15. Teil:  Mursuk 1869

Mursuk am 10ten October 1869
 

 Lieber Onkel,

Meine Gedanken waren bei Euch während der Zeit Eurer silbernen Hochzeit*, doch meine Tibesti-Reise verhinderte mich, meinen Gefühlen rechtzeitig Ausdruck zu geben. Möge eine gute Vorsehung Euch gesund und munter und glücklich der goldenen entgegenführen und möge es mir vergönnt sein, Euch dann nahe zu sein.
Ich bedaure von Herzen, Euch durch meine lange Abwesenheit Grund zur Unruhe gegeben zu haben; doch war dieselbe wahrlich keine freiwillige. Meine Excursion war eine durch zahlreiche Gefahren, welche Niemand hier geahnt hatte, unglaublich penible, ja leidensvolle und ich kann nicht dankbar genug sein, gestern lebendig mit allen meinen Leuten haben zurückkehren zu können. Ich habe den Monat August, in dem ich zurück sein wollte, gefangen in Bardaï (Tibesti) zugebracht und mich endlich am 4ten September durch nächtliche Flucht den mordlustigen Einwohnern entzogen. Meiner Kameele beraubt habe ich einen denkwürdigen Fußmarsch durch die Wüste gemacht, zum größten Theil unsere kleine Provision von Datteln und unseren Wasservorrath auf unseren Schultern mit uns führend. Während der letzten 5 Tage vor der Erreichung des südlichsten Ortes von Fesan haben wir gar Nichts gegessen und täglich 12 Stunden zu Fuß gemacht. Zwei Monate haben wir von Nichts als Datteln gelebt und oft peinigenden Hunger gelitten. Doch meine unleugbar große physische Elasticität hat mich alle diese Anstrengungen glücklich über winden lassen und, wenn durch die Feindseligkeit der Einwohner die Resultate der Reise in keinem Verhältnisse zu den gebrachten Opfern stehen, so habe ich doch dabei gelernt, meine Kräfte schätzen und vorsichtig sein und habe einen interessanten Einblick in das Leben dieses abscheulichen Volkes (Tibbu) gethan.
Die Einzelheiten meiner an persönlichen Gefahren reichen Reise muß ich mir natürlich verschieben, da ich für heute, wo die Post abgeht, an alle Welt einige Zeilen schreiben muß. Die scheußliche Ermordung Frl. Tinne’s hat natürlich meine Freunde überall alarmirt. Wie mir scheint, ist dieselbe mehr aus der Verrätherei einiger Diener, als aus eigenem Antrieb der Tuareg hervorgegangen. In nächster Woche hoffe ich, die Welt darüber aufklären zu können.
Du wirst hoffentlich telegraphisch von meiner Rettung in Kenntniß gesetzt sein.
Bei meiner Rückkehr habe ich einen Brief von Dir vorgefunden und stelle die dringende Bitte an Dich, mir zuletzt öfters schreiben zu wollen, Du kannst begreiflicherweise nicht stets eine Antwort von mir erwarten.
Vorläufig allerdings liege ich hier vor Anker, bis die Zwistigkeiten zwischen Tibbu und Arabern hinlänglich beigelegt sein werden, um das Zustandekommen einer Karawane zu erlauben. Denn ohne eine zahlreiche Karawane gehe ich nicht und dann ist nicht viel Gefahr dabei.
Hoffentlich habt Ihr einen angenehmen Sommeraufenthalt in Thüringen gehabt und Euch gründlich von den Ovationen, deren Gegenstand bei Gelegenheit Eurer silbernen Hochzeit Ihr wart, gründlich erholt. Wie es rührend ist und stolz macht, so geliebt und geehrt zu sein? Ich begreife es vollständig und weihe Euch nicht minder meine ganze Liebe und Anhänglichkeit.
Meine verspäteten Gratulationen für die Großmama, deren Wohl ich im verflossenen Jahre selbst in Brühl trinken konnte. Ich hoffe von ganzer Seele, daß mir dies noch öfter vergönnt sein wird.
Den eingelegten Brief von Herrn Burdeke kann ich natürlich noch nicht beantworten, sondern bitte Dich nur, ihm einstweilen mit meinen Grüßen zu danken.
Adieu, lieber Onkel, beste Tante, grüßt Alle herzlich von Eurem
  treu ergebenen
  Gustav.
 

* 2.5.69


 (Abschrift)

Mursuk am 22sten November 1869

  Theure Schwester!

Obgleich ich bei jeder Post mehr einsehe, wie gräßlich es ist, dieselbe Geschichte wieder und wieder zu ruminiren, so will ich doch weiter versuchen, meine brüderliche und onkelhafte Pflicht zu erfüllen. Glücklicherweise bin ich augenblicklich frei vom Fieber, dessen Anfälle übrigens, wenn sie auch ziemlich häufig sind, schwächer und schwächer zu werden scheinen und fahre fort, wo ich Dich belassen habe, Dir die langweilige Verpflichtung auferlegend, Abschrift von dem Gekritzel zu nehmen und nach Köln zu schicken, wie ich dorthin geschrieben habe.
Wenn ich mich nicht täusche, warst Du am Ende meines letzten Briefes bei der Verarbeitung der Loloquinthen-Kerne angekommen und bei den Personen, welche sich in der Nähe des Brunnens Gaglielma in Afafi dieser Beschäftigung hingaben. Der letzteren waren, wie gesagt, drei, der Herr unter ihnen ein Verwandter Kolókomi’s, und ihre Begleitung bestand in 5 Kameelen und 3 Windhunden. Für die letzteren zeigt der Tibbu durchaus nicht die zärtliche Sorgfalt, deren sich seine Kameele erfreuen, und wenn es im Allgemeinen Grundsatz ist, Windhunden, die zur Gazellenjagd verwendet werden, nicht allzu reichliche Nahrung zu spenden, so waren diese armen Geschöpfe auf einem Punkte der Ernährungslosigkeit angekommen, daß sie schwerlich mit Gazellen und Antilopen im Laufen wetteifern konnten. Ihre erste und ihnen nicht zu verargende Beschäftigung nach ihrer Ankunft war daher, aus meinem Zelte in Ermangelung anderer eßbarer Gegenstände meine arabischen Schuhe, expreß für Steinwüsten-Wanderungen gemacht, zu entwenden und dieselben ihrem schattenhaften Organismus zu assimiliren zu suchen. Doch bei der Zähigkeit des Materials gelang es ihnen während mehrerer Stunden nur, etwa die Hälfte eines dieser unentbehrlichen Bekleidungsgegenstände zu veratzen.
Die Ankömmlinge, welche, Dank ihrer Verwandtschaft mit Kolókomi, keinerlei Versuch machten, uns nächtlich zu bestehlen oder zu ermorden (der einzige Dienst, den ich wohl von dem genannten Schurken gehabt habe), arbeiteten mit uns um die Wette an der Entsandung des Brunnens. Sie waren Leute mittlerer Größe, mit runden wohlgebildeten Gesichtern, ohne eine Spur von Negertypus, von dunkler, doch nicht schwarzer Hautfarbe, und bekleidet mit weißer, baumwollener Tobe, dito Hosen und dito Tahia (Mütze in Form des in Europa sogenannten Fez) mit Turban.
Es folgt nun noch eine Wiederholung aus dem vorigen Briefe, die Beschreibung, der Begrüßungsceremonien der Tibbu.
Während alle Welt am Brunnen arbeitete, streifte ich auf den Bergen herum und zwischen den Felsen, deren schwarze Farbe, Schroffheit und Nacktheit, verbunden mit ihrer gänzlichen Baarheit an allem Leben, pflanzlichem und thierischem, einen wilden, grausigen, traurigen Eindruck machten. Keine Spur von lieblicher Scenerie, kein Murmeln eines Baches, kein Baum, keine Blume, kein Grashalm, keine zierliche Gazelle, kein elegantes Raubthier, kein heiterer Vogel: nur schwarze Felsen in einer so wilden Anordnung, so gewaltigen ursprüngliche Formen, daß man sich in der Mitte des Chaos eines der ersten Schöpfungstage glaubte. Am Mittag etwa entfloß der geöffneten Felsspalte Wasser genug, um unsere Kameele, die der letzten Ankömmlinge und alle Menschen reichlich zu erquicken; doch dann verminderte sich die Quantität von Neuem so sichtlich, daß wir an eine neue Wasserquelle denken mußten.
Dem entsprechend ging am nächsten Morgen der Herr der Kameele und Windhunde, als Kenner der Gegend und Ali und Saad als Begleiter zu einem nahegelegenen Brunnen in südöstlicher Richtung am Bette des Flusses Lolémmo. Als sie Mittag mit der Nachricht zurückkamen, daß reichlich Wasser vorhanden sei, brachen wir Nachmittags dorthin auf und lagerten ca 7 Uhr im Bette des Flusses Lolémmo. Dieser (natürlich wasserleer, denn Ihr müßt die elementare Kenntniß festhalten, daß in diesen Breitengraden nur unmittelbar nach Regengüssen fließende Gewässer existiren), fließt ebenfalls von Ost nach West und verliert sich ungefähr eine Tagereise mit dem Gagliemma in derselben Ebene. Die Berge von Afafi geben 4 hauptsächlichen Flüssen Ursprung, welche alle in derselben Ebene verschwinden; die beiden anderen, Enneri (Wadi, Flußthal) Mohammo und Enneri Barka, hatte ich keine Gelegenheit zu sehen. In derselben Nacht gingen die Leute zur nochmaligen Tränkung der Kameele und zur Füllung der Schläuche (girba, plur. grib) zum Brunnen, und wir konnten am nächsten Tage, Nachmittags gegen Süden aufbrechen. Der Verwandte Kolókomis kannte 2 Tagereisen vom Lolémmo, auf dem Wege nach Tao in Tibesti einen anderen Brunnen und gab uns zu seiner Auffindung einen Jüngling mit.
Gegen Süden marschirend verließen wir sehr schnell die Berge von Afafi und betraten ein Gebiet, das aus kiesigen, sandigen oder felsigen Ebenen bestand, die mehr oder weniger dicht gedrängt mit schroff aus dem Boden steil aufsteigenden Sandsteinfelsen besetzt war. Während die Berge von Afafi, deren Grundlage im Ganzen und Großen Kalkgestein ist, aus der Ferne gesehen, mehr abgerundete Formen haben, wenn sie auch im Einzelnen gesehen, sehr wild und zerrissen sind, so sind alle diese isolirten Sandsteinfelsen vom sonderbarsten Gepräge; die einen strecken scharfe, spitze Ausläufer wie Stacheln zahllos gen Himmel, die anderen täuschen, aus der Ferne gesehen, alte gothische Kirchen vor, und in wieder anderen sollte man glauben, ein festes Schloß zu erblicken. bis die Nähe dieses durch die barocken Formen erzeugten Phantasiegebilde zerstört. In dem sandigen, kiesigen Grunde, der zu ihren Füßen vorwaltet, erzeugen sie eine gewisse Vegetation, Folge der abfließenden Wässer; im Uebrigen ist der Boden ohne die leiseste Spur von Baum, Strauch, Kraut und Gras. Ein Berg, der zu ihm gehörige Fluß und seine Umgebung führen stets einen Namen, bleiben oft aber auch unbenannt, da die Tibbu im Ganzen nicht sehr gute Geographen sind.
