Bône Freitag am 7ten November 62
Ankunftsvermerk des Empfängers:
17 Nov
Am vorgestrigen Tage, mein gütiger Onkel und meine allervortrefflichste
Tante, bin ich hier glücklich angekommen, nachdem ich schon einige
Tage zuvor den afrikanischen Boden zu Stora, dem Hafenorte von Philippville,
einem weiter westlich gelegenen Städtchen an der Küste, betreten
hatte. Man muß dort 2 Tag liegen bleiben, ehe das Schiff seinen Weg
nach Bône, respective Tunis, fortsetzt. Es ist dies nicht gerade
zum Vortheil der armen Reisenden, denen es nicht erlaubt ist, an Bord zu
bleiben und welche an diesen Orten einer wahren Plünderung ausgesetzt
sind. Ein Rheinschürger oder ein früherer Berliner Eckensteher,
von denen noch in den letzten Tagen meiner Anwesenheit in Coeln Beispiele
der Unverschämtheit erzählt wurden, ist ein bewunderungswürdig
bescheidener Mann gegen die gelbbraunen Hallunken, welche einer Mischung
von Arabern, Italienern, Franzosen und Spaniern entsprossen zu sein scheinen,
und welche hier den Dienst der Lastträger, Bootsfahrer u. dergl. versehen.
Die kurze Seereise ist übrigens keine der größten Annehmlichkeiten,
und die Seekrankheit wohl die schlimmste Sorte aller bisher beobachteten
Katzenjammer. Wenn man sich übrigens nicht verleiten läßt,
aller Nahrung zu entsagen, und sich nicht zu Bett legt, sondern, wenn auch
mit Anstrengung, die frische Luft aufsucht, befindet man sich jedenfalls
erträglicher und überwindet den Zustand bald. Aber am ersten
Tage der Seefahrt giebt es wohl keinen abscheulicheren Aufenthalt als den
in der Cajüte 2ter Classe, wo 12 - 15 Personen auf einen ganz kleinen
Raum zusammengedrängt einer über dem anderen, den Kopf über
den Rand des Bettes gebeugt, an dem ein Speibecken befestigt ist, den Inhalt
des Magens zu entleeren bestrebt sind. Wenn man über sich die bekannten
Töne hört, zieht man unwillkührlich seinen Kopf zurück
in natürlicher Besorgniß der Nase*, wenn irgend möglich,
fliehe man diesen Anblick, diesen Geruch, diese Luft, welche allein schon
im Stande sind, das Uebel zu unterhalten. Ich kam bei meinem Verfahren
besser fort als die meisten Andern, obgleich ich sonst sehr zu Schwindel
u. dergl. geneigt bin. Wir fuhren bei heiterem Wetter, wenn es auch stark
windig war, von Marseille, doch blieb es nicht so schön, sondern es
regnete später, wie auch noch während des ganzen Aufenthaltes
zu Philippville. Der Aufenthalt auf offener See, wenn man Nichts, als Himmel
und Wasser sieht, bietet Nichts Interessantes dar, soviel poetische Gemüther
auch davon gefaselt haben, es müßte denn sein, daß die
Einförmigkeit des Anblicks durch eine wilde Aufregung der See unterbrochen
wird. Sonst macht das einförmige Geräusch der Wellen und des
dieselben durchschneidenden Schiffes höchstens zur Träumerei
und zum Schlafe geneigt. – Schon nach nicht vollen zwei Tagen erhob sich
eine endlose Kette von Hügeln am Horizonte, welche in der Nähe
gesehen, eine ganz anständige Höhe erreichten und ziemlich steil
aus dem Meere aufstiegen. Diese Physionomie scheint der ganzen Nordküste
eigen zu sein; wenigstens war sie wahrend unserer Fahrt von Philippville
nach Bône, welche wir längs der Küste machten, immer dieselbe.
Als steile Felsen auftauchend, doch oben abgerundet, ohne alle zackigen,
wilden Formen, und mit Grün, Wiesen und Sträuchern, bedeckt;
von Zeit zu Zeit Einschnitte zeigend, welche in größere Thäler
führen und deshalb zum Anbau von niedlichen Städtchen und Dörfern
benutzt wurden: macht das Ganze einen lieblichen, freundlichen Eindruck,
der jedenfalls wohltuender ist, als der, welchen zum größten
Theil die Einwohner hervorbringen.
Sonntag am 9ten November.
Da ich unterdessen den Freund meines Schwagers aufgefunden und erfahren
habe, daß die Expedition dieses Briefes doch nicht vor Dienstag (die
Verbindung findet nur alle 8 Tage statt) erfolgen würde; so ist derselbe
liegen geblieben, da es mir am Herzen lag, zuerst aus dem Hotel und in
den stilleren Aufenthalt eines Privatzimmers zu kommen. Uebrigens fahre
ich fort. Diesen Anblick der Eingeborenen und des Landes genoß ich
also, wie erwähnt, in Philippville. Zu Stora wurden wir am Sonntag
Vormittag ausgeschifft und mußten dort bleiben bis Dienstag Abend.
Philippville ist ein ziemlich neues, in der Anlage niedliches Städtchen,
mit einem schönen, regelmäßigen großen Platze, der
nach der See zu offen ist, von den Hotels und einigen ansehnlicheren Häusern
umgeben, und der zu Promenaden und Zusammenkünften der ganzen Einwohnerschaft
dient. Die Einwohner bestehen zum größten Theil aus Europäern:
Militärs, Regierungsbeamten, Kaufleuten, Hoteliers, Cafétiers.
