11. Teil:  Tunis 1866

Tunis am 17ten Dec. 1866
    /14 Jan
 

 Mein lieber Onkel,
die Nähe des hauptsächlichsten deutschen Familienfestes, dessen heimathlichen Charakter man so wenig in der Fremde kennt und das ich so oft in Eurer heiteren Mitte freudig verbracht habe, veranlaßt mich, schon jetzt Euch meine bestgemeinten Wünsche für das bevorstehende Jahr zu übersenden. Seit ich zur Universität ging, verlor die Weihnacht für mich den Familiencharakter, der sie zum langersehnten Familienfest stempelt und der die Eltern und Erwachsenen sich in den Kindern verjüngen läßt. Erst in Cöln, wo der Kinderreichthum und überhaupt die Ausbreitung der Familie Brügelmann und das friedliche Einvernehmen, das die zahlreichen Glieder derselben verband, das Fest zu einem besonders freudigen und heiteren stempelte, lernte ich den Genuß dieses Festes in Mitten glücklicher Kinderschaaren wieder kennen. Später mußte ich wieder diesem Genuß entsagen lernen. Franzosen und Italiener haben nicht die entfernteste Idee von der trauten, heimathlichen Hausfeier, die den Deutschen das Fest so lieb machen; die Engländer haben eine entfernte Ahnung davon, doch nicht die Gewohnheit. Zwar auch hier haben wir eine echt deutsche Frau gefunden, die, obgleich aus Frankreich, doch den nationalen Familiencharakter nicht im Mindesten eingebüßt hat, die Frau unseres protestantischen (engl.) Geistlichen Fenner, von dem ich schon oft zu sprechen Gelegenheit hatte. Wie sie in Allem deutsch blieb, so auch in Rücksicht auf das Weihnachtsfest. Doch schon zwei Jahre konnte ich nicht davon profitiren: einmal wohnte ich unter Schnee und Eis in den Bergen des Innern unter einem Zelte, das andere Mal stand ich an Bord unserer Fregate die Qualen der Seekrankheit aus. Dies Mal bin ich zwar hier, doch alle Umstände sind einer feierlichen Begehung des Festes durchaus entgegen. Das Land ist durch die Unklugheit und Gewissenlosigkeit einzelner Regierungsacte in eine Crisis gebracht worden, die nicht allein allgemeines Elend erzeugt hat, sondern wirkliche Befürchtungen von Unruhen aufkommen läßt. Die Masse des Kupfers, mit der man das Land überschwemmt hat und das bald im Curs nur den dritten Theil des Nominal-Werthes, zu dem es die Regierung ausgab, hatte alles Unheil verschuldet. Die Regierung zwang ihre Beamten, diese Münze zum nominalen Werthe anzunehmen, reducirte also factisch ihre Gehälter auf ein Dritttheil, während die Kaufleute in Silber bezahlt werden wollten und die Preise der Nahrungsmittel und der Lebensbedürfnisse stiegen. Die Handelsleute schlossen ihre Butiken zum Theil zu; die Bäcker wollten nicht mehr backen, kein Mensch das Kupfer gegen Silber auswechseln. Heute wurde bekanntgemacht, daß der Werth des Kupfers auf die Hälfte reducirt sei, woraus natürlich ein neuer Verlust folgt für diejenigen, welche das Kupfer aufgespeichert haben: neue Quelle der Unzufriedenheit. Wahrscheinlich wird der Werth noch auf ein Viertel herabsinken. Seit fast Jahresfrist habe ich deswegen kein Gehalt in Empfang genommen. Man würde mich in Kupfer zum Nominalwerth bezahlt haben, während ich jetzt, wenn officiel der Werth auf ein Viertel reducirt sein wird, der intrenseque Werth der Münze fast erreicht, dieselbe also keinem Curs mehr unterworfen sein wird. Dazu zwei Jahre schon keine Erndte, und dazu vorher die Revolution: wahrlich wir beginnen das neue Jahr mit großen Schwierigkeiten für die Tunisie. Wenn in dieser Krisis das Land oder das Gouvernement schon untergehen sollte, wünschte ich mir, daß der Proceß sich prompt abspielen möchte. Kein Changement kann einen schlechteren Stand der Dinge hervorbringen. Ich werde zufrieden sein, wenn ich meine kümmerlichen Ersparnisse gerettet haben werde.
