Lieber Onkel,
Die Communication mit Tunis ist eine so unregelmäßige, daß
mir erst jetzt Dein lieber Brief vom Ende December, worin mir das traurige
Verbrechen, dessen Schauplatz Dein sonst so ruhiges, gesetzliches und regelmäßiges
Haus war, mitgetheilt wird, zugekommen ist. Ich kann mich recht lebhaft
in Eure Lage versetzen und ganz die entsetzliche Aufregung, in die Euch
das entsetzliche Ereigniß für Wochen versetzt haben muß,
ermessen. Jetzt, ungefähr 2 Monate nach der That, werdet Ihr natürlich
ruhiger sein, zumal ich schon aus Deinem lieben Briefe ersehe, daß
nicht sowohl für Dich, als auch für die liebe Tante diese Periode
des Entsetzens ohne wirklichen Schaden vorübergegangen zu sein scheint.
Ich will auch darum nicht allzusehr auf diese nächste Vergangenheit
insistiren und auf ihre Details zurückkommen, sondern nur im Ganzen
mein ganzes nachträgliches Mitgefühl mit Euch aussprechen und
meinen tiefen Schmerz über die entsetzliche Verirrung, deren die menschliche
Seele ohne feste moralische Grundsätze durch Spiel, Rache, Habsucht
fähig wird, Ausdruck verleihen. Noch so jung und schon auf ewig, so
zu sagen, für die menschliche Gesellschaft verloren! Und der arme
Guerike, in so elender Weise sein junges, thätiges Leben haben enden
zu müssen!
Ich bin um so betrübter, den traurigen Anfang des neuen Jahres,
der Euch zu Theil ward, noch durch eine Thatsache vermehren zu müssen,
welche Euch Euer Interesse für mich, das Ihr mir stets so reichlich
zeigtet, mit Bekümmerniß ansehen lassen wird. Ich schrieb Euch
schon zu Anfang des Jahres von Malta, daß ich auf einer kleinen Urlaubsreise
nach Malta und Tripolis zu unserem berühmten Afrikaforscher Gerhard
Rohlfs begriffen sei. Diese kleine Urlaubsreise wird jetzt zu einer großen,
ja sehr großen, indem ich von der Preußischen Regierung beauftragt
bin, (durch Vermittlung eben des p. Rohlfs), Geschenke des Königs
von Preußen für den Sultan von Bornu eben dorthin zu führen
und zu überreichen. Es ist dies eine so ausgezeichnete und ehrenvolle
Gelegenheit, etwas mehr von diesem geheimnißvollen Continent Africa
zu sehen, ehe ich ihn verlasse, daß ich nicht übers Herz bringen
konnte, sie von der Hand zu weisen. Denn wenn ich auch nicht behaupten
will, daß diese Reise ganz ohne Gefahr sei und wenn dieselbe auch
leicht ein Jahr oder etwas darüber hinaus dauern kann, so ist sie
auch dafür die interessanteste, die je ein Mensch machen kann. Der
einzig jetzt noch lebende Mensch, der dort war, ist eben Gerhard Rohlfs
und sein junges, blühendes Aussehen spricht am besten dafür,
daß man gesund und munter zurückkommen kann. Und bis Bornu ist
auch in der That die Gefahr keine wirkliche. Ich gehe von hier in einigen
Tagen nach Murzuk und zwar allein mit meinen 7 Kameelen, 5 Negern und einem
europäischen Diener, der Jahrelang in unserem Hause in Tunis war und
von erprobter Treue und Zuverlässigkeit ist, ohne daß ich irgend
Etwas zu fürchten hätte. Die Straße bis dahin ist ganz
sicher und allerhöchstens nehme ich einen berittenen Kurugli (unregelmäßige
Reiterei gebildet aus den Söhnen von Türken mit Araberfrauen)
von seiten des Pascha hier mit. Angekommen in Murzuk, was Ende Maerz Statt
haben wird, warte ich eine große Karawane ab, hinlänglich stark,
um alle Garantie für die Sicherheit meiner Person und meiner Geschenke
zu bieten. So glaube ich in der That, mit voller Ueberzeugung, daß
ich ohne wirkliche Gefahr ganz ruhig und sicher im Hochsommer zu Kuka,
der Hauptstadt von Bornu, ankommen werde, um mich dort von den Strapazen
einer Wüstenreise zu erholen und Land und Leute in Ruhe zu studieren.
