Mein lieber Onkel,
die Nähe des hauptsächlichsten deutschen Familienfestes,
dessen heimathlichen Charakter man so wenig in der Fremde kennt und das
ich so oft in Eurer heiteren Mitte freudig verbracht habe, veranlaßt
mich, schon jetzt Euch meine bestgemeinten Wünsche für das bevorstehende
Jahr zu übersenden. Seit ich zur Universität ging, verlor die
Weihnacht für mich den Familiencharakter, der sie zum langersehnten
Familienfest stempelt und der die Eltern und Erwachsenen sich in den Kindern
verjüngen läßt. Erst in Cöln, wo der Kinderreichthum
und überhaupt die Ausbreitung der Familie Brügelmann und das
friedliche Einvernehmen, das die zahlreichen Glieder derselben verband,
das Fest zu einem besonders freudigen und heiteren stempelte, lernte ich
den Genuß dieses Festes in Mitten glücklicher Kinderschaaren
wieder kennen. Später mußte ich wieder diesem Genuß entsagen
lernen. Franzosen und Italiener haben nicht die entfernteste Idee von der
trauten, heimathlichen Hausfeier, die den Deutschen das Fest so lieb machen;
die Engländer haben eine entfernte Ahnung davon, doch nicht die Gewohnheit.
Zwar auch hier haben wir eine echt deutsche Frau gefunden, die, obgleich
aus Frankreich, doch den nationalen Familiencharakter nicht im Mindesten
eingebüßt hat, die Frau unseres protestantischen (engl.) Geistlichen
Fenner, von dem ich schon oft zu sprechen Gelegenheit hatte. Wie sie in
Allem deutsch blieb, so auch in Rücksicht auf das Weihnachtsfest.
Doch schon zwei Jahre konnte ich nicht davon profitiren: einmal wohnte
ich unter Schnee und Eis in den Bergen des Innern unter einem Zelte, das
andere Mal stand ich an Bord unserer Fregate die Qualen der Seekrankheit
aus. Dies Mal bin ich zwar hier, doch alle Umstände sind einer feierlichen
Begehung des Festes durchaus entgegen. Das Land ist durch die Unklugheit
und Gewissenlosigkeit einzelner Regierungsacte in eine Crisis gebracht
worden, die nicht allein allgemeines Elend erzeugt hat, sondern wirkliche
Befürchtungen von Unruhen aufkommen läßt. Die Masse des
Kupfers, mit der man das Land überschwemmt hat und das bald im Curs
nur den dritten Theil des Nominal-Werthes, zu dem es die Regierung ausgab,
hatte alles Unheil verschuldet. Die Regierung zwang ihre Beamten, diese
Münze zum nominalen Werthe anzunehmen, reducirte also factisch ihre
Gehälter auf ein Dritttheil, während die Kaufleute in Silber
bezahlt werden wollten und die Preise der Nahrungsmittel und der Lebensbedürfnisse
stiegen. Die Handelsleute schlossen ihre Butiken zum Theil zu; die Bäcker
wollten nicht mehr backen, kein Mensch das Kupfer gegen Silber auswechseln.
Heute wurde bekanntgemacht, daß der Werth des Kupfers auf die Hälfte
reducirt sei, woraus natürlich ein neuer Verlust folgt für diejenigen,
welche das Kupfer aufgespeichert haben: neue Quelle der Unzufriedenheit.
Wahrscheinlich wird der Werth noch auf ein Viertel herabsinken. Seit fast
Jahresfrist habe ich deswegen kein Gehalt in Empfang genommen. Man würde
mich in Kupfer zum Nominalwerth bezahlt haben, während ich jetzt,
wenn officiel der Werth auf ein Viertel reducirt sein wird, der intrenseque
Werth der Münze fast erreicht, dieselbe also keinem Curs mehr unterworfen
sein wird. Dazu zwei Jahre schon keine Erndte, und dazu vorher die Revolution:
wahrlich wir beginnen das neue Jahr mit großen Schwierigkeiten für
die Tunisie. Wenn in dieser Krisis das Land oder das Gouvernement schon
untergehen sollte, wünschte ich mir, daß der Proceß sich
prompt abspielen möchte. Kein Changement kann einen schlechteren Stand
der Dinge hervorbringen. Ich werde zufrieden sein, wenn ich meine kümmerlichen
Ersparnisse gerettet haben werde.
