16. Teil: Murzuk 1870

Murzuk am 11ten Maerz 1870

 Theurer Onkel,

Ich habe die Fortsetzung meiner Reisebeschreibung an Marie eingestellt, da ich indessen die Nachricht bekommen habe, daß dieselbe in extenso im „Globus" erschienen ist. Da diese Zeitschrift, welche in Braunschweig erscheint, sehr leicht zugänglich ist, so habe ich es für besser gehalten, auf diese zu verweisen und hoffe, daß Ihr derselben ebenfalls leicht in Köln habhaft werden könnt. Sie ist sowohl weitläufiger, als das, was ich an Marie schrieb, als auch vielleicht mit etwas mehr Sorgfalt redigirt. Der Anfang ist, wenn ich mich recht erinnere, im December erschienen. Der Rest wird es sein, wenn diese Zeilen in Deine Hände kommen. Ich war überdies während der letzten Zeit durch die Verzögerung, welche meine Reise erfährt und durch die Hindernisse, welche sich ihr entgegenzuthürmen schienen, nicht in der Stimmung, die so oft beschriebenen Excursion noch einmal wiederzukäuen. Jetzt aber, wo endlich die Fortsetzung meiner Reise vor der Thüre steht, bin ich unruhiger Stimmung und auch lebhaft in Anspruch genommen durch die zahllosen Vorbereitungen, die sich nicht lange vorher machen können.
Ich gehe mit einer zwar nicht sehr zahlreichen, doch ausgewählten Karawane, bestehend aus dem türkischen Abgesandten, von dem ich Dir geschrieben zu haben glaube, mit seinen Leuten und verschiedenen arabischen Kaufleuten, mit einem Worte, unter, nach dem Urtheile Aller, günstigen Verhältnissen (oder doch zureichenden) von Sicherheit.
In einigen Tagen werden wir absegeln und hoffentlich in 40-50 Tagen Bornu glücklich erreichen. Während der ersten Hälfte (bis Kauar) existirt fast keine Furcht, und auch später scheinen augenblicklich, so weit unsere Nachrichten hier reichen, die Sicherheitsverhältnisse günstig zu sein.
Da ich durch die Tibesti-Reise, durch Klimawechsel und die ungesunde Luft Murzuks immerhin etwas abgeschwächt bin, so habe ich mir den bevorstehenden Weg leichter gemacht durch den Ankauf eines Pferdes, das ungleich bequemer ist, als ein Kameel, und jetzt, wo der türkische Abgesandte und seine Leute alle beritten sind, des Ansehens wegen unentbehrlich.
In Bornu angekommen, werde ich ganz ruhig Land und Leute studieren und sehen, ob sich mir ein Weg zu neuer Forschung unbekannter Länder und Völker darbietet, der mit meinen kärglichen Mitteln einigermaßen in Einklang steht. Sehe ich zu große Gefahren vor mir, so verzichte ich auf den Ruhm und den Nutzen von Entdeckungen und kehre auf meinem jetzigen Wege ungefähr nach Jahresfrist (spätestens) wieder zurück, denn eher wird sich kaum eine Karawane finden. Ich habe dann wenigstens meine Mission erfüllt und durch meine gefahrvolle Excursion nach Tibesti bewiesen, wie guten Willen ich zu Entdeckungsreisen habe. Es ist mit aus dem Grunde, daß ich die Reise dorthin trotz ihrer Gefahren, die mir einigermaßen bekannt waren, unternommen hatte.
Unmittelbar nach meiner Ankunft hoffe ich Gelegenheit zu haben, zu schreiben; und so wohl alle 3-4 Monate später. Doch kann man darüber begreiflicherweise nichts Bestimmtes sagen. Die Kameelpost zwischen Tripoli und Murzuk, die, wenn sie auch 3 Wochen gebraucht, mir hier eine höchst civilisirte Erscheinung däucht, existirt eben von hier an nicht mehr.
Alles hängt hier von Gelegenheit ab; doch um dieselben nie zu versäumen, bitte ich dich freundlichst, alle Paar Monate einmal schreiben zu wollen oder, wenn es dir zu mühsam ist, Karl Brügelmann damit zu beauftragen. Bedenkt, daß mehr und mehr Nachrichten aus der Heimath dazu bestimmt sind, meine Kräfte, meine Hoffnung, meine Energie aufrecht zu erhalten und daß ihr Empfang der höchste Festtag für mich sein wird, die einzige geistige und gemüthliche Erholung, welche mir für lange bevorsteht.
Hoffentlich wird mein letzter Brief in Eure Hände gekommen sein, obgleich ich die Möglichkeit einer beträchtlichen Verzögerung fürchte. Ich hatte der Billigkeit wegen, denselben an meinen Freund Schmidt beigeschlossen, bin aber jetzt so lange ohne Nachrichten von ihm, daß ich fürchte, er ist krank oder auf längerer Reise begriffen.
Mit großer Theilnahme habe ich die Nachricht des Todes von Karl’s Frau in Stendal erfahren. Ein großer, unersetzlicher Verlust für ihn; denn sie war die Seele des Hauses.
Möge Euch der Himmel vor ähnlichen Verlusten während meiner Abwesenheit bewahren; die Hoffnung, alle diejenigen, welche ich lieb in der Heimath habe, gesund und glücklich wiederzusehen, wird mir alle Mühe und Noth, welche meine Reise naturgemäß mit sich bringt, erleichtern, wie sie mir ja tagtäglich schon jetzt vorschwebt, obgleich ich gewissermaßen erst im Anfang derselben bin.
In dieser Hoffnung und mit glühenden Wünschen für Euer Aller Wohlergehen nehme ich hiermit Abschied von Euch, bitte Euch, mir Eure Liebe zu erhalten und versichere Euch, daß wie schon jetzt, kaum ein Tag vergehen wird, ohne daß ich Eurer gedächte. Umarmt, ich bitte Euch, die ganze Familie Brügelmann-Nachtigal, von der verehrten Großmama, deren Geburtstag ich noch in Brühl zu feiern hoffe, bis zu Dietrich hinab (auch die jungen Damen werden sich das wohl gefallen lassen, da es per procuration geschieht) in meinem Namen, und bittet Alle um ein freundliches Andenken.
Ein herzliches, recht herzliches Lebewohl also, lieber Onkel und theure Tante, und ein fröhliches, recht fröhliches Wiedersehen!
   Euer treuer
           Gustav.
Gruß und Empfehlungen an alle Freunde und Bekannte.