Sehe ich später dort, daß keine sichere Gelegenheiten existiren,
um nach Süd-Osten gegen den Nil hin vorzudringen oder nach Süden
und Süd-Westen gehend, den atlantischen Ocean zu erreichen, so kehre
ich einfach auf dem Wege zurück, auf dem ich kam und würde immerhin
eine höchst interessante Reise gemacht und eine ehrenvolle Mission
erfüllt haben.
Ich hoffe Euch recht interessante Briefe schreiben zu können und
später recht viel und interessant zu erzählen. Es sind nur Wenige,
welche gewaltsam ihr Leben einbüßten, und zwar Dr. Vogel und
v. Beurmann, in einem Lande, dessen Sultan als größter Christenfeind
und Fanatiker bekannt war. Einige wenige Andere starben in Folge von Fieber,
welche in warmen und vorzüglich tropischen Ländern so häufig
sind und für welche ich nach meinen Erfahrungen wenig Empfänglichkeit
habe. Gesunde Leute, wie Barth, Rohlfs, Manzinger, Schweinfurth, Henglin,
Speke, Grant, Baker u.s.w. u.s.w. sind ganz gesund aus derartigen Ländern
wiedergekehrt und zum Theil von gefährlicheren Reisen, als ich zu
unternehmen im Begriffe stehe. Und wenn man sieht, wie den armen Guerike
sein Schicksal an seinem Comtoirpult ereilt: wahrlich, man muß Vertrauen
in seinen Vorsehungs-Stern haben! So hofft mit mir, ich bitte Euch, daß
ich gesund und munter in Eure Mitte zurückkehren werde, sprecht in
demselben Sinne meiner lieben Schwester Marie gut zu, die sich natürlich
etwas über meinen Entschluß bekümmern wird und schreibt
mir freundliche, hoffnungsvolle Briefe, die mir sicher, wenn auch oft langsam
zukommen und stets meinen höchsten Genuß in weiter Ferne und
Einsamkeit bilden werden. Ich ergreife diese natürliche Gelegenheit,
Euch, lieber Onkel und theure Tante, noch wiederholt meinen innigen Dank
für das rege und warme Interesse auszusprechen, das Ihr mir von früher
Jugend an bezeigtet und für die zahllosen Freundlichkeiten und Wohlthaten,
welche ich Eurer Güte danke. Ich hoffe, auch nach meiner Rückkehr
noch zahlreiche Beweise Eurer Liebe zu genießen und dieselben nach
meinen Kräften erwidern zu können.
Wie gesagt, ich habe meine Ausrüstung beendigt und hoffe, am Dienstag
(wir haben heute Freitag) zum Süden marschiren zu können. Zu
meiner persönlichen Ausrüstung, die ich vorläufig, da ursprünglich
die Preußische Regierung nicht mehr gehofft hatte, einen Preußen,
der Arabisch sprach und anderweitig qualificirt war, finden zu können,
und deswegen die Mittel kürzlich bemessen hatte, auf meine Kosten
gemacht habe (d.h. der Bey und der Minister haben mir das Meiste dazu gegeben),
bin ich nach Malta zurückgegangen und mit Ausnahme einiger astronomischer
Instrumente, welch ich von Paris in Murzuk zu erhalten hoffe, bin ich,
wie gesagt, fertig. Der englische Admiral und der Gouverneur der Insel,
Sir Patrick Grant, welche mich, besonders der erstere, ausgezeichnet empfingen,
waren sehr unbefriedigt, mich nicht mit allem Möglichen unterstützen
zu können; doch es fand sich nichts vor. Ich habe 2 sehr gute Leute
und das ist viel werth. Zunächst mein europäischer Diener, Giuseppe
Valpreda und dann ein alter Neger, Mohammed-el-Gatroni, welcher seit ca
1850, wo er in Barths Dienste trat, fast beständig deutschen Reisenden
in Central-Africa treu diente und sogar deswegen eine kleine Pension von
Seiten der Preußischen Regierung genießt. Dieser letztere ist
mit Wüstenreisen so vertraut, daß er für mich von großer
Wichtigkeit ist.
