19. Teil:  Kuka 1870

Kuka am 16ten Juli 1870
 

 Lieber Onkel, beste Tante!

Nach fast monatelanger Wanderung von Kauar bis hierher, bin ich glücklich am Ziel meiner Reise angekommen. Die Beschreibung derselben habe ich in der mir gekannten unleserlichen Handschrift an Marie geschickt, so ausführlich, als es meine Zeit erlaubt (die abgehende Karawane ist marschbereit), mit der Bitte, Euch eine leserliche Abschrift davon zuzusenden. Ich beschränke mich also hier nur auf den freundlichsten Gruß und die Versicherung meiner anhänglichsten Liebe.
Trotz der begonnenen Regenzeit, von allen Weißen gefürchtet, befinde ich mich mit Dienerschaft, unter der 2 Weiße sich befinden, recht wohl. Nur meine schönen, so theuer gekauften Kameele gehen, wenn sie nicht für einen Spottpreis verkauft sind (den 6ten bis 8ten Teil ihres Ankaufspreises), ihrem sicheren Tode entgegen. Das Kameel ist hier zu Lande bei weitem nicht so in Gebrauch, als in nördlichen Gegenden. Es ähnelt sehr dem der Tibbu, hoch, graziös, ohne Wolle, nur mit ganzen kurzen , glatten Haaren, dicker Haut, erträgt den Regen ganz gut, stirbt aber im Norden so gut, wie das nordische hier. Man reist vielmehr mit Ochsen, die, zum größten Theil mit einem Buckel zwischen den Schultern versehen, sehr groß und stark sind. Man leitet sie durch den Strick, der die Scheidewand der Nase durchbohrt, belastet sie mit großen Ledersäcken und reitet auf ihnen. Das Rindvieh, das nur zur Gewinnung von Milch, Butter und Fleisch gezüchtet wird, ist weniger groß und stark und ähnelt mehr unseren Kühen und Ochsen, nur sind die Hörner, welche einen weiten Bogen beschreiben, sehr umfangreich (1½ Fuß am Ursprung). Ein Ochse zum Lasttragen kostet 4 bis 6 Thaler, eine Milchkuh 2-3-4 Thaler. Außer den Rindern reist man auch noch mit Eseln, die einen ähnlichen Werth haben. Kameele sind zuweilen sehr billig, zuweilen recht theuer. Jetzt, da viele von Wadaï gebracht sind, kosteten sie nicht mehr als 14 oder 15 Thaler, doch als Mohammed-el-Gatroni zum letzten Mal von hier zurückkehrte (von der Reise mit Gerhard Rohlfs), mußte er ein Kameel mit 55 Thalern bezahlen.
Pferde sind außerdem zahllos im Lande. Kein anständiger Mensch geht zu Fuß, und wenn ich Spaziergänge mache, so schreit alle Welt über die Schande, und es ist doch wahrlich zu lästig, jedes Mal, wenn man einige Häuser weit gehen will, das Pferd zu satteln. Die Pferde sind recht hübsch, sehr feurig, treffliche Beine und Gelenke, glänzendes, weiches Haar, doch selten sehr groß und stark und häufig mit etwas unschönem Kopfe. Man pflegt sie mit großer Sorgfalt. Schlechtere Pferde kauft man für 8-10 Thaler, mittelmäßige für 20-30 Thaler, doch natürlich die schönen haben den Preis der Liebhaber und kann derselbe nicht sicher fixirt werden. Ich glaube nicht, daß es ein Pferd von mehr als 100 Thalern Werth hier giebt.
Schöne große Schaafböcke erreichen augenblicklich nicht den Preis von 1 Thaler, und Eier-Hühner kauft man um einen Spottpreis. Von der Negerhirse, Krob in arabisch, Argam in Kanuri, kosten ungefähr 5 Centner einen Thaler; Weizen und Reis hat man einen Centner für den Thaler. Die Butter (doch ist diese nicht unserem heimischen Producte an die Seite zu stellen, sondern dieselbe wird gekocht, leider unter Zusatz von Kuhurin, und aufbewahrungsfähig gemacht) ist flüssig und hat man wohl 20 Pfund für den Thaler; der Honig, der aber schlecht gereinigt ist, wird billiger verkauft. Nur Salz, d.h. das schöne Salz aus Bilma, ist theuer. Schlechteres, sehr unreines, wird durch Auskochen der Asche des Suakstrauches gewonnen und ist billiger.
Die gangbare geprägte Münze ist der Maria-Theresien-Thaler (wenn ich von Thalern spreche, meine ich immer diesen), welche, da kleinere Münze nicht existirt, den Werth einer gewissen Menge kleiner Muscheln hat, die von der Meeresküste importirt werden. Der Thaler (Real Buteïr, d.h. der Real, der den Vogel (Adler) führt), ist augenblicklich 4000 Muscheln. 32 der letzteren machen ein Rottel aus. Rottel heißt eigentlich Pfund, und kommt diese Bezeichnung aus der Zeit, wo das Pfund Kupfer als Münze diente. Nach dem Kupfer war die kleine Münze durch Baumwollstreifen (gewebte) von 3 Finger Breite und verschiedener Länge und Güte repräsentirt; und jetzt zweckentsprechend durch Muscheln.
Der Handel macht sich jeden Montag, wo die Schon-Araber ihre Ochsen, Kühe, ihre Butter, ihre Milch zu Markte bringen, wo die Kanembu (Einwohner Kanems), die Tibbu und Alles, was kauft und verkauft, der Hauptstadt zueilen. Vor dem Thore der westlichen Stadt (S. Marie’s Brief) hält sich dieser Riesenmarkt ab, der Alles, was ich bisher sah in diesem Genre, an Großartigkeit übertrifft. Tausende und Abertausende drängen sich vom Morgen bis zum Abend durcheinander, mit großer Ruhe und Friedfertigkeit, ohne Marktpolizei, ihre kleinen Bedürfnisse austauschend. Ich besuchte ihn nun schon 3 Mal, doch noch habe ich kein klar entwirrtes Bild des bunten Ensembles, noch bin ich wenigstens nicht im Stande, eine lebendige, wahrheitstreue Schilderung davon zu geben.
