Kuka am 16ten Juli 1870
Lieber Onkel, beste Tante!
Nach fast monatelanger Wanderung von Kauar bis hierher, bin ich glücklich
am Ziel meiner Reise angekommen. Die Beschreibung derselben habe ich in
der mir gekannten unleserlichen Handschrift an Marie geschickt, so ausführlich,
als es meine Zeit erlaubt (die abgehende Karawane ist marschbereit), mit
der Bitte, Euch eine leserliche Abschrift davon zuzusenden. Ich beschränke
mich also hier nur auf den freundlichsten Gruß und die Versicherung
meiner anhänglichsten Liebe.
Trotz der begonnenen Regenzeit, von allen Weißen gefürchtet,
befinde ich mich mit Dienerschaft, unter der 2 Weiße sich befinden,
recht wohl. Nur meine schönen, so theuer gekauften Kameele gehen,
wenn sie nicht für einen Spottpreis verkauft sind (den 6ten bis 8ten
Teil ihres Ankaufspreises), ihrem sicheren Tode entgegen. Das Kameel ist
hier zu Lande bei weitem nicht so in Gebrauch, als in nördlichen Gegenden.
Es ähnelt sehr dem der Tibbu, hoch, graziös, ohne Wolle, nur
mit ganzen kurzen , glatten Haaren, dicker Haut, erträgt den Regen
ganz gut, stirbt aber im Norden so gut, wie das nordische hier. Man reist
vielmehr mit Ochsen, die, zum größten Theil mit einem Buckel
zwischen den Schultern versehen, sehr groß und stark sind. Man leitet
sie durch den Strick, der die Scheidewand der Nase durchbohrt, belastet
sie mit großen Ledersäcken und reitet auf ihnen. Das Rindvieh,
das nur zur Gewinnung von Milch, Butter und Fleisch gezüchtet wird,
ist weniger groß und stark und ähnelt mehr unseren Kühen
und Ochsen, nur sind die Hörner, welche einen weiten Bogen beschreiben,
sehr umfangreich (1½ Fuß am Ursprung). Ein Ochse zum Lasttragen
kostet 4 bis 6 Thaler, eine Milchkuh 2-3-4 Thaler. Außer den Rindern
reist man auch noch mit Eseln, die einen ähnlichen Werth haben. Kameele
sind zuweilen sehr billig, zuweilen recht theuer. Jetzt, da viele von Wadaï
gebracht sind, kosteten sie nicht mehr als 14 oder 15 Thaler, doch als
Mohammed-el-Gatroni zum letzten Mal von hier zurückkehrte (von der
Reise mit Gerhard Rohlfs), mußte er ein Kameel mit 55 Thalern bezahlen.
Pferde sind außerdem zahllos im Lande. Kein anständiger
Mensch geht zu Fuß, und wenn ich Spaziergänge mache, so schreit
alle Welt über die Schande, und es ist doch wahrlich zu lästig,
jedes Mal, wenn man einige Häuser weit gehen will, das Pferd zu satteln.
Die Pferde sind recht hübsch, sehr feurig, treffliche Beine und Gelenke,
glänzendes, weiches Haar, doch selten sehr groß und stark und
häufig mit etwas unschönem Kopfe. Man pflegt sie mit großer
Sorgfalt. Schlechtere Pferde kauft man für 8-10 Thaler, mittelmäßige
für 20-30 Thaler, doch natürlich die schönen haben den Preis
der Liebhaber und kann derselbe nicht sicher fixirt werden. Ich glaube
nicht, daß es ein Pferd von mehr als 100 Thalern Werth hier giebt.
Schöne große Schaafböcke erreichen augenblicklich nicht
den Preis von 1 Thaler, und Eier-Hühner kauft man um einen Spottpreis.
Von der Negerhirse, Krob in arabisch, Argam in Kanuri, kosten ungefähr
5 Centner einen Thaler; Weizen und Reis hat man einen Centner für
den Thaler. Die Butter (doch ist diese nicht unserem heimischen Producte
an die Seite zu stellen, sondern dieselbe wird gekocht, leider unter Zusatz
von Kuhurin, und aufbewahrungsfähig gemacht) ist flüssig und
hat man wohl 20 Pfund für den Thaler; der Honig, der aber schlecht
gereinigt ist, wird billiger verkauft. Nur Salz, d.h. das schöne Salz
aus Bilma, ist theuer. Schlechteres, sehr unreines, wird durch Auskochen
der Asche des Suakstrauches gewonnen und ist billiger.
Die gangbare geprägte Münze ist der Maria-Theresien-Thaler
(wenn ich von Thalern spreche, meine ich immer diesen), welche, da kleinere
Münze nicht existirt, den Werth einer gewissen Menge kleiner Muscheln
hat, die von der Meeresküste importirt werden. Der Thaler (Real Buteïr,
d.h. der Real, der den Vogel (Adler) führt), ist augenblicklich 4000
Muscheln. 32 der letzteren machen ein Rottel aus. Rottel heißt eigentlich
Pfund, und kommt diese Bezeichnung aus der Zeit, wo das Pfund Kupfer als
Münze diente. Nach dem Kupfer war die kleine Münze durch Baumwollstreifen
(gewebte) von 3 Finger Breite und verschiedener Länge und Güte
repräsentirt; und jetzt zweckentsprechend durch Muscheln.
Der Handel macht sich jeden Montag, wo die Schon-Araber ihre Ochsen,
Kühe, ihre Butter, ihre Milch zu Markte bringen, wo die Kanembu (Einwohner
Kanems), die Tibbu und Alles, was kauft und verkauft, der Hauptstadt zueilen.
Vor dem Thore der westlichen Stadt (S. Marie’s Brief) hält sich dieser
Riesenmarkt ab, der Alles, was ich bisher sah in diesem Genre, an Großartigkeit
übertrifft. Tausende und Abertausende drängen sich vom Morgen
bis zum Abend durcheinander, mit großer Ruhe und Friedfertigkeit,
ohne Marktpolizei, ihre kleinen Bedürfnisse austauschend. Ich besuchte
ihn nun schon 3 Mal, doch noch habe ich kein klar entwirrtes Bild des bunten
Ensembles, noch bin ich wenigstens nicht im Stande, eine lebendige, wahrheitstreue
Schilderung davon zu geben.
In den angeführten Proportionen müßt ihr auch im Geiste
den Werth der Geschenke, die der Scheich distinguirten Fremden macht, reduciren.