Am folgenden Tage, dem 6ten Juli, fing die sichtliche Hast Kolókomi’s und Bu Zid’s an, mich von Neuem an der sicheren Existenz des Brunnens zweifeln zu lassen. Sie wollten wieder Tag und Nacht marschiren, während meine armen Thiere noch weit davon entfernt waren, sich erholt zu haben, und nur selten gelang es mir, einige Stunden Rast zu erkämpfen.
Am 7ten Juli, Mittwoch, waren wir bis Abends 9 Uhr wacker marschirt, da Alle behaupteten, wir müßten, um den Brunnen am nächsten Morgen zu erreichen, die Nacht durch reisen, als plötzlich der Jüngling zaudernd und zweifelnd die Felsen betrachtete, die wir passirten, und bald darauf gestand, daß er in der Dunkelheit des Weges nicht mehr sicher sei, daß er die Felsen nicht kenne, daß er überhaupt den Brunnen selbst nie gesehen habe und daß er endlich nicht so ganz sicher sei, daß er Wasser enthalte. Wir lagerten diesem Geständnis entsprechend und fanden uns am nächsten Morgen ungefähr in derselben Lage wie 8 Tage zuvor. Unser Wasservorrath war erschöpft; doch allerdings hatten wir noch keinen Durst gelitten, war das Wetter (der Himmel hatte sich Tags zuvor mit Regenwolken bedeckt) unserem Zustand sehr günstig, und konnten wir fast sicher Hülfe erwarten, indem Byrsa vernünftiger Weise vorgeschlagen hatte, uns nicht auf die vaguen Angaben des Jünglings zu verlassen, sondern ihn selbst nach Arabu, einem der Nebenflüsse des Abo und Uro, zum Wasserholen auszusenden. Arabu sei eine halbe Tagereise weit, er verspreche, Nachmittags um 4 Uhr zurück zu sein. So sprach er um Mitternacht und reiste sogleich ab. Morgens früh ging auch der Jüngling mit seinem Kameele, um die verlorene Richtung aufzusuchen und dem Brunnen nachzuspüren, während Jeder von uns schweigsam in den Schatten des nächsten Felsens kroch, traurigen Gedanken an unser unvermeidliches Schicksal (in 8 Tagen zweimal vom Durste bedroht!) nachhängend. Zu meinen Häupten saß auf dem Rande des überhängenden Felsens ein Aasgeier, fast die einzigen Bewohner dieser Gegend, und betrachtete mich während der genannten Beschäftigung mit einer Eindringlichkeit, als wenn er schon jetzt ein gewisses Eigenthumsrecht auf meinen Körper geltend machen wollte. Doch diesmal war die Sache nicht so schlimm. Gegen Mittag kehrte der Jüngling mit 2 wohlgefüllten Schläuchen zurück und Byrsa erschien pünktlich seinem Versprechen gemäß mit reichlichem Vorrathe. Wir hatten den Brunnen westlich liegen lassen und mußten gegen Abend mehrere Stunden in dieser Himmelsrichtung wandern, um ihn zu erreichen. Von einem der Felsen, die wir am Abende zuvor passirt hatten, erstreckt sich in südsüdwestlicher Richtung eine lange Reihe von Felsen und Höhen, zu ihren Füßen einen Fluß oder besser gesagt ein Flußthal, das sich durch eine üppige Vegetation von Kameelfutter, d.h. Had, Agul, Siebbot, Bu Rökkeba u.s.w. auszeichnet. Alles dies wird zusammengefaßt unter dem Namen Afo.
Wir erreichten den gesuchten Brunnen von Afo am Donnerstag, den 8ten Juli, Abends 7 Uhr und fanden einen jungen Tibbu, der dort wegen des üppigen Kameelfutters seinen temporären Wohnsitz genommen hatte. Er war ein relativ civilisirter Mann, der weitgereist war, häufig nach Murzuk kam und sich eines gewissen Wohlstandes erfreute. Er war leicht bronzefarbig, so daß die abfärbende schwarze oder vielmehr dunkelblaue Sudantobe und der dito Litham sehr sichtbare Spuren auf seiner Haut zurückließen, hatte eine etwas herunterhängende Nase, welche sich über dicken Lippen dem Kinn zu nähern bestrebt war, und hieß Iüsseba. Ich verdanke ihm den mehrtägigen Genuß frischer Kameelmilch, die ich sehr liebe, und die nach den gehabten Anstrengungen außerordentlich erquickend für uns war.
Ich gab ihm dafür 10 Dráa weißen Baumwollenstoffes (Dráa von der Spitze des Mittelfingers bis zum Ellbogen reichendes Maß, das in diesen Ländern ausschließlich in Gebrauch ist), Taback, ohne den kein redlicher Tibbu existiren kann (sie kauen ihn getrocknet, doch grüngelassen) und einige Nähnadeln, stets der erste Gegenstand, worum man bei den Tibbu Reschade angehalten wird. Mit den 10 Dráa Stoffes bekleidete er nothdürftig seinen Sklaven, den er bei sich hatte, und der fast ganz nackt war. Auch der Neffe Kolókomi’s Wolla wandte sich hier östlich seinem Wohnsitze zu (er bewohnt das nordöstlichste Flußthal Tibesti’s, Abo oder Uro genannt, das wie alle anderen von ONO nach WSW fließt) und mußte ich mich zu einem Geschenk von ebenfalls 10 Dráa Ketan oder Kalkatton, wie es in der modi Teda oder Tibbusprache heißt, bequemen. Er ging zufrieden von dannen, und verdiente diese Bescheidenheit eigentlich mehr.
Der uns seit 3 Tagen führende Jüngling bekam ein Stück Ssasch, d.h. Stoff zum Turban und wandte sich wieder seinen Loloquinthen zu, während wir uns während des ganzen Freitags und halben Sonnabends der Ruhe hingaben.
Am 10ten Juli Nachmittags, es war Sonnabend, brachen wir gen Südosten auf, um eins der Haupt-Populations-Centren Tibesti’s, Namens Tao zu errreichen. Wir befanden uns hier auf bekanntem Terrain und brauchten uns nicht mehr vor Verdurstung oder Verirrung zu fürchten, sondern hatten jetzt unsere Bedenken auf die Menschen zu richten. Noch am selben Abend erreichten wir Enneri Uduï, wie die westliche Fortsetzung des Enneri Abo genannt wird und lagerten in seinem Bette, das hier keinen Baumwuchs, sondern nur reichlichen Krautwuchs hat. Weiter östlich tritt hier zum ersten Male in diesem Flusse die Dumpalme auf, welche sonst noch im ganzen Tibesti selten ist.
Am nächsten Morgen hatten wir einen ansehnlichen Blick über das Land. Im Osten und Nordosten sah man eine Gebirgskette, welche im Südosten in einen Riesenberg, dessen Conturen nur undeutlich durch die nicht ganz transparente Atmosphäre erschienen. Der nördliche Anfang entsprach nach der Information meiner Tibbu-Begleitung der Lage von Arabu, von woher Byrsa Wasser geholt hatte, und der kolossale Berg, der trotz seiner Höhe die Form eines relativ zu seiner immensen Basis niedrigen Kegels hatte, wurde mir als die höchste Erhebung Tibesti’s, Emi (Berg) Tusidde vorgestellt. Südlich von ihm konnte das Auge bei der geringen Durchsichtigkeit der Luft nichts erkennen.
An der Stelle des Flusses Uduï, an der wir lagerten, mündete grade eines der bedeutendsten Nebenflußthäler in ihn, Enneri Ara, der weiter östlich ebenfalls reichen Baumwuchs, hier aber nur Kameelfutterkräuter hat. Er kommt von Südosten, vom westlichen Abhange der eben erwähnten Gebirgskette und hat wohl die Länge eines kleinen Tagesmarsches.
Wir ließen unsere Kameele hier noch einmal im herrlichen Kraute schwelgen und brachen erst spät am Vormittage auf. Obgleich in diesem Gebiete die barockgeformten Felsen der verflossenen Tage seltener wurden, so war der Charakter der Gegend nach der Passage des Uduï für kurze Zeit der frühere, und passirten wir die massenhaften Felsen Budday und Aterkélluli an diesem Tage (Sonntag, 11ten Juli) und dem folgenden. Am letzteren zogen wir Montags Morgens früh vorüber, passirten im Laufe des Tages 3 Flüsse namens Kjauno, welche vom westlichen Abhange des genannten Riesenberges entspringen und einen kurzen Tagesmarsch lang sich in südwestlicher Richtung, wie der Uduï, bis zu dem einzelnen Felsen Mesan erstrecken, wo sie sich in der Ebene verlaufen.
Allmählig hatte uns unsere südöstliche Richtung dem centralen Gebirgszuge genähert, so daß wir am genannten Montage gegen Abend schon seine Ausläufer berührten: Zuerst die Felsen von Mini mit dem Flusse gleiches Namens, der sich, mit den 3 Kjauno vereint, im Sande verläuft. Am Dienstag Morgen marschirten wir dicht neben der Gebirgskette her, zwischen ihren Ausläufern durch und über die Ursprünge von 4 Flüssen, Ssossobschi (4 desselben Namens, da sie von einer Felsreihe, welche diesen Namen führt, entspringen) hinweg. Doch verlor die Kette hier ihren geschlossenen Charakter; sie schien wie unterbrochen, und anstatt ihrer erschienen verschiedene Ketten der verschiedensten Dimensionen. Die genannten 4 Flüsse gehören mit dem Daussada zu einem System, das die Eingeborenen unter dem Namen Enneri Tao zusammenfassen, d.h. sie sind als Nebenflüsse des letztgenannten, welche ungefähr gleich groß sind und sich nahe dem Berge Dusso vereinigen, anzusehen.