In den angeführten Proportionen müßt ihr auch im Geiste den Werth der Geschenke, die der Scheich distinguirten Fremden macht, reduciren. In den ersten 2 Tagen brachte man mir wohl 8 Schaafböcke von verschiedenen Personen. Das Pferd, das ich vom Scheich, wie es die Gewohnheit will, Nachts gegen 2 Uhr zugeschickt bekam, ist allerdings schön. Doch die Strauße, die er mir schickte, die Gazellen, die Enten bringt man ihm ganz unentgeltlich und haben dieselben keinerlei Werth für ihn. Was ist ferner eine Kameelladung Reis, Hirse, Weizen, ½ Centner Butter und ebensoviel Honig an Werth? Das Werthvollste bleibt das Pferd und die 2 Toben (Art weiter Hemden; Landeskleidung), die er mir schenkte.
Die Leute der Karawane haben die Stadt bereits verlassen; ich bin also gedrängt, meine Briefe zu erledigen. Ihr verzeiht also wohl meine relative Kürze, in Betracht ziehend, daß ich den Brief an Marie ebenfalls an Euch schrieb. Ich kann doch unmöglich an Alle dasselbe schreiben. An Dr. Petermann, die geographische Gesellschaft, das Ministerium, Rohlfs, v. Maltzan, Euch, Schmidt muß ich schon ungefähr dasselbe berichten; doch die durch Nähe und regelmäßigen Verkehr begünstigten müssen sich gegenseitig aushelfen.
Über die Zeit meiner Rückkehr kann ich noch nicht Viel sagen. Dieselbe hängt von Karawanen, günstigen Umständen u.s.w. ab. Zunächst denke ich den Inselbewohnern des großen Tsadsees, den Badiama, einen Besuch zu machen. Sie sind Heiden, unabhängig, räuberisch; doch mit Hülfe des Scheichs hier wird sich die Sache schon machen.
Dann warte ich im Laufe des Winters Geldsendung ab, um die ich schrieb, und kehre zurück, auf südöstlichem oder südlichem oder östlichem Wege, wie es die Umstände erlauben. Jedenfalls bin ich im Laufe des nächsten Jahres, wenn mir Freiheit und Gesundheit beschieden ist, in Eurer Mitte.
Die Hälfte des Tages widme ich den Kranken (ich hatte einen ansehnlichen Vorrath von Medikamenten von Malta mitgeführt), und kommen täglich ca 20-50. Es hat den Vortheil, daß ich etwas sprechen lerne (Kanuri) und daß ich Leute, Physionomien und Charaktere studieren kann.
Wie werde ich mich freuen, wenn ich die erste Sendung heimischer Briefe und Zeitungen hier erhalten werde? Möge es recht bald geschehen, denn meine Sehnsucht ist groß!
Hoffentlich sehe ich Euch Alle gesund und heiter wieder wie bei meinem letzten Besuche in Europa. Was macht das Brautpaar, Hermann mit seinen Augen, Lenchen mit ihren jungen Damen, Rogge's und Eure übrigen Freunde und ferneren Verwandten? Von Klockenbring habe ich lange Nichts gehört. Und die verehrte Großmama hoffentlich frisch und munter wie immer?
Grüßt Alle aufs Wärmste und seid liebevoll umarmt von Eurem in dankbarer Anhänglichkeit und Treue verharrenden

   Gustav.


Abschrift in der Handschrift des Onkels Dietrich Nachtigal

Brief des Dr. Nachtigal an seine Schwester.

 Kukaua am 16 Juli 1870

Im besten Wohlsein melde ich Dir meine glückliche Ankunft in Bornu's Hauptstadt, welche am 6. ds. M. statthatte. Da eine Karawane vollständig zum Abmarsch nach Norden bereit war bei unserer Ankunft, so konnte ich doch nicht gut die Absendung eines Couriers vom Sultan, wie ich Dir schrieb, reclamiren, durch den auch nur einige Wochen gewonnen sein würden. Hoffentlich wird Dir der Empfang meines Briefes aus Kauar die prolongirte Erwartung des jetzigen erleichtert haben.
Unsere Reise von Kauar hierher verlief ohne alle unangenehme Zwischenfälle. Von Bilma bis zur Oase Dibbela (4 Tagesmärsche) erstreckt sich die Dünenzone, welche die Wüste im Süden von den fruchtbaren Breitengraden, welche vom tropischen Regen profitiren, trennt. Dieselbe stellt den schwierigsten Theil der ganzen Reise, besonders für die Kameele dar. Kette von Sandhügeln folgt auf Kette von Sandhügeln, oft in sehr unbedeutenden Zwischenräumen, dieselben verlaufen alle parallel von Ost nach West, haben oft recht steile Abhänge und sind meistens 50 Fuß hoch. Da dieselben in beständigem Zickzack und in beträchtlichen Abweichungen von der geraden Linie überklommen werden, so resultirt aus ihnen ein großer Zeitverlust und ein verhältnismäßig unbedeutender Fortschritt in gerader Süd-Richtung. Man passirt auf dieser Strecke am ersten Tage die kleine Oase von Muskatnu und am zweiten das große Vegetations-Centrum von Zau Kurra (Groß-Sau). Die letztere ist voll von Siwaksträuchern, deren Frucht in Gestalt von Beeren und in der Größe unserer Korinthen gerade reif war und uns erquickte. Schon vor der Oase von Dibbela beginnt im sonst so kahlen, nackten Sande hier und da Kraut- und Graswuchs, die erschöpften Kameele zu laben. Von Dibbela bis zu den Bergen und der Oase von Agadem marschirt man zwei weitere Tage, doch jetzt sind die Dünenketten zu Ende; das Terrain ist eine hoch und breit gewellte Ebene, sandig, doch nicht ohne fruchtbare Beimischung, wie