Die Eingeborenen tragen einen sehr verschiedenen Charakter je nach dem
Völkerstamme, dem sie angehören. Es sind entweder Kabylen (die
alten Berber), die eigentlichen ursprünglichen Bewohner, oder Araber
(aus Asien) oder Mauren oder Juden oder Türken oder Malteser. Die
Kabylen wohnen auf den Bergen, sind magere, schlanke, gelbgefärbte
Menschen von großer Kraft und Ausdauer. Sie haben feste Sitze und
sprechen nur Arabisch. Sie sind in einzelne Stämme getheilt, die sich
allein verwalten, und zum Theil noch unabhängig. Die Araber sind etwas
dunkler, bronzefarbig, werden nie ohne ein kleines ruppiges Pferd, oder
Maulthier oder Esel gesehen, deren große Ausdauer gerühmt wird,
ziehen immer umher zu den Ebenen, welche sie bewohnen, und beackern das
Land in oberflächlicher und kunstloser Weise. Die Mauren (aus dem
alten Mauretanien) bewohnen die Städte, treiben Handel etc. und sind
zum großen Theil verschlagene, habgierige, unzuverlässige Leute.
Die Juden fehlen natürlich auch hier nicht, sollen unmittelbar nach
der Zerstörung Jerusalems hierhergekommen sein und scheinen sich durch
List, Gewandheit und Betrug ganz wohl zu befinden. Die sogenannten Malteser
ist endlich eine unbeschreibbare Race, halb Italiener, halb Franzosen,
halb Araber. Sie haben bald diese, bald jene Beschäftigung und zeichnen
sich durch eine insolente Miene und wenig Vertrauen erweckende Physionomie
aus. Endlich, habe ich vergessen, existirt eine nicht unbeträchtliche
Menge Neger in verschiedener Schwärze, oft von hoher, riesiger Körpergestalt.
Die Araber (Kabylen und Araber) sind träge und schmutzig, anspruchslos,
besonders die letzteren. Stunden, ja Tage lang sieht man sie am Boden hingestreckt,
in ihren schmutzig, weißen Badehosen, die die Beine größtentheils
nackt lassen, und in ihrem weißen Burnus, der zerrissen und zerfetzt,
seit undenklichen Zeiten nicht gewaschen zu sein scheint. Von Zeit zu Zeit
greifen sie in den Kapuschon ihres Burnus, um Taback, oder Mehl (das sie
mit Wasser zu einer Masse kneten, aus der sie Kugeln formen und verschlucken)
oder andere bescheidene Nahrungsmittel daraus hervorzuholen. Vom Werthe
der Zeit haben sie gar keinen Begriff. – Alle diese Beobachtungen, von
denen ich nur einen ganz unbedeutenden Abriß geben wollte, kann man
besser in Bône anstellen als in Philippville. Letztere Stadt enthält,
oder scheint zu enthalten, nur wenige Eingeborene im Verhältnis, und
dieselben scheinen mir arm, gänzlich ohne Betriebsamkeit, in ihrem
Schmutz dahinzuleben. Es ist nur eine Regierungsstadt, welche bestimmt
ist, einen näheren Weg nach Constantine, der Hauptstadt der Provinz,
und einem Haupthandelsplatze für die Produkte des Landes, zu eröffnen,
als der über Bône ist. Bône selbst aber hat nach Constantine
den größten Markt für den Export, so besonders Getreide,
Wolle, Häuten u.s.w. Täglich schon Morgens früh wimmelt
die Stadt von Arabern, welche auf Eseln, Maulthieren, Pferden, die hochbepackt
mit ihrem Handelsartikel, oben darauf noch ihren Herrn tragen, zu Tausenden
herangezogen kommen, um Abends ebenso wieder zum Thore hinaus zu trotten.
So sah ich Bône am Mittwoch früh um 6 Uhr (wir waren Abends
vorher um 6 Uhr von Stora fortgefahren und während der Nacht schon
im Hafen angekommen) zum ersten Male, ein Bild äußerster Rührigkeit
und Betriebsamkeit; ich sah es in seiner reizenden Lage: oben auf den Höhen
die öffentlichen Gebäude der Militär- und Civilverwaltung,
von da die Stadt, niedlich, freundlich sich in die Ebene herabstreckend;
ich sah weiterhin in der Ebene und auf den Hügeln die niedlichsten
Etablissements und Landhäuser, ich sah das Alles an einem wundervollen
Morgen, wie wir ihn nur im Juni haben können, von den ersten Strahlen
der aufgehenden Sonne verschönt, noch prächtiger sich hervorhebend
durch die Nähe des blauen Meeres in seiner großen weiten Bucht,
die es hier bildet: und ich mußte mir gestehen, daß dies Städtchen,
mit seltenen Reizen ausgestattet in guter Gesellschaft wohl ein begehrenswerther
Aufenthalt sein würde. So am Mittwoch Morgen. Den Herrn, Streubel
mit Namen, konnte ich doch nicht gleich so früh aufsuchen, besonders
da ich ihn nicht kannte und mir seine Wohnung unbekannt war: ich ging also
in ein Hotel. Nachdem ich mich umgekleidet, die Stadt und ihre Umgebung
etwas in Augenschein genommen und endlich gefrühstückt und mich
ausgeruht hatte, suchte ich im Laufe des Nachmittags meinen Gastfreund
zu entdecken. Derselbe hatte jedoch seine Wohnung verändert, vor eins
der Thore verlegt und war gar nicht so leicht zu finden, als ich erwartet
hatte. Am folgenden Tage, wo ich wenigstens das Genauere über seine
Wohnung erfuhr, traf ich ihn noch nicht, sondern erst am Freitag früh.
Der Mann sowohl, als sein Associé haben mir sehr wohlgefallen, sind
äußerst gefällig, wie mir scheint, bieder und rechtschaffen.