Wir passirten an diesem Dienstag Morgen diese beiden Flüsse, welche, vereinigt mit dem südlich sich findenden Enneri Zuar am Emi (Berg) Drusso, der eine halbe Tagereise von Tao und ebensoweit von Suarkai (Mund des Suar, d.h. Ort, wo er die Felsen verläßt) entfernt ist, zusammenläuft, um sich westlich von diesem Berge bald in der Ebene zu verlieren. Wir lagerten frühzeitig am Vormittage auf dem Ufer des Daussada. Das war der Ort, der als Populations-Centrum Tao bekannt ist. Alle Erkundigungen der Reisenden ergaben, daß Tao eine der Hauptstädte Tibesti’s sei mit zahlreicher Bevölkerung. Ich entdeckte ungefähr ein halbes Dutzend miserabler Hütten, die augenblicklich verlassen waren bis auf 2. Diese Hütten waren durchaus anderer Art, als die welche ich bei Gelegenheit der Tibbudörfer Fesan’s zu beschreiben Gelegenheit genommen habe. Der eigentliche Tibbu Reschade bewohnt entweder die natürlichen Höhlen, welche die Natur in den Sandsteinfelsen oft wunderbar heimisch und häuslich eingerichtet hat, oder er legt große Steine mehr oder weniger kreisförmig übereinander bis zur Höhe von ungefähr 5 Fuß und bedeckt sie nothdürftig mit Zweigen der Talka (Gummi Akogin); oder endlich steigt eine Stufe höher in der Baukunst und verfertigt die Hütten, welche sich an den verschiedenen Populations-Centren Abo, Tao, Suar finden. Sie stecken starke Stäbe der Talka (ca 4-5 Fuß lang) fest in den Boden in Form eines Rectangels, dessen eine Seite etwa 6 Schritte und dessen kurze etwa 2½ messen, fügen einige etwas längere in der Mitte des Rectangels zur Tragung der Bedachung hinzu, verbinden alle durch Querstäbe und behängen das ganze Gerüst mit Matten, aus Dum-Blättern geflochten, sorgfältig eine kleine Öffnung lassend, durch die man ein- und auskriecht, Licht empfängt und ventilirt: eine etwas große, comfortable Hundehütte, nichts weiter. Das erstgenannte Genre von Wohnungen scheint ihnen schon im Alterthum den Namen Troglodyten, Höhlenbewohner, verschafft zu haben.
In den letzten Flüssen, oder besser Flußthälern, da sie stets des Wassers baar sind, welche die alleinigen Träger der Vegetation sind, waltet stets die Talka vor, doch finden sich auch häufig der Arkeno, ein sehr holziger, ungemein verästelter Baum mit ganz kleinen Blättern, dessen Ästchen und Zweigelchen so dicht, ja so verfilzt sind, daß sie vollständigen Schatten und sicheren Schutz gegen Regen gewähren; der Kussomo, Baum oder mehr Strauch ohne Blätter, gelbgrün, mit langen grüngelben stumpfstacheligen Fortsätzen versehen anstatt Blätter und die Tintáfia (Asclepiadea gigantea?). Unter dem Schutz dieser Bäume und Sträucher gedeiht reichliches Kameelfutter (Bu Rökkeba, Siebbot u.s.w.) Doch wird das beste, der Had, eine stachelige, distelige Pflanze, seltener. Aus der Thierwelt sah ich die Spuren von Gazellen und Antilopen, des Fenek, selten eines Straußes, aber häufig einer augenscheinlich sehr großen Affenart, deren Individuen ich jedoch erst in Tao zu Gesicht bekam und im Enneri Suar sehr häufig sind. Sie erreichen die Größe eines Menschen, sind schwarz wie die Felsen, die sie bewohnen, und licht gefärbt an Brust und Bauch, haben nur ein kurzes Schwanzrudiment und leben nicht in großen Trupps.
Als wir uns am genannten Morgen, Dienstag’s, 13ter Juli, dem sogenannten Orte Tao näherten, kam ein Mann des Litham zu Mäheri auf uns zu, begleitet von einer Frau zu Fuß. Als wir nahe bei einander waren und die Tibbu sorgfältig ihren Litham zurechtgezupft hatten, begann die früher beschriebene Begrüßungsceremonie und dann wurde klar, daß der Ankömmling, Bewohner von Suar, ein Cousin Bu Sid’s und Galma, Sohn des früheren Sultans von Tibesti, Namens Sselémmo sei. Er entwickelte daraufhin ein sehr fertiges Arabisch, da er seine ganze frühere Jugend in Fezzan zugebracht hatte und erzählte, wie alle Einwohner nach Bardaï gegangen seien und er selbst im Begriff stehe, nach Fesan zu wandern, doch wie er bei so außergewöhnlichem Besuche für jetzt natürlich auf seinen Plan verzichte, wenn ich seine Begleitung wünsche. Ich lehnte zwar ab, doch sein Vetter Bu Sid setzte es durch und hielt ihn zurück. Er war ein junger Mann von heller Hautfarbe, Form von Gesicht und Kopf fast arabisch, doch durch die Züge, die keineswegs negerhaft waren, einen anderen Ursprung verrathend.
Herabhängende Nase, dicke Lippen, vorstrebendes Kinn und ein lauernder Blick bildeten kein sympathisches Ensemble. Er war gekleidet in eine helle Bornutobe, dito Hosen, dito Takia und dito Turban, an den Füßen, wie alle seine Landsleute, Sandalen habend. Die ihn begleitende Frau war seine Tante, ein schmutziges, etwas dunkleres altes Weib, mit männlich determinirtem Schritt, nicht üblen regelmäßigen Gesichtszügen (natürlich das übliche Loch im rechten Nasenflügel), zierlich aristokratischen Gliedmaßen und bekleidet mit einem zerrissenen Hemde und einem großen Stück blauen Kattuns, dessen man sich als Überwurf über Kopf und Körper bedient. Mit derselben Determinirtheit, von der ihre Gangart zeugte, mischte sie sich in das Gespräch der Männer, kaute Taback, wie ein Mann, und speichelte mit derselben Gewandtheit den grünlichen Saft durch eine Zahnlücke weit hinaus.
Wir zogen gemeinschaftlich dem verlassenen Orte zu und lagerten wie gesagt, in seiner Nähe auf dem Ufer des Daussada. Hier hörten wir, daß auch von Suar fast alle Bevölkerung nach Bardaï verschwunden sei, und daß, wenn der Sultan noch nicht denselben Weg genommen habe, er sicherlich in den nächsten Tagen abreisen werde. Der Grund zu dieser allgemeinen Auswanderung nach Bardaï ist folgender: Bardaï ist das bedeutendste Flußthal auf jener Seite der Berge, an dessen westlichem Abhange wir uns befanden, das bewohnteste von ganz Tibesti, und hat eine bedeutende Dattelpalmencultur, das einzige des Landes, in dem dieser Baum gezogen wird. In Folge dessen ist die Bevölkerung eine ganz sitzende geworden, lebt in geschlossenen Ortschaften, deren Häuser gleich den Fesaner Palmzweig-Hütten sind, und cultivirt sogar Gärten. In diesen wird eine bedeutende Quantität Weizen, etwas mehr Krob (Negerhirse) und wenig Ngafoli (Durra) gezogen. Auf der westlichen Seite dagegen des centralen Gebirgsstockes in den zahlreichen Flußthälern Abo, Arabu, Aru, Kjauno, Mini, Dommado, Dussada, Suar, Marna, Krema gedeiht außer einigen Dumpalmen, deren Früchte den Einwohnern zur kümmerlichen Nahrung dienen, nur Kameel- und Ziegenfutter. Die Ziegenheerden der Tibbu Reschade sind sehr groß, neben einigen Kameelen ihr einziger Reichthum. Solange frische Kräuter und Gräser nach dem gewöhnlichen im Herbst und Winter stattfindenden Regen die Ziegen in den Stand setzen, Milch zu produciren, erfreuen sich die Einwohner dieser Nahrung. Daneben verzehren sie im Winter und Frühjahr den kleinen Vorrath von Datteln und Mehl, den sie etwa eingelegt hatten und haben vor der neuen Dattelernte in Bardaï, in Fesan, in Kauar, in Borgu, im Monat August und September sozusagen nichts, als die Dumfrüchte, deren Schale sie genießen. Diese ist selbst so hart, daß sie sie durch Klopfen mit Steinen erweichen müssen, und wenn Du in stiller Sommernacht ein melancholisches, dumpfes Klopfen hörst, so weißt Du, daß Jemand den vergeblichen Versuch macht, aus der Schale der Dumfrucht seinem hungrigen Magen Nahrungsstoff zuzuführen. Irgendwelche Kultur fehlt auf der westlichen Seite des Gebirges wie Feld und Garten, und Niemandem fällt es ein, bei dem nagenden Hunger seine Ziegen zu schlachten. Dies ereignet sich nur zu ganz besonderen Festlichkeiten. So leidet der Tibbu Reschade einen großen Theil des Jahres hindurch wirklichen Hunger und erwartet mit Ungeduld die beginnende Reife der Datteln, um sich nach Kauar, Fesan oder Bardaï zu begeben. Am liebsten wählt er Fesan, das bei weitem die meisten und besten Datteln liefert, während ihm Kauar außer der schlechten Qualität der Frucht nicht sicher genug ist. In diesem Jahre waren die politischen Beziehungen zwischen Fesan und Tibesti so gespannt, daß die Tibbu auf diese Aushülfe verzichten und sich auf das eigene Land beschränken mußten. So eilte Alles selbst vor der wirklichen Dattelreife nach Bardaï, da eine alte Sitte, welche auch in Fesan Gültigkeit hat, selbst denen, welche keine Bäume besitzen, die Erlaubniß giebt, die einzeln reifenden Datteln nach Belieben an Ort und Stelle zu vertilgen, bevor die allgemeine Reife zur Erndte qualificirt.
Ich habe Deinen lieben Brief richtig erhalten; hoffentlich hast Du jetzt den ersten meinigen seit meiner Rückkehr ebenfalls und bist außer aller Unruhe. Fräulein Tinne ist allerdings ein Opfer des Verraths geworden, wäre aber wohl kaum bei dieser Gelegenheit ermordet worden, wenn sie bessere Leute gehabt und weniger Reichthümer besessen hätte. Sie hatte nur die beiden armen holländischen Seeleute, auf die sie sich, soweit es persönlichen Muth betraf, verlassen konnte. Aber diese, natürlich ohne Kenntniß von Land und Leuten, ohne eine Idee der Sprache, hatten keine Ahnung, daß sich etwas Unheimliches in der Gegend vorbereitete, und fielen als erste Opfer. Die moralischen Urheber sind vielleicht nicht die Tuareg, die ausgeführt haben, sondern die Araber, die mit ihren Muth-Kameelen die Dame escortirten, mit den Verräthern unter den Dienern. Und das Gerücht ihres Reichthums circulirte in so abenteuerlich vergrößerter Weise, daß es civilisirtere Leute in Versuchung führen konnte. Ihre Leute sind noch hier, und haben wir noch nicht reussirt, sie nach Tripoli zurückzuexpediren. Sie sind so voller Furcht, daß sie krank werden, wenn der Tag der Abreise kommt.
