitung bringt 2 Bilder, die die grauenhafte Zerstörung unserer 42 cm Haubitzen zeigen. Im lothringischen Saarburg sind die Franzosen etliche Tage gewesen und in den von Einheimischen ihnen gezeigten Wohnungen unserer Beamten und Offiziere alles und jedes demoliert, Offiziere sollen sich dabei beteiligt haben! Wenig schön! Es ist heute wieder ein drückend schwülheißer Tag. Helene bestellte in Köln 3 Dtzd Handtücher, um sie hier zur Verwundetenpflege zu geben. Frau v. Nasse fand ich heute an ihrer Türe im Arbeitskleid eifrig dabei beschäftigt, Leinen und Bettzeug, das ihr ein alter Bauer von einem Leiterwagen reichte, hereinzubringen. Die Hunsrücksbauern bewähren sich aufs beste, geben freiwillig alls her. Der reiche Zach B. in Wehlen dagegen soll – 60 M für das rote Kreuz gegeben haben! Helene berichtete gestern, mit welcher Begeisterung bei der Durchfahrt unter der Brücke die Verwundeten einigen der ganz oben stehende Offiziere begrüßt und wie diese ihnen zugejubelt haben. Famos das! Der Eisenbahnverkehr für Lebensmittel ist wieder auf. Es fing an, etliches knapp zu werden. Dr. Wolf schrieb mir heute, möchte auch Obst geschickt haben. Ich werde ihm gleich morgen Reineclauden schicken.

27/ [August 1914] feucht und regnerisch, dabei wieder eine bedrückende Schwüle in der Luft, es muß nahe daran sein, daß auch im Ostpreußischen eine Entscheidung fällt. Österreicher in Polen anscheinend siegreich. Ob Tsingtau n och existiert? Fürs rote Kreuz gab ich 25 M, für Cueser Bedurft. hatten wir 20 gegeben. Helene hat sich eine arme Familie Hoffmann dort gefunden und will sich ihrer besonders annehmen. Mann im Krieg, alter arbeitsunfähiger Vater, kleines Kind, 2 Kinder müssen im Bett liegen, weil sie keine Schuhe haben. Helene hat sich die Frau mal gleich bestellt. Körbchen Reineclauden an Wolf per Post geschickt. Man hört seit einigen Tagen stetes Knallen, am Schützenplatz scheinen sich welche einzuschießen.

Freitag, 28. [August 1914] Es wird wieder schön, hell und heiß. Eine lange schwerverständliche Depesche angeschlagen, in der von allgemeinem Vorgehen unserer ganzen Westfront die Rede ist. Armee des deutschen Kronprinzen, bair. Kronprinzen, Prinzen von Württemberg, v. Gluck und was weiß ich. Vor allem die Engländer haben mal wieder Hiebe bekommen. In Cöln kamen schon welche als Gefangene durch – all right! Daß man sie nur im einzelnen recht eng zusammen mit ihren Bundesgenossen zusammen legt, z. B. immer 1 Engl, 2 Russen, 1 Belgier, 2 Senegalneger und einen Berber ins gleiche Loch. Das ist dann für Tommy recht erhebend und für die Anwerbung der neuen 500000 Mann in Old-England sehr erbaulich. 2000 haben sie schon, 498000 fehlen noch. Im Hospital ist  nun ein Lazarett eingerichtet. Heute oder morgen sollen Verwundete kommen. Die Braven! Allmählich kommen auch Vormüänder und Eltern, die Mündelgeld haben wollen. Natürlich wird da scharf zugesehen. Ob wohl in Deutschland schon mal soviel wie in diesem Jahre, eingemacht worden ist? Der Zucker müßte nur billiger sein. Helene geht heute wieder nähen. Hoffentlich werden die 200 Hemden rechtzeitig fertig. – Es war recht zu tun auf dem Amt. Alle Beamten fand ich an der Kasse um eine große Kriegskarte versammelt, die Aktuar Reuter beschafft hatte und auf der namentlich der doppelte Festungsgürtel der franz. Ostgrenze schön zu sehen war. An Hand der Karte wurde das lange Telegramm von den großen Strategen sachverständig erläutert. Leider hatte ich keine Zeit, lange zuzuhören und kam nachher auch nicht dazu, eine Karte meines Assistenten Brinkmann zu lesen, der schon im belg. Luxemburg ist und sich vermutlich die Gegend dort gut ansieht, ob sie für ihn als künftigen Gerichtssekretär paßt. Ich hätte auch Lust, zur Zivil- oder Justizverwaltung nach dort zu gehen. Verwaltungschef und vorl. Excellenz ist der erste Bonner v. Sandt, Carl Trimborn u. a. helfen ihm. Die Zeitungen in Belgien erscheinen schon Deutsch. Na, das geht alles wie am Schnürchen. Die Belgier sind in Antwerpen eingeschlossen, ein Ausfall soll bereits scharf zurückgeschlagen. Die 42-cm-Brummer werden wohl auch bald aufspielen, hoffentlich schneiden wir den Ausgang nach der Unterschelde rechtzeitig ab. Was werden unsere Truppen in Belgien an Märschen zu leisten haben. Seltsam berührt es mich, daß die Unsrigen schon dort auf französ. Boden sind, wo ich solchen zum einzigen Mal betreten habe. Bei einem Ausflug von Kortryk oder Coutrai aus. Unser Teekännchen stammt noch daher.