Was meine Briefe betrifft, so werden sie für 2 bis 3-4 Monate
regelmäßig sein (schreibe dies der Marie auch noch einmal);
dann wird eine lange Pause eintreten müssen bis zum nächsten
Herbst, da vom Sudan keine Karawanen im Sommer abgehen. Die Eurigen bitte
ich in gewöhnlichen Pausen, wie bisher, oder besser, noch etwas häufiger
abzuschicken an die Adresse, welche ich weiter unten angeben werde. Sie
werden mir früher oder später mit wenigen Verlusten richtig zugehen
und werden, wie gesagt, mein höchstes Glück ausmachen (darum
häufiger!)
So lebt denn für eine kurze Zeit wohl, recht wohl! Möge Euch
eine gütige Vorsehung in ihren Schutz nehmen und ich Euch bei meiner
Rückkehr so gesund und kräftig und glücklich wiederfinden,
als ich Euch verließ. Möge die würdige Großmama noch
blühend weiter unter Euch weilen, wie bisher, und ich nach 1 oder
2 Jahren wieder einmal in Brühl an ihrem Geburtstage einen Toast unter
den schönen Bäumen im Garten auf sie ausbringen können.
Mögen die herangewachsenen Kinder und Kindeskinder glücklich
geworden, die kleineren zu Eurer Freude und ihrer Eltern Glück herangewachsen
sein und möge es mir noch vergönnt sein, Euer Aller Glück
mitgenießen und zu demselben beitragen zu können!
Grüßt und umarmt sie Alle, Alle auf das Brüderlichste
und Freundschaftlichste in meinem Namen und empfangt selbst den tiefsten,
wärmsten Ausdruck meiner Liebe und meiner Anhänglichkeit für
Euch, die mich durch Africa begleiten und in Eure Mitte zurückführen
werden.
Euer Aller treuer
Gustav
Randschrift:
Vergeßt nicht herzliche Grüße für alle Freunde
und Bekannten, die mich später gewiß noch besser empfangen werden,
als das letzte Mal (und ich werde es ihnen durch interessante Erzählungen
danken), wie Paas (ich habe mit Theilnahme den mehr weniger erwarteten
Tod des Herrn Paas erfahren) Aragons, Stelzmanns, Classens, Wegmanns, die
militärische Kaffee-Gesellschaft des zoologischen Gartens, Bodinus
(wie schade, daß die Entfernung zu groß sein wird, Thiere zu
schicken und doch werde ich es zu thun suchen, wenn ich meine kleine Karawane
mit etwaigen Geschenken des Sultans für unseren König zurückexpedire;
er soll mir schreiben über seine Wünsche), Rogges u.s.w. u.s.w.
Vielleicht kann ich Euch eine Photographie unserer kleinen Karawane schicken;
vielleicht findet Ihr eine Ansicht in der Illustrirten Zeitung etc.
Adreße:
Monsieur H. C. Ferro,
Consul de la Confédération germanique du Nord
à Malta (La Valette)
pour faire parvenir au Dr. G. Nachtigal
par Monsieur Luigi Rossi
Consul d’ Autriche à Tripolis (Barberie)
(so complicirt notwendig, weil keine eigentliche Postverbindung zwischen
Tripolis und Europa existirt.)