Die hier von Frl. Tinne zurückgelassenen Sachen werden schwer zu transportiren sein, denn auch die Convoitise du Ambre ist naß* geworden, und meditiren sie, wie wir hier sichere Nachrichten haben, sich derselben zu bemächtigen.
 

* Beim Abschreiben sinnentstellt? Convoitise: Begehrlichkeit.


 (Abschrift)

Mursuk am 15ten December 1869

Wir warteten die Rückkehr des Boten, den Galma nach Zuar geschickt hatte, um sich zu erkundigen, ob der Sultan schon dem allgemeinen Strome nach Bardaï gefolgt sei, nicht ab, sondern setzten am 14ten Juli, d.h. am Tage unserer Ankunft in Tao, unseren Weg nach der Residenz des Sultans und der angesehensten Edlen fort. Es war dies vorzüglich mein Wunsch, da ich vor meiner Reise nach Bardaï gern so weit als möglich auf der westlichen Seite der Berge nach Süden vorgedrungen wäre. Einmal in Bardaï, war es wahrscheinlich schwierig, nach Zuar, Marmar u.s.w. zurückzukehren. Wir brachen gegen Abend auf, überschritten einige kleine Nebenflüsse des Daussada, unter denen der bedeutendste Enneri Sabon war, hielten eine südliche Richtung ein und lagerten nach ca 2 Stunden (um 7 Uhr Abends) im Enneri Kázanei, ebenfalls einem Zuflusse des Daussada. Wir lagerten, weil hier von dem centralen Gebirge eine Kette nach Westen verläuft, welche den direkten Weg nach Süden versperrt. Der kürzere aber schwierigere Weg führt über diese Kette fort, der andere umgeht in der Ebene zum größten Theil das Gebirge. Mit der dem Tibbu eigenthümlichen Vorliebe für Berge und Felsen hatten unsere Führer beschlossen, den kürzeren Weg einzuschlagen, und da dies bei Nacht unmöglich war, erwarteten wir im genannten Enneri Kázanei den Anbruch des Tages. Die Übersteigung des Gebirgszuges war außerordentlich schwierig, besonders für meine ohnehin schon abgeschwächten Kameele. Der Weg führt durchschnittlich in südlicher Richtung, doch mit zahlreichen Windungen und Abweichungen. Als wir nach ca 2 Stunden (um 8 Uhr) die höchste Erhebung erreicht hatten, begegneten wir unserem Boten, der die Nachricht von der erfolgten Abreise Tafértemis brachte und einen sehr ungünstigen Bericht über die zurückgebliebenen Edlen abstattete. Die Heftigkeit und Energie, mit der sich ihre Feindseligkeit gegen Fremde und besonders Christen geäußert hatte, schien ihm bedenklich für mein Hab und Gut, und für Leben und Sicherheit.
Es wurde Kriegsrat gehalten und endlich beschlossen, einen competenteren Boten an die Edlen in der Person Byrsa’s abzuschicken und seine Antwort am Fuße des Gebirges an einem Orte, wo sich Wasser fände, abzuwarten. Byrsa verschwand mit der ihm angeborenen Leichtfüßigkeit, und wir stiegen gegen Westen in die Ebene hinab und warteten am Anfange des Flüßchens Tinfisi im Schatten seine Rückkehr ab. Dieselbe erfolgte um ca 2 Uhr, und seine Antwort war eine mehr oder weniger freundliche Einladung der Edlen Zuar’s nach Zuarkai zu kommen, wohin sie uns schon entgegengekommen waren. Wir brachen also auf, zogen in südwestlicher Richtung auf die westliche Extremität der Gebirgskette los, aber umgingen dieselbe nicht vollständig, sondern engagirten uns in den Abergebâ-Paß, der uns ohne besondere Schwierigkeiten um 6 Uhr auf die andere Seite des Gebirges (seinen südlichen Abhang) führte. Von seiner Höhe hatte man einen sehr instructiven Überblick über die Flüsse Tao’s und Zuar’s, von denen jene westlich (mit unmerklicher südlicher Abweichung) auf den Emi Drusso zu verliefen, während der Suar, aus OSO kommend, auf denselben Berg zu seinen Lauf nahm. Zahlreiche Nebenflußthälchen mündeten in die beiden Hauptthäler, welche sich in der Nähe des genannten Berges vereinigen, um bald darauf im Sande zu verlaufen. Vom Abergebâ-Passe stiegen wir in südöstlicher Richtung in die Ebene des Zuar hinab, überschritten 3-4 unbedeutende Nebenflüsse desselben, welche von Nordost in ihn mündeten und lagerten an dem Zuarkai genannten Orte etwas nach 7 Uhr. Zuarkai heißt in der modi Teda (d.h. Tibbusprache) „Mund des Zuar“, da der Fluß hier aus den Felsen in die Ebene mündet. Einige wenige Hütten kennzeichnen diesen Ort als bewohnt, doch enthielten sie nur spärliche Bewohner, einige Frauen und Kinder, die noch nicht nach Bardaï aufgebrochen waren. Das Thal des Zuar zeichnet sich durch eine reiche Vegetation des Siwak-Busches aus, dessen Beeren im frischen Zustande süß, im getrockneten einen Geschmack so scharf als Pfeffer habend, dem stets hungrigen Einwohner zur Nahrung dienen.
Kaum hatten wir das Zelt aufgeschlagen und uns gelagert, als ein Dutzend Individuen auf der Bühne erschien, um uns zu begrüßen. Es waren dies die 4 Edlen mit einigen Anhängern, die mir bis hierher in Witterung von Beute entgegengekommen waren. Sie hockten im Halbkreise vor mir nieder, ihre Waffen (d.h. eine Lanze, 2-3 Wurfspeere, das Wurfeisen) aufrecht in der Hand und machten mit mir kunstgerecht die früher beschriebene Begrüßungsceremonie durch. So sehr mich ihre Begrüßung befriedigte, so sehr beunruhigte ihr Erscheinen Ali und Saad, als sie mit dem Bemerken, daß es unendlich lange her sei, seit sie „keinen warmen Löffel im Leibe gehabt hatten“, um eine warme Mahlzeit baten. Für einmal konnte die Sache hingehen, aber häufigere Angriffe von 12 Mann halbverhungerter habgieriger Canaillen waren allerdings nicht ohne Bedenken. Doch meine Hoffnung stand auf Bardaï, das mir von Allen bisher als ein reiches Füllhorn voller Datteln und Getreide geschildert war. Am nächsten Morgen erschienen diese „edlen“ zerlumpten Würdenträger wieder, und ihre Gestalten sowohl als ihre Intentionen traten klarer zu Tage. Da war der alte Dirkui, ein Greis mit ziemlich hellem Gesichte, regelmäßigen Zügen, weißem ziemlich reichlichem Barte und mittlerer Größe; Derdékore, ein junger Mann mit etwas vorspringender unterer Gesichtspartie, die mit dunklem Barte bedeckt war, dicken Lippen, großem Munde und sehr schönen weißen Zähnen, mäßiger Broncefarbe und mittlerer Größe; Keidomi, ein Mann mittlerer Jahre, groß und schlank, schwarz mit sporadischem Barte, doch regelmäßigen, kaukasischen Gesichtszügen; und endlich Gordoï oder Gordemi, auch Konkki, der Kleine genannt, zarten Gliederbaues, ebenso mager als klein, mit winzigem, verkniffenem Gesichte, dünneren Lippen, herabhängender, doch nicht langer Nase, scharfem etwas vorspringendem Kinne, mittlerer Bronzefarbe und spärlichen Bartes. Sie waren in zerrissene farbige Toben aus Bornu und dem Sudan gekleidet, trugen ihre weißen, baumwollenen Takien vor dem unteren Theil des Gesichts, meistens eng in den Turban (Litham) von nicht eben blendendem Weiße gewickelt. Nur Derdékore trug eine anständige dunkle Sudantobe und den dunkelblauen Litham. Der Rest der anwesenden Individuen war schwarz oder dunkel bronzefarbig, äußerst abgerissen, mit ängstlich mageren Gliedmaßen und verschiedenartigen Physionomien, deren keine Negerzüge entwickelte.
Nachdem sie noch eine warme Mahlzeit schon vor Sonnenaufgang erbeten hatten, welche Mohammed-el-Gatroni nicht vorenthalten zu dürfen glaubte, trotz des mißfälligen Murmelns der andern beiden, begannen sie, wahrscheinlich, um eine der Verdauung günstige, mäßige Aufregung hervorzurufen, andersweitige Ansprüche zu formuliren. Eine heftige Discussion entspann sich zwischen ihnen und meinen Advocaten, die in Galma, Bu Zid und Byrsa bestanden. Sie verlangten ihr „Recht des Flusses“, d.h. Geschenke an Toben, weißem Baumwollstoffe, rothen Takien und Turbanstoffen. Ich weigerte mich natürlich mit dem Bemerken, daß ich alle meine Geschenke in die Hände des Sultans deponiren würde, der ja besser wissen müsse als ich, was jedem zukomme. Letztere Idee lachte ihnen aber durchaus nicht, ja ohne den geringsten Respect vor ihrem Staatschef meinten sie, er würde alles für sich behalten wollen, es sei also sehr glücklich, daß er schon abgereist sei. Ohne die pflichtmäßigen Geschenke werde man mir nicht erlauben voranzurücken, und ebensowenig die Absicht, die ich ihrem gewaltthätigen Benehmen gegenüber aussprach, auszuführen, nämlich sofort den Rückzug nach Fesan einzuschlagen. Doch ebensowenig wollten mich die Schurken regelrecht berauben und setzten meinem Vorschlage, doch gewaltsam zu nehmen, was sie wünschten, die hartnäckigste Weigerung entgegen. Sie wollten mich eben zwingen, meine Schätze mit guter Miene herauszugeben. Als ich einsah, daß weder Vorrücken noch Zurückgehen ohne ernstlichen Kampf, der natürlich meine Reise aufs Unwiderruflichste unterbrechen würde, möglich war, traten wir in Unterhandlungen über den Betrag des „Rechts des Flusses“. Es wurde discutirt von Sonnenaufgang bis zur Zeit des Ascha, d.h. 1½ Stunde nach Sonnenuntergang, mit der einzigen Unterbrechung einer dritten warmen Mahlzeit zur Mittagsstunde. Der Hauptsprecher auf feindlicher Seite war Derdékore, der eine dialektische Gewandtheit entwickelte, welche ihm den unbestrittensten Einfluß auf seine Umgebung sicherte. Mein Schutz, der Edle Kolókomi, zog sich bald beschämt zurück, kein Mensch hörte seine Worte an. Ich sah hier zum ersten Male klar, wie dieser Mensch ohne den geringsten Einfluß und ohne alles Ansehen in seiner Heimath, also von Hadz Dzaber zu Gatron sehr schlecht zu meiner Begleitung gewählt worden war. Auch der Mrabet Bu Sid konnte seiner Rede wenig Gehör verschaffen, um so weniger, als durch irgendeine Indiscretion bekannt geworden war, wie hoch sich die Summen beliefen, welche er und Kolókomi von mir erhielten und erhalten sollten. Sie schlossen aus der Höhe derselben, daß meine Absicht eine ganz niederträchtige Speculation auf ihr Land und seine geringen Reichthümer sein müsse; denn wer, besonders von den so klugen Christen, sei wohl dumm genug, so viel Geld zu opfern und sich unter so verrufene Leute zu wagen, als sie selbst seien, ohne sichere Aussicht auf reichen Gewinn? Kolókomi sei einfach ein Landesverräther und Bu Sid ein Betrüger, denn wie könne er ein Land verkaufen, an dem er gar keinen Antheil habe? So hatte ich nur Galma und Byrsa, die meine Sache führten, und ich brauche wohl kaum hinzuzufügen, daß dieselbe mit einer gänzlichen Niederlage endigte. Zwar hatte sich Gordoï in angeborener Schläue bereiterklärt, mich nach Bardaï zu begleiten und dort seinen Antheil an Geschenken in Empfang zu nehmen, und Galma selbst konnte nicht anders, als sich ebenfalls bereit dazu zu erklären; doch als die 3 feindlichen Edlen, durch Derdékore fortgerissen, durch Nichts zu bewegen waren und ihren Preis fixirt hatten, zogen sie ebenfalls ihr Versprechen zurück und beanspruchten, als die Übrigen befriedigt waren, ihren Antheil. So mußte ich an diesem unheilvollen Tage 3 schöne rothe Tuchburnusse opfern, Turbane für Alle, dunkelblaue (schwarze) Sudantoben, 3 rothe Takien und 3 Stücke (Makta) Ketan (weißen Baumwollenstoffes). Der Sprecher Derdékore verteilte zu meinem Erstaunen seinen Antheil an der Beute unter seine Anhänger. So dringt der Ehrgeiz (und es liegt hier reiner Ehrgeiz vor, ohne alle Aussicht auf materiellen Gewinn, dessen die Edlen als solche nicht theilhaftig werden) selbst in die einsamen Thälern Tibesti’s und die bescheidenen Verhältnisse der wilden Tibbu. Er aspirirte, dem bekannten Edlen Arami an Macht und Ansehen im Lande gleichzukommen.