Hoffen wir das Beste, zunächst einen fruchtbaren Winter und eine
gute Erndte.
Euch wünsche ich zum bevorstehenden Jahreswechsel gerade das Gegentheil
der öffentlichen Angelegenheiten, welche hier auf Land und Bewohner
lasten. Und in der That läßt sich die Realisation dieses Wunsches,
soweit sie von der Regierung abhängt, wohl erwarten. Neben der materiellen
Prosperität Eurer materiellen socialen Verhältnisse wünsche
ich vor Allem die Gesundheits-Fortdauer, welche ja glücklicherweise
seit einigen Jahren, wenigstens in Eurem Hause, Platz gegriffen zu haben
scheint. Möget Ihr Beide, Du und die theure Tante, zum Besten der
Kinder und der ganzen Familie in der Integrität Eures Wohlseins erhalten
bleiben; möge die Doyenne, die vortreffliche Großmama, so in
Eurem Kreises noch verweilen, als es ihr in letzter Zeit gestattet war;
möge die Mühlengasse von allem Unheil verschont bleiben und Herrmann
und Julius mehr und mehr gesunden und ihren Familien vorstehen können.
Möge endlich der junge Nachwuchs der Familie zum Stolz und Genugthuung
ihrer Eltern und zur eigenen Zufriedenheit aufwachsen und blühen.
Vergiß nicht, lieber Onkel, diese meine Wünsche den lieben
Verwandten mitzutheilen und meine besten Complimente bei Gelegenheit des
Jahreswechsel allen Euren Freunden präsentiren, welche sich mit Wohlwollen
meiner erinnern. Unter diesen nenne ich auch den Dr. Bodinus, der mir letztlich
geschrieben hat, wie Du weißt, und den ich noch immer mit der gewünschten
Antilopen-Art zu erfreuen hoffe. Ich habe in die Gegend des Landes, wo
dieses Thier vorkommt, die dringendsten Briefe geschrieben und hoffe, da
der Gouverneur dieser Provinz mir freundschaftlich bekannt ist, auf Erfolg.
Doch ist es immerhin 50 Meilen von hier und das Thier durchaus selten.
Es würde mir viel Vergnügen machen, einige Thiere zu meinem beabsichtigten
Frühjahrsbesuch zusammenbringen zu können. Doch wenn ich sehe,
wie weit alles ist, wie schwierig der Transport, wie schwer, der Thiere
habhaft zu werden und wie wenig guter Wille bei den Eingeborenen: so begreife
ich gar nicht, wie so viele Thiere nach Europa gebracht werden.
Ich gedenke, die Reise mit meinem Freunde Herrn von Moers aus Frankfurt
zu machen, der gleich mir große Sehnsucht hat, das Deutsche Vaterland
und die Heimath mit ihren Lieben wiederzusehen. Bis dahin muß ich
noch sehr viel arbeiten; da ich gern meine Beobachtungen über Klima
und Land und Leute sorgsam zusammentragen und zur Veröffentlichung
geeigneter haben möchte.
Von meiner Schwester und ihrer Familie habe ich Gott sei Dank gute
Nachrichten. Doch schreibt sie bekümmert über Lottchen Telitz.
Wenn es mir gelingen wird, meine sauer ersparten Piaster ohne Verlust aus
dieser Crisis zu ziehen, so will ich auch an sie denken nach meinen Kräften.
Für heute sage ich Dir Lebewohl, lieber Onkel. Umarme die Tante
dankbarlichst und die Kinder der ganzen Familie freundschaftlichst in meinem
Namen. Grüße Alle und erhalte mir Deine Gewogenheit.
Dein treuer
Gustav.