Doch wie der Mann an Prietze schreiben konnte: „und können wir dem
Herrn Dr. N. daher nur rathen, hierher zu kommen. Unser Haus und unseren
Tisch stellen wir demselben mit Vergnügen zur Verfügung etc.
etc.“ (noch etwas höflicher): das kann ich nicht begreifen. Auch nicht
eine einzige Nacht hätten sie mich beherbergen können. Der ganze
Inhalt ihres Häuschens besteht aus Comtoir, Wohnzimmer, Schlafzimmer
und einem Art Durchgangs- oder Anspruchszimmer, wo sie wohl essen, überflüssige
Sachen hingestellt haben u.s.w. und einer Küche. Es sind Anfänger,
die vorzüglich Getreidehandel treiben, auch wohl Wolle und andere
Landesprodukte ausführen, und in den wenigen Jahren ihres Geschäftes
(2 Jahre) sich das Grundstück, Häuschen, einen kleinen Speicher
u.s.w. erworben haben. Und das will hier gar nicht wenig sagen. Denn die
Grundstücke kosten hier, es ist fast unglaublich, so viel als in den
größten Städten zu Hause. Das Aufblühen der Stadt
soll dies mit sich bringen. Daher auch Wohnungen äußerst
selten und entsetzlich theuer sind. Ich habe ein Zimmer, drei Treppen hoch,
ohne Tapete, mit Meublen, die alle auf dem Trödel erstanden zu sein
scheinen, Steinpflaster und ohne Teppiche, für 40 frcs monatlich.
Und ich bin mit dem Herrn Streubel, der die Stadt sehr genau zu kennen
scheint, 2 Tage von Morgens bis Abends herumgelaufen, um etwas zu finden.
Was die Speisung anbetrifft, so abbonirt man hier für die ganze Verpflegung,
d. h. für Dejeuner und Diner, und die billigste Pension, die ich in
dem Gasthofe, zu dem mir alle riethen, denen ich meine Verhältnisse
auseinander setzte, betrug 80 frcs monatlich. Billig ist es gerade nicht.
Was die Witterung anbetrifft, so ist jetzt die ungünstigste Zeit.
Die ersten Tage waren, wie gesagt, unseren schönsten Sommertagen wohl
an die Seite zu stellen. Doch seit vorgestern ist es windig, regnig, kühl.
Die Regenzeit meldet sich. Es regnet schon alle Tage, sehr häufig,
jedes mal jedoch nur sehr kurze Zeit. Dazwischen ist es wieder oft ganz
warm. In meinem Befinden bemerke ich keinen Unterschied. Im Gegentheile
schien es auf der See besser zu sein, als hier, wenigstens huste ich hier
etwas mehr, als auf der See und in Philippville. Dazu kommt, daß
sich meine Verdauungsorgane noch nicht recht acclimatisiren können.
Leibschmerzen, Diarrhöen u. dergl. quälen mich schon seit
3 Tagen, trotz dicker Winterkleider, flanellene Unterkleider und Leibbinden.
Nun, man muß sich eben erst etwas gewöhnen. Meine Gastfreunde
sind heute zu einer längeren Jagdpartie und werden erst am Abend zurückkommen.
Die Zeit des Getreidehandels schließt mit dem Oktober ab, so daß
sie Zeit genug haben werden, sich mit mir zu beschäftigen. Wenn das
Wetter gut ist, werden wir Ausflüge zu Pferd, oder vielmehr Maulthier,
oder Wagen machen. Sie halten 3 Maulthiere, wie es ihr Geschäft erfordert,
die nur jetzt sehr wenig zu thun haben. Die Maulthiere sind hier die nothwendigsten
Geschöpfe und können gar nicht durch Pferde ersetzt werden. Zwar
sind erstere träger, doch dafür viel unermüdlicher und von
der Hitze weniger angreifbar. Daher sind auch Pferde hier viel billiger,
als die Maulthiere, die oft außerordentlich hoch bezahlt werden.
Und dabei fressen sie viel weniger, sind überhaupt billig zu erhalten.
Die Jagd bietet hier für den Fremden oft das einzige Unterhaltungsmittel.
Außer den militärischen und civilen Beamten, welche sehr zahlreich
sind, doch etwas abgeschlossen in Zirkeln zu leben scheinen, ist wohl von
guter Gesellschaft nicht viel zu finden. Und die Jagd entschädigt
durch ihre Ausbeute auch nicht sehr reichlich für die Mühe und
Anstrengung, welche sie veranlaßt. Man findet reichlich Feldhühner
in verschiedenen Sorten, Wachteln, Schnepfen, Pecassinen, Enten etc. etc.
Auch giebt es Hasen, viel Wildschweine, weiter im Inneren auch Hirsche.
Panther, Löwen, Hyänen und Schakale sind nicht so selten, als
ich es selbst sonst geglaubt habe. Der berühmte Löwenjäger
Gerard hat hier sein Wesen getrieben; d.h. ist hier allgemein als Schwindel
und Lügner bekannt. (Er war früher Unterofficier, hier in Bône
oder Constantine, weiß ich nicht gewiß).
Nun, bis jetzt weiß ich von Allem nur wenig. Allmählig werde
ich von allem bessere, bestimmtere und zum Theil vielleicht auf eigenen
Beobachtungen beruhende Mitteilungen machen können. Was Herrmanns
Hoffnungen auf Algerische Baumwolle betrifft, so muß ich dieselben
leider gänzlich niederschlagen, In der Provinz Oran hat man allerdings
Versuche zahlreicher Art gemacht, und die Baumwolle wird als vortrefflich
gepriesen. Doch kostet ihre Cultur hier so viel, zumal auch das ganze Land
in lauter kleine Parzellen zerstückelt ist, während zu wirksamer
Baumwollenkultur große Strecken erforderlich sind, daß das
ganze Project einzuschlafen droht.