Bu Zid suchte mich dadurch zu trösten, das er diese Plünderer als die gewaltthätigsten und den Fremden Feindseligsten schilderte, welche ja übrigens doch, als den edelsten Familien angehörend, Jeder einen Burnus oder eine Tobe hätten empfangen müssen. Ihre Beute vertheilt, befreiten sie mich von ihrer alpdrückenden Gegenwart, mich ihrer Wohlgewogenheit und Dienstwilligkeit versichernd für den Fall, daß ich ihre Wohnsitze im Enneri Zuar besuchen sollte. Letzteres war der einzige Profit, den ich aus der traurigen Episode ziehen konnte. Ich beschloß, den Umstand zu benutzen und sofort zum Besuche des Enneri Zuar, Marmar u.s.w. aufzubrechen. Am nächsten Morgen ging ich mit einem Kameele, Byrsa, Mohammed-el-Gatroni und Saad ab, begleitet vom Edlen Gordemi, der im Enneri Zug wohnend, nicht mit seinen Genossen aufgebrochen war. Das Gepäck, Kolókomi, Bu Zid, Galma, Giuseppe und Ali sollten nach Tao zurückkehren und dort meine Rückkehr erwarten.
Am Sonnabend, den 17ten Juli, betraten wir durch den Kai (Mund) den Theil des Enneri Zuar, der innerhalb des Gebirges verläuft und folgten dem Lauf des Flußbettes in OSOlicher Richtung. Dieses war Anfangs zwischen 100-150´ hohen Sandsteinfelsen sehr eingeengt, hatte einen sandigen Grund und war bordirt mit Siwakbüschen, Talhabäumen und Tintafien. Seine Breite mochte etwa 50 Schritt betragen. doch nach 1½stündiger Wanderung erweiterte sich das Bett zu einem weiten Thale, das Anfangs durch die Einmündung verschiedener Nebenflüsse eine kesselförmige Gestalt hatte. In der Mitte des kesselförmigen Thales erhob sich der Emi Besérr, der nicht ganz isolirt dastand, sondern nach Nordwesten mit dem Gebirge zusammenhing. Von Nordwesten mündete das Flüßchen Sardé, von Nordosten der Meschérr und von Südwesten Enneri Garkoï in das Hauptthal und erzeugten so die Verbreiterung. Diese hielt übrigens von hier aus an und stellte so ein reizendes Thal dar, was durch seine reiche Vegetation, durch das Leben, das in ihm herrschte und durch den pitoresken Contrast der mannigfaltigen Bäume und Sträucher mit den schwarzen Felsen, welche die Ufer bildeten und dem hellen Sande, welcher das Bett bildete, sich vor allen anderen Flußthälern Tibesti’s auszeichnete und sich für ewig in mein Gedächtniß graben wird. Da war die Gummi-Akazie, Talha und im Toda „Tefi“ genannt, mit ihrem frischen kräftigen Grün, die zahlreichen Siwaksträucher oder Büsche mit ihrem hellen saftigen Grün; die Tintafia, zwischen beiden in der Färbung stehend, ein Bild der Grazie und jugendlichen Frische; der Arkeno, dunkelholzig, knorrig, ein Bild der Kraft, ohne Anmut und Frische, der Kússumo, halb Baum, halb Strauch, gelbgrün, blätterlos, ein herbstlicher Anblick: und zwischen ihnen tummelten sich ganze Heerden graziöser Gazellen, schossen seltene Antilopen dahin und bauten jene zierlichen, kleinen Vögel in den Talhabäumen ihre Nester fast in die Luft, sie nur an einem dünnen, scheinbar so schwachen Stiele aufhängend. Selbst die schwarzen Felsen sind belebt von Wesen, so schwarz als sie selbst. Eine große Affenart, fast schwanzlos, schwarz, hellgefärbt unter Brust und Bauch, fast von menschlicher Größe, treibt in ihnen ihr Wesen. Mit Vorliebe klettern sie in den Talhabäumen, und trotz der spitzen, unwiderstehlichen Stacheln von bis zu 3 Zoll, welche dieser Baum hervorbringt, machen sie dort ihre akrobatischen Übungen.
Das seltene Ereigniß eines kurzen, doch starken Regens überraschte uns hier. Ein Arkeno, obgleich dieser Baum fast blätterlos ist, bot uns durch seine engverschlungenen, ja fast verfilzten Äste und Ästchen einen effektvollen Schutz.
Das Thal des Suar ist nicht allein das anmuthigste, das pitoreskeste, sondern auch wasserreichste, ein Umstand, der in diesen Gegenden schwer in die Wagschale fällt. Häufige Cisternen in den Sandsteinfelsen boten Menschen und Thieren das notwendigste Mittel der Existenz dar.
Gegen Abend verließ uns Gordemi, in den von Süden mündenden Zug einbiegend, und nachdem wir eine längere Verengung, wie zu Anfang unseres Tagesmarsches, durchgemacht und an einer weiteren Cisterne den Ort besucht hatten, an dem früher der Sultan Tafertemi und seine Umgebung lebte, lagerten wir, ohne den Wohnsitz meiner Plünderer erreicht zu haben.
Am nächsten Morgen trafen wir einen anderen riesigen Wasserbehälter und einen Tibbu Kauar’s an ihm mit seinem Kameele und seinem Sclaven. Er kam von Borgu und erzählte Schauerdinge von den Ghasien, welche die Bulgeda ausführten. Er selbst reiste Tag und Nacht, soweit es die Kräfte seines Kameeles erlaubten und prophezeite die Ankunft dieser südlichen Räuber für die nächsten Tage.
Nach kaum einstündigem Marsche schien sich der Fluß zu theilen. Nach OSO setzte sich das Bett des Zuar fort, und von ONO her kam Enneri Kagu. Das Bett des letzteren betraten wir für wenige Minuten, um dann zwischen den beiden Flüssen auf einer felsenfreien Stelle die Hütten meiner gesuchten Freunde zu finden. Aus einer derselben kroch der alte Dirkui hervor, mich mit sehr contrariirter Miene begrüßend. Er hatte sicherlich nicht geglaubt, daß ich durch meine Anwesenheit einen Angriff auf seine als „Diffa“ (Gastmahl) zu präsentirenden Besitzthümer machen würde. Auch war das Erste, was er mir sagte, daß seine Armuth, trotz seines edlen Blutes ihn verhindere, mir die übliche Diffa anzubieten, da er kein Getreide besitze. So wenig haben die Leute die Gewohnheit, Fleisch zu essen in diesem Lande, daß er nicht einmal an die zahlreichen Ziegen dachte, welche in der Nähe seiner Hütte herum kletterten. Bald kam auch der Redner Derdékore aus irgend einer Felsschlucht hervor, in der er wahrscheinlich seine Hütte hatte, begrüßte mich und erging sich sofort in längerer Rede über die Inconvenienzen meiner Anwesenheit bei ihnen. Zunächst sei es mit Gefahr verknüpft von seiten der Bulgeda, deren Ghasia sie täglich erwarteten, sodann sei mir die Bevölkerung feindlich gesinnt, und sie selbst doch, solange ich auf ihrem Territorium weile, moralisch verantwortlich für mein Leben, und endlich müsse ich doch vom Sultan und den übrigen Edlen die Erlaubniß erhalten, in ihrem Lande herumzuziehen. So wurde mir weder Marmar, noch der obere Lauf des Zuar, der noch 2 Tagereisen lang ist, zum Besuche gestattet; ja, es fehlte nicht viel, so wurde mir meine Rückkehr nach Zuarkai gefährdet. Es kam nämlich, während ich mit Dirkui und Derdékore und Keidomi, der sich auch eingefunden hatte, verhandelte, ein Tibbu zu Mäheri an, gesellte sich zu uns, ohne mich eines Grußes oder einer Ansprache zu würdigen, äußerte sich nur einmal drohend über meinen Vorsatz, nach Bardaï zu gehen und die Therme Yerike zu besuchen und verschwand dahin, von wo er gekommen war, ohne die Absicht seiner Reise verrathen zu haben. Derdékore folgte ihm, kehrte nach einigen Stunden zurück und berichtete, daß besagtes Individuum zu seinem Wohnsitze zurückgeritten sei, um Gefährten zu engagiren, um uns zu überfallen und im besten Falle auszuplündern. Ob dies wahr oder erfunden war, um mich zur schnelleren Rückkehr nach Tao zu überreden, konnte ich in jenem Augenblicke nicht wissen, genug Byrsa und Mohammed, der Gatroner hielten es für wahr. Ich mußte also in die Rückkehr willigen, und am selben Nachmittage lenkten wir unsere Schritte nach Westen unter den Ermahnungen der Edlen an Byrsa, doch im Falle eines Überfalles ja nicht mit seinen Landsleuten zu streiten, sondern das Kämpfen uns zu überlassen. Die Freude des alten Dirkui, mich so schnell abreisen zu sehen, war so groß, daß er auf die Bemerkung eines Speculanten, es sei eine Schande, mir meinen Reisevorrath aufzuzehren und später bei meinem Besuche keine Diffa zu geben, sich eines Ziegenbocks entäußerte und ihn mir als Gastgeschenk übermachte. Er hielt mir bei der Überreichung noch eine lange Rede über sein edles Geschlecht, seine Armuth und den stolzen Grundsatz „noblesse oblige“. Der arme Denunciant, der auf die Gedärme oder die Klauen oder Knochen speculirt hatte, bekam leider nichts, da es zu spät war, das Thier an Ort und Stelle zu schlachten.