Hoffen wir das Beste, zunächst einen fruchtbaren Winter und eine gute Erndte.
Euch wünsche ich zum bevorstehenden Jahreswechsel gerade das Gegentheil der öffentlichen Angelegenheiten, welche hier auf Land und Bewohner lasten. Und in der That läßt sich die Realisation dieses Wunsches, soweit sie von der Regierung abhängt, wohl erwarten. Neben der materiellen Prosperität Eurer materiellen socialen Verhältnisse wünsche ich vor Allem die Gesundheits-Fortdauer, welche ja glücklicherweise seit einigen Jahren, wenigstens in Eurem Hause, Platz gegriffen zu haben scheint. Möget Ihr Beide, Du und die theure Tante, zum Besten der Kinder und der ganzen Familie in der Integrität Eures Wohlseins erhalten bleiben; möge die Doyenne, die vortreffliche Großmama, so in Eurem Kreises noch verweilen, als es ihr in letzter Zeit gestattet war; möge die Mühlengasse von allem Unheil verschont bleiben und Herrmann und Julius mehr und mehr gesunden und ihren Familien vorstehen können. Möge endlich der junge Nachwuchs der Familie zum Stolz und Genugthuung ihrer Eltern und zur eigenen Zufriedenheit aufwachsen und blühen.
Vergiß nicht, lieber Onkel, diese meine Wünsche den lieben Verwandten mitzutheilen und meine besten Complimente bei Gelegenheit des Jahreswechsel allen Euren Freunden präsentiren, welche sich mit Wohlwollen meiner erinnern. Unter diesen nenne ich auch den Dr. Bodinus, der mir letztlich geschrieben hat, wie Du weißt, und den ich noch immer mit der gewünschten Antilopen-Art zu erfreuen hoffe. Ich habe in die Gegend des Landes, wo dieses Thier vorkommt, die dringendsten Briefe geschrieben und hoffe, da der Gouverneur dieser Provinz mir freundschaftlich bekannt ist, auf Erfolg. Doch ist es immerhin 50 Meilen von hier und das Thier durchaus selten. Es würde mir viel Vergnügen machen, einige Thiere zu meinem beabsichtigten Frühjahrsbesuch zusammenbringen zu können. Doch wenn ich sehe, wie weit alles ist, wie schwierig der Transport, wie schwer, der Thiere habhaft zu werden und wie wenig guter Wille bei den Eingeborenen: so begreife ich gar nicht, wie so viele Thiere nach Europa gebracht werden.
Ich gedenke, die Reise mit meinem Freunde Herrn von Moers aus Frankfurt zu machen, der gleich mir große Sehnsucht hat, das Deutsche Vaterland und die Heimath mit ihren Lieben wiederzusehen. Bis dahin muß ich noch sehr viel arbeiten; da ich gern meine Beobachtungen über Klima und Land und Leute sorgsam zusammentragen und zur Veröffentlichung geeigneter haben möchte.
Von meiner Schwester und ihrer Familie habe ich Gott sei Dank gute Nachrichten. Doch schreibt sie bekümmert über Lottchen Telitz. Wenn es mir gelingen wird, meine sauer ersparten Piaster ohne Verlust aus dieser Crisis zu ziehen, so will ich auch an sie denken nach meinen Kräften.
Für heute sage ich Dir Lebewohl, lieber Onkel. Umarme die Tante dankbarlichst und die Kinder der ganzen Familie freundschaftlichst in meinem Namen. Grüße Alle und erhalte mir Deine Gewogenheit.
  Dein        treuer             Gustav.


FORTSETZUNG IM 12. TEIL