Jetzt spreche ich schließlich den Wunsch aus, daß Alles
bei Euch so wohl, so zufrieden und glücklich sein möge, als ich
es verlassen habe. Die Bestätigung meiner ausgesprochenen Hoffnung
hoffe ich in einem Briefe von euch zu erhalten, den recht bald zu empfangen
mein innigster Wunsch ist.
Seid herzlich gegrüßt von mir und bringt auch den Andern
meine besten Grüße.
Glück und Segen über Euch Alle!
Euer Gustav
* Es ist im Manuskript nicht sicher zu erkennen, ob es sich um das Wort „Nase“ handelt.
Mein lieber Onkel und beste Tante!
Obwohl ich durch einen Absceß in meinem Munde fast eine Woche
am Ausgehen verhindert worden bin und also nicht viel neue Thatsachen und
Anschauungen erfahren und gewonnen habe, will ich doch nicht versäumen
in Aussicht auf den nahe bevorstehenden Posttag, euch einige Zeilen zu
senden.
Das Wetter ist hier noch immer wechselnd; die herrlichsten Tage wechseln
mit stürmischen und regnigen ab. Die geringste Mittagstemperatur an
Tagen, wo die Sonne nicht zum Vorschein kam, betrug ca 10°R; Morgens,
kurz vor Sonnenaufgang, wo die niedrigste Temperatur eintritt, kommen wir
wohl auch auf 7° herunter; Mittags zur Zeit der höchsten Wärme
erreichen wir im Schatten gewöhnlich die Höhe von 12°, 13°,
14°, 15°, 16°, ja, sind auch schon über die 18°R gestiegen.
Und hierbei ist zu bedenken, daß bei den Vorsichtsmaßregeln,
mit denen ich beobachte, und in der Höhe eines 3stöckigen Hauses
die Zahlen niedriger sind, als sie irgendein Anderer gewinnen würde.
Es ist also eine recht erträgliche Temperatur für den Monat December
und nur der beständige schnelle Wechsel macht es zuweilen unangenehm
und fordert zur Vorsicht auf. Wir scheinen hier übrigens noch stets
am besten fortgekommen zu sein. Nach den Nachrichten in der Marseiller
Zeitung, die wir hier lesen, haben in Südfrankreich, an den Küsten
des mittelländischen Meeres furchtbare Unwetter stattgefunden und
viel Unheil angerichtet.
Auch die Kälte muß an vielen Orten mit großer Schnelligkeit
und Strenge hereingebrochen sein. Auf den Höhen rings um Algier soll
überall Schnee liegen. Wie ist es bei Euch gewesen? Und ist Frost
ohne Schnee eingetreten? Dies würde doch wohl erhebliche Nachtheile
für die Saat mit sich bringen? Auch meine Mutter klagt von Uchtenhagen
über die Kälte. Es ist hier doch immer so, daß ich vielleicht
an 3 bis 4 Tagen während der Dauer meiner Anwesenheit nur einen warmen,
guten Ofen vermißt habe.
Die Fieber, die dem thonigen, sumpfigen Boden ihren Ursprung verdanken
und welche im Herbste ihren Höhepunkt zu erreichen pflegen, nehmen
ein Ende, um im künftigen Sommer neue Raubzüge anzustellen. Wie
schön ließe sich die ganze Ebene gesund machen durch verständige
Cultivirung, und welcher Gewinn würde dabei erzielt werden! Ich muß
immer wieder darauf zurückkommen, und je mehr ich von dem Lande sehe,
mit immer größerer Sicherheit die Schuld auf die Verwaltung
werfen. Es ist ein wirklicher Scandal, solche Einöden rings um Bône
zu sehen, wo gerade diese Gegend durch die passende Vertheilung von Berg
und Thal, von Wasser und Land zu dem fruchtbarsten, reichsten und blühendsten,
von Natur bestimmt erscheint! Das Gebirge l’Edough, welches sich von West
nach Ost (oder umgekehrt) und von Süd nach Nord erstreckt, liefert
Holz und Fruchtbäume in reicher Auswahl; das schönste Wasser
entquillt dort und versorgt die Stadt durch eine große Wasserleitung.
Wild liefert Gebirge und Ebene. In der Ebene wachsen die schönsten
Gemüse mit der größten Üppigkeit, wie Blumenkohl etc.,
Feigen (europäische und berberische), Olivenbäume in größter
Fülle, Getreide (Gerste, Weizen), wie es der unzufriedenste Oekonom
nur immer wünschen kann. Vieh gibt es die Fülle, nur frage ich,
was fehlt dem Landstrich noch, um mit größter Leichtigkeit die
reichsten Zinsen zu tragen? Und Alles wüst und leer, was nicht die
Araber hier und da etwas aufkratzen! Ich habe dabei noch vergessen zu erwähnen,
welchen Reichthum an Erzen die Gebirge enthalten, in welcher Güte
z. B. das Eisen hier, unmittelbar bei Bône gefördert und verarbeitet
wird. Die Gesellschaft hat sich von ihrem Etablissement bis ins Gebirge
eine kleine Eisenbahn gebaut, auf denen man täglich ein reges Leben
von kleinen Locomotiven, Arbeitswagen und Arbeitern sehen kann. Dies Etablissement,
dessen Produkte, wie man mich versichert, dem besten schwedischen Eisen
gleich kommen, liegt nahe bei der Stelle, wo früher die alte Stadt
Hippo, der Bischofssitz des heiligen Augustin, stand. Einige Kilomètres
von der Stadt entfernt (vielleicht 20 Min.) erhebt sich ein ziemlich hoher,
allein stehender Hügel, auf und an dem die alte Stadt erbaut war.