die reiche Vegetation, besonders der Wellentiefen beweißt. Von jetzt ab haben die Kameele gute Tage: ihr Lieblingsfutter, der stachelige, diestelähnliche Had wächst überall in größter Fülle. Wir selbst erfreuten uns ebenfalls einer Veränderung und Bereicherung unseres Küchenzettels (sonst Zometa, Mohamsa, Reis) durch die tägliche Erlegung einiger Antilopen von der „das wilde Rind“ so passend genannten Art. Diese Jagdbeute verdankten wir übrigens mehr den Jagdtalenten unserer Windhunde (Bu Aïscha hatte deren 2, ich einen) als eigener Geschicklichkeit. Von Agadem, das als letztes Wüstenerzeugniß, sowohl in seinen Bergen, als in seinem fruchtbaren Uada (Oase) anzusprechen ist, bis zum Brunnen Belkaschifari sind 2½ bis 3 Tage durch die hügel- und felslose Steppe Tintumma, in der sich vor einigen Jahren Gerhard Rohlfs durch die Perfidie seines Führers verirrte und nur durch einen Gewitterregen vom Verdurstungstode gerettet wurde. Dieselbe ist eine gewellte, krautbedeckte Ebene ohne Weg und Steg und ohne alle Merkzeichen („Elem“) der Richtung. „Wer in ihr zurückbleibt (d.h. von der Karawane), sieht seine Mutter nicht wieder“ sagt der Volksmund. Zum ersten Mal begegnen wir hier den Tumtumbäumen (in dem ich den Tussumo von Tibesti wiedererkenne) und den Hedzlidz, in der Kauarsprache Bito genannt; zwar blätterlos, doch mit Früchten von der Form der Datteln. Eine Löwenspur beweißt die Nähe von Wasser. Vom Brunnen Belkaschifari ändert sich die Scenerie der Landschaft wesentlich. Wir zogen noch in der Dunkelheit der Nacht von jenem aus und fanden uns beim Aufgang der Sonne in den reizendsten, fruchtbarsten, malerischsten Thälern der Welt. Hierher fällt die Nordgrenze des großen Mimosenwaldes, der sich fast bis Kuka erstreckt und nach West und Ost weite Landstriche umfaßt. Wie die Benennung Dich lehrt, wiegt in diesem dichten Walde die Mimose (Akazie) in ihren Arten (Talka, Geredh, Karagu) vor, doch fehlt deshalb der Siwakstrauch mit seinem saftigen Grün nicht, wie auch der Tumtum, der Hedzlidz, der Ingisseri, in dem ich den Arkeno von Tibesti constatire, der knorrige Käbi oder nordische Retem häufig sind und mit den Schmarotzerpflanzen Dornige Digdigi, Zara, die vorzüglich die Mimosen lieben, ein wechselvolles, buntes, malerisches Ensemble bilden. Kräuter und Gräser sprießen üppig im Schatten dieses Waldes und bieten den massenhaften Antilopen, Gazellen, Straußen eine reiche Weide. Auf den Abhängen grast die schöne Antilope Mohor mit dem breiten braunen Halskragen auf dem schneeweißen Körper friedlich neben ihrem Freund dem Strauß. Die ersten Giraffenspuren wurden hier gefunden, und das Gebrüll eines Löwen erschreckte die weiblichen Glieder unserer Karawane. Von Belkaschifari bis zum Brunnen Azi rechnet man drei Tagesmärsche. Zwischen beiden, nahe dem letzteren, liegt der Brunnen Kufe, doch ist derselbe seit Jahren verschüttet. Am 3ten Tage war der Boden bedeckt mit 4 Zoll langen Ringelwürmern mit mehren hundert Füßen, die nach dem Regen hier stets zu finden sind, ebenso wie eine kleine purpurrothe Spinne, deren Körperoberfläche ganz und gar dem Samt ähnelt. Zwischen Kufe und Azi die ersten Elephantenspuren und seine Excremente und die Verwüstungen, die er mit Vorliebe in den Bäumen zu seiner Erheiterung anrichtet. Gegen Azi hin wird der Wald immer dichter und malerischer und erschwert sogar oft die Passage. Der Tsad-See ist nur noch eine halbe Tagereise in südöstlicher Richtung, doch wir ziehen weiter in südlicher Direction der nordöstlichsten Stadt Bornu's Ngigmi zu. Zwischen Azi und Ngigmi liegt offenbar der reizendste, lieblichste Theil des Waldes, man erreicht den letzteren von jenem aus in 1 bis 1½ Tagesmärschen. Große Heerden schöner, wirklicher brüllender Rinder, wie ich sie seit 6-7 Jahren eigentlich nicht gesehen hatte, annoncirten mir die Nähe der ersten Bornustadt; bald darauf traten wir aus dem Wald auf die Dünenhügel hinaus, die Wald vom See trennen und vor unseren neugierigen Augen lag die fremdartige Stadt und dehnte sich der ausfließende Reihersumpf aus. Auf den wenig majestätischen Eindruck des Tsad-See's war ich hinlänglich vorbereitet, um nicht zu sehr enttäuscht zu werden. Doch um so interessanter schien mir das Schauspiel, das sich auf dem Ufer vor mir entfaltete. Nahe dem schilfreichen Rande des See's lagen 300 zuckerhutförmige Rohr- oder Strohhütten, umgeben von fetten Weidegründen, auf denen sich Rinder, Schaafe, Ziegen, Pferde und Esel ergötzten. Zwischen ihnen wandelten furchtlos hochbeinige Reiher und Störche, fremdartige Taucher und Pelikane, Enten und zahlreiche mir unbekannte Wasservögel. An einer offenen Wasserstelle des Tsad stand ein Elephant, um seinen Durst zu löschen. Ich eilte diesem zu und machte die Bekanntschaft von ca 20 Ngurutu's (Hippopotami), die sich hier im Wasser tummelten.