Murzuk, den 9ten April 1870
     /28 Juni

 Lieber Onkel und beste Tante,

Euer letzter Brief vom 17ten Februar ist mir vor einigen Tagen glücklich zugekommen, und ihr werdet indessen meinen letzten, dessen Datum ich nicht mehr weiß, ebenfalls empfangen haben. Dies werden endlich die letzten Zeilen sein, die Euch aus Murzuk datirt von meiner Hand zukommen werden, denn meine Abreise ist endlich auf den kommenden Donnerstag festgesetzt. Selbst wenn Geschäfte oder Indolenz den türkischen Abgesandten Bu Aïscha wiederum an seine Heimath (er ist in Fezan geboren) fesseln sollten, werde ich gen Bornu aufbrechen. Ich werde selbst in diesem Falle noch immer Begleitung genug haben, denn alle Welt ist des Wartens müde. Um mich sicher zu stellen, habe ich zu gleicher Zeit Sorge getragen, mir ein Bande marokkanischer Gaukler, die aus 25 Mitgliedern besteht, zu verpflichten, und einer dieser Männer wiegt ein halbes Dutzend arabischer Maulhelden auf. Auch für ihre Treue sind dieselben berühmt, und ich habe deshalb nicht Anstand genommen, Ihnen durch ein Darlehen den zur Reise ihnen nöthigen Ankauf eines Kameels zu ermöglichen. Außerdem sind ja noch verschiedene Kaufleute aus Fezzan, Neger, welche ihrer Heimath zustreben, Scheriffe aus Mekka, die ihre Bettelreisen durch die muhammedanische Welt machen und dergleichen mehr. Ich gehe also unter verhältnismäßig günstigen Verhältnissen, so daß Ihr Euch also für meine Sicherheit keinerlei Besorgnissen hingeben braucht. Gegen Anstrengung und Klima habe ich mich ja aber glücklicherweise bis jetzt als sehr widerstandsfähig bewiesen. Freilich gebiete ich nicht mehr über den Vorrath an Kraft, Energie und Gesundheit, als zur Zeit meiner Tibesti-Expedition, doch die energische Wüstenluft bekommt mir stets sehr gut.
In Bornu angekommen werde ich so schnell als möglich die Absendung eines Curiers nach Fezan besorgen, so daß Ihr möglicherweise nach 4 Monaten die von mir aus Kukaua datirten Briefe in Händen haben könnt.
Die Reise selbst beträgt mit dem stellenweise Aufenthalte von einem oder 2 Tagen 40-60 Tage, je nach der Schnelligkeit, mit der man sich bewegt und hat den Vortheil vor dem Wege von Tripoli nach Murzuk, als der Tibesti-Gegend, daß man jeden anderen Tag an einem Brunnen rastet (mit einer Ausnahme). In Rücksicht darauf und auf die Convenienz und das Ansehen in Bornu habe ich mir auch den Ankauf eines Pferdes gestattet, das ich ja, im Falle mir der Sultan ein solches schenken sollte, in Geld verwandeln kann. Das einzige, mit dem ich noch nicht zufrieden bin, sind meine Diener. Ich habe außer dem wackeren Gatroni und Giuseppe keinen zuverlässigen Menschen, wie es denn hier überhaupt sehr schwer hält, deren in diesen Ländern zu finden. Einen habe ich in diesen Tagen weggejagt und weiß noch nicht, wie ich ihn ersetzen soll. Der oben genannte Bu Aïssa hat schon 3 der seinigen hier im Gefängnisse. Diebe und Feiglinge sind fast Alle. Um so bemerkenswerther ist daher eine Ausnahme wie Mohammed-el-Gatroni.