Von den Karthagern gegründet, wurde sie im Anfang des 5ten Jahrhunderts
von den Vandalen zerstört, von Belisar einige Jahre später wiedererobert,
zu Ende des 7ten Jahrhunderts aber von den Arabern für immer zerstört.
Der heilige Augustin, der nicht weit von Constantine, der Hauptstadt unserer
Provinz hier, geboren war, wurde Bischof zu Hippo ca 400 und erlebte grade
noch die Belagerung durch die Vandalen, während welcher er starb.
Von der ganzen Stadt ist Nichts übrig geblieben, als große Cisternen
von riesigen Dimensionen, und Mauern von einer enormen Stärke mit
Leitungen, die so wohl erhalten sind, daß Alles noch jetzt benutzt
werden könnte. Die ganze Provinz wimmelt überhaupt so von Ueberresten
römischer Bauten, die in ihrer Wohlerhaltenheit Zeugniß ablegen
von der Solidität, in der die Weltherrscher für ihre ewige Weltherrschaft
gebaut zu haben scheinen, daß man mit höchster Bewunderung erfüllt
wird. Auf dem Gipfel des Haupthügels von Hippo hat man nun dem heiligen
Augustin eine kümmerliche Statue errichtet, deren Untersatz, ein großer
weißer Marmorblock, allein des großen Namens würdig ist.
Von diesem Punkte hat man eine herrliche Aussicht auf die Umgebung. Vor
sich hat man die Stadt, welche sich reizend mit ihren hellen Häusern
gegen den dunklen Hintergrund der Berge, an die sie sich lehnt, abhebt.
Die Chaussee, welche von ihr ausgeht, um sich nachher in alle möglichen
Richtungen zu theilen, hebt sich ebenfalls hell ab mit ihrem bunten Leben
von Karren, Kameelen, Arabern, Soldaten, Eseln, Negern u.s.w. und läuft
am Fuße des Hügels vorüber. Nicht weit davon fließt
das ruhige Wasser der Boudjema, um sich kurz vor Bône in das Meer
zu ergießen, in das Meer, das dann nach rechts hin, bald blau, bald
grün schillernd, in seiner imposanten Ruhe oder in seiner fesselnden
Unruhe den Blick des Beschauers aufnimmt. Hat man seinen Blick auf ihm
und seiner grenzenlosen Fläche ruhen lassen und entreißt sich
der träumerischen Ruhe, dem planlosen Umherschweifen der Ideen, das
eine längere Betrachtung des Meeres mit seiner Andeutung von Unendlichkeit
fast immer zur Folge hat, so wird man angenehm in die Wirklichkeit zurückgerufen
durch den Contrast, den auf der andern Seite, links, das Gebirge, l’Edough,
mit seinen wechselnden Bergen und Farben, mit seiner Umgrenzung, die es
unseren Blicken zieht, bildet. Allerdings ist die Aussicht von dem Berge,
an dem Bône erbaut ist, dessen Gipfel die Citadelle (Kasbah) einnimmt,
großartiger, doch kaum lieblicher, fesselnder. Dort übersieht
man die ganze Bucht von Bône, die ganze Kette von Hügeln und
Bergen, die je nach ihrer Entfernung bald grün, bald braun, bald blau,
bald nebelgrau erscheinen und nur eine große weite Öffnung für
das Meer lassen; man sieht rings auf den Felsen kleine Forts oder Leuchtthürme
und unmittelbar unter sich dann die Stadt mit ihren unregelmäßigen,
gewundenen Straßen, ihren Promenaden und Gärten und ihrem allerliebsten
Platz in der Mitte. Ein Blick von der Höhe auf eine Stadt ist hier
nicht so einförmig, als zu Hause, wo man nur ein Gewirre von Dächern
sieht. Die Häuser, auch die in europäischem Geschmack erbauten,
haben fast alle die Einrichtung der Plattformen, der Terrassen, anstatt
der Dächer, von dem maurischen Geschmack bewahrt. Und auf ihnen herrscht
meist ein reges Leben, das zwar, soweit ich jetzt beobachtet habe, meistens
den Geschäften der Haushaltung dient. Entweder wird dort gewaschen,
oder Wäsche wird aufgehängt, oder ähnliche wenig poetische
Proceduren werden dort vorgenommen. Uebrigens giebt es noch außerordentlich
viele Häuser in dem Geschmack der Araber, welche die Städte bewohnten
(Mauren), und man kann weiter Nichts davon sagen, als daß sie zwar
außen weiß, doch innen leer, öde, finster, eng und schmutzig
aussehen. Fenster sind spärlich angebracht und von exorbitanter Kleinheit.
Alles erbauen sie in größter Enge und die betreffenden Straßen
sind höchstens so breit, daß ein Kameel durchgehen kann. Sie
lachen über die breiten Straßen der Franzosen, die der Sonne
und dem Staube ausgesetzt seien. Letzterer giebt es natürlich auch
genug, doch weder durch Anlage, noch durch Gebäude ausgezeichnet.