Abends kam ein alter, einäugiger Herr mit zahlreicher Suite zu unserer Lagerstätte aus der Stadt. Es war der Chef des Districts, der sich von hier bis zur Stadt Barua erstreckt, und hält sich hier auf Befehl des Scheïch Omar (er bewohnt sonst Barua) auf, um unsere Karawane zu erwarten. Früher war er Stadt-Oberst der Stadt Ngornu und führte den Titel Fugoma, jetzt ist er gewissermaßen zu seiner jetzigen Stellung degradirt und hat nur den Titel Kazelma. Da durch ein Mißverständniß mein Brief an den Scheïch von Fezan aus nicht abgegangen war, erwartete man hauptsächlich Bu Aïscha. Ich schrieb von hier aus von Neuem an den Sultan, ihm den Charakter meiner Sendung notificirend und um die Instandsetzung des „Christenhauses“ bittend. Bisher waren wir glücklicher Weise von Regen verschont geblieben; war die Saison vorgerückter, so hätte ich bei der schlechten Beschaffenheit meiner Zelte schwer gelitten. Ich erfuhr dies durch einen heftigen Gewitterregen, der uns zu Ngigmi ereilte, nur allzu sehr. Glücklicher Weise gelang es mir, die Kisten der Geschenke vor dem rapiden Ausbruch in Sicherheit zu bringen. Die Einwohner Ngigmi's sind Kanembua (Sing. Kanembu) d.h. eigentlich Leute von Kanem, welche den Kanuri sehr unähnlich sind, aber den Tibbi näher stehen. Die Frauen kamen alsbald, um getrocknete Fische, Zwiebeln, Erdmandeln, Hühner, Eier, Milch, Baumwolle, Butter zu verkaufen. Hühner sind sehr billig, für einige Nadeln kauft man sie. Der Kazelma schickte mir darauf eine Kuh und Negerhirse (Krob) für mein Pferd, das leider in letzter Zeit abgemagert war. Derselbe begleitete uns auch am nächsten Tage nach Barua. Zwischen Ngigmi und Barua zogen wir zuerst am Ufer des See's hin, dann in dem Walde, der sich hier etwas lichtet und lagerten am Nachmittage des ersten Tages bei dem Dorfe Kindschigalia, das wieder nahe am Tsad liegt. Dasselbe ist, wie viele andere kleine namentlich auf dieser Strecke periodisch von Sclaven der Einwohner von Ngigmi bewohnt, die hier aus dem eingeäscherten Siwakstrauch durch Auskochung Salz gewinnen. Dasselbe ist sehr schlecht, und ich war froh, einen kleinen Vorrath aus den Salzgruben von Bilma mitgenommen zu haben. Am darauffolgenden Morgen erreichten wir die Stadt Barua, die zwar ummauert ist, aber doch nur Stroh- und Rohrhütten enthält. Etwas mehr Kauar-Elemente mischen sich den Kanembua bei. Von Barua bis Yo (Jo) am Fluß von Jo ist ein kleiner Tagemarsch. Der Wald lichtet sich mehr und mehr, doch in der Nähe des Flusses ist er viel dichter, enthält viele Fächerpalmen, den herrlichen Tamarindenbaum und verschiedene Sträucher. Der Fluß enthält etwas Wasser an einzelnen vertiefen Stellen, doch bis Jo passirten wir ihn trockenen Fußes. Jo ist etwas größer, als Ngigmi und Barua und enthält einige Erdbehausungen.
Am darauffolgenden Tage kamen einige arabische Herren von Kuka zu unserer Begrüßung und brachten uns den so genannten „Gruß“ (Selam) des Scheïchs in Gestalt eines Körbchens Guro-Nüsse, eines Sackes Nakia und eines anderen Dendokalia, aus Mehl, Honig etc. bereitete Süßigkeiten mit der Bitte, doch so schnell als möglich der Hauptstadt zuzueilen, wo er uns in großer Ungeduld erwarte.
Wir brachen dem zufolge Tags darauf auf, marschirten wacker ca 13 Stunden und lagerten einige Stunden nördlich von Dauergo, einem Dörfchen, das nur ein Stündchen von Kuka entfernt ist. In ihm nächtigen gewohnheitsgemäß stets die Karawanen und empfangen hier die erste „Diffa“ (Gastmahlzeit) des Herrschers.
Am 5ten Juli früh erreichten wir Dauergo und waren während des ganzen Tages belagert von arabischen Tibbi-Besuchern, die vorzüglich Bu Aïscha's wegen kamen. Zu mir kam auch ein junger Mensch, der sich als Sclav der Christen einführte, sich Dunkas nannte und als ein Sclav Vogel's herausstellte, der ihn als Knäbchen gekauft und bei seiner Abreise nach Wadaï hier zurückgelassen hatte. Sein Beschützer Lamino, in dessen Haus er lebte, sandte ihn mit einigen Schock Eiern und einigen Hühnern. Am nächsten Morgen bewegten wir uns mit Sonnenaufgang der Hauptstadt zu. Da meine europäische Kleidung nicht mit den goldgestickten Uniformen Bu Aïscha's concurriren konnte, so trug ich arabische Kleidung. Die Ebene zwischen Dauergo und Kuka ist baumlos; sie war bedeckt mit Reitern und Fußgängern. Zuerst kamen die Araber von Tibbi, sei es, daß sie seit langen Jahren hier residirten, oder daß sie nur auf einer Handelsreise begriffen momentan hier verweilten. Der als vornehmer Bikh ? der mohamedanischen Soliman durchziehende Scherif (Bu Scherfa) von Bornu*. Die Araber waren angeführt von dem seit langem hier wohnenden Mohammed Titibi, der leider in großer Gunst beim Scheïch steht und ein großer Schurke ist. Trotzdem ich ihm von seinem Bruder, der Schatzkämmerer zu Murzuk ist, einen Empfehlungsbrief gebracht hatte, spielte er mir eine Intrigue, die ich ihm nicht vergessen werde. Er brachte die Nachricht, daß der Scheïch seinen ältesten Sohn, Bu Bekr zu unserer festlichen Einholung absende. Wir warteten also, bis die Nachricht kam, derselbe habe die Stadt verlassen und setzten uns dann ebenfalls in Bewegung. Bald hatten wir den interessanten Anblick des Kronprinzen und seiner Suite, die durch Mannigfaltigkeit der Kleidung, der Bewaffnung und der Physionomien das Unmögliche leistete. In der Mitte der Kronprinz, ca 40 Jahre alt, mit sehr gewöhnlichen, doch freundlichen Zügen, prächtig beritten in einen dunkelblauen Tuchburnus gekleidet. Ihn umgaben die Höflinge Kogena, die Sitz und Stimme im großen Rath des Scheïch (Nogena) haben, und in goldgestickten rothen, blauen, grünen Burnussen und Hosen ein buntes Ensemble bildeten. Unter den