Samstag, 29/ [August 1914] Als ich gestern nachmittags mit den Kindern und Pfarrer Suse in Ullrich im Garten beschäftigt, ertönten Böllerschüsse. Aha! dachte, mal wieder was Neues! Zu Hause war ich zunächst freudigst überrascht von neuen Karten vom 23.8. von Josef. Er liegt auf Schloss ___ bei Anguy in der Nähe von Metz. Die letzten französischen Gewehrmodelle seien billig im Kurs, zu 4 – 5 M verkaufen unsere Infanteristen diese ihre Beutestücke. Ich schrieb ihm gleich einen Brief mit der Bitte, mir eine solche Knarre zu beschaffen, sandte Feldpostkarten mit, auch letzten Bonner General-Anzeiger. Erfreuliche Depesche: Engländer und Franzosen sehr gründlich verhauen von unserem Kronprinzen und in voller Flucht auf St. Quentin los. Bravo! Heute an Brücke angeschlagen: Stärkstes Sperrfort bei Luneville bereits gefallen. Man ist förmlich betäubt und verwirrt von der reichen Fülle der immerfort sausenden Schläge. Zeppelin nachts bereits über Antwerpen, Bomben geworfen. Die 42er Mörser, tatsächlich noch von Kruppschen Ingenieuren bedient, schießen aus ganz verdeckter Stellung mit Steilschuß. Das Geschoß durchschlägt Panzerkuppel und 5 m dicke Betonmauern, platzt dann und erzeugt Wirkungen wie eine kleine Vulkanexplosion. In Lüttich mit 2 Schuß ein Fort mit 500 Mann bis auf einen kleinen Kasemattengang in ein grausiges Trümmerfeld verwandelt, dessen Leichen nicht zu bergen sind. Diesem „Gerät“ so heißt die Mordmaschine, widersteht wohl kein Fort mehr. Gerüchte: Der englische Generalstab sei abgefaßt; nur etliche lästeige Fresser mehr hier. Heute mittag standen 5 kleinere Autos des kgl. Marstalls vor Gassen, alle Leuten sahen vorzüglich aus, sehr einfach, aber „däftig“ und vornehm. Über Majestäts Aufenthalt sind tolle Gerüchte, bald Coblenz, bald Hamburg (wohin sich die Kaiserin begeben hat) bald Schloß Liesen (?) u.s.w. Diese Nacht hörte ich im Schlafe ein Auto in äußerst scharfer Fahrt mit hellem Signal vorbeisausen und dachte:Der Kaiser!, schlief aber ruhig weiter. Die Fahnen sind heute wieder heraus und am Amt habe ich sie auch gleich ziehen lassen. Auf Insel Ordenholm ist S. M. kl. Kreuzer Magdeburg ausgelaufen und, da große feindliche Schiffe kamen, in die Luft gesprengt worden. Ein aus den Tropen heimkehrendes Schiff, welches? – ist durch den Kanal und die englische Flotte durchgebrochen. | Haben wir erst Antwerpen und die ganze belgische Nordküste bis Dünkirchen, dann heidi, ihr englischen Vettern, dann werden Zeppelinchen auch auf die kühlen Köpfe pfeffern. Ein Zeppelin soll schon tief in Frankreich gewesen sein. Leider noch keine Nachrichten aus Ostpreußen. Wir vertrauen auch dort fest auf unsere Waffen und unseren Gott, der Eisen wachsen ließ und keine Knechte wollte. Heute morgen haben wir zu Hause wieder stramm gearbeitet. Zahlreiche Marmeladentöpfe revidiert, 3 Dutzend Handtücher zugeschnitten, Sachen von Mama ausgepackt u.s.w. Brinckmann und Bollig schreiben als Feldwebel und Leutnant aus Bastogne im südl. Belgien: Wimmelt dort von Militär Meuchelmördern. Diese widerwärtige Schießerei wird immer noch in Belgien fortgesetzt, so jetzt wieder in Löwen. Sofort wird alles verbrannt. Morgen wird’s gewiß einen Siegessonntag geben. Wetter bei schwüler Hitze prächtig! Alles Gemüse gedeiht zusehens.