Die Stadt im Ganzen, in ihrer Lage, in ihrer Unregelmäßigkeit
etc. ist reizend, von heiterem Eindrucke, interessant, pittoresque, doch
im Einzelnen schön ist nur der Platz, dessen sie sich erfreut. Denkt
Euch einen Platz, um die Hälfte etwa nur größer als der
Georgsplatz in Coeln, quadratisch; die Mitte erhaben, nicht gepflastert,
eingefaßt mit Sandsteinen, die zugleich eine Stufe zum Hinauftreten
bilden. Ringsherum führt eine gleichmäßig breite Straße,
deren Häuserreihe nur hervorragendere Gebäude, was Größe
und Ausstattung anbelangt, in sich faßt, die sämmtlich mit Arcaden
erbaut sind. Kann die Welt nicht auf dem Platze promeniren oder kommt ein
plötzlicher Platzregen, so flüchtet sie unter die Arcaden. Hier
sind dann Läden und Kaffeehäuser. Nur die eine Seite ist begrenzt
von der großen Moschee, die aber auch mit Arcaden erbaut ist. Weiter,
in der Mitte des Platzes ist dann ein Rondel, mit einem Eisengitter umschlossen,
das dicht bewachsen ist von herrlichen Bäumen und Sträuchern,
die zum Theil sonst nur südlicher gedeihen. Hier werden sie beständig
durch eine Fontaine, die sie verbergen, bewässert, deren Murmeln aus
dem Verstecke heraus den einschmeichelnden Charakter der ganzen Umgebung,
besonders an schönen, hellen, warmen Abenden noch erhöht. Zur
Staffage dienen dann mit gekreuzten Beinen auf den Bänken vor sich
hinstarrend oder rauchend die Araber; die oft reich gekleideten maurischen
oder jüdischen Kaufleute mit buntem Turban, glänzend weißem
oder rothem feinwollenem Burnus, vielleicht rothseidener Jacke, buntseidener
Leibbinde und feinen blauen Beinkleidern, zarten weißen Strümpfen
bis zum Knie und lakirten Schuhen; und endlich die spielenden und noch
viel lebhafter als unsere Straßenjungen schreienden und gestikulirenden
Knaben von weißer, gelber oder schwarzer Hautfarbe. Doch endlich
genug! Jedes Mal, wenn ich eine Sache auseinanderzusetzen oder zu beschreiben
unternehme, verliere ich mich in endlose Details, von denen ich nicht wissen
kann, ob sie jedem Zuhörer oder Leser auch nur erträglich sind.
So geht es mir auch in meinen Studien, und wenn ich mir nicht mit Gewalt
irgend eine Grenze ziehe, werde ich niemals fertig. Das ist das Zeichen
mittelmäßiger Geister. Das Genie geht mit Rapidität über
Kleinigkeiten fort, überschätzt ihren Wert nie, sondern hat nur
ihre Beziehung zum Ganzen im Auge und beherrscht von höheren Gesichtspunkten
das Gewirre von Kleinigkeiten.
Im Uebrigen hoffe ich am Montag ausführliche Nachrichten über
Euer Wohlbefinden und das Aller, die Euch nahe stehen, zu erhalten. Ich
werde also noch einen geringen Platz auf diesem Briefe bis dahin für
einige Nachträge reserviren.
Was die Reisekosten anbetrifft, so beläuft sich das Geld, was
Eisenbahnfahrpreise, Bagagekosten, Kofferträger in sich begreift,
auf ca 42 Thaler. Hotelrechnungen von Coeln bis Marseille betragen mit
Trinkgeldern und zuweilen Hotel-Omnibus 18 Thaler. Rechne ich dazu noch
die Kosten des Aufenthaltes in Philippville, die im Verhältnis die
bedeutendsten sind (30 frcs für 2½ Tag) so erhalte ich die
Summe von 68 Thalern ohne das Überfahrtsgeld von Marseille bis Bône.
Man wird nicht allzu tief greifen, wenn man eine derartige Reise von Coeln
bis hier nach Bône, eingerechnet aller Nebenausgaben, die es ja doch
auf Eisenbahnstationen oder in fremden Städten giebt und den Hotelaufenthalt
am Bestimmungsorte bis zur Auffindung einer Wohnung etc. auf ca 100 Thaler
veranschlagt.
Meine Hoffnung auf einen Brief wurde getäuscht. Ich schließe
also den meinigen, da ich Nichts weiter hinzuzufügen weiß für
den Augenblick, mit wiederholten Wünschen für Euer Wohlergehen
und das aller Verwandten und Bekannten. Bringt mich bei ihnen in freundliche
Erinnerung und vergeßt bei den Grüßen die Kinder nicht.–
Nochmals lebt wohl!
Euer Gustav
rue Damrémont 5
Bône am 22sten December 1862
/ 6 Jan
Meine Theuren !
Da ich auch in der vorigen Woche keine Nachricht von Euch und Allem,
was Euch lieb ist und nahe steht, erhalten habe, so schreibe ich Euch mit
um so lebhafterem Bedauern, ohne den Brief, den mir eigentlich die Post
hätte bringen sollen, den ich wenigstens mit Sicherheit von Euch erwartete
schon in Händen zu haben. Der Courier nämlich, das Dampfschiff
von Marseille, ist noch nicht in Stora angekommen, und es ist noch keine
Nachricht eingelaufen, wann es zu erwarten steht. Schon in der vorigen
Woche kam die Post um einen Tag zu spät, und man kann sich bei dem
Unwetter, was auf dem Mittelmeere noch immer herrscht, die Verspätungen
wohl erklären. Doch da die Post nach Europa sich nicht nach diesem
Schiffe richtet, so sehe ich mich genöthigt, so meine wenigen Zeilen
zu expediren. Es drängt mich vor Allem, bei dem bevorstehenden Feste
und dem Jahreswechsel, Euch wieder den Dank zu sagen, den ihr auch in diesem
Jahre so überreich an mir verdient habt und Euch dafür die bescheidene
Vergeltung, meine warmen und liebevollen und aufrichtigen Wünsche
für Euer Wohl anzubieten. Ich habe niemals mehr erfahren als im verflossenen
Sommer und Herbste, wie werthvoll, wie unbezahlbar, unvergeltbar und unersetzbar
die Liebe Derjenigen ist, denen man durch die Bande des Blutes verbunden
ist, denen man stets nahe gestanden hat und bis zum letzten Augenblicke
nahe stehen wird. Glücklich soll sich doch Jeder schätzen, dem
das Schicksal solche Liebe erhielt, soll sie selbst nach Kräften pflegen
und sich ja sorglich hüten, mit unbedachtsamer Hand diese Bande zu
verwirren, zu lösen, zu zerreißen. Von ganzem Herzen will ich
hoffen, daß der morgende Tag oder der Mittwoch mich aus meiner Unruhe
reißen wird, und daß Ihr in voller Gesundheit und glücklicher
Zufriedenheit Euch in gewohnter Weise anschickt, das fröhliche Fest
in würdigster Weise zu feiern, indem Ihr Euch bestrebt, glückliche
Gesichter um Euch zu machen. Wohl denke ich an die Reihe von Weihnachtsfesten,
die ich in Eurer Aller Kreise verlebt habe, von demjenigen an, welches
Ihr in so rührender Weise mir vor mein Krankenlager zaubertet. Lebhaft
werden mir die fröhlichen Kindergesichter vor Augen stehen, von deren
Freudenausbrüchen ich so oft vergnügter Zeuge war und ich werde
glücklich oder doch zufrieden sein in der Erinnerung.