Tuchburnussen, deren sie oft 2 tragen, befinden sich 1 oder 2 und 3 Toben, alles aus Eitelkeit trotz der Hitze. Dann folgten die mittelalterlichen Panzerreiter, in Panzerhemden und Beinschienen gekleidet, mit Stahlhelm, der vor dem Gesicht schützende Stangen trägt, ihre Pferde mit dick wattirten bunten Steppdecken aller möglichen Farben und Muster, geschützt und geschmückt Kopf und Brust durch eiserne oder messingne Platten. Eine Bande uniformirter flintenbewaffnete irreguläre Soldaten, gewöhnliche Lanzenreiter, Speer- und Wurfeisenträger und endlich heidnische Bogenschützen bildeten in der That für einen Fremden ein buntes, interessantes Schauspiel. Nahe dem Kronprinzen vollführten Pauken, Dudelsäcke, Pfeifen ein Getöse, das fast mein vernachlässigtes Nachtigal-Ohr beleidigte. Füge zu alle diesem die Menge der Neugierigen (ganz Kuka schien ausgewandert), so kannst Du Dir ein ungefähres Bild vom Ganzen machen. Nachdem wir den Prinzen begrüßt hatten, rückte alles zusammen der Hauptstadt zu; dieselbe schien von Weitem mehr aus Bäumen und Vogelnestern als aus Häusern zu bestehen, so zahlreich ragen die ersteren über den Behausungen empor. Kuka besteht aus 2 Schwesterstädten, einer westlichen und einer östlichen, zwischen beiden ist Raum von einer halben Stunde, wie die Städte selbst mit Wohnungen bebaut, jedoch ohne Mauern. Von Kukaua zwischen den beiden Städten betraten wir die östliche Stadt durch ein enges Thor, um uns zur Wohnung des Sultans zu begeben. Wir gaben uns während dem einer anerkennenswerthen Pulververschwendung hin und exponirten uns den forschenden Blicken des hinter seinen Mauern weilenden Herrschers für einige Zeit. Von hier führte mich der Titibi (ich erzähle anderen Ortes von seinen Intriguen) in meine Wohnung, nicht die frühere Christenwohnung, ein. Der Titibi, der mit der Unterbringung der Fremden betraut ist, hatte die Thatsache, daß das Christenhaus etwas verkleinert sei, benutzt, mich bei seinem Freunde und Mitschurken Sik Ahmed-el-Wadami, unterzubringen. Ich habe auf diese Weise ein etwas besseres Haus erhalten, bin jedoch den Aussaugungen und Überwachungen des genannten Kogena ausgesetzt. Derselbe ist ebenfalls beim Scheïch beliebt und einflußreich, arabischer Abkunft, sehr reich, habsüchtig, gewissenlos. Mein Haus besteht aus der Eingangshalle (Skifa), von der geradeaus ein Gang in einen Hofraum führt, in dem die Pferde stehen (ich habe jetzt deren 3); von diesem Gange zweigt sich ein anderer unter rechtem Winkel ab, der in einen äußeren großen Hofraum leitet, auf den 2 Zimmer münden, und in dem sich meine Enten (3 bis 4 Arten), Perlhühner tummeln und eine Gazelle ihr Wesen treibt. Von dem ersten Skifagange zweigt dann ein anderer ab, der südlich zu einem Häuschen mit einem Zimmer und geradeaus in einen Hofraum führt, in dem ich die Latrine etablirt habe und in dessen Mitte eine Hyäne den Fremdling begrüßt. Von diesem Hof tritt man in einen vierten von schöner Regelmäßigkeit, der einen hohen Hedzlidzbaum mit mehr denn 20 Vogelnestern enthält und der en face das Eingangsthor meiner Wohnung und südlich die von Giuseppe mit der Küche hat. Am Baume tummeln 2 Äffchen, ein drittes hat in naher Entfernung von ihnen eine Stange; ein Ichneumon durchwühlt eifrig den Boden, auf dem eine große Schildkröte schläfrig hinwandelt, und in der Ecke schläft ein kleiner Schakal neben einem Falken. Ein Schattendach aus Matten gearbeitet ermöglicht den Aufenthalt im Freien, ohne mit Guano überrieselt zu werden. Hier empfange ich die ca 50 Kranken, die täglich in den Nachmittagsstunden den Vorrath meiner Medicamente zu erschöpfen bestrebt sind. Habe ich Zeit vor Abgang des Briefes, so mache ich Dir einen verständlicheren rohen Plan meines Hauses, als diese Beschreibung. Das Haus ist natürlich aus Erde, denn Steine giebt es hier weit und breit nicht. Vorläufig regnet es noch an allen Ecken und Enden durch, täglich wird Thonerde oben darauf gethan. Das Dach ist natürlich platt und ruht die Erde auf zusammengebundenen Quer- und Langhölzern. Das Ganze wird im Zentrum des Zimmers durch eine mächtige viereckige Erdsäule getragen.
Noch am Nachmittage des ersten Tages ging ich zum Scheïch, um ihn zu begrüßen. Der Hauptpalast des Sultans ist, wie gesagt, in der östlichen Stadt, man steigt vor der Tür vom Pferd, bewegt sich durch eine Säulenhalle, in der einige Bronzekanonen auf primitiven Lafetten ruhen und die von Müßiggängern gefüllt ist, über einen Hofraum, in dem man die Schuhe ablegt, in einen von Wartenden gefüllten Raum. Von hier führt eine Thür in einen überdachten Raum mit Schattendach, wo die Höflinge und distinguirte Fremde an der Erde niederhocken und ihre Audienz erwarten. Von diesem Raum gelangt man in den großen, von vielen Säulen, die Andeutungen von Verzierungen tragen, gestützten Saal, in dem der Nogena tagt. Südlich in einer Ecke befindet sich ein kleiner angehängter Raum, in dem ein Diwan, eine eiserne Bettstelle, ein Lehnstuhl aus Holz stehen und der mit den inneren Gemächern in Verbindung steht, welche von den Eunuchen bewacht werden. Der Boden in der Umgebung des Diwans war zur Erhöhung der Feierlichkeit mit Teppichen belegt, dieser selbst mit Matratzen und Decken und Kissen belegt. Auf ihm hockte Scheïch Omar, Sultan von Bornu, Sohn des Scheïch Mohammed-el-Anin-el-Kanem, ein alter, etwa 60jähriger, freundlicher, durchaus schwarzer Herr mit weißem Bart, wohlwollendem Gesichtsausdruck. Er war einfach in einen weißen Burnus über die Landestoben gekleidet, trug einen weißen Burnus mäßiger Größe und den Lithan, der Mund und Nase verdeckt. Die Unterhaltung ward arabisch geführt, das er recht fließend spricht.