Wir folgten bei der Rückkehr dem Laufe des Flusses nur bis zum Enneri Zug, wo uns Byrsa überredete, seinen Vetter Gordoï, der ja versprochen hatte, uns nach Bardaï zu begleiten, abzuholen. Byrsa fürchtete augenscheinlich ein Recontre mit dem Mäheri-Räuber und seinen Genossen und suchte seinen Landsleuten so aus dem Wege zu gehen, denn es gab vom Enneri Zug ebenfalls einen Weg nach Zuarkai. Wir fanden auch die Hütte Gordoï’s, lagerten in der Nähe derselben, schlachteten unseren Ziegenbock und ließen indessen die Räuber, dem Laufe des Zuar folgend, nach Zuarkai ziehen. Am nächsten Morgen folgten wir dem Enneri Zug, das noch dichter bewaldet ist, als der Zuar, einige Stunden nach Süden, um dann westlich und nordwestlich nach Zuarkai herumzubiegen. Die Räuber waren schon unverrichteter Sache wieder heimgekehrt, wie die Frau Byrsa’s, deren Hütte zu Zuarkai liegt, uns berichtete, und so lagerten wir denn ruhig während des ganzen Tages in der Nähe von Byrsa’s Heimwesen, da er vor der Abreise seiner Frau nach Bardaï noch mancherlei mit ihr zu verabreden und sie überhaupt seit seiner Rückkehr aus Fezan noch nicht gesehen hatte.
Am Abend des nächsten Tages befanden wir uns wieder zu Tao in der gewohnten Umgebung, und kam die Frage, was nun werden sollte, zur Discussion. Dieselbe war von Bu Zid, Kolókomi und Galma schon während meiner Abwesenheit ventilirt und dahin beantwortet worden, daß es unmöglich für mich sei, so direct, ohne weitere Vorsichtsmaßregeln, nach Bardaï zu gehen. Die späteren Ereignisse rechtfertigten diese Meinung. Ich stimmte also zu oder schlug vor, den Bu Zid mit meinen Briefen und Geschenken für den Sultan vorauszuschicken und in Tao seine Antwort abzuwarten. Zugleich sollte er zu Bardaï Getreide und Datteln für uns einkaufen, da unsere Provisionen, Dank den schamlosen Angriffen der Tibbu, bedenklich auf die Neige gingen. Dieser Entschluß erfuhr die strengste Mißbilligung von Seiten meiner Diener, die mich offen anschuldigten, sie unsinniger Weise fortwährend Todesgefahren auszusetzen, und der Meinung waren, sofort nach Fezzan zurückzukehren. Sie waren kräftig unterstützt von 2 Gatronen Mrabetia, die hier auf der Durchreise nach Borgu waren, und die aus meiner Reise nach Bardaï nur Unheil und Gefahren erwachsen sahen. Doch auf der einen Seite waren unsere Mundvorräthe ziemlich aufgezehrt und unsere Kameele auf’s Bedenklichste heruntergekommen, und auf der anderen überwog bei mir die Idee, das centrale Gebirge zu übersteigen und Bardaï zu besuchen zu einer Zeit, wo fast alle Tibbu Tibesti’s in seinem fruchtbaren Dattelthale versammelt waren.
Da während der letzten Zeit der Edle Galma, Sohn des Sultans Selemmo, sehr zudringlich und unverschämt geworden war, und er schämte sich nicht, den unglücklichen Gatronen mit seinen schamlosen Betteleien zu verfolgen, so vertraute ich Alles, was ich noch an Stoffen besaß, und den Rest meines Geldes dem Mrabet an. In der That ward der Schurke seitdem trätabler gegen mich, doch um so hartnäckiger meinem genannten Diener gegenüber. Ja, als er vergebens eine Makta (Stück) Baumwollenzeug von ihm gefordert hatte, beanspruchte er 4 Thaler (Maria-Theresien-Thaler oder Buteir), ging dann auf 2 herunter und durfte es wagen, als er ihm selbst einen einzigen verweigerte, aus dem guten Grunde, daß er keinen hatte, mit Hülfe seiner Tante ihm seine Aba (wollene Decke, die bei Tage als Plaid und über Nacht als Bettdecke dient) gewaltsam zu entreißen. So schutzlos steht der Reisende im fernen Lande, besonders wenn er der Transportmittel und der Eßvorräthe entbehrt, da. Gegen mein Wissen und Willen kaufte Mohammed seine Aba für 8 Draa Ketan (ungefähr 1 Thaler an Werth) zurück, ohne deshalb zugleich seine Ruhe erkauft zuhaben.
Von der Tante Galma’s, Kintafo, hatte ich ein Kameel für Bu Zid gemiethet (zum Preis von 5 Thalern), während sie meine Kameele, Bu Zid’s Mäheri und Kolókomis Stute Naga in Pflege nahm und mit ihnen nach einem Orte von hinnen wich, in dem Had, ein sehr beliebtes, stärkendes Kameelfutterkraut, wuchs. Sowohl sie als Bu Zid versprachen, nach 8 Tagen wieder in Tao anzutreten. So lange konnte zur Noth, wenn nicht allzuviele Schmarotzer sich an uns krystallisiren würden, mein Mohamsa-Vorrath reichen. Nach einigen Tagen setzten die beiden Mrabetia ihren Weg nach Borgu und zu den Mahamid-Arabern zwischen Borgu und Wadaï fort und zwar unter dem Schutze Galma’s, der mich bei der Aussicht auf frischen Gewinn natürlich sofort im Stiche ließ, ohne mir die Tobe, die ich ihm als Extra-Backschisch dafür gegeben hatte, daß er uns nach Bardaï und auf den Weg nach Fezan begleiten sollte, zurückzugeben. Er war übrigens zu dem neuen Engagement sehr geeignet, da seine Mutter von den Batate stammte und er selbst unter den einzelnen Stämmen sowohl als in Borgu sehr bekannt war.
Er spielte uns noch am Tage der Abreise einen häßlichen Streich. Da er aus dem Gatroner noch nicht genug herausgepreßt zu haben glaubte, stürzte er im Augenblick der Abreise unvorhergesehen auf den Ort zu, wo jener sein Gewehr an die Felswand gelehnt hatte, wollte sich desselben bemächtigen und davoneilen. Ich stürzte aus meinem Zelte hervor, entriß ihm die Waffe und deponirte sie mit dem Bemerken, daß alle Waffen der Dienerschaft mir gehörten, in mein Zelt. Enttäuscht begann der Räuber von Neuem mit Mohammed einen Streit, und beide entfernten sich im Laufe des Wortgefechts aus meiner Nähe, ohne daß ich etwas Arges hatte. Weder Kolókomi noch Byrsa wagten die Partei des Rechts gegen ihren einsamen Landsmann zu nehmen, wie ich denn fest überzeugt bin, daß im ernsten Streit nicht allein Kolókomi und Byrsa, sondern sogar der Halb-Tibbu Bu Zid gegen uns gewesen sein würden. Als nach einer Weile Mohammed nicht zurückgekehrt war, wurde mir die Sache bedenklich, und ich erfuhr auf heftiges Drängen, daß der Schurke Galma meinen Diener als Gefangenen fortgeführt habe unter dem Vorgeben, daß er ein früherer Sclav seines Vaters sei, auf den er jetzt seine Ansprüche geltend mache. Unter Verwünschungen gegen die beiden Tibbu, die mir zum Schutz dienen sollten und solchem Raube schweigend zugeschaut hatten, ergriff ich einen Karabiner mit Bajonetthirschfänger und eilte mit Giuseppe auf der Straße nach Zuar voran. Nach einigen Stunden erreichten wir im Geschwindschritt die kleine Karawane und befreiten natürlich den braven Mohammed sofort. Doch den Mrabetia zu Liebe fand ich Galma mit 2 Thalern ab, da er Miene machte, seine neuen Begleiter im Stiche zu lassen, um sich an mir zu rächen. Galma verschwunden, fanden sich nach und nach immer frische verdächtige Gestalten, einstweilen Schmarotzer, aber sicher bei erster Gelegenheit etwas Schlimmeres. Da war der sogenannte „Herr der Quelle“, der an der berühmten heißen Quelle Yerike wohnte und ein gewisses Herrenrecht darüber ausübte; da war der Edle Tangesi, aus edelstem Blute entsprossen, zerlumpt und habgierig wie Alle, aber jedenfalls noch eigensinniger; da waren 2 Jäger mit Windhunden, die mir einen Besuch von 4 oder 6 Tagen machten; da waren Kameelhirten, Ziegenhirten und alles mögliche Gesindel: alle einem Fremden gegenüber sicherlich Diebe und Räuber. Sie beunruhigten mich wesentlich und raubten mir allnächtlich meine Ruhe. Meine Leute ließ ich ihre Gewehre sich an den Leib binden, um sicher zu sein, die Revolver ließ ich nicht von meinem Körper. Doch was konnte ernstlichen Falles das Alles helfen bei dem Mangel an Kameelen und Nahrungsmitteln?
Eines Tages kam der berühmte Edle Arami, sicherlich der, welcher des größten Ansehens im Lande genoß und zweifellos mehr Einfluß hatte in vieler Beziehung als der Sultan. Derdékore hatte ihm einen Expressen gesendet, um ihn von meiner Anwesenheit zu benachrichtigen (Arami befand sich in seinem eigentlichen Wohnsitze Gabon), und er eilte natürlich herbei, um seinen Antheil an der Beute zu holen. Wenigstens hatte seine Anwesenheit das Gute, das ganze mich umschwärmende Gesindel von offenen Gewaltthätigkeiten oder nächtlichen Überfällen abzuhalten. Er selbst speculirte natürlich gänzlich auf mich; sogar Reisemundvorrath führte er nicht auf seinem Kameele mit sich, sondern erwartete alle Natural-Verpflegung von mir Ärmstem, dem der Hunger an die Pforten des Magens klopfte.