Sonntag, 30 [August 1914] An Rein einen recht ausführlichen Brief mit erquickender (?) Offenheit geschrieben. Sehr warmer schwüler Tag. Stadt Löwen, deren von Gott und dem gesunden Menschenverstand verlassene Einwohner auf die dort bei einem Vormarsch der Haupttruppen (die einen Vorstoß aus Antwerpen siegreich zurückwiesen) hinterrücks schossen, ist nach mörderischem Einzelkampf dem Erdboden gleich gemacht worden. 2000 Obdachlose kamen bereits von dort nach Cöln und wurden – in der Verstellung untergebracht. Wie mag das prächtige Stadthuis aussehen. Mit welcher Andacht habe ich es mir des öfteren bei einem Glase bitteren Bieres von einer Kneipe gegenüber in allen Einzelheiten seiner Fassade besehen. Diese war mir aus dem jahrelangen Ansehen eines Schulbildes so wohl vertraut. Es heißt, die Stadt sei ganz vernichtet, nun hinterher wird doch wohl noch ein Brocken davon stehen. Es muß furchtbar gewesen sein. Um 5 Uhr nachm. besuchten besuchten Helene und ich mal Frau Brinckmann, deren Mann bei Sicherung der südbelg. Etappenlinien ja auch solchen Meuchelmördern ausgesetzt ist. Hoffentlich ist Löwen das letzte warnende Beispiel. Heute mittag kamen Verwundete ins Hospital, und dort ist jetzt an zwei Seiten die rote Kreuz-Fahne herausgesteckt. Wir sitzen jetzt mit Kindern im Garten, schreiben oben auf der Terrasse und können’s kaum ausdenken, daß ein Weltkrieg tobt. Gestern abend las ich auf dem Heimweg eine mir sehr zu Herzen gehendeAnschlage: Unsere Truppen haben in Ostpreußen Zeischen, Gilgenberg und Örtelsburg 5 russ. Armeekorps und 2 Kavallerie Brigaden nach 3tägigem, sicher mörderischem Kampfe geschlagen und südlich über die Grenze geworfen. Das gleiche hatten im Süden bei Krasnik die Österreicher schon getan und die Russen auf Lublin geworfen. Jetzt wird wohl von drei Seiten aus auf Warschau zu marschiert werden. Die Österreicher sind vielleicht schon wieder in einem furchtbaren Kampfe. Die armen Ostpreußen sind uns die letzten Tage arg ans Herz gewachsen und die hier im Rheinland früher vielfach übliche Wendung „der Ostpreuß“ (womit man das Muster eines etwas überschneidigen und scharfkantigen Preußen bezeichnen wollte) auch wohl „hungriger Preuß“ ist wohl ausgestorben. Ich bin sicher, das für das von den Russen hart mitgenommene Landvolk Ostpreußens wird reichlich gerade auch hier vom Westen aus unterstützt werden. Mit wahrer Betrübnis las ich heute eine nicht amtliche aber am Ende leider doch wahre Nachricht vom Verlust S. M. Schiff Ariadne und des Torpedobootes V 185 bei Helgoland. Ehre den wackeren Schiffen. Hoffenlich haben sie den Engländern was ordentliches angetan. Über Antwerpen hat ein nächtllich aufgetauchter Zeppelin Bomben geworfen und damit Brand und große Aufregung, auch in London (!) hervorgerufen. Ja, ihr engl. Füchse, der wird Euch schon in Euren sonst so wohlabgeschlossenen Malepartus fahren und Euch dort die Luft ein wenig dicker machen. Wenn wir erst die belgische Küste fest in Händen haben, wird das Spielchen wohl beginnen. Alle Welt soll bluten, Krieg führen und sich zerfleischen, damit man in England bequem Gelegenheit zu konkurrenzlosem Handel hat, ohne sich selbst irgendwie weh zu tun. Eine hübsche Photographie des verflossenen Premiers Chamberlain mit Sohn und Enkelchen brachte mir so recht zum Bewußtsein, in welcher ungestörten Ruhe dieses Volk schon seit Jahrzehnten sitzt und andere Kriege führen läßt. Hoffentlich geht’s diesmal anders. Kommen unsere Soldaten nach London, so gebe ich meine sauer ersparten 1000 M und freue mich noch von Herzen dabei. In Deutschland herrscht die größte Freude über die Hiebe, die die Engländer bekommen haben, und den Baiern tut es sehr leid, daß sie nicht mit dabei waren.