Gegen Abend schickte er die Diffa in 10 Riesenschüsseln (die Schüsseln sind alle aus Holz und Kürbisschalen, halbkugelförmig und ruhen in Stroh geflochtenen Untersätzen) unter Anführung eines Eunuchen, den ich mit 4 Thalern belohnen mußte. Darauf trat ein anderer dieser Getreuen ein mit einer Kuh und einigen Schaafböcken und entfernte sich mit einem Trinkgeld von 3 Thalern; endlich kam eine Kameelladung Reis, Hirse, Weizen, Butter und Honig und reclamirte dieselbe Belohnung. Auch der Premierminister (Digma genannt) der mächtige Lamino, der Malem Mohammed, Secretär des Sultans und mein Hausherr Titibi schickten Schaafe und Honig in Schüsseln in einer Zahl, daß wir im Überfluß schwimmen. Nach Mittag war ich noch zum Digma gegangen, zum Lamino, zum Malem Mohammed, als den mächtigsten Leuten des Landes, doch ist von ihnen nur von wirklicher Bedeutung der Lamino, ein jovialer, dickleibiger, angenehmer Mann, warmer Freund von Gerhard Rohlfs. Die beiden anderen werden seit einigen Jahren bei Seite liegen gelassen, während außer Lamino der Kronprinz Bu Bekr von großem Einfluß ist. Charakteristisch für den hiesigen Zustand ist, daß noch selbigen Tages die genannten Persönlichkeiten alle eine geheime Botschaft an mich sendeten. Der Lamino ließ mir sagen, ich solle mich vor dem Herrn meines Hauses und seinen Leuten in Acht nehmen, ferner nie des Abends einen Besuch machen und nie seine Speisen essen. Der Digma ließ mich vor dem Malem Mohammed, dem Titibi und dem Hausherrn als großen Schurken warnen und der Malem Mohammed tat das Gleiche für die Übrigen, doch Niemand sprach gegen den Lamino. Am zweiten Tag kamen einige Affen, Enten etc. als Geschenke, die Schaafböcke wiederholten sich, die Schüsseln kamen Mittags und Abends. Die Schnupftücher, die steiermärkischen Rasirmeser, die Messer und Scheren, die Rosenkränze und das Geld minderten sich sichtlich. Am dritten Tage Mittags 2 Uhr schickte mir der Scheïch ein schönes scheckiges Pferd und am Morgen 2 riesige Strauße. Dem Chef der Überbringer gab ich 10 Thaler.
Am 2ten Tage feierliche Audienz beim Scheïch zur Überreichung der Geschenke. Während ich den kunstvoll geschriebenen Brief des Königs mehrmals laut in deutscher Sprache vorlesen mußte und der Scheïch seinen Inhalt in der Übersetzung studirte, entschraubte Giuseppe die Kisten. Der Thron entwickelte sich glücklicherweise ganz intact und strahlte in herrlichstem Glanz seiner miserablen Umgebung gegenüber. Er bildete den Glanzpunkt der ganzen Sendung und hatte die ganze Bewunderung des Herrschers. Demnächst enthüllte ich die Bildnisse der königlichen Familie, denen gegenüber der Scheïch eine gewisse Besorgniß hegte, deren Anblick ihn aber gänzlich beruhigte. Er hatte gefürchtet, daß ihr Charakter ein sündhafter sein möge, da das Gerücht ihm von lebensgroßen Bildern gesprochen habe. Jetzt sah er, daß, trotzdem die Gestalten lebensfrisch vor ihm waren, doch keinerlei Erhebung über der Fläche der Leinwand bemerkbar war. Da aber nur schattenwerfende Bildnisse, Statuen, eigentlich sündhaft sind, so fühlte er sein Gewissen frei und leicht und bewunderte rückhaltlos. Dann kamen die Zündnadelgewehre, welche ihn ebenfalls mehr als befriedigten, während allerdings die schöne, bronzene Stutzuhr, durch seine allegorische Figur auf ihr sein frommes Merabit-Auge beleidigte. Sammet und Seide und Tuch hat er genug; er ließ also die Stoffe unbesichtigt und besah nur die goldene Taschenuhr und das Fernrohr. Das Harmonium würde sicherlich ebenfalls einen großen Erfolg errungen haben, wenn es nicht durch die Reise allzusehr gelitten hätte und Jemand es zu spielen verstände. Die Geschicklichkeit Giuseppe's hat es wieder nothdürftig hergestellt, doch unser beider Talent genügt nicht, ihm auch nur nothdürftig harmonische Töne abzulocken.
Nachdem ich an dem darauf folgenden Tage jeder der früher genannten Persönlichkeiten von Wichtigkeit und Einfluß den ihnen zukommenden „Salam“ zugeschickt hatte, konnte ich von ihnen etwas ausruhen, doch die Betteleien der Geringen dauern mit ungeschwächten Kräften fort.
So hast Du eine ungefähre Idee von meiner Umgebung. Ich vervollständige dieselbe später und füge jetzt nur hinzu, daß die Hälfte der Wohnungen aus Erde, die andere aus Strohbehausungen besteht, daß fast jedes Haus einen oder mehrere Bäume einschließt, daß nur wirklich arme Leute zu Fuß gehen, alle andere reiten, daß ich noch keine richtige Idee von der Einwohnerschaft gewinnen kann und daß der Markt, der jeden Montag vor dem westlichen Thor der westlichen Stadt abgehalten wird, einer der größten ist, den man nur in irgend welchem Lande der Welt sehen kann. Mein Haus liegt in der westlichen Stadt, da überhaupt alle Araber und Fremde in ihr wohnen, in der Hauptstraße, Dendal, welche die westliche und östliche Stadt in gerader Linie bis zum Palast durchschneidet. Schreibe mir nur ja unmittelbar nach dem Empfang dieses Briefes: es ist wahrscheinlich, daß mich Dein Schreiben noch mit nächster Winterkarawane erreicht, da ich hier warten muß, um Geld etc. zur Rückkehr zu haben.
Bis dahin werde ich den unabhängigen Bewohnern des Tsad-See's einen Besuch abstatten, vielleicht zu den Ulad Soliman nach Kanem gehen, um durch ihre Hilfe Borgu zu sehen und endlich nach Baghirmi gehen, dessen Herrscher in einer Art Vasallenverhältniß zum Scheïch steht.
 

* Offensichtlich beim Abschreiben sinnentstellt.