In den ersten 2 Tagen brachte man mir wohl 8 Schaafböcke von verschiedenen
Personen. Das Pferd, das ich vom Scheich, wie es die Gewohnheit will, Nachts
gegen 2 Uhr zugeschickt bekam, ist allerdings schön. Doch die Strauße,
die er mir schickte, die Gazellen, die Enten bringt man ihm ganz unentgeltlich
und haben dieselben keinerlei Werth für ihn. Was ist ferner eine Kameelladung
Reis, Hirse, Weizen, ½ Centner Butter und ebensoviel Honig an Werth?
Das Werthvollste bleibt das Pferd und die 2 Toben (Art weiter Hemden; Landeskleidung),
die er mir schenkte.
Die Leute der Karawane haben die Stadt bereits verlassen; ich bin also
gedrängt, meine Briefe zu erledigen. Ihr verzeiht also wohl meine
relative Kürze, in Betracht ziehend, daß ich den Brief an Marie
ebenfalls an Euch schrieb. Ich kann doch unmöglich an Alle dasselbe
schreiben. An Dr. Petermann, die geographische Gesellschaft, das Ministerium,
Rohlfs, v. Maltzan, Euch, Schmidt muß ich schon ungefähr dasselbe
berichten; doch die durch Nähe und regelmäßigen Verkehr
begünstigten müssen sich gegenseitig aushelfen.
Über die Zeit meiner Rückkehr kann ich noch nicht Viel sagen.
Dieselbe hängt von Karawanen, günstigen Umständen u.s.w.
ab. Zunächst denke ich den Inselbewohnern des großen Tsadsees,
den Badiama, einen Besuch zu machen. Sie sind Heiden, unabhängig,
räuberisch; doch mit Hülfe des Scheichs hier wird sich die Sache
schon machen.
Dann warte ich im Laufe des Winters Geldsendung ab, um die ich schrieb,
und kehre zurück, auf südöstlichem oder südlichem oder
östlichem Wege, wie es die Umstände erlauben. Jedenfalls bin
ich im Laufe des nächsten Jahres, wenn mir Freiheit und Gesundheit
beschieden ist, in Eurer Mitte.
Die Hälfte des Tages widme ich den Kranken (ich hatte einen ansehnlichen
Vorrath von Medikamenten von Malta mitgeführt), und kommen täglich
ca 20-50. Es hat den Vortheil, daß ich etwas sprechen lerne (Kanuri)
und daß ich Leute, Physionomien und Charaktere studieren kann.
Wie werde ich mich freuen, wenn ich die erste Sendung heimischer Briefe
und Zeitungen hier erhalten werde? Möge es recht bald geschehen, denn
meine Sehnsucht ist groß!
Hoffentlich sehe ich Euch Alle gesund und heiter wieder wie bei meinem
letzten Besuche in Europa. Was macht das Brautpaar, Hermann mit seinen
Augen, Lenchen mit ihren jungen Damen, Rogge's und Eure übrigen Freunde
und ferneren Verwandten? Von Klockenbring habe ich lange Nichts gehört.
Und die verehrte Großmama hoffentlich frisch und munter wie immer?
Grüßt Alle aufs Wärmste und seid liebevoll umarmt von
Eurem in dankbarer Anhänglichkeit und Treue verharrenden
Gustav.
Abschrift in der Handschrift des Onkels Dietrich Nachtigal
Brief des Dr. Nachtigal an seine Schwester.
Kukaua am 16 Juli 1870
Im besten Wohlsein melde ich Dir meine glückliche Ankunft in Bornu's
Hauptstadt, welche am 6. ds. M. statthatte. Da eine Karawane vollständig
zum Abmarsch nach Norden bereit war bei unserer Ankunft, so konnte ich
doch nicht gut die Absendung eines Couriers vom Sultan, wie ich Dir schrieb,
reclamiren, durch den auch nur einige Wochen gewonnen sein würden.
Hoffentlich wird Dir der Empfang meines Briefes aus Kauar die prolongirte
Erwartung des jetzigen erleichtert haben.
Unsere Reise von Kauar hierher verlief ohne alle unangenehme Zwischenfälle.
Von Bilma bis zur Oase Dibbela (4 Tagesmärsche) erstreckt sich die
Dünenzone, welche die Wüste im Süden von den fruchtbaren
Breitengraden, welche vom tropischen Regen profitiren, trennt. Dieselbe
stellt den schwierigsten Theil der ganzen Reise, besonders für die
Kameele dar. Kette von Sandhügeln folgt auf Kette von Sandhügeln,
oft in sehr unbedeutenden Zwischenräumen, dieselben verlaufen alle
parallel von Ost nach West, haben oft recht steile Abhänge und sind
meistens 50 Fuß hoch. Da dieselben in beständigem Zickzack und
in beträchtlichen Abweichungen von der geraden Linie überklommen
werden, so resultirt aus ihnen ein großer Zeitverlust und ein verhältnismäßig
unbedeutender Fortschritt in gerader Süd-Richtung. Man passirt auf
dieser Strecke am ersten Tage die kleine Oase von Muskatnu und am zweiten
das große Vegetations-Centrum von Zau Kurra (Groß-Sau). Die
letztere ist voll von Siwaksträuchern, deren Frucht in Gestalt von
Beeren und in der Größe unserer Korinthen gerade reif war und
uns erquickte. Schon vor der Oase von Dibbela beginnt im sonst so kahlen,
nackten Sande hier und da Kraut- und Graswuchs, die erschöpften Kameele
zu laben. Von Dibbela bis zu den Bergen und der Oase von Agadem marschirt
man zwei weitere Tage, doch jetzt sind die Dünenketten zu Ende; das
Terrain ist eine hoch und breit gewellte Ebene, sandig, doch nicht ohne
fruchtbare Beimischung, wie die reiche Vegetation, besonders der Wellentiefen
beweißt. Von jetzt ab haben die Kameele gute Tage: ihr Lieblingsfutter,
der stachelige, diestelähnliche Had wächst überall in größter
Fülle. Wir selbst erfreuten uns ebenfalls einer Veränderung und
Bereicherung unseres Küchenzettels (sonst Zometa, Mohamsa, Reis) durch
die tägliche Erlegung einiger Antilopen von der „das wilde Rind“ so
passend genannten Art. Diese Jagdbeute verdankten wir übrigens mehr
den Jagdtalenten unserer Windhunde (Bu Aïscha hatte deren 2, ich einen)
als eigener Geschicklichkeit. Von Agadem, das als letztes Wüstenerzeugniß,
sowohl in seinen Bergen, als in seinem fruchtbaren Uada (Oase) anzusprechen
ist, bis zum Brunnen Belkaschifari sind 2½ bis 3 Tage durch die
hügel- und felslose Steppe Tintumma, in der sich vor einigen Jahren
Gerhard Rohlfs durch die Perfidie seines Führers verirrte und nur
durch einen Gewitterregen vom Verdurstungstode gerettet wurde. Dieselbe
ist eine gewellte, krautbedeckte Ebene ohne Weg und Steg und ohne alle
Merkzeichen („Elem“) der Richtung. „Wer in ihr zurückbleibt (d.h.
von der Karawane), sieht seine Mutter nicht wieder“ sagt der Volksmund.