31. [August 1914] Wieder ein prächtiger leuchtender Sommertag. In blendender Sonne fährt eben ein Moseldampfer mit 2 großen Kähnen im Anhang stromauf, im Winde wehen die Flaggen mit dem roten Kreuz, von Preußen, von Deutschland. Mist. Verwundete werden sie wieder stromab fahren. Wieviel Wunden schlägt der Krieg! Die Nachricht vom Verlust 4 kleinerer Kreuzer bestätigt sich. Dafür sind die Engländer bei St. Quentin hübsch in der Klemme, von der Stadt, hoffentlich auch bald von der See abgeschnitten. Wir haben wohl schon die belgische Küste in der Hand. Die Verwundeten, die gestern abend spät in der Dunkelheit hier ausgeschifft wurden, damit sie eine Nacht in gutes Quartier kamen, hatten mörderische Kämpfe bei Sedan gefochten und das schon am Donnerstag! Ob da nicht bis übermorgen, dem denkwürdigen 2. September noch etwas passiert und ein neuer „Sedantag“ gefeiert wird? Die Leute waren meist leicht verwundet, manche humpelten arg, ich nahm still den Hut ab und bedauerte, daß wir keinen mit nach Hause nehmen konnten. Denn sie sollten auf der rechten Moselseite bleiben, damit sie heute früh (7 Uhr) wieder weiterfahren könnten. Etliche trug man auf Bahren zum Krankenhaus. Notar Astor trug fleißig mit. Als ich heute morgen auf dem Amt die Post öffne, höre ich den Gerichtsdiener etwas von „Russen“ rufen. Reuter hatte dann auch bald die neue Depesche, nach der 30 000 Russen bei Dannenberg- Ortelsburg gefangen genommen seien. Die Kerle werden uns noch die Haare vom Kopfe fressen. In Petersburg räumt man schon aus. Gar putzig lesen sich die Nachrichten über das allmähliche Eingestehen auf franösischer und englischer Seite. Wie klar und glatt gaben wir dagegen unsere Verluste zu. Verlustlisten werden nur bei uns veröffentlicht. Unsere Leute scheinen in Frankreich scharf vorzumarschieren. Der Zusammenbruch dort ist anscheinend schneller und wuchtiger als 1870. Paris bereitet sich schon auf die Belagerung vor. In Tsingtau wird auch schon alles auf die Beschießung durch die schnöden Japs eingerichtet. Denen solls aber später nochmal vergolten werden! Wartet nur, ihr gelben Straßenräuber, wir wollen Eurer gelegentlich gedenken. Die Türkei mobilisiert augenscheinlich gegen Rußland. | Frau Liell ist nach Trier, um von Karl Abschied zu nehmen. Erst hieß es, sie sollten gleich nach dem russischen Kriegschauplatz. Man hatte doch ein eigenes Gefühl bei dem Gedanken, in das wüste Land dort zu müssen. Natürlich marschiert man hier lieber ins schöne Frankreich hinein. Sind wir selbst hier doch alles Franken, wenn freilich auch keine Franzosen. Diese haben, der Reim bringt einen drauf, immer noch ihre roten Hosen und die feldgrüne Uniform.

Sie hatten ´nen Kameraden

der kam aus Engeland

der meint er könnte reiten

und wollt mir Deutsche streiten

da lag er schon um Sand

 

Er dacht, ich hab ja Beine,

die lang zum Laufen sind.