 Kuka am 12ten November 1870

 Theurer Onkel,

Dein lieber Brief vom 28 Juni aus Reinhardsbrunn ist vor wenigen Tagen in meine Hände gelangt und hat mich durch die Nachricht Eures allseitigen Wohlbefindens recht erfreut. Ich hatte Briefe von vielen Seiten und keiner enthielt unangenehme Nachrichten, bis mir endlich eine Depesche der Malta Times, die Consul Rossi in letzter Stunde meinem Briefpacket beigefügt hatte, die schreckliche Nachricht des französisch-preußischen (resp. norddeutschen) Krieges brachte und mich gänzlich niederdonnerte. Ich stehe noch jetzt unter dem überwältigenden Eindrucke dieser Nachricht und bin kaum im Stande, etwas anderes zu denken und zu schreiben. Mir ist leider nur die nackte Thatsache des Krieges bekannt; alle Einzelheiten, Motive und begleitende Umstände – je les ignore. Tag und Nacht spreche ich die glühendsten Wünsche aus, daß die traurigen Folgen dieses frevelhaften Beginnens auf den fallen mögen, der die Schuld trägt und der Sieg da sein möge, wo das Recht ist. Es ist hart, so weit zu sein vom Schauplatze solcher Riesenereignisse, die das ganze Wohl und Wehe des Vaterlandes involviren, nicht theilnehmen zu können an dem patriotischen Ringen, das die Kräfte aller Einzelner fordern wird, ja nicht einmal dem Gange der Ereignisse folgen zu können. Während des preußisch-österreichischen Krieges war mir das viel leichter, da ich stets denselben als einen höchst bedauerlichen Bruderkampf betrachtete; aber jetzt ertrage ich es recht schwer.
Dazu ist diese Complication für mich selbst wahrscheinlich von übelster Bedeutung. Wer denkt jetzt an den fernen Reisenden und seine Geldnoth? Während mir bisher durch Rohlfs und competenten Regierungskreisen die feste Versicherung gegeben war, es werde mir an Nichts fehlen, ja während man sogar die Nothwendigkeit betonte, dem türkischen Abgesandten gegenüber nicht allzu sparsam aufzutreten: glaube ich jetzt gegründete Furcht haben zu müssen, daß man mich über dem alles Interesse verschlingenden Krieg vergessen werde. Dazu ist Consul Rossi, den ich gebeten hatte, mir à mon risque et pésil noch 300 Thaler zu schicken, für verschiedene Vorschüsse von der Regierung noch ungedeckt geblieben, und Rohlfs sowohl, als Schmidt, den ich ebenfalls gebeten hatte, sich mit Rossi ins Vernehmen zu setzen, waren bisher stets auf Reisen. Und jetzt kommt der Krieg!
Dazu ist der Aufenthalt hier in der Hauptstadt Bornu's keineswegs erfreulich in gegenwärtigem Augenblicke. Eine Epidemie von bösartigem Sumpffieber rafft die Menschen in bedauerlichen Proportionen hin. Alle Fremden aus dem Norden sind krank; viele mit knapper Noth dem Tode entronnen, manche schwanken noch am Rande des Grabes herum. Doch merkwürdigerweise ist die Sterblichkeit unter ihnen nicht groß. Es sind die Eingeborenen, welche wie die Fliegen nach 1 bis 2tägiger Krankheit sterben. Fast alle Uebrigen sind krank; oft habe ich Nichts zu essen, weil keiner meiner Leute (und es sind deren 6) funktionsfähig ist. Ich selbst, der ich mit großer Besorgniß nach den zahlreichen Fieberanfällen in Fezan der Regenzeit in Bornu entgegenging, bin in der That besser daran als fast alle Weißen, die ich kenne. Freilich habe ich hin und wieder das Fieber, leide an beständiger Appetitlosigkeit und habe langwierige Fußgeschwüre: doch Alles ist Nichts im Vergleich zu dem traurigen Zustande, in dem sich die Meisten befinden.
Die Ursache ist in dem außergewöhnlich abundanten Regen dieses Jahres zu suchen. Hand in Hand mit dem Menschensterben, das auf dem Land noch bedeutender ist (derartig, daß man die Leute schon im Stiche läßt, ohne Pflege und Beerdigung aus Furcht vor Ansteckung) als in der Hauptstadt, geht ein allgemeines Fallen der Pferde. Dieselben sterben ebenfalls nach einer Krankheit von wenigen Tagen ohne mir bekannte, hervorstechende Symtome. Auch mein starkes Pferd aus Fezan starb – ein schwerer Verlust für mich. Endlich erliegt das Rindvieh seit 3 Jahren einer ansteckenden Krankheit in den schrecklichsten Proportionen. Mein wohlwollender Freund und Beschützer hier, Mohammed Lamino, hat von 31.000 noch ca 300. Ein Land muß eben Rindvieh besitzen, wie Bornu, um solche Verluste nicht empfindlicher zu fühlen. Trotzdem kostet noch jetzt ein Ochse oder eine Milchkuh nicht mehr als 3-4 Thaler; schlechtere hat man für 2 Thaler soviel man will.
In meinen Medicamenten ist daher auch wacker aufgeräumt. Ich haben in den wenigen Monaten meines Hierseins ca 1000 Kranke untersucht oder behandelt. Leider ist auch das Chinin derartig geschwunden, daß ich mit großer Besorgniß der Zukunft entgegensehe. Nun, wenn es mir so gut geht, als bisher, so bin ich schon zufrieden.
Die Sterblichkeit hat sogar die Karawane, welche nach unserer Ankunft hier gen Norden aufbrach, und welche auch Dir meinen Brief gebracht hat, arg mitgenommen. Von 1000 Sclaven waren in dem Augenblicke, als der Bote, welcher mir Deinen Brief und die Kriegsnachricht brachte, ihr begegnete, schon ca 150 gestorben und die berüchtigste Strecke für Sclaventode, welche ich bei Gelegenheit meiner Tibesti-Reise geschildert habe, blieb noch zurückzulegen. Auch Diener, welche ich mit ihr zurückschickte, sind in Kauar gestorben. Hoffentlich setzt die bevorstehende Winterkälte der Epidemie bald ein Ziel.
Ich werde vermuthlich hier noch 1½ Monat verharren müssen. Zunächst müßte ich das Ende der Regenzeit abwarten; sodann beschloß der Scheïch Omar, einen Feldzug gegen den aufrührerischen Vasallenfürsten von Zindar zu unternehmen, und in diesem Falle hätte ich ihn natürlich begleiten müssen.