Zum ersten Mal begegnen wir hier den Tumtumbäumen (in dem ich den
Tussumo von Tibesti wiedererkenne) und den Hedzlidz, in der Kauarsprache
Bito genannt; zwar blätterlos, doch mit Früchten von der Form
der Datteln. Eine Löwenspur beweißt die Nähe von Wasser.
Vom Brunnen Belkaschifari ändert sich die Scenerie der Landschaft
wesentlich. Wir zogen noch in der Dunkelheit der Nacht von jenem aus und
fanden uns beim Aufgang der Sonne in den reizendsten, fruchtbarsten, malerischsten
Thälern der Welt. Hierher fällt die Nordgrenze des großen
Mimosenwaldes, der sich fast bis Kuka erstreckt und nach West und Ost weite
Landstriche umfaßt. Wie die Benennung Dich lehrt, wiegt in diesem
dichten Walde die Mimose (Akazie) in ihren Arten (Talka, Geredh, Karagu)
vor, doch fehlt deshalb der Siwakstrauch mit seinem saftigen Grün
nicht, wie auch der Tumtum, der Hedzlidz, der Ingisseri, in dem ich den
Arkeno von Tibesti constatire, der knorrige Käbi oder nordische Retem
häufig sind und mit den Schmarotzerpflanzen Dornige Digdigi, Zara,
die vorzüglich die Mimosen lieben, ein wechselvolles, buntes, malerisches
Ensemble bilden. Kräuter und Gräser sprießen üppig
im Schatten dieses Waldes und bieten den massenhaften Antilopen, Gazellen,
Straußen eine reiche Weide. Auf den Abhängen grast die schöne
Antilope Mohor mit dem breiten braunen Halskragen auf dem schneeweißen
Körper friedlich neben ihrem Freund dem Strauß. Die ersten Giraffenspuren
wurden hier gefunden, und das Gebrüll eines Löwen erschreckte
die weiblichen Glieder unserer Karawane. Von Belkaschifari bis zum Brunnen
Azi rechnet man drei Tagesmärsche. Zwischen beiden, nahe dem letzteren,
liegt der Brunnen Kufe, doch ist derselbe seit Jahren verschüttet.
Am 3ten Tage war der Boden bedeckt mit 4 Zoll langen Ringelwürmern
mit mehren hundert Füßen, die nach dem Regen hier stets zu finden
sind, ebenso wie eine kleine purpurrothe Spinne, deren Körperoberfläche
ganz und gar dem Samt ähnelt. Zwischen Kufe und Azi die ersten Elephantenspuren
und seine Excremente und die Verwüstungen, die er mit Vorliebe in
den Bäumen zu seiner Erheiterung anrichtet. Gegen Azi hin wird der
Wald immer dichter und malerischer und erschwert sogar oft die Passage.
Der Tsad-See ist nur noch eine halbe Tagereise in südöstlicher
Richtung, doch wir ziehen weiter in südlicher Direction der nordöstlichsten
Stadt Bornu's Ngigmi zu. Zwischen Azi und Ngigmi liegt offenbar der reizendste,
lieblichste Theil des Waldes, man erreicht den letzteren von jenem aus
in 1 bis 1½ Tagesmärschen. Große Heerden schöner,
wirklicher brüllender Rinder, wie ich sie seit 6-7 Jahren eigentlich
nicht gesehen hatte, annoncirten mir die Nähe der ersten Bornustadt;
bald darauf traten wir aus dem Wald auf die Dünenhügel hinaus,
die Wald vom See trennen und vor unseren neugierigen Augen lag die fremdartige
Stadt und dehnte sich der ausfließende Reihersumpf aus. Auf den wenig
majestätischen Eindruck des Tsad-See's war ich hinlänglich vorbereitet,
um nicht zu sehr enttäuscht zu werden. Doch um so interessanter schien
mir das Schauspiel, das sich auf dem Ufer vor mir entfaltete. Nahe dem
schilfreichen Rande des See's lagen 300 zuckerhutförmige Rohr- oder
Strohhütten, umgeben von fetten Weidegründen, auf denen sich
Rinder, Schaafe, Ziegen, Pferde und Esel ergötzten. Zwischen ihnen
wandelten furchtlos hochbeinige Reiher und Störche, fremdartige Taucher
und Pelikane, Enten und zahlreiche mir unbekannte Wasservögel. An
einer offenen Wasserstelle des Tsad stand ein Elephant, um seinen Durst
zu löschen. Ich eilte diesem zu und machte die Bekanntschaft von ca
20 Ngurutu's (Hippopotami), die sich hier im Wasser tummelten.
Abends kam ein alter, einäugiger Herr mit zahlreicher Suite zu
unserer Lagerstätte aus der Stadt. Es war der Chef des Districts,
der sich von hier bis zur Stadt Barua erstreckt, und hält sich hier
auf Befehl des Scheïch Omar (er bewohnt sonst Barua) auf, um unsere
Karawane zu erwarten. Früher war er Stadt-Oberst der Stadt Ngornu
und führte den Titel Fugoma, jetzt ist er gewissermaßen zu seiner
jetzigen Stellung degradirt und hat nur den Titel Kazelma. Da durch ein
Mißverständniß mein Brief an den Scheïch von Fezan
aus nicht abgegangen war, erwartete man hauptsächlich Bu Aïscha.
Ich schrieb von hier aus von Neuem an den Sultan, ihm den Charakter meiner
Sendung notificirend und um die Instandsetzung des „Christenhauses“ bittend.