Mit einigen festen Tritten

Gefangen nahm den Briten

Ein deutsch Soldatenkind.

 

Nun sitzt er auf der Heiden

Und raucht und trinkt nicht mehr

Bei Negern und Kosacken

Tun ihn die Läuse placken

Nach heim sehnt er sich sehr.

 

Das Hauptquartier mit dem Kaiser scheint in Koblenz zu sein. Mit der Kaiserin hat er sich auf dem Schlosse des Frh vom Stein in Nassau getroffen. Er war gewiß schon mal an der Front und ist vielleicht bei uns vorbei gesaust. Der Kaiser hurrha!

 

1. Sept. 1914. Ein Monat ist seit Beginn des Kriegszustandes herum und welche Siege haben unsere braven Truppen schon erfochten! Ehre und Lob ihnen allen, Wir wollen es nie vergessen. Wie wundervoll leuchtet heute wieder die Sonne und welcher Frieden liegt über allem. Ganz idyllisch sieht das Hospital aus mit dem jetzt mehr belebten Hof, auf dem man Verwundetet hier und da zusammenstehen sieht. Auf der Post hörte ich, daß weitere riesige Massen Russen im südlichen Ostpreußen gefangen wurden. Man sprach von insgesamt 60000. Als ich nach Tisch eben zum Garten gehe, ist bei Heiden gegenüber ein neuer Anschlag: Auf der ganzen Westfront geht es gut voran. Eine Feste Montmedy ist gefallen, nachdem man Befehlshaber und Besatzung bei einem Ausfall gefaßt hat. In Cöln haben sich nächtlich dort zusammengetriebene Gefangene belg., engl. und französ. Truppen auf dem Bahnhof verprügelt! Nette Bundesbrüder das! Die Verluste unserer Flotte bei Helgoland waren anscheinend nicht ohne Erfolg: Der Vorstoß der engl. Flotte ist nicht geglückt, die großen Kampfschiffe der Engländer gingen zurück. Auf dem Amt ist es ziemlich ruhig. Frau Winckler kommt nächste Woche wegen Schulbeginn der Kinder von Kreuznach zurück. Ich besorgte nötige Zahlungen heute morgen und freute mich, daß es wieder 1-l-Gläser zum Einmachen giebt. Mama sandte 2 Körbchen mit schönen Bohnen, die werden nun morgen wieder eingemacht werden müssen. Durch das Herabfallen der Früchte darauf aufmerksam gemacht, bemerkte ich gestern nachmittag, daß ein großer Pfirsichbaum mit apfeldicken prächtigen Früchten z. T. schon reif und faul war. Schnell wurde ein Postkörbchen für Dr. W., den Gartenbesitzer gepflückt und 3 weitere, von denen ich heute welche einmachte. Den Rest sollen die Soldaten im Hospital bekommen. 3 Dtzd. Handtücher sind fertig, werden heute ausgewaschen und gemangelt und dann hingeschafft. Bezahlt sind sie auch schon. Den Eltern in Hersel schrieben wir heute 2 Karten mit neuen Bildern der Kinder, die ich gestern abgezogen hatte. Die werden gewiß ihre Freude daran haben. Morgen, auf Sedantag, ist die Wiederkehr ihrer Hochzeit von anno 77. Sie haben in den 37 Jahren auch schon allerhand miteinander erlebt. | Die größte Freude empfand ich heute mittag über die Nachricht, daß die Russen auch nördlich aus Ostpreußen ausgerückt seien. Ob ganz Ostpreußen wieder frei von ihnen ist? In Tilsit sollen sie sich noch leidlich benommen haben. | Auch an Frl. Thelen sandte ich Karte mit einem hübschen Bildchen von Marianne mit ihrer Mutter zum Geburtstag. Ihre Neffen, die Rheinbabens, sind gewiß auch im Felde. Die Verschen von S. 57 sandte ich gestern abend auf einem Zettelchen an die Br. Ztg., vielleicht dass sie’s abdruckt und sich noch etwas daran ergötzt. | Als ich heute nach Tisch die neu angeschlagene Depesche las, stand ein Verwundeter neben mir und erklärte sachverständig, das sind erst die genauen Ergebnisse der Schlacht um Gilgenberg etc., das ließ sich erst noch nicht übersehen, wieviele Gefangene dort gemacht wurden. Wir machten auch viele Gefangene und wußten nicht, wieviele es schließlich waren.