Meine Schwester und ihre Familie (auch meine Mutter ist noch in Uchtenhagen)
bringen leider das Fest nicht so glücklich und zufrieden zu; der Vater
meines Schwagers, ein schon ziemlich bejahrter Herr, hat schon öfters
Anfälle von Schwindel und Bewußtlosigkeit gehabt und nie so
bedenklich, als jetzt, wie meine Mutter geschrieben hat. Ich will von ganzer
Seele hoffen, daß kein Unglück eingetroffen sein möge;
nicht allein würde der alte Herr noch manchen Tag leben wollen und
können (er ist erst Ende der 60er so viel ich weiß), als auch
seinem Sohn, dem Bergmann, welcher noch studirt, noch recht von Nutzen
sein. – Was mich betrifft, so werde ich still und zufrieden wahrscheinlich
das Fest in der Gesellschaft der Herren Str. & Z. zubringen, und verlange
nur gutes Wetter. Denn wenn ich auch nicht anders sagen kann, als daß
wir hier in Bône gegen die ganze Südküste von Frankreich,
ja noch gegen die übrigen Provinzen Algériens gut fortgekommen
zu sein scheinen, (solche Nachrichten laufen noch täglich über
Stürme, Unwetter, Überschwemmungen ein), so ist doch die Witterung
hier noch immer zu wechselnd, als daß sie hinlänglich heilsam
sein könnte. Wenn längere Zeit gutes Wetter war, kann ich nicht
anders als gestehen, daß in der That mein Husten sich sowohl verringerte,
als auch leichter wurde, doch kommt mir allzu leicht eine Verkältung
hier zu Stande und stellt den errungenen Vortheil wieder in Frage. Ich
bin daher auch in der letzten Zeit nicht mehr so viel in die Umgegend gekommen
und werde erst wieder beständige Witterung abwarten. Augenblicklich
mit Regen und Nordwind bin ich wieder unzufriedener, als vor acht Tagen,
und habe schon 3 - 4 Mal wirkliche Lungenknoten ausgehustet. Dies kann
sowohl ein gutes als ein schlechtes Zeichen sein oder werden. Hoffen wir
das erstere. Doch stellt sich die gänzliche Freiheit von Lungentuberkulose
und Schwindsucht in ganz Algérien zur Evidenz heraus. Kaum, daß
im Zeitraum von Jahren der eine oder andere Neger, die nördlicher
von ihrem Wohnsitz ziehend eine besondere Neigung zu Schwindsucht haben,
einmal ergriffen wird; übrigens ist die Krankheit unbekannt. Gleichwohl
würden die Araber durch ihre miserable Lebensweise zur Entwicklung
und Beschleunigung der genannten Krankheit nicht wenig beitragen, wenn
nicht eben die Grundlage überhaupt fehlte. – Jedenfalls kann man Genesung
oder dauernde Besserung nicht in 4 Wochen erwarten, zumal in der ungünstigsten
Jahreszeit.
Mit meiner neuen Wohnung bin ich soweit zufriedener, als mir eben das
Treppensteigen erspart ist und besonders als sie in einer breiteren, freundlicheren
Straße liegt, wo man, wenn man durch das Wetter am Ausgehen gehindert
ist, auch auf der Straße noch Unterhaltendes sehen kann. Die Leute
sind freundlich, doch nicht sehr reinlich, wie aber freilich die ganze
südliche Einwohnerschaft zu sein pflegt. Nicht umsonst hat der weise
Muhamet seinen Religionsgenossen das tägliche Waschen zur religiösen
Pflicht gemacht. Die Leute würden sonst wirklich ganz im Schmutz verkommen.