Bisher waren wir glücklicher Weise von Regen verschont geblieben;
war die Saison vorgerückter, so hätte ich bei der schlechten
Beschaffenheit meiner Zelte schwer gelitten. Ich erfuhr dies durch einen
heftigen Gewitterregen, der uns zu Ngigmi ereilte, nur allzu sehr. Glücklicher
Weise gelang es mir, die Kisten der Geschenke vor dem rapiden Ausbruch
in Sicherheit zu bringen. Die Einwohner Ngigmi's sind Kanembua (Sing. Kanembu)
d.h. eigentlich Leute von Kanem, welche den Kanuri sehr unähnlich
sind, aber den Tibbi näher stehen. Die Frauen kamen alsbald, um getrocknete
Fische, Zwiebeln, Erdmandeln, Hühner, Eier, Milch, Baumwolle, Butter
zu verkaufen. Hühner sind sehr billig, für einige Nadeln kauft
man sie. Der Kazelma schickte mir darauf eine Kuh und Negerhirse (Krob)
für mein Pferd, das leider in letzter Zeit abgemagert war. Derselbe
begleitete uns auch am nächsten Tage nach Barua. Zwischen Ngigmi und
Barua zogen wir zuerst am Ufer des See's hin, dann in dem Walde, der sich
hier etwas lichtet und lagerten am Nachmittage des ersten Tages bei dem
Dorfe Kindschigalia, das wieder nahe am Tsad liegt. Dasselbe ist, wie viele
andere kleine namentlich auf dieser Strecke periodisch von Sclaven der
Einwohner von Ngigmi bewohnt, die hier aus dem eingeäscherten Siwakstrauch
durch Auskochung Salz gewinnen. Dasselbe ist sehr schlecht, und ich war
froh, einen kleinen Vorrath aus den Salzgruben von Bilma mitgenommen zu
haben. Am darauffolgenden Morgen erreichten wir die Stadt Barua, die zwar
ummauert ist, aber doch nur Stroh- und Rohrhütten enthält. Etwas
mehr Kauar-Elemente mischen sich den Kanembua bei. Von Barua bis Yo (Jo)
am Fluß von Jo ist ein kleiner Tagemarsch. Der Wald lichtet sich
mehr und mehr, doch in der Nähe des Flusses ist er viel dichter, enthält
viele Fächerpalmen, den herrlichen Tamarindenbaum und verschiedene
Sträucher. Der Fluß enthält etwas Wasser an einzelnen vertiefen
Stellen, doch bis Jo passirten wir ihn trockenen Fußes. Jo ist etwas
größer, als Ngigmi und Barua und enthält einige Erdbehausungen.
Am darauffolgenden Tage kamen einige arabische Herren von Kuka zu unserer
Begrüßung und brachten uns den so genannten „Gruß“ (Selam)
des Scheïchs in Gestalt eines Körbchens Guro-Nüsse, eines
Sackes Nakia und eines anderen Dendokalia, aus Mehl, Honig etc. bereitete
Süßigkeiten mit der Bitte, doch so schnell als möglich
der Hauptstadt zuzueilen, wo er uns in großer Ungeduld erwarte.
Wir brachen dem zufolge Tags darauf auf, marschirten wacker ca 13 Stunden
und lagerten einige Stunden nördlich von Dauergo, einem Dörfchen,
das nur ein Stündchen von Kuka entfernt ist. In ihm nächtigen
gewohnheitsgemäß stets die Karawanen und empfangen hier die
erste „Diffa“ (Gastmahlzeit) des Herrschers.
Am 5ten Juli früh erreichten wir Dauergo und waren während
des ganzen Tages belagert von arabischen Tibbi-Besuchern, die vorzüglich
Bu Aïscha's wegen kamen. Zu mir kam auch ein junger Mensch, der sich
als Sclav der Christen einführte, sich Dunkas nannte und als ein Sclav
Vogel's herausstellte, der ihn als Knäbchen gekauft und bei seiner
Abreise nach Wadaï hier zurückgelassen hatte. Sein Beschützer
Lamino, in dessen Haus er lebte, sandte ihn mit einigen Schock Eiern und
einigen Hühnern. Am nächsten Morgen bewegten wir uns mit Sonnenaufgang
der Hauptstadt zu. Da meine europäische Kleidung nicht mit den goldgestickten
Uniformen Bu Aïscha's concurriren konnte, so trug ich arabische Kleidung.
Die Ebene zwischen Dauergo und Kuka ist baumlos; sie war bedeckt mit Reitern
und Fußgängern. Zuerst kamen die Araber von Tibbi, sei es, daß
sie seit langen Jahren hier residirten, oder daß sie nur auf einer
Handelsreise begriffen momentan hier verweilten. Der als vornehmer Bikh
? der mohamedanischen Soliman durchziehende Scherif (Bu Scherfa) von Bornu*.
Die Araber waren angeführt von dem seit langem hier wohnenden Mohammed
Titibi, der leider in großer Gunst beim Scheïch steht und ein
großer Schurke ist. Trotzdem ich ihm von seinem Bruder, der Schatzkämmerer
zu Murzuk ist, einen Empfehlungsbrief gebracht hatte, spielte er mir eine
Intrigue, die ich ihm nicht vergessen werde. Er brachte die Nachricht,
daß der Scheïch seinen ältesten Sohn, Bu Bekr zu unserer
festlichen Einholung absende. Wir warteten also, bis die Nachricht kam,
derselbe habe die Stadt verlassen und setzten uns dann ebenfalls in Bewegung.
Bald hatten wir den interessanten Anblick des Kronprinzen und seiner Suite,
die durch Mannigfaltigkeit der Kleidung, der Bewaffnung und der Physionomien
das Unmögliche leistete. In der Mitte der Kronprinz, ca 40 Jahre alt,
mit sehr gewöhnlichen, doch freundlichen Zügen, prächtig
beritten in einen dunkelblauen Tuchburnus gekleidet. Ihn umgaben die Höflinge
Kogena, die Sitz und Stimme im großen Rath des Scheïch (Nogena)
haben, und in goldgestickten rothen, blauen, grünen Burnussen und
Hosen ein buntes Ensemble bildeten. Unter den Tuchburnussen, deren sie
oft 2 tragen, befinden sich 1 oder 2 und 3 Toben, alles aus Eitelkeit trotz
der Hitze. Dann folgten die mittelalterlichen Panzerreiter, in Panzerhemden
und Beinschienen gekleidet, mit Stahlhelm, der vor dem Gesicht schützende
Stangen trägt, ihre Pferde mit dick wattirten bunten Steppdecken aller
möglichen Farben und Muster, geschützt und geschmückt Kopf
und Brust durch eiserne oder messingne Platten. Eine Bande uniformirter
flintenbewaffnete irreguläre Soldaten, gewöhnliche Lanzenreiter,
Speer- und Wurfeisenträger und endlich heidnische Bogenschützen
bildeten in der That für einen Fremden ein buntes, interessantes Schauspiel.
