14. Teil:  Tripolis 1869 

Tripolis am 12ten Februar 1869
      /30 März

 Lieber Onkel,

Die Communication mit Tunis ist eine so unregelmäßige, daß mir erst jetzt Dein lieber Brief vom Ende December, worin mir das traurige Verbrechen, dessen Schauplatz Dein sonst so ruhiges, gesetzliches und regelmäßiges Haus war, mitgetheilt wird, zugekommen ist. Ich kann mich recht lebhaft in Eure Lage versetzen und ganz die entsetzliche Aufregung, in die Euch das entsetzliche Ereigniß für Wochen versetzt haben muß, ermessen. Jetzt, ungefähr 2 Monate nach der That, werdet Ihr natürlich ruhiger sein, zumal ich schon aus Deinem lieben Briefe ersehe, daß nicht sowohl für Dich, als auch für die liebe Tante diese Periode des Entsetzens ohne wirklichen Schaden vorübergegangen zu sein scheint. Ich will auch darum nicht allzusehr auf diese nächste Vergangenheit insistiren und auf ihre Details zurückkommen, sondern nur im Ganzen mein ganzes nachträgliches Mitgefühl mit Euch aussprechen und meinen tiefen Schmerz über die entsetzliche Verirrung, deren die menschliche Seele ohne feste moralische Grundsätze durch Spiel, Rache, Habsucht fähig wird, Ausdruck verleihen. Noch so jung und schon auf ewig, so zu sagen, für die menschliche Gesellschaft verloren! Und der arme Guerike, in so elender Weise sein junges, thätiges Leben haben enden zu müssen!
Ich bin um so betrübter, den traurigen Anfang des neuen Jahres, der Euch zu Theil ward, noch durch eine Thatsache vermehren zu müssen, welche Euch Euer Interesse für mich, das Ihr mir stets so reichlich zeigtet, mit Bekümmerniß ansehen lassen wird. Ich schrieb Euch schon zu Anfang des Jahres von Malta, daß ich auf einer kleinen Urlaubsreise nach Malta und Tripolis zu unserem berühmten Afrikaforscher Gerhard Rohlfs begriffen sei. Diese kleine Urlaubsreise wird jetzt zu einer großen, ja sehr großen, indem ich von der Preußischen Regierung beauftragt bin, (durch Vermittlung eben des p. Rohlfs), Geschenke des Königs von Preußen für den Sultan von Bornu eben dorthin zu führen und zu überreichen. Es ist dies eine so ausgezeichnete und ehrenvolle Gelegenheit, etwas mehr von diesem geheimnißvollen Continent Africa zu sehen, ehe ich ihn verlasse, daß ich nicht übers Herz bringen konnte, sie von der Hand zu weisen. Denn wenn ich auch nicht behaupten will, daß diese Reise ganz ohne Gefahr sei und wenn dieselbe auch leicht ein Jahr oder etwas darüber hinaus dauern kann, so ist sie auch dafür die interessanteste, die je ein Mensch machen kann. Der einzig jetzt noch lebende Mensch, der dort war, ist eben Gerhard Rohlfs und sein junges, blühendes Aussehen spricht am besten dafür, daß man gesund und munter zurückkommen kann. Und bis Bornu ist auch in der That die Gefahr keine wirkliche. Ich gehe von hier in einigen Tagen nach Murzuk und zwar allein mit meinen 7 Kameelen, 5 Negern und einem europäischen Diener, der Jahrelang in unserem Hause in Tunis war und von erprobter Treue und Zuverlässigkeit ist, ohne daß ich irgend Etwas zu fürchten hätte. Die Straße bis dahin ist ganz sicher und allerhöchstens nehme ich einen berittenen Kurugli (unregelmäßige Reiterei gebildet aus den Söhnen von Türken mit Araberfrauen) von seiten des Pascha hier mit. Angekommen in Murzuk, was Ende Maerz Statt haben wird, warte ich eine große Karawane ab, hinlänglich stark, um alle Garantie für die Sicherheit meiner Person und meiner Geschenke zu bieten. So glaube ich in der That, mit voller Ueberzeugung, daß ich ohne wirkliche Gefahr ganz ruhig und sicher im Hochsommer zu Kuka, der Hauptstadt von Bornu, ankommen werde, um mich dort von den Strapazen einer Wüstenreise zu erholen und Land und Leute in Ruhe zu studieren. Sehe ich später dort, daß keine sichere Gelegenheiten existiren, um nach Süd-Osten gegen den Nil hin vorzudringen oder nach Süden und Süd-Westen gehend, den atlantischen Ocean zu erreichen, so kehre ich einfach auf dem Wege zurück, auf dem ich kam und würde immerhin eine höchst interessante Reise gemacht und eine ehrenvolle Mission erfüllt haben.
Ich hoffe Euch recht interessante Briefe schreiben zu können und später recht viel und interessant zu erzählen. Es sind nur Wenige, welche gewaltsam ihr Leben einbüßten, und zwar Dr. Vogel und v. Beurmann, in einem Lande, dessen Sultan als größter Christenfeind und Fanatiker bekannt war. Einige wenige Andere starben in Folge von Fieber, welche in warmen und vorzüglich tropischen Ländern so häufig sind und für welche ich nach meinen Erfahrungen wenig Empfänglichkeit habe. Gesunde Leute, wie Barth, Rohlfs, Manzinger, Schweinfurth, Henglin, Speke, Grant, Baker u.s.w. u.s.w. sind ganz gesund aus derartigen Ländern wiedergekehrt und zum Theil von gefährlicheren Reisen, als ich zu unternehmen im Begriffe stehe. Und wenn man sieht, wie den armen Guerike sein Schicksal an seinem Comtoirpult ereilt: wahrlich, man muß Vertrauen in seinen Vorsehungs-Stern haben! So hofft mit mir, ich bitte Euch, daß ich gesund und munter in Eure Mitte zurückkehren werde, sprecht in demselben Sinne meiner lieben Schwester Marie gut zu, die sich natürlich etwas über meinen Entschluß bekümmern wird und schreibt mir freundliche, hoffnungsvolle Briefe, die mir sicher, wenn auch oft langsam zukommen und stets meinen höchsten Genuß in weiter Ferne und Einsamkeit bilden werden. Ich ergreife diese natürliche Gelegenheit, Euch, lieber Onkel und theure Tante, noch wiederholt meinen innigen Dank für das rege und warme Interesse auszusprechen, das Ihr mir von früher Jugend an bezeigtet und für die zahllosen Freundlichkeiten und Wohlthaten, welche ich Eurer Güte danke. Ich hoffe, auch nach meiner Rückkehr noch zahlreiche Beweise Eurer Liebe zu genießen und dieselben nach meinen Kräften erwidern zu können.
Wie gesagt, ich habe meine Ausrüstung beendigt und hoffe, am Dienstag (wir haben heute Freitag) zum Süden marschiren zu können. Zu meiner persönlichen Ausrüstung, die ich vorläufig, da ursprünglich die Preußische Regierung nicht mehr gehofft hatte, einen Preußen, der Arabisch sprach und anderweitig qualificirt war, finden  zu können, und deswegen die Mittel kürzlich bemessen hatte, auf meine Kosten gemacht habe (d.h. der Bey und der Minister haben mir das Meiste dazu gegeben), bin ich nach Malta zurückgegangen und mit Ausnahme einiger astronomischer Instrumente, welch ich von Paris in Murzuk zu erhalten hoffe, bin ich, wie gesagt, fertig. Der englische Admiral und der Gouverneur der Insel, Sir Patrick Grant, welche mich, besonders der erstere, ausgezeichnet empfingen, waren sehr unbefriedigt, mich nicht mit allem Möglichen unterstützen zu können; doch es fand sich nichts vor. Ich habe 2 sehr gute Leute und das ist viel werth. Zunächst mein europäischer Diener, Giuseppe Valpreda und dann ein alter Neger, Mohammed-el-Gatroni, welcher seit ca 1850, wo er in Barths Dienste trat, fast beständig deutschen Reisenden in Central-Africa treu diente und sogar deswegen eine kleine Pension von Seiten der Preußischen Regierung genießt. Dieser letztere ist mit Wüstenreisen so vertraut, daß er für mich von großer Wichtigkeit ist.
Was meine Briefe betrifft, so werden sie für 2 bis 3-4 Monate regelmäßig sein (schreibe dies der Marie auch noch einmal); dann wird eine lange Pause eintreten müssen bis zum nächsten Herbst, da vom Sudan keine Karawanen im Sommer abgehen. Die Eurigen bitte ich in gewöhnlichen Pausen, wie bisher, oder besser, noch etwas häufiger abzuschicken an die Adresse, welche ich weiter unten angeben werde. Sie werden mir früher oder später mit wenigen Verlusten richtig zugehen und werden, wie gesagt, mein höchstes Glück ausmachen (darum häufiger!)
So lebt denn für eine kurze Zeit wohl, recht wohl! Möge Euch eine gütige Vorsehung in ihren Schutz nehmen und ich Euch bei meiner Rückkehr so gesund und kräftig und glücklich wiederfinden, als ich Euch verließ. Möge die würdige Großmama noch blühend weiter unter Euch weilen, wie bisher, und ich nach 1 oder 2 Jahren wieder einmal in Brühl an ihrem Geburtstage einen Toast unter den schönen Bäumen im Garten auf sie ausbringen können. Mögen die herangewachsenen Kinder und Kindeskinder glücklich geworden, die kleineren zu Eurer Freude und ihrer Eltern Glück herangewachsen sein und möge es mir noch vergönnt sein, Euer Aller Glück mitgenießen und zu demselben beitragen zu können!
Grüßt und umarmt sie Alle, Alle auf das Brüderlichste und Freundschaftlichste in meinem Namen und empfangt selbst den tiefsten, wärmsten Ausdruck meiner Liebe und meiner Anhänglichkeit für Euch, die mich durch Africa begleiten und in Eure Mitte zurückführen werden.
  Euer Aller treuer
    Gustav