Endlich erwarte ich Araber aus den Landstrichen im Norden des Tsad-See's, die mich nach Borgu und Behar und Ghazal begleiten sollten und schließlich sind meine Leute nicht in der Verfassung zu reisen, und zuletzt bin ich hinlänglich beschäftigt mit meinen Studien über Wadaï, für die ich höchst günstige Gelegenheit gefunden habe. Die Araber für Borgu sind Ende dieses Monats zu erwarten. Sodann ist der Rhamadan da und während desselben an keine Reise zu denken. Also, wie gesagt, noch ca 1½ Monat. Nach Ablauf derselben werde ich den Buddema, den Piraten des Tsad-See's, einen Besuch abstatten; ich habe schon ein ziemlich vollständiges Vocabular ihrer Sprache zusammengestellt. Oder ich begleite den Kronprinzen auf einem Feldzug gegen die Heiden von Kerri kerri, die seit 2 Jahren arg unter den Bornu-Kriegern aufräumen; oder ich begleite endlich die erwarteten Araber nach Borgu und Behar el Ghazal. Indessen hoffe ich, wird die Winterkarawane von Fezan hier eingetroffen sein und mir etwas Geld gebracht haben. Mit diesem mache ich mich auf den Weg nach Adamaua, um womöglich die Westküste zu erreichen.
Die Leute von Bornu (Kanuri) sind recht gutmüthige Leute, soweit man keine Ansprüche an sie macht. Erwartet man aber Etwas von ihnen, so stößt man auf den krassesten Egoismus der Wilden. Sie sind ziemlich intelligent, geschickt zu allen möglichen Arbeiten, doch faul, über alle Maßen eitel und zum Wohlleben geneigt. Treu und Glauben existirt hier nicht, die höchst stehenden Leute schämen sich nicht, die arabischen Kaufleute um den Preis ihrer Waaren zu betrügen, während sie Hab und Gut veressen, vertrinken und verliederlichen. Alle Maria-Theresien-Thaler, welche ihren Weg hierher finden, werden in silbernen Haarschmuck der Frauen und Mädchen umgearbeitet und da der Zufluß zu stocken begann, seit man dem Sclavenhandel auf der Küste etwas Einhalt thun zu wollen schien, so herrscht eine große Geldnoth. Sie haben keinerlei Energie, die reichen Schätze ihres Landes zu verarbeiten (Elephantenzähne, Straußenfedern, Indigo und Tausende von Bodenproducten); das Sclavengeld war ja so leicht zu beschaffen und warf so reichen Gewinn ab. So liegt denn Handel und Wandel gänzlich darnieder und allein die Hoffnug auf neuen Sclaven-Absatz, die man von Norden her merkt, hält die Karre einigermaßen in Gange. Die Ernte an Negerhirse und Sorghum (Durra) ist reich und sichert so selbst den Armen reichliche und billige Existenz, so daß Niemand Veranlassung zur Arbeit hat. Für 1 Thaler kauft man immerhin einige Centner Krob (Negerhirse).
Auch Wohnung ist nicht theuer. Für 3 Thaler stellt man sich eine Strohwohnung her und für 6 Thaler ein Erdhaus. Das einzige Theure bleibt verhältnißmäßig die Kleidung, auf die ihre Eitelkeit viel hält. Trotz der hohen Temperatur hier zu Lande behängen sie sich mit Kleidern und ganz gewöhnliche Individuen tragen 2 Toben; wohlhabende 3, 4 und mehr. In ihren Hosen verschwenden sie eine solche Menge Stoff, daß sie gar nicht gehen können, wie andere verständige Menschen, sondern breitspurig. Ihre Toben bilden eine Last, welche ihnen das Gehen erschwert und sie zwingt, sich von den Sclaven auf ihre Pferde heben zu lassen.
Die Weichlichkeit, Schlaffheit, Liederlichkeit, Freßsucht der Bornuer ist so weit gediehen, daß ich fürchte, das Land geht mit dem Tode des Scheïch Omar einer bösen Zukunft entgegen. Die Höflinge sind erbärmliche Schranzen, scrupellose Intriguanten ohne eine Spur von Patriotismus oder Ehrenhaftigkeit: mit ihnen kann kein Herrscher etwas anfangen. Jetzt hat der Scheïch Omar noch einen Namen, welcher ihrem Lande Glanz nach außen und Friede nach innen verleiht, und den er von seinem Vater dem ausgezeichneten Gründer der Dynastie ererbt hat. Doch seine Söhne werden wie gewöhnliche Sterbliche betrachtet und haben weder die Liebe des Volkes noch Intelligenz und Energie in hinlänglichem Grade, um die Zersetzung des Landes in seine bunten Elemente aufzuhalten und nach außen den Nachbarn heilsame Furcht einzuflößen.
Der Krieg hat Euch sehr unangenehm plötzlich nach Cöln zurückgeführt. Möge er, wie ich hoffe, daß er nicht verhängnißvoll für das Vaterland sein möge, auch für Deine Verhältnisse nicht allzu schädlich werden und möge er das alte Cöln nicht ganz zerstören. Der arme zoologische Garten und die Flora u.s.w.! Doch wenn nur das Vaterland siegreich aus dem Kampfe hervorgeht und unsere Lieben uns erhalten bleiben: so muß man schon zufrieden sein. Mich betrübt die Sache im höchsten Grade aus dem höheren Gesichtspunkt der Humanität. Man verzweifelt fast an dem Fortschritt der Civilisation, wenn man sieht, wie die gebildetesten Nationen des Erdkreises Tausende und Abertausende ihrer besten Kräft wie wilde Thiere zerstören, nur weil Einer stärker sein will als der Andere.
Ich hoffe nur Eins: dies nämlich, daß die Riesenanstrengungen beiderseits ein schnelles Ende nöthig machen aus pecuniären Rücksichten. Ach, daß dieser Brief schon Friede in Handel und Wandel wieder hergestellt fände und daß mir demnächst durch die bevorstehende Karawane die Nachricht von einem für uns ehrenvollen Ende der Feindseligkeiten gebracht werden möchte.
Auch Karl ist wohl an der Hochzeit verhindert?
Adieu, lieber Onkel und beste Tante; Gott schütze Euch in schwerer Zeit und bewahre uns ein freudiges Wiedersehen auf.
Grüßt alle Verwandten und Freunde auf das Herzlichste und seid aufs Treuste umarmt von
     Eurem Gustav.


FORTSETZUNG IM 18. TEIL