Nahe dem Kronprinzen vollführten Pauken, Dudelsäcke, Pfeifen
ein Getöse, das fast mein vernachlässigtes Nachtigal-Ohr beleidigte.
Füge zu alle diesem die Menge der Neugierigen (ganz Kuka schien ausgewandert),
so kannst Du Dir ein ungefähres Bild vom Ganzen machen. Nachdem wir
den Prinzen begrüßt hatten, rückte alles zusammen der Hauptstadt
zu; dieselbe schien von Weitem mehr aus Bäumen und Vogelnestern als
aus Häusern zu bestehen, so zahlreich ragen die ersteren über
den Behausungen empor. Kuka besteht aus 2 Schwesterstädten, einer
westlichen und einer östlichen, zwischen beiden ist Raum von einer
halben Stunde, wie die Städte selbst mit Wohnungen bebaut, jedoch
ohne Mauern. Von Kukaua zwischen den beiden Städten betraten wir die
östliche Stadt durch ein enges Thor, um uns zur Wohnung des Sultans
zu begeben. Wir gaben uns während dem einer anerkennenswerthen Pulververschwendung
hin und exponirten uns den forschenden Blicken des hinter seinen Mauern
weilenden Herrschers für einige Zeit. Von hier führte mich der
Titibi (ich erzähle anderen Ortes von seinen Intriguen) in meine Wohnung,
nicht die frühere Christenwohnung, ein. Der Titibi, der mit der Unterbringung
der Fremden betraut ist, hatte die Thatsache, daß das Christenhaus
etwas verkleinert sei, benutzt, mich bei seinem Freunde und Mitschurken
Sik Ahmed-el-Wadami, unterzubringen. Ich habe auf diese Weise ein etwas
besseres Haus erhalten, bin jedoch den Aussaugungen und Überwachungen
des genannten Kogena ausgesetzt. Derselbe ist ebenfalls beim Scheïch
beliebt und einflußreich, arabischer Abkunft, sehr reich, habsüchtig,
gewissenlos. Mein Haus besteht aus der Eingangshalle (Skifa), von der geradeaus
ein Gang in einen Hofraum führt, in dem die Pferde stehen (ich habe
jetzt deren 3); von diesem Gange zweigt sich ein anderer unter rechtem
Winkel ab, der in einen äußeren großen Hofraum leitet,
auf den 2 Zimmer münden, und in dem sich meine Enten (3 bis 4 Arten),
Perlhühner tummeln und eine Gazelle ihr Wesen treibt. Von dem ersten
Skifagange zweigt dann ein anderer ab, der südlich zu einem Häuschen
mit einem Zimmer und geradeaus in einen Hofraum führt, in dem ich
die Latrine etablirt habe und in dessen Mitte eine Hyäne den Fremdling
begrüßt. Von diesem Hof tritt man in einen vierten von schöner
Regelmäßigkeit, der einen hohen Hedzlidzbaum mit mehr denn 20
Vogelnestern enthält und der en face das Eingangsthor meiner Wohnung
und südlich die von Giuseppe mit der Küche hat. Am Baume tummeln
2 Äffchen, ein drittes hat in naher Entfernung von ihnen eine Stange;
ein Ichneumon durchwühlt eifrig den Boden, auf dem eine große
Schildkröte schläfrig hinwandelt, und in der Ecke schläft
ein kleiner Schakal neben einem Falken. Ein Schattendach aus Matten gearbeitet
ermöglicht den Aufenthalt im Freien, ohne mit Guano überrieselt
zu werden. Hier empfange ich die ca 50 Kranken, die täglich in den
Nachmittagsstunden den Vorrath meiner Medicamente zu erschöpfen bestrebt
sind. Habe ich Zeit vor Abgang des Briefes, so mache ich Dir einen verständlicheren
rohen Plan meines Hauses, als diese Beschreibung. Das Haus ist natürlich
aus Erde, denn Steine giebt es hier weit und breit nicht. Vorläufig
regnet es noch an allen Ecken und Enden durch, täglich wird Thonerde
oben darauf gethan. Das Dach ist natürlich platt und ruht die Erde
auf zusammengebundenen Quer- und Langhölzern. Das Ganze wird im Zentrum
des Zimmers durch eine mächtige viereckige Erdsäule getragen.
Noch am Nachmittage des ersten Tages ging ich zum Scheïch, um
ihn zu begrüßen. Der Hauptpalast des Sultans ist, wie gesagt,
in der östlichen Stadt, man steigt vor der Tür vom Pferd, bewegt
sich durch eine Säulenhalle, in der einige Bronzekanonen auf primitiven
Lafetten ruhen und die von Müßiggängern gefüllt ist,
über einen Hofraum, in dem man die Schuhe ablegt, in einen von Wartenden
gefüllten Raum. Von hier führt eine Thür in einen überdachten
Raum mit Schattendach, wo die Höflinge und distinguirte Fremde an
der Erde niederhocken und ihre Audienz erwarten. Von diesem Raum gelangt
man in den großen, von vielen Säulen, die Andeutungen von Verzierungen
tragen, gestützten Saal, in dem der Nogena tagt. Südlich in einer
Ecke befindet sich ein kleiner angehängter Raum, in dem ein Diwan,
eine eiserne Bettstelle, ein Lehnstuhl aus Holz stehen und der mit den
inneren Gemächern in Verbindung steht, welche von den Eunuchen bewacht
werden. Der Boden in der Umgebung des Diwans war zur Erhöhung der
Feierlichkeit mit Teppichen belegt, dieser selbst mit Matratzen und Decken
und Kissen belegt. Auf ihm hockte Scheïch Omar, Sultan von Bornu,
Sohn des Scheïch Mohammed-el-Anin-el-Kanem, ein alter, etwa 60jähriger,
freundlicher, durchaus schwarzer Herr mit weißem Bart, wohlwollendem
Gesichtsausdruck. Er war einfach in einen weißen Burnus über
die Landestoben gekleidet, trug einen weißen Burnus mäßiger
Größe und den Lithan, der Mund und Nase verdeckt. Die Unterhaltung
ward arabisch geführt, das er recht fließend spricht.