Nicht weniger Überfluß als an Unreinlichkeit, hat man hier an
Flöhen und Wanzen. In dieser Beziehung war ich früher besser
logirt, doch Alles in Allem bin ich hier zufriedener. Der Araber, der meiner
Wirthin als Magd dient, ist wirklich ein Musterexemplar an Schweinerei
und Zerlumptheit. Ganz solch ein Araber, wie sie jeden Reisenden beim Betreten
nordafrikanischen Bodens so sehr enttäuschen, wie sie jeder Illusion,
der man sich über die malerische Tracht, über die gravitätischen,
imponirenden Manieren des ernsten Sohnes der Wüste hingegeben hat,
so gründlich ins Gesicht schlagen. Glücklicherweise giebt es
doch auch eine Menge Anderer, die in der That ein besseres, bisweilen das
geträumte Bild wirklich erreichendes oder noch übertreffendes
Aussehen haben. Selbst freilich die reichsten und angesehensten Männer
tragen außen Nichts als ihren weißen, wollenen Burnus, doch
ist der Stoff feiner und blendend weiß, die Unterkleider, die dem
gewöhnlichen Mann oft ganz fehlen, von höchster Sauberkeit und
Feinheit. Kostbare Gürtel mit Gold gestickt zieren ihn dann, obgleich
dies meist der maurischen Tracht angehört; doch tragen sie über
dem feinen Hemd eine feingestickte enganschließende Jacke und über
ihr ein fein wollenes- oder seidenes, schleierartiges Gewebe, welches den
Kopf bedeckend und hier festgehalten durch das gewöhnlich umgeschlungene
weiße Kopftuch, das außerdem den Fez umhüllt und festhält,
den Rücken bis zum Kreuz herunterhängt, woselbst es durch genannten
Gürtel am Leibe befestigt wird. Doch es ist lose, so daß man
zu beiden Seiten des Kopfes und Halses hinlänglich Gelegenheit findet,
die Feinheit und Kostbarkeit des Gewebes zu bewundern. Ueber Alles wird
dann der Burnus gehängt mit seinem Capuchon, der gewöhnlich,
selbst in der Wärme, den arabischen Kopf einhüllt. Die Beine
sind nackt, die Füße stecken in Schuhen mit ganz schmalem Oberleder,
so daß es vorn grade die Zehen bedeckt und so die Schuhe überhaupt
festgehalten werden können. Die gewöhnlicheren Araber tragen
keine Jacke oder so etwas, sondern meist nur ein Hemd, selten eine Art
weiße Badehose und darüber den Burnus. Friert sie, so werden
mehrere Burnus übereinander angelegt und ein Capuchon über den
anderen gezogen, so daß der Kopf nicht so selten von drei Capuchons
über dem Fez und dem Turban erwärmt ist. Dabei sind Beine und
Füße ganz nackt und nur in der äußersten Kälte,
wie jetzt ungefähr, tragen einige einen Ueberzug über die Waden,
der weder Knie noch Knöchel erreicht. Sonderbar, daß sie alle
den Kopf so einhüllen, während wir stets die Füße
zu schützen gewohnt sind. – Die Pracht, welche ein vornehmer Mann,
ein Cheikh oder ein Kaïd bei großen Festen entwickelt, soll
wahrhaft fabelhaft sein. Sein Pferd, seine Waffen und er selbst strahlen
von Gold und kostbaren Steinen. Kaïd ist eigentlich gleichbedeutend
mit Agha oder Khalifa, doch sind diese Bezeichnungen in Algérien
nicht gebräuchlich. Ein solcher Mann ist von jeher die Mittelsperson
zwischen den Gewalthabern, also jetzt der französischen Regierung,
und dem Volke gewesen. Die französische Regierung ernennt sie sogar
und verfährt dabei sehr schlau. Die Befehlshaber der einzelnen Tribus
oder Stämme nämlich, welche Cheikhs heißen, werden von
den Stämmen zwar gewählt, aber doch fast immer den ältesten,
reichsten und angesehensten Familien entnommen, in deren Händen diese
bedeutende Rolle gewöhnlich schon lange gewesen ist. Sie leben mit
dem Stamme, haben eine große Gewalt über die Gemüther,
ihre Interessen sind fest verknüpft mit denen ihres Stammes. Von der
Regierung haben sie Nichts: Sie benützen also ihre enorme Gewalt oft
gegen die Unterdrücker und werden so gefährliche Verschwörer
und Feinde der Regierung. Wird die Macht eines Cheikhs der Regierung etwas
bedenklich, so ernennt sie ihn schnell zum Kaïd, den sie auf diese
Weise ehrt und sich verpflichtet, den sie so besser überwachen kann
und den sie den heimischen Interessen entzieht, ja, dem sie durch diese
halb französische Stellung das Vertrauen der Araber in etwas raubt.
Denn er hat die unangenehme Mission, und das ist sein Hauptgeschäft,
die Abgaben zu erheben und an die Regierungskasse abzuliefern, und im Steuerbezahlen
ist der Araber nicht viel anders, als ein kleiner preußischer Kossath*.
Er soll zugleich für die Treue der Tribus und ihrer Cheikhs, deren
er eine ganze Zahl unter sich hat, einstehen und muß im Falle eines
Krieges ihren Contingent befehligen. Doch befiehlt die französische
Regierung zumeist die Cheikhs direkt und benutzt den Kaïd nur zum
Abgaben eintreiben, hemmt also so seinen Einfluß und seine Macht
wieder. Alle Maßregeln, Befehle etc. geschehen durch das „bureau
arabe“, dessen Chef und Ober-Beamte abkommandirte Offiziere höheren
und niederen Ranges sind, das schließlich unter dem Militair-Ober-Commando
der Provinz steht, und dessen Unter-Beamte lauter Araber sind (Spahis).
Ueber diese ein andermal, wenn es Euch nicht langweilt.
Für jetzt grüße ich Euch herzlich und wiederhole meine
aufrichtigen, dringenden Wünsche für Euer Aller Wohl beim bevorstehenden
Jahres-Wechsel und hoffe von ganzem Herzen Morgen Nachricht von Eurem Wohlbefinden
zu haben. Grüßt die Verwandten Alle und bringt auch ihnen meine
Glückwünsche für das neue Jahr. Möge besonders der
Großmama noch lange vergönnt sein, im Kreise der Ihrigen gesund
und fröhlich mit dem alten Jahre abzuschließen und das neue
zu beginnen. Nicht minder wünsche ich Lenchen und Hermann und Christiane,
Julius und allen Sprößlingen der Familie alles Gute und Schöne!
Ich bitte auch nicht zu vergessen, den Euch befreundeten Familien (Wahlenberger
etc.) meine Complimente bei dieser Gelegenheit zu machen. Adieu!
Bald mehr!
Euer dankbarer Neffe
Gustav.
* Häusler, Kätner