Das Brandunglück in Havelberg war mir eine Woche vor Deinem lieben Brief, theurer Onkel, durch Marie mitgetheilt worden; doch wußte dieselbe noch nicht, in wie weit Tante Telitz davon betroffen wäre. Es ist recht hart, doch weiß ich, daß Du Deiner Schwester das Schicksal erträglich machen wirst.
Vergeblich habe ich alle Deine früheren Briefe durchgesucht nach einer Andeutung über das Unwohlsein Adele Rogge’s, über das Du im letzten Schreiben nur sagst, daß es noch nicht behoben sei, ohne Dich jedoch über seine Natur auszulassen. Wolle gütigst das Versäumte nachholen, und möchtest Du mir bei der Gelegenheit das gänzliche Gehobensein desselben melden können.
Meinen aufrichtigsten Glückwunsch zum Verlöbniß Marie Brügelmanns mit dem Doctor gleichen Namens. Grüße das liebenswürdige Kind und laßt die Liebenden nicht zu lange warten. Es wird mir einigermaßen schwer, mir Christiane als Schwieger- oder gar als Großmutter (!) vorzustellen. Auch ihr meine besten Wünsche für das Wohl ihrer Kinder.
Durch den bis jetzt so ausgezeichnet regelmäßigen Empfang der Kölnischen Zeitung, die ich Wort für Wort bis zu den Annoncen von Paas, Mattias Schmitz u.s.w. und zu allen Familien-Nachrichten studiere, bin ich Euch gewissermaßen näher gerückt. Freilich kann die für das Ausland bestimmte Wochenausgabe keinen Local-Bericht und dergleichen bringen, doch sie kommt aus Köln und Druck, Format, Namen: Alles weht mich heimathlich an. Vergiß ja nicht, der Buchhandlung zuweilen ins Gedächtniß zurückzurufen, das Abonnement zu erneuern. Welch Festtag wird es für mich sein, eines Tages in Kukaua die Nummern von ca 4-6 Wochen zu verschlingen!
Doch auch Du, lieber Onkel, schreibe häufiger als bisher oder vermindere wenigstens Deine Zuschriften nicht etwa in der Idee nicht zu wissen, wo ich bin. Das wissen die Leute hier in Fezan und in Bornu wird der Scheich Omar schon dafür sorgen, daß die Briefe des norddeutschen Sendlings prompt und sicher in seine Hände gelangen. Außerdem erhöht es das Ansehen dort wesentlich, viele Briefe zu erhalten, um Nachrichten über das politische Europa verbreiten zu können, die ja Niemand haben kann. Besonders sind solche Dinge, welche die Türkei betreffen, zu wissen erwünscht.
Du wirst begreiflich finden, daß ich einige Tage vor meiner Abreise nicht lange Briefe schreibe. Wenn ich vorher durch das ewige Warten in einen Zustand großer Abspannung versunken war und stellenweise von sehr melancholischen Stunden heimgesucht war, so beherrscht mich jetzt eine freudige Aufregung, in die sich die Hoffnung auf die endliche Rückkehr schon jetzt, im Beginn der Reise, so zu sagen, zu mischen beginnt. Diese ist es ja mit freundlichen, ermunternden, anerkennenden Briefen von nah und fern, welche den Reisenden, so isolirt in Mitten primitiver, fanatischer Völker, aufrecht erhält.
Euch Allen, Allen, Verwandten, Freunden und Bekannten, also ein herzliches Lebewohl und ein hoffnungsvolles „auf Wiedersehen!" zurufend nehme ich mit den heißesten Wünschen für Euer Glück und Wohlergehen für einige Zeit Abschied von Euch, werde aber nie vergessen, Eurer in dankbarer Liebe zu gedenken.

   Euer Gustav.

Ich freue mich schon jetzt auf den nächsten großmütterlichen Geburtstag in Brühl!


FORTSETZUNG IM 17. TEIL