3. Sept. Der gestrige Sedantag wurde hier nicht, desto mehr aber in großen Städten gefeiert. Natürlich haben unsere braven Truppen an diesem denkwürdigen Tage wieder harte und siegreiche Arbeit geliefert. Eine Depesche besagt darüber heute morgen, daß im Zentrum 10 franz. Armeekorps zwischen Verdun und Reims geworfen wurden. Unser Kaiser war mit im Gefecht. Über Paris erschien Lt. v. Hiddessen als erster deutscher Flieger. Telegr. Verbindung Paris London haben wir abgeschnitten. Brav. Pariser bringen Geld weg und wollen Regierung nach Lyon verlegen. | Der Sieg des Generaloberst von Hindenburg bei Gilgenberg-Ortesburg erscheint als das strategische Meisterstück bisher. 70000 Russen 300 Off. 2 komm. Generäle, gesamtes Geschützmaterial (400 – 500 St.) erobert in offener Feldschlacht. Nur 1 ½ russ. Armeekorps konnten sich durch die Flucht retten. In Südpolen und Galizien kämpfen die Österreicher einen Riesenkampf schon seit 10 Tagen, der trotz unerhörter Anstrengung auf dem östl. rechten Flügel anscheinend nicht recht vorwärts kommt. | Wundervoller Sommertag. Meine Mutter sandte uns Karte mit Nachrichten von Johannes, der viel zu tun hat und wohlauf sei. Ort verrät er nicht. Ansch. Belgien oder Frankreich. Josef geht es auf Schloß Grozieult bei Augny südl. Metz so gut, daß er von ungewohntem Caviar- und Sektgenuß krank wurde. Schloß gehört einem in Gefangenschaft geratenen französ. Offizier. Ein D. Hennes, Sohn einer (räch Bäsje) Cousine von Papa, ist mit ihm dort zusammen. Auch schrieb er mir gestern Karte, in der er Briefempfang bestätigte. Heute früh kam beim Amt Mitteilung, daß Kriegsgerichtsrat R. ab 1.8.14.    monatlich 830 (!) M bezieht; da bleibt nach Abzug von 7/10 kein Zivilgehalt mehr übrig. Hoffentlich bezahlt er damit dringende Verbindlichkeiten. Vorgestern abend besuchte uns Pfarrer Kramm, ich war gerade ein 2-Liter-Glas mit halbierten Reineclauden am Einmachen. Wir folgten seiner Einladung und kamen abends nach Tisch zu ihnen, wo wir uns trefflichst unterhielten. Er hatte große Ansichten deutscher Schiffe dort, auch waren zufällig die beiden verlorenen Kl. Kreuzer Magdeburg und U 15 zusammen abgebildet. Ich erfuhr da manches über Aufstellung und Kampfart der Flotte. Engl. Vorstoß ist danach bei Helgoland zurückgewiesen. | Gestern nachmittag waren 4 unserer Verwundeten hier im Garten, saßen fröhlich auf der Brücke und Herta brachte ihnen dicke saftige und etwas angefaulte Pfirsiche, die ich ihnen zurechtmachte. Sie sind im Hospital sehr zufrieden. Meist Inf. Rg. 46, Reserve. Einer aus Herten [?] anderer aus Posen. Dieser war schon etliche Zeit über polnische Grenze, dann hier mit Kromprinzenarmee durch Luxemburg und auf französ. Gebiet verwundet. | Die französ. Sperrforts fallen jetzt eins nach dem anderen. Manonvillers, jetzt Givet u. s. f. Gegen mächtigen Schwermörsergerät schützen weder dickste Panzerungen noch Betonauflagen, vielmehr wird gerade dadurch die Sprengwirkung vergrößert und die Besatzung ist meist nach dem zweiten Schuß (aus verdeckter Stellung auf 12 km Entfernung) eine Beute des Todes. Meist verbrennt sie wohl. Jedenfalls sind diese Forts damit überständig geworden und die Besatzung täte besser, hinauszugehen und im Feld ihr Glück zu versuchen. Augenscheinlich werden diese Befastigungen auch ruhig liegen gelassen, man marschiert vorbei und hinterher die Mörserbatterie sie in Grund und Boden. | Nächste Woche fangen die Schulen wieder an. Für die Eltern größerer Kinder eine wahre Erlösung, denn der Krieg bringt die Jugend aus Rand und Band. Frau W. wird auch mit den Kindern von Kreuznach zurückkommen und uns wohl manche sehr überflüssige Unruhe bringen. Herta aber wird sich freuen, wenn sie wieder jemand hat, mit dem sie im Garten tollen kann. | Die Bienen fliegen mit großem Eifer bei dem schönen Sonnenwetter und holen sich namentlich von aufgeplatzten Obst reichlich Säfte. Gestern war großer Bohnen-einmachens-schluß. Zwei Postkörbchen von Mutter R[eitmeister] in Hersel wurden verarbeitet. Heute waren bereits Gläser zu 1 l nicht mehr zu haben. 400 St. waren sofort abgesetzt. Der Verproviantierungsgedanke scheint jetzt ganz allgemein geworden zu sein.