Als mein Eßvorrath zu Ende war, verlor sich das Gesindel etwas, nicht ohne daß mir Einer, der „Herr der Quelle“, einen empfindlichen Schaden zugefügt hätte. Als er in Folge des Mangels an Nahrung endlich beschlossen hatte, uns seiner Gegenwart zu berauben, nahm er in der erkenntlichen Weise des Diebstahls einer Doppelflinte von uns Abschied. Der leichtsinnige Ali hatte spät Abends dieselbe neben sich an die Felswand gelehnt und sich selbst am Boden ausgestreckt. Der besagte Dieb erschien und knüpfte ein gemüthliches Gespräch mit ihm an, sich näher und näher zum Objekte seiner Convoitise schlängelnd. Wir lagerten zwischen 2 Felsen, die durch einen schmalen Spalt getrennt waren, durch die gerade ein Mensch passiren konnte. Als er dem Gewehr ganz nah war, faßte er seine Tibbu-Waffen mit einer Hand, und sein gemüthliches Gespräch fortführend und gedeckt durch die herrschende Finsterniß, sprang er plötzlich auf, faßte die Doppelflinte, schlüpfte durch die Felsspalte und ward nicht mehr gesehen. Einen Tibbu bei Tage, auf freiem, ebenem Felde im Lauf einzuholen, ist unmöglich, wie männiglich weiß. Sie sind die gewandtesten Läufer der Welt, wie schon die Alten aus dem Lande der Garamanten* berichteten, und wie die Araber und Fezaner durch zahlreiche, wunderbare Geschichten illustriren. Wenn ihre Verfolgung bei Tage, in der Ebene aber schon ein Pferd erfordert, wieviel unmöglicher ist es nicht, sie bei Nacht zwischen ihren Felsen mit Hülfe der Beine allein zu erjagen! Ihr scharfes Auge, das bei Nacht mit dem der Katze wetteifert, ihre Kenntniß des Terrains, ihre Gewohnheit auf und zwischen den Felsen herumzulaufen, zu springen und zu klettern, und ihre harte Fußsohle, die auf den schärfsten Steinen nicht einmal der Sandalen bedarf, entscheiden jeden Kampf der Art zu ihren Gunsten. Glücklicherweise traf mich der Schurke, als ich aus dem Zelt durch die Felsspalte ihm nachzueilen versuchte und er blindlings die beiden Läufe hinter sich abfeuerte, nicht; doch die Flinte war und ist verschwunden. Übrigens mischt sich ein edleres Gefühl in diesen Diebstahl: Der Bruder des Attentäters nämlich wurde von den berüchtigten Uläd Sliman, die Kanem und Borgu bewohnen und die ganze Gegend unsicher machen, gefangen gehalten, und er hoffte, ihn durch das Schießgewehr auszulösen. Später zu Bardaï hörte ich leider, daß die arabischen Räuber verständiger waren, als der Tibbu, der die Unmöglichkeit, sich Zündhütchen zu verschaffen, nicht in Betracht gezogen hatte. Man antwortete einfach, daß wenn er eine Flinte mit Steinschloß gebracht hätte, sein Bruder vielleicht die Freiheit erlangen dürfte, daß aber mit diesem unnützen Dinge sein Wunsch unerfüllt bleiben müßte; Unrecht Gut gedeihet nicht!
Arami indessen spähte Alles aus, was an Decken, Teppichen, Burnussen noch vorhanden war und setzte es nach und nach in seinen Besitz. Die Tibbu hatten eine höchst ekelhafte Methode, mich um das Meinige zu bringen. Wenn sie Gewalt gebraucht hätten, nun, so würde man eben gewußt haben, wie ihnen begegnen, oder sich in das Unvermeidliche gefügt haben. Doch offene Gewalt, physischer Natur, wendeten sie niemals an. Sie baten und bettelten, gewöhnlich anfangs Tage lang; gingen dann zu bedenklicheren Perspectiven über, indem sie die Gefahren accentuirten, welche den Besitz von Werthsachen in uncivilisirten Ländern im Gefolge hätte, drohten dann versteckt, und erst, wenn Alles nichts half gingen sie auf deutliche Drohungen mit Waffengeklirr über. Doch bis dahin ließ ich es meines Ansehens wegen selten oder nie kommen. Nicht wahr, eine unwiderstehliche Argumentation, wenn Jemand mit 1 Lanze, 2 Wurfspeeren, einem Wurfeisen, einem fußlangen Handdolch und einem langen Schwerte in der Hand um etwas bittet unter Hinzufügung der philosophischen unbestrittenen Wahrheit: „Der Kopf ist besser als Hab und Gut!“
Doch mehr als meine Decken und Teppiche ging mir das Ende des Mohamsa-Vorrathes (grobkörniger Kuskusso) zu Herzen. Bu Zid hatte versprochen, nach 8 Tagen zurück zu sein mit Datteln und Weizen, und es waren nicht allein 10 Tage verflossen seit seiner Abreise ohne Nachrichten von ihm, sondern Stimmen wurden laut, daß die Datteln zu Bardaï noch nicht reif und überhaupt kein Getreide vorhanden sei. Es gelang mir, getrocknetes Kameelfleisch zu kaufen, das uns einige Tage hinhalten konnte, und ich beschloß, bei Beendigung desselben eines meiner Kameele zu schlachten und einen Versuch zu machen, mit seinem Fleische Fezan zu erreichen. Freilich war dabei wieder der mißliche Umstand, daß die restirirenden auf diesen Umstand rechneten und sicherlich entschlossen waren, uns das getrocknete Fleisch sowohl, als die lebenden Kameele wegzunehmen und eine Abreise zu verhindern. Wäre Arami allein gewesen, würde er ohne Zweifel das gethan haben; nur die Furcht, mit den Andern theilen zu müssen, hielt ihn ab.
Endlich am 12ten Tage kam zwar nicht Bu Zid selbst, sondern ein Brief von ihm, den ich glücklicherweise entziffern konnte, der aber sehr unbefriedigenden Inhalts war. Er theilte mir einfach mit, daß die Einwohner Bardaï’s bei der Nachricht meines beabsichtigten Besuches in den furchtbarsten Aufruhr gerathen seien, und daß er selbst und sein Begleiter Gordoï, als meine Abgesandten, sich Gewaltthätigkeiten durch die Flucht entzogen hätten. Später habe der Sultan, nach Kenntnisnahme meiner Empfehlungsbriefe, das Volk beruhigt und dies sich damit einverstanden erklärt, daß er (der Sultan) mich in Tao besuchen und von da nach Fezan zurückschicken solle. Er fügte lakonisch hinzu, daß die Datteln noch nicht reif seien und das Ungeziefer das Getreide verzehrt habe. Der Sultan werde 2 Tage nach Ankunft des Briefes erscheinen.– Dies schien dem p. Arami durchaus nicht, und er suchte mir begreiflich zu machen, daß der Sultan, ein hochbetagter Greis ebenso lange mit seiner Ankunft als Bu Zid mit seinem Briefe zögern werde, und daß es deshalb besser sei, mit ihm und den übrigen Schmarotzern nach Zuar zu gehen, um den Hunger zu vermeiden; dort seien ihre Heerden und fände sich Getreide. Hier war es die alte Kintafo, die Tante Galma’s, die mich heimlich warnte. „Gehst du nach Zuar“, sagte sie, „so dauert es nicht lange, werden sie dich nach Marmar und Dammor schleppen, dann ist Borgu nicht weit, und niemals wird Jemand wieder etwas von dir hören.“ Ich hatte Vertrauen zu der alten Dame, die mich später allerdings auf das Nichtswürdigste bestahl, und weigerte mich hartnäckig, Tao zu verlassen, selbst mit der Aussicht auf den nagensten Hunger.
Zwei Tage darauf (das letzte Stück Fleisch war gerade verzehrt) erschien zwar nicht der Sultan auf der Bühne, aber Gordoï kam mit dem Kameele, das ich für Bu Zid gemiethet hatte, brachte eine geringe Quantität halbreifer Datteln und lud mich im Namen des Sultans ein, nach Bardaï zu kommen. Das Volk habe sich beruhigt und mit meinem Besuche einverstanden erklärt, da er ein sehr alter Mann sei und sie ihm die beschwerliche Gebirgsreise nicht erlauben wollten. Was sollte ich thun? Meine Leute waren von Furcht verzehrt, ich selbst nicht ohne Besorgniß, doch auf der anderen Seite wollten mich meine feindlichen Tibbufreunde nicht zurückkehren lassen, reichten die Datteln nur für wenige Tage, und würde man mich sicher der Kameele beraubt haben. Überdies hätten wir um zurückzukehren, einen noch weiteren Weg machen müssen, als den, auf dem wir kamen, da Mohammed-el-Gatroni nur den allernächsten Weg, der über Abo führt (bewohnt von Leuten, schlimmer als die Einwohner Bardaï’s) und die Bornustraße kannte. Ging ich dagegen nach Bardaï, so hatte ich Hoffnung auf die vollständige Reife der Datteln und die Aussicht auf den Schutz des Sultans, dessen Macht mir allerdings schon zweifelhaft war, aber doch immer meinem norddeutschen Gemüthe noch einige Garantie zu bieten schien. Auch mein Diener und Rathgeber Mohammed war meiner Ansicht, und ich beschloß zu gehen. Arami ließ mir scheinbar freien Willen. Nur warnte er mich für den Fall einer Reise nach Bardaï vor der Habsucht des Sultans, die mir nichts lassen, und seiner Armuth, die mich dem Hungertode Preis geben würde. Ich hielt dies für Eifersucht und Neid und blieb bei dem Entschlusse stehen. Arami versicherte mich übrigens nach wie vor seines Schutzes und schwur beim einigen Gott, daß er mich, soweit menschliche Kräfte reichten, beschützen, ernähren und auf den Heimweg bringen würde.
Es bleiben nur noch 2 Schmarotzer, der Edle Tangesi und ein älterer Bruder Kolókomi’s, die ihr „Recht“ beanspruchten. Die Begriffe in Tibesti sind so verwirrt, daß Alle in vollem Ernst gegründeten Anspruch auf Geschenke zu haben glauben, und so kommt es, daß sie auf ihnen mit großer Hartnäckigkeit, ja fast Feindseligkeit bestehen.
Den Bruder Kolókomi’s überredete ich, mich nach Bardaï zu begleiten, wo ich ihm eine Tobe geben würde; doch den Erstgenannten mußte ich an Ort und Stelle befriedigen. Ich gab ihm eine Makta Ketan aus Bu Zid’s Vorrath, Stoff zum Turban, den ich noch besaß, und einen billigen Fez.