Gegen Abend schickte er die Diffa in 10 Riesenschüsseln (die Schüsseln
sind alle aus Holz und Kürbisschalen, halbkugelförmig und ruhen
in Stroh geflochtenen Untersätzen) unter Anführung eines Eunuchen,
den ich mit 4 Thalern belohnen mußte. Darauf trat ein anderer dieser
Getreuen ein mit einer Kuh und einigen Schaafböcken und entfernte
sich mit einem Trinkgeld von 3 Thalern; endlich kam eine Kameelladung Reis,
Hirse, Weizen, Butter und Honig und reclamirte dieselbe Belohnung. Auch
der Premierminister (Digma genannt) der mächtige Lamino, der Malem
Mohammed, Secretär des Sultans und mein Hausherr Titibi schickten
Schaafe und Honig in Schüsseln in einer Zahl, daß wir im Überfluß
schwimmen. Nach Mittag war ich noch zum Digma gegangen, zum Lamino, zum
Malem Mohammed, als den mächtigsten Leuten des Landes, doch ist von
ihnen nur von wirklicher Bedeutung der Lamino, ein jovialer, dickleibiger,
angenehmer Mann, warmer Freund von Gerhard Rohlfs. Die beiden anderen werden
seit einigen Jahren bei Seite liegen gelassen, während außer
Lamino der Kronprinz Bu Bekr von großem Einfluß ist. Charakteristisch
für den hiesigen Zustand ist, daß noch selbigen Tages die genannten
Persönlichkeiten alle eine geheime Botschaft an mich sendeten. Der
Lamino ließ mir sagen, ich solle mich vor dem Herrn meines Hauses
und seinen Leuten in Acht nehmen, ferner nie des Abends einen Besuch machen
und nie seine Speisen essen. Der Digma ließ mich vor dem Malem Mohammed,
dem Titibi und dem Hausherrn als großen Schurken warnen und der Malem
Mohammed tat das Gleiche für die Übrigen, doch Niemand sprach
gegen den Lamino. Am zweiten Tag kamen einige Affen, Enten etc. als Geschenke,
die Schaafböcke wiederholten sich, die Schüsseln kamen Mittags
und Abends. Die Schnupftücher, die steiermärkischen Rasirmeser,
die Messer und Scheren, die Rosenkränze und das Geld minderten sich
sichtlich. Am dritten Tage Mittags 2 Uhr schickte mir der Scheïch
ein schönes scheckiges Pferd und am Morgen 2 riesige Strauße.
Dem Chef der Überbringer gab ich 10 Thaler.
Am 2ten Tage feierliche Audienz beim Scheïch zur Überreichung
der Geschenke. Während ich den kunstvoll geschriebenen Brief des Königs
mehrmals laut in deutscher Sprache vorlesen mußte und der Scheïch
seinen Inhalt in der Übersetzung studirte, entschraubte Giuseppe die
Kisten. Der Thron entwickelte sich glücklicherweise ganz intact und
strahlte in herrlichstem Glanz seiner miserablen Umgebung gegenüber.
Er bildete den Glanzpunkt der ganzen Sendung und hatte die ganze Bewunderung
des Herrschers. Demnächst enthüllte ich die Bildnisse der königlichen
Familie, denen gegenüber der Scheïch eine gewisse Besorgniß
hegte, deren Anblick ihn aber gänzlich beruhigte. Er hatte gefürchtet,
daß ihr Charakter ein sündhafter sein möge, da das Gerücht
ihm von lebensgroßen Bildern gesprochen habe. Jetzt sah er, daß,
trotzdem die Gestalten lebensfrisch vor ihm waren, doch keinerlei Erhebung
über der Fläche der Leinwand bemerkbar war. Da aber nur schattenwerfende
Bildnisse, Statuen, eigentlich sündhaft sind, so fühlte er sein
Gewissen frei und leicht und bewunderte rückhaltlos. Dann kamen die
Zündnadelgewehre, welche ihn ebenfalls mehr als befriedigten, während
allerdings die schöne, bronzene Stutzuhr, durch seine allegorische
Figur auf ihr sein frommes Merabit-Auge beleidigte. Sammet und Seide und
Tuch hat er genug; er ließ also die Stoffe unbesichtigt und besah
nur die goldene Taschenuhr und das Fernrohr. Das Harmonium würde sicherlich
ebenfalls einen großen Erfolg errungen haben, wenn es nicht durch
die Reise allzusehr gelitten hätte und Jemand es zu spielen verstände.
Die Geschicklichkeit Giuseppe's hat es wieder nothdürftig hergestellt,
doch unser beider Talent genügt nicht, ihm auch nur nothdürftig
harmonische Töne abzulocken.
Nachdem ich an dem darauf folgenden Tage jeder der früher genannten
Persönlichkeiten von Wichtigkeit und Einfluß den ihnen zukommenden
„Salam“ zugeschickt hatte, konnte ich von ihnen etwas ausruhen, doch die
Betteleien der Geringen dauern mit ungeschwächten Kräften fort.
So hast Du eine ungefähre Idee von meiner Umgebung. Ich vervollständige
dieselbe später und füge jetzt nur hinzu, daß die Hälfte
der Wohnungen aus Erde, die andere aus Strohbehausungen besteht, daß
fast jedes Haus einen oder mehrere Bäume einschließt, daß
nur wirklich arme Leute zu Fuß gehen, alle andere reiten, daß
ich noch keine richtige Idee von der Einwohnerschaft gewinnen kann und
daß der Markt, der jeden Montag vor dem westlichen Thor der westlichen
Stadt abgehalten wird, einer der größten ist, den man nur in
irgend welchem Lande der Welt sehen kann. Mein Haus liegt in der westlichen
Stadt, da überhaupt alle Araber und Fremde in ihr wohnen, in der Hauptstraße,
Dendal, welche die westliche und östliche Stadt in gerader Linie bis
zum Palast durchschneidet. Schreibe mir nur ja unmittelbar nach dem Empfang
dieses Briefes: es ist wahrscheinlich, daß mich Dein Schreiben noch
mit nächster Winterkarawane erreicht, da ich hier warten muß,
um Geld etc. zur Rückkehr zu haben.
Bis dahin werde ich den unabhängigen Bewohnern des Tsad-See's
einen Besuch abstatten, vielleicht zu den Ulad Soliman nach Kanem gehen,
um durch ihre Hilfe Borgu zu sehen und endlich nach Baghirmi gehen, dessen
Herrscher in einer Art Vasallenverhältniß zum Scheïch steht.
* Offensichtlich beim Abschreiben sinnentstellt.