4. Sept. Heute morgen legte unser Bürgermeister bei der kleinen Schöffensitzung eine neue Depesche vor: Wieder eine dem Laien ohne genauen Überblick an Hand der Karte nicht leicht verständliche Mitteilung über siegreiches Vorrücken unserer Westfront. Die nördl. Befestigungen, Maubeuge ausgenommen, sind gefallen. Eine Reihe Forts hat sich ohne Kämpfe ergeben, was man angesichts der „Mörser“-Geräte ihnen nicht verdenken kann. Die Kavallerie der meisten gegen Norden stehenden Armee v. Gluck streift schon vor Paris. Es scheint, dass man französ. Armee von Paris abschneiden und nördlich, bei Reims herum einkesseln will. Glück zu! Die in Ostpreußen gefangenen Russen vermehren sich stärker als Blattläuse, durchschnittlich um 10000 St. per Tag. Heute wurden amtl. 90000 M gemeldet. Auch immer mehr Geschütze kommen aus den Sumpf- und Seengebieten heraus. Nach russ. Meldung ist einer ihrer Generäle dort gefallen. Ein endloser Riesenkampf in Südpolen scheint den Österreichern den Sieg zu bringen, ob freilich auch auf dem östlichen Flügel, ist noch fraglich. Gerüchtweise heißt es, daß von unseren Truppen wieder welche von Westen nach Osten gebracht wurden. – JR Trimborn ist Referent bei Justizwesen in Belgien und hat einen Assessor Spengler als Assisstenten. Beim Reichsamt des Innern kann man sich melden. Ob ich mich da nicht bald melde? Helene brachte mir gestern nachm. 2 Nachr. von Freund Sondag mit in den Garten. Vor allem schreibt er, daß nach einem mörderischen Nachgefecht am 24. gegen feindl. Übermacht sie mit starkem Verlust (40% der Offiziere u. 20% der Leute) ein Dorf gestürmt und eine wichtige Position genommen hätten. Erstes Gefecht der 160er!, ob Martin und Walter Grh.auch noch heil sind? Ich antwortete ihm gleich und sandte auch neueste Zeitungen. Seit 14 Tagen ist er 2 x im Bett gewesen. Müssen die marschieren! Ich komme mir halb wie ein Landesverräter vor, daß ich da nicht mit dabei bin. Nachts träume ich oft davon, ich könnte fliegen und würfe gewaltige Sprengladungen auf engl. Panzerschiffe herunter, die dann krachend auseinanderbersten. Namentlich ein großes Schiff Nottingham oder so ähnlich, das mir aus dem noch nicht allzu lange erfolgten Kieler Besuch mir aus einer Abbildung mit dem Zeppelin darüber bekannt ist, taucht in diesen Phantasien stets wieder auf. Wieviel Tausende mögen jetzt ähnliche Vorstellungen haben. | Die deutschen Flieger über Paris wehren sich und pfeffern ordentlich mit Bomben. Hoffentlich treffen die bald mal den Eiffelturm gründlich, dann hört das drahtlose Depeschieren auf. | Oft ist es einem wie ein toller Traum, daß ein solcher Völkerkrieg tobt. Die schönen, langsam in tiefere Herbstfarben übergehenden, sonnenstrahlen stillen und freidlichen Tage hier lassen einem oft die Welt als ganz friedlich erscheinen und erst der stets einem zu Herzen gehende Anblick eines dahin sich schleppenden Verwundeten im feldgrauen Rock mahnt an die Wirklichkeit. Der Kaiser war am Sedantag bei seinen Truppen im Gefecht. Wenn einer den Krieg nicht gewollt hat, so war er es sicher; aber was vermag ein einzelner? Mit den Kuhfuhrwerken bringen die Leute bei prächtigstem Wetter ihr Grummetheu ein. Alles an Feld- und Obstfrüchten ist so reichlich, als ob uns unser Herrgott ganz besonders damit für dieses Jahr hätte bedenken wollen. Und da meinen die ganz und gar verblendeten Engländer, sie könnten uns durch Sperrung der Überseezufuhr aushungern! Belgien muß jetzt hart heran zur Versorgung unserer Truppen, eine gerechte Strafe für den unglaublichen, sicher behördlich organisierten Meuchelmord, der völlig nutzlos, unsere Truppen zur Raserei bringt. | Die jungen Mädchen hier betätigen sich jetzt eifrig im Lazarett bei der Pflege der Verwundeten, Einmachen, Besorgungen für Küche u. s. w. Erst gings nicht ganz ohne die unumgänglichen, mich stets sehr erheiternden Kleinstadtkomödienszenen ab: Ein Frl. W(ehr) hatte in Erwartung auch zu anderen Diensten genommen zu werden, gewaltige Mengen Kartoffeln geschält und Gemüse geputzt, was sie zu Haus gewiß noch nie getan hat, dann hieß es, zur Pflege können Sie nicht zugelassen werden, weil sie nicht auf „der Liste“ stände, darob Geschrei wegen der Liste und Feststellung, daß diese durchweg nur Töchter von Stadtverordneten aufwies. Hierauf „Berichtigung“ der Liste. Bitte an Frl. W., Ablehnung, sie müsse jetzt nähen gehen u. s. w. Der Rektor hospitalis hält dafür, daß die jetzt üblichen und bei der Wärme lobenswerten Halsausschnitte der Mädchen auf die Männer zu anreizend wirken und kontorlliert daher die Geschlossenheit der Gänsehälse. Darüber, daß selbst solche von 19 – 20 Jahren den Leuten beim An- und Auskleiden helfen, schienen weniger Bedenken zu herrschen, anderswo hat man dafür die vernünftige Altersgrenze von 25 Jahren festgestellt. Kurz, stets giebt es Pläsierlichkeiten so nebenbei. Wenn mal die erste Neulust vorbei ist, und die Sache sich ernstlich in die Länge zieht, wird man sehen, wem es bei diesen Arbeiten auch wirklich und nur sachlich Ernst ist. Vor diesen dann alle Achtung! Einstweilen ist aber noch mancherlei Spreu dabei.