Meine Kameele mußte ich unter der Obhut der alten Kintafo lassen, die bisher sehr gut für sie gesorgt hatte, da zu Bardaï keinerlei Futter für Kameele existirt und die meinigen zu der schwierigen Gebirgsreise weder durch ihre arabische Natur noch durch ihren körperlichen Zustand geeignet waren. Ich miethete anstatt dessen das Kameel Gordoï’s, Arami stellte mir das seinige in wunderbarem, sehr verdächtigem Großmuth unentgeldlich zu Gebote und Kolókomi’s Naga mußte für den Rest aushelfen. Dies genügte vollständig, da erstens meine Sachen sehr zusammengschrumpft waren, und ich zweitens zur größeren Sicherheit nicht den Rest meiner Habe einer einzigen Chance anvertrauen wollte. Wird mir Alles zu Bardaï geraubt, so calculirte ich, so bleibt mir das, was ich in der Obhut der Kintafo zurückgelassen haben werde, und wird mir dies gestohlen, so rettet mir vielleicht die Vorsehung, was ich nach Bardaï mitgenommen haben werde.
So konnte ich denn nach 14 langen Tagen, an denen ich keinerlei Beschäftigung als Ärger, Furcht und tausend Nergeleien gehabt hatte, und während denen mir als einziges tägliches Vergnügen die Jagd auf eine Affenfamilie blühte, deren Chef als vorsichtiger und schlauer Familienvater alle meine Berechnungen zu Schande machte und mich täglich, nachdem er Gattin und 4 Kinder in Sicherheit gebracht hatte, mit heiserem Gebell und significativem Händeklatschen verhöhnte, mein Gefängniß Tao verlassen. Ich ahnte nicht, trotz meiner Besorgniß, daß ich einem viel unangenehmeren zu Bardaï entgegen ginge.
Bardaï ist 3½ Tagereise von Tao in nordöstlicher Richtung entfernt, das centrale Gebirge verläuft in südöstlicher Richtung zwischen ihnen. Wir brachen am 5ten August auf und marschirten an diesem Tage nur 6 Stunden, uns allmählig von 1900 Fuß bis zu fast 3000 Fuß über das Meeresniveau erhebend. Dolomit bildet die Masse des Gebirges und Basaltstein und massenhaft Sandsteinfelsen. Am zweiten Tag machten wir 11 Stunden, eine bei dem schwierigen Terrain und bloßer Dattelnahrung (und was für Datteln!) etwas anstrengende Fußwanderung für europäische Füße. Wir erhoben uns zu fast 7000 Fuß und passirten am Fuße des höchsten Berges Tibesti’s, des Tusidde, der vielleicht noch 1000 Fuß höher war, und am Rande einer ungeheuren Natrongrube, die dort ihren tiefen, schwarzen Abgrund mit den weißen Natronflüssen ausdehnt. Wir erreichten am Abend dieses 2ten Tages die höchste Höhe des Gebirges, hatten von empfindlicher Nachtkälte zu leiden und stiegen am nächsten Tage rapide hinab über ungeheuer schwieriges Terrain bis zu ca 3000 Fuß. Die an diesem Tage passirten Flüsse und Flüßchen gehörten dem Flußgebiete des Bardaï an, und wir lagerten am Abend dieses 3ten Tages nach 10stündiger Fußwanderung im Enneri Udeno (Gazellen-Fluß). An diesem Tage hatten wir keinerlei Nahrung mehr zu uns genommen, da die Datteln zu Ende waren, doch hatte Arami nach Bardaï vorausgeschickt, um uns durch Bu Sid eine Zufuhr derselben entgegenschicken zu lassen.
Arami war, je näher wir unserem Ziele kamen, desto unangenehmer und anspruchsvoller geworden, und als ich ihn zur Ocular-Inspecton meiner beiden Kisten vermocht hatte, preßte er zur Herausgabe etwa verborgenen Geldes, von dessen Vorhandensein er überzeugt war. Seine Unverschämtheit erreichte den höchsten Grad am letzten Tage, wo er mich im Stiche zu lassen drohte, wenn ich ihm nicht meinen eigenen weißen Burnus schenkte. Ich konnte diesen eher entbehren als die Person Arami’s und trennte mich, mit Ekel vor diesem Schurken erfüllt, von demselben. Arami wiederholte darauf seine Freundschafts-Versicherungen.
Im Enneri Udeno machte ich den interessanten Fund zahlreicher in Sandsteinblöcke gegrabener Zeichnungen, wie sie Barth im Lande der Tuareg fand und ihnen große culturhistorische Bedeutung beilegte. Auch hier waren fast nur Rinder, während doch dieses Thier augenblicklich im Lande unbekannt ist, dargestellt, also wahrscheinlich zu einer Zeit, wo dasselbe thatsächlich in diesen Breitengraden vorkam. Etwaige mythologische Darstellungen konnte ich nicht finden.
Der Udeno war mehr als 100 Fuß tief in die Felsen gegraben und erfreute sich einiger Talhabäume als Vegetation und böser Geister als Bewohner, wie meine Begleiter überzeugt waren. Da diesen Pulvergeruch höchst widerwärtig ist, knallte man nach Herzenslust und verscheuchte sie glücklich.
Am 4ten Tage, dem 8ten August, reisten wir morgens 4 Stunden und lagerten dann im Flusse Gónoa, wohin Arami die Datteln bestellt hatte, um nicht in Bardaï bei Tage, der Bosheit der Bewohner wegen, einzuziehen. Bald darauf kam ein Jüngling mit einem Esel und einigem Dattelvorrath von seinem Vater, dem Edlen Akremi Temidomi, dem Onkel Bu Zids. Er hieß Mohammed, war von mittlerer Bronzefarbe, kleiner Gestalt und ziemlich anständiger, kaukasischer Gesichtsbildung.
Leider brachte er die Nachricht, daß der Sultan in einem benachbarten Dorfe sei, von dem er aber für den Abend zurückerwartet werde. Nachmittags um 3 Uhr brachen wir wieder auf, passirten den Enneri Traïra und seinen Nebenfluß Enneri Orsen und hielten vor dem Eingange des Thales Bardaï um 7 Uhr Abends. Mohammed, der Sohn Temidomi’s, wurde vorausgeschickt, um Sultan und Bu Zid zu unserer Einholung einzuladen, und wir warteten den vollständigen Einbruch der Nacht ab. Jener kam mit dem verdächtigen Bescheide zurück, daß der Sultan noch nicht zurückgekehrt und Bu Zid ebenfalls auf einem benachbarten Dorfe sei. Die Frau des Sultans ließ uns übrigens einladen, zur Wohnung des Staats-Chefs zu kommen und unter dem Schutze ihrer Nähe zu campiren. Langsam und unentschlossen rückten wir vorwärts zwischen graciösen Gruppen von Dattelbäumen und Dumpalmen, zwischen denen in reizender Weise, halbversteckt, die sauberen Hütten aus Palmzweigen lagen, hindurch, bis ein dumpfes Murmeln, das allmählig zu wildem Getöse anschwoll, an unser Ohr schlug. Es waren die Einwohner Bardaï’s, welche kamen, um mich in blutiger Weise zu begrüßen. Bald unterschied man das Brüllen der Männer, das Kreischen der Weiber, das Schreien der Kinder und die Verwünschungen, welche alle gegen die Christen oder Heiden (erdi), was sie bei ihrer mangelhaften Erziehung verwechseln, ausstießen. Zaudernd und schwankend hielten wir und warteten der Entscheidung Arami’s, in dessen Händen unser Geschick lag. Seine und meine Gefährten erwarteten sicherlich nur ein Zeichen von ihm, um mich der wüthenden Menge zu überlassen. Näher und näher rückte die Masse, die man nur als dunkles Ganze erkennen konnte, und das Klirren der Waffen tönte in ungemüthlicher Weise an unser Ohr. Giuseppe envisagirte die Sache mit dem ernsten Muthe eines Mannes, Mohammed der Gatroner mit der fatalistischen Freudigkeit des Gläubigen, nur Saad und Ali rebellirten, jener mich mit Vorwürfen überhäufend, dieser in seiner Verzweiflung nur die Worte murmelnd: „Verfluchtes Geld, dem zu Liebe ich diese Reise unternahm!“ Ich selbst raffte meine Philosophie zusammen und fügte mich mit Resignation in die eiserne Nothwendigkeit. Da hatte der zaudernde Arami seinen Entschluß gefaßt, und es war hohe Zeit, denn schon entflogen die Wurfspeere in unsicherer Weise den trunkenen Händen der wüthenden Menge. In unsicherer Weise, sage ich, denn einestheils mußten sie fürchten, in der Dunkelheit einen unserer Tibbu-Begleiter zu treffen, andererseits waren sie fast alle besoffen, wie denn der Lagbi- (Palmwein-) Verbrauch im Thale Bardaï wahrhaft colossal ist. Arami warf sich entschlossen der andringenden Menge entgegen, haranguirte** sie, drängte sie zurück, schlug die geschwungenen Speere nieder und zwang so seine Begleiter, in demselben Sinne zu handeln.
Zugleich kamen seine Anhänger aus dem nördlichen Theile des bewohnten Ortes (und alle Tibbu der westlichen Täler, d.h. die eigentlichen Tibbu Reschade wohnen in zerstreuten Wohnungen nördlich vom eigentlichen Bardaï) herbei, nicht minder angeheitert als unsere Angreifer, doch um so kühner und entschlossener, ihrem Chef Arami zu folgen. Auf seine Anordnung führte uns ein Theil derselben unter dem Schutze der Dunkelheit seiner Wohnung zu, während er selbst mit dem Reste die wüthende Menge zu beruhigen trachtete. Diese waren durch Arami’s Erscheinen etwas disorientirt; sie hatten sicher erwartet, uns nur mit Kolókomi ankommen zu sehen und ganz gemüthlich hinschlachten zu können. Unter den wildesten Protestationen der Freundschaft und des Schutzes, wie sie nur der Alkohol erzeugen kann, geleiteten uns unsere neuen Freunde dem nordöstlichen Theile des Thales zu, in dem Aramis Wohnung lag, und dieser ereilte uns sehr bald unterwegs. Als die augenblickliche Gefahr vorüber war, erschien auch der „brave“ Mrabet Bu Zid, der uns so schnöde im Stiche gelassen hatte, trotzdem er unser Kommen allein verschuldete, und deponirte man uns vor der Thür Arami’s. Er selbst und Byrsa bewachten uns bei Nacht, um Mitternacht brachte uns Fatma, Arami’s Schwester, eine mikroskopische Quantität steifen Mehlbreis als Diffa, und dann schloß Müdigkeit unsere Augen.

* Garamanten: In der Antike Volksstamm in Phazania (Fessan)
**haranguer: feierlich anreden, abkanzeln


 FORTSETZUNG IM 16. TEIL