Kuka am 12ten November 1870
Theurer Onkel,
Dein lieber Brief vom 28 Juni aus Reinhardsbrunn ist vor wenigen Tagen
in meine Hände gelangt und hat mich durch die Nachricht Eures allseitigen
Wohlbefindens recht erfreut. Ich hatte Briefe von vielen Seiten und keiner
enthielt unangenehme Nachrichten, bis mir endlich eine Depesche der Malta
Times, die Consul Rossi in letzter Stunde meinem Briefpacket beigefügt
hatte, die schreckliche Nachricht des französisch-preußischen
(resp. norddeutschen) Krieges brachte und mich gänzlich niederdonnerte.
Ich stehe noch jetzt unter dem überwältigenden Eindrucke dieser
Nachricht und bin kaum im Stande, etwas anderes zu denken und zu schreiben.
Mir ist leider nur die nackte Thatsache des Krieges bekannt; alle Einzelheiten,
Motive und begleitende Umstände – je les ignore. Tag und Nacht spreche
ich die glühendsten Wünsche aus, daß die traurigen Folgen
dieses frevelhaften Beginnens auf den fallen mögen, der die Schuld
trägt und der Sieg da sein möge, wo das Recht ist. Es ist hart,
so weit zu sein vom Schauplatze solcher Riesenereignisse, die das ganze
Wohl und Wehe des Vaterlandes involviren, nicht theilnehmen zu können
an dem patriotischen Ringen, das die Kräfte aller Einzelner fordern
wird, ja nicht einmal dem Gange der Ereignisse folgen zu können. Während
des preußisch-österreichischen Krieges war mir das viel leichter,
da ich stets denselben als einen höchst bedauerlichen Bruderkampf
betrachtete; aber jetzt ertrage ich es recht schwer.
Dazu ist diese Complication für mich selbst wahrscheinlich von
übelster Bedeutung. Wer denkt jetzt an den fernen Reisenden und seine
Geldnoth? Während mir bisher durch Rohlfs und competenten Regierungskreisen
die feste Versicherung gegeben war, es werde mir an Nichts fehlen, ja während
man sogar die Nothwendigkeit betonte, dem türkischen Abgesandten gegenüber
nicht allzu sparsam aufzutreten: glaube ich jetzt gegründete Furcht
haben zu müssen, daß man mich über dem alles Interesse
verschlingenden Krieg vergessen werde. Dazu ist Consul Rossi, den ich gebeten
hatte, mir à mon risque et pésil noch 300 Thaler zu schicken,
für verschiedene Vorschüsse von der Regierung noch ungedeckt
geblieben, und Rohlfs sowohl, als Schmidt, den ich ebenfalls gebeten hatte,
sich mit Rossi ins Vernehmen zu setzen, waren bisher stets auf Reisen.
Und jetzt kommt der Krieg!
Dazu ist der Aufenthalt hier in der Hauptstadt Bornu's keineswegs erfreulich
in gegenwärtigem Augenblicke. Eine Epidemie von bösartigem Sumpffieber
rafft die Menschen in bedauerlichen Proportionen hin. Alle Fremden aus
dem Norden sind krank; viele mit knapper Noth dem Tode entronnen, manche
schwanken noch am Rande des Grabes herum. Doch merkwürdigerweise ist
die Sterblichkeit unter ihnen nicht groß. Es sind die Eingeborenen,
welche wie die Fliegen nach 1 bis 2tägiger Krankheit sterben. Fast
alle Uebrigen sind krank; oft habe ich Nichts zu essen, weil keiner meiner
Leute (und es sind deren 6) funktionsfähig ist. Ich selbst, der ich
mit großer Besorgniß nach den zahlreichen Fieberanfällen
in Fezan der Regenzeit in Bornu entgegenging, bin in der That besser daran
als fast alle Weißen, die ich kenne. Freilich habe ich hin und wieder
das Fieber, leide an beständiger Appetitlosigkeit und habe langwierige
Fußgeschwüre: doch Alles ist Nichts im Vergleich zu dem traurigen
Zustande, in dem sich die Meisten befinden.
Die Ursache ist in dem außergewöhnlich abundanten Regen
dieses Jahres zu suchen. Hand in Hand mit dem Menschensterben, das auf
dem Land noch bedeutender ist (derartig, daß man die Leute schon
im Stiche läßt, ohne Pflege und Beerdigung aus Furcht vor Ansteckung)
als in der Hauptstadt, geht ein allgemeines Fallen der Pferde. Dieselben
sterben ebenfalls nach einer Krankheit von wenigen Tagen ohne mir bekannte,
hervorstechende Symtome. Auch mein starkes Pferd aus Fezan starb – ein
schwerer Verlust für mich. Endlich erliegt das Rindvieh seit 3 Jahren
einer ansteckenden Krankheit in den schrecklichsten Proportionen. Mein
wohlwollender Freund und Beschützer hier, Mohammed Lamino, hat von
31.000 noch ca 300. Ein Land muß eben Rindvieh besitzen, wie Bornu,
um solche Verluste nicht empfindlicher zu fühlen. Trotzdem kostet
noch jetzt ein Ochse oder eine Milchkuh nicht mehr als 3-4 Thaler; schlechtere
hat man für 2 Thaler soviel man will.
In meinen Medicamenten ist daher auch wacker aufgeräumt. Ich haben
in den wenigen Monaten meines Hierseins ca 1000 Kranke untersucht oder
behandelt. Leider ist auch das Chinin derartig geschwunden, daß ich
mit großer Besorgniß der Zukunft entgegensehe. Nun, wenn es
mir so gut geht, als bisher, so bin ich schon zufrieden.
Die Sterblichkeit hat sogar die Karawane, welche nach unserer Ankunft
hier gen Norden aufbrach, und welche auch Dir meinen Brief gebracht hat,
arg mitgenommen. Von 1000 Sclaven waren in dem Augenblicke, als der Bote,
welcher mir Deinen Brief und die Kriegsnachricht brachte, ihr begegnete,
schon ca 150 gestorben und die berüchtigste Strecke für Sclaventode,
welche ich bei Gelegenheit meiner Tibesti-Reise geschildert habe, blieb
noch zurückzulegen. Auch Diener, welche ich mit ihr zurückschickte,
sind in Kauar gestorben. Hoffentlich setzt die bevorstehende Winterkälte
der Epidemie bald ein Ziel.
Ich werde vermuthlich hier noch 1½ Monat verharren müssen.
Zunächst müßte ich das Ende der Regenzeit abwarten; sodann
beschloß der Scheïch Omar, einen Feldzug gegen den aufrührerischen
Vasallenfürsten von Zindar zu unternehmen, und in diesem Falle hätte
ich ihn natürlich begleiten müssen.