5./9.14. Heute marschierte ich ½ 8 mit Sekretär nach Graach zu einer Haussuchung wegen Diebesgeschichte – die unruhigen Zeiten haben einen Jungen verleitet, sich ein Rad zu kaufen und dazu Geld zu mausen. – Auf dem Rückweg ruft mir Rektor Becker auf dem Gestade, mit einem roten Extrablatt bewaffnet zu: Reims ist unser. Schön, denke ich, und lese mit froher Verwunderung für mich im Stillen, an jener zwischen Amtsgericht und Kreishaus gelegenen Anschlagstelle, wo ich bisher noch alle Anschläge für mich allein genießen konnte. Reims hat sich ohne Kampf ergeben, gewiß eine Folge unserer „Brummer“ wie jetzt die schweren Mörser genannt werden.  Die Armee v. Bülow marschiert schnell vorwärts, was man alles dort erbeutet hat, läßt sich noch nicht übersehen, sicher aber 6 Fahnen, 233 schwere, 116 leichte Geschütze, 79 Machinengewehre, 116 Fahrzeuge, 12934 Mann Gefangene. In Ostpreußen übersteigen die Gefangenen bereits die 90000. | Zu Hause fand ich gleichzeitig eine Karte von Frl. Thelens Mutter, daß A. Th. in Wirgen in Südkurland sitzt und ihre Mutter seit einer Depesche vom 3./8. (daß sie nich heim kann) nichts mehr von ihr gehört hat, eine Karte von Bruhns aus Leysin, dem ich sogleich wieder schrieb mit der Bitte um russische Karte nach Wirgen und schleunige Übersendung der Antworten an Mutter Thelen, der ich auch eine Karte schrieb. Schließlich Karte von Liesel Schneiders:

 

 

 

 

 

Hier wird noch gearbeitet.