Randschrift:
Vergeßt nicht herzliche Grüße für alle Freunde und Bekannten, die mich später gewiß noch besser empfangen werden, als das letzte Mal (und ich werde es ihnen durch interessante Erzählungen danken), wie Paas (ich habe mit Theilnahme den mehr weniger erwarteten Tod des Herrn Paas erfahren) Aragons, Stelzmanns, Classens, Wegmanns, die militärische Kaffee-Gesellschaft des zoologischen Gartens, Bodinus (wie schade, daß die Entfernung zu groß sein wird, Thiere zu schicken und doch werde ich es zu thun suchen, wenn ich meine kleine Karawane mit etwaigen Geschenken des Sultans für unseren König zurückexpedire; er soll mir schreiben über seine Wünsche), Rogges u.s.w. u.s.w. Vielleicht kann ich Euch eine Photographie unserer kleinen Karawane schicken; vielleicht findet Ihr eine Ansicht in der Illustrirten Zeitung etc.

Adreße:
Monsieur H. C. Ferro,
Consul de la Confédération germanique du Nord
    à  Malta (La Valette)
pour faire parvenir au Dr. G. Nachtigal
par Monsieur Luigi Rossi
 Consul d’ Autriche   à  Tripolis (Barberie)
(so complicirt notwendig, weil keine eigentliche Postverbindung zwischen Tripolis und Europa existirt.)


FORTSETZUNG IM 15. TEIL