Endlich erwarte ich Araber aus den Landstrichen im Norden des Tsad-See's,
die mich nach Borgu und Behar und Ghazal begleiten sollten und schließlich
sind meine Leute nicht in der Verfassung zu reisen, und zuletzt bin ich
hinlänglich beschäftigt mit meinen Studien über Wadaï,
für die ich höchst günstige Gelegenheit gefunden habe. Die
Araber für Borgu sind Ende dieses Monats zu erwarten. Sodann ist der
Rhamadan da und während desselben an keine Reise zu denken. Also,
wie gesagt, noch ca 1½ Monat. Nach Ablauf derselben werde ich den
Buddema, den Piraten des Tsad-See's, einen Besuch abstatten; ich habe schon
ein ziemlich vollständiges Vocabular ihrer Sprache zusammengestellt.
Oder ich begleite den Kronprinzen auf einem Feldzug gegen die Heiden von
Kerri kerri, die seit 2 Jahren arg unter den Bornu-Kriegern aufräumen;
oder ich begleite endlich die erwarteten Araber nach Borgu und Behar el
Ghazal. Indessen hoffe ich, wird die Winterkarawane von Fezan hier eingetroffen
sein und mir etwas Geld gebracht haben. Mit diesem mache ich mich auf den
Weg nach Adamaua, um womöglich die Westküste zu erreichen.
Die Leute von Bornu (Kanuri) sind recht gutmüthige Leute, soweit
man keine Ansprüche an sie macht. Erwartet man aber Etwas von ihnen,
so stößt man auf den krassesten Egoismus der Wilden. Sie sind
ziemlich intelligent, geschickt zu allen möglichen Arbeiten, doch
faul, über alle Maßen eitel und zum Wohlleben geneigt. Treu
und Glauben existirt hier nicht, die höchst stehenden Leute schämen
sich nicht, die arabischen Kaufleute um den Preis ihrer Waaren zu betrügen,
während sie Hab und Gut veressen, vertrinken und verliederlichen.
Alle Maria-Theresien-Thaler, welche ihren Weg hierher finden, werden in
silbernen Haarschmuck der Frauen und Mädchen umgearbeitet und da der
Zufluß zu stocken begann, seit man dem Sclavenhandel auf der Küste
etwas Einhalt thun zu wollen schien, so herrscht eine große Geldnoth.
Sie haben keinerlei Energie, die reichen Schätze ihres Landes zu verarbeiten
(Elephantenzähne, Straußenfedern, Indigo und Tausende von Bodenproducten);
das Sclavengeld war ja so leicht zu beschaffen und warf so reichen Gewinn
ab. So liegt denn Handel und Wandel gänzlich darnieder und allein
die Hoffnug auf neuen Sclaven-Absatz, die man von Norden her merkt, hält
die Karre einigermaßen in Gange. Die Ernte an Negerhirse und Sorghum
(Durra) ist reich und sichert so selbst den Armen reichliche und billige
Existenz, so daß Niemand Veranlassung zur Arbeit hat. Für 1
Thaler kauft man immerhin einige Centner Krob (Negerhirse).
Auch Wohnung ist nicht theuer. Für 3 Thaler stellt man sich eine
Strohwohnung her und für 6 Thaler ein Erdhaus. Das einzige Theure
bleibt verhältnißmäßig die Kleidung, auf die ihre
Eitelkeit viel hält. Trotz der hohen Temperatur hier zu Lande behängen
sie sich mit Kleidern und ganz gewöhnliche Individuen tragen 2 Toben;
wohlhabende 3, 4 und mehr. In ihren Hosen verschwenden sie eine solche
Menge Stoff, daß sie gar nicht gehen können, wie andere verständige
Menschen, sondern breitspurig. Ihre Toben bilden eine Last, welche ihnen
das Gehen erschwert und sie zwingt, sich von den Sclaven auf ihre Pferde
heben zu lassen.
Die Weichlichkeit, Schlaffheit, Liederlichkeit, Freßsucht der
Bornuer ist so weit gediehen, daß ich fürchte, das Land geht
mit dem Tode des Scheïch Omar einer bösen Zukunft entgegen. Die
Höflinge sind erbärmliche Schranzen, scrupellose Intriguanten
ohne eine Spur von Patriotismus oder Ehrenhaftigkeit: mit ihnen kann kein
Herrscher etwas anfangen. Jetzt hat der Scheïch Omar noch einen Namen,
welcher ihrem Lande Glanz nach außen und Friede nach innen verleiht,
und den er von seinem Vater dem ausgezeichneten Gründer der Dynastie
ererbt hat. Doch seine Söhne werden wie gewöhnliche Sterbliche
betrachtet und haben weder die Liebe des Volkes noch Intelligenz und Energie
in hinlänglichem Grade, um die Zersetzung des Landes in seine bunten
Elemente aufzuhalten und nach außen den Nachbarn heilsame Furcht
einzuflößen.
Der Krieg hat Euch sehr unangenehm plötzlich nach Cöln zurückgeführt.
Möge er, wie ich hoffe, daß er nicht verhängnißvoll
für das Vaterland sein möge, auch für Deine Verhältnisse
nicht allzu schädlich werden und möge er das alte Cöln nicht
ganz zerstören. Der arme zoologische Garten und die Flora u.s.w.!
Doch wenn nur das Vaterland siegreich aus dem Kampfe hervorgeht und unsere
Lieben uns erhalten bleiben: so muß man schon zufrieden sein. Mich
betrübt die Sache im höchsten Grade aus dem höheren Gesichtspunkt
der Humanität. Man verzweifelt fast an dem Fortschritt der Civilisation,
wenn man sieht, wie die gebildetesten Nationen des Erdkreises Tausende
und Abertausende ihrer besten Kräft wie wilde Thiere zerstören,
nur weil Einer stärker sein will als der Andere.
Ich hoffe nur Eins: dies nämlich, daß die Riesenanstrengungen
beiderseits ein schnelles Ende nöthig machen aus pecuniären Rücksichten.
Ach, daß dieser Brief schon Friede in Handel und Wandel wieder hergestellt
fände und daß mir demnächst durch die bevorstehende Karawane
die Nachricht von einem für uns ehrenvollen Ende der Feindseligkeiten
gebracht werden möchte.
Auch Karl ist wohl an der Hochzeit verhindert?
Adieu, lieber Onkel und beste Tante; Gott schütze Euch in schwerer
Zeit und bewahre uns ein freudiges Wiedersehen auf.
Grüßt alle Verwandten und Freunde auf das Herzlichste und
seid aufs Treuste umarmt von
Eurem Gustav.