Bône am 4ten Januar 1863
Meine herzlich geliebten Anverwandten!
Ich bedaure außerordentlich, daß mein letzter Brief acht
Tage zu spät an Euch gelangt sein muß; die ärgerliche Ursache
liegt in den durch den langen Regen aufgeweichten Wegen von hier nach Philippville,
bis wohin die Post zu Lande besorgt wird. Das Schiff war von Philippville
längst abgegangen, als der Courier von Bône ankam. Wir haben
es nachher hier in der Zeitung gelesen. Soeben habe ich vom Briefträger,
der ursprünglich auch Preuße ist, erfahren, daß um solchen
Inconvenienzen vorzubeugen, eine Zeitlang der Courier von Bône 6
Stunden früher abgehen wird, eine Einrichtung, welche mich zwingt,
meine Briefe entsprechend frühzeitiger zu expediren. Es ist nur gut,
daß ich es noch erfahren habe, sonst hätte ich dieselben gar
nicht mit fortschicken können. Doch werden die Wege bald wieder hergestellt
sein, denn der Regen scheint für einige Zeit aufgehört zu haben.
Es ist seit kurzem wahrhaft prachtvolles Wetter: zwar Abends und Morgens
kalt, doch klar, heiter, wolkenlos wölbt sich der Himmel so tiefblau
über uns, wie in der Heimath in den höchsten Sommermonaten. In
den Mittagsstunden findet eine prächtige Temperatur statt, vielleicht
wie zu Hause an schönen Maitagen; doch sobald die Sonne hinter den
Bergen des L’Edough versinkt, kann man sich eines leisen Fröstelns
nicht erwehren, und Morgens vor Sonnenaufgang ist es ohne Feuer im Kamin
mehr wie unbehaglich. Bei Euch, scheint es, hat der strenge Anfang des
Winters einer milden Witterung Platz gemacht; so wenigstens sprechen sich
die Zeitungen über das mittlere und nördliche Frankreich aus.
Ich will hoffen, daß ein solcher Wechsel für Niemand von Euch
und den Euch nahestehenden Personen von schädlichem Einfluß
gewesen ist, und daß Ihr dem entsprechend das neue Jahr in bestem
Wohlsein und ungetrübter Heiterkeit im großen Kreis Aller Lieben,
wie Ihr es ja so schön gewohnt seid, begonnnen habt. Nochmals Euch
und Allen meine Wünsche und Euch speciell meine Danksagungen.
Auch ich habe Weihnachtsfest und Sylvester-Abend besser verbracht,
als ich es zu hoffen gewagt hatte, wenn ich auch natürlich tausend
Mal lieber in Eurem Kreise vergnügt gewesen wäre. Die Herren
Streubel und Zircher und ich hatten sogar einen Baum aus der Heide geholt,
der wenigstens eine entfernte Ähnlichkeit mit einem Tannenbaum hatte,
ihn fein behängt und erleuchtet, den Friedensrichter noch dazu eingeladen
und zwei kleine Mädchen, Nachbarskinder der Herren Str. & Z.,
Italienerinnen, die nie etwas so Schönes und Glänzendes gesehen
zu haben glaubten. Denn hier hat das Weihnachtsfest kaum noch einen geringen
Anklang, einen unbedeutenden Abglanz von all’ der Herrlichkeit, welches
wir ihm in Deutschland beigelegt haben, und die Kinder gehen auf den Straßen
herum, zum großen Theile, ohne zu wissen, was eine feierliche Bescheerung
besagen will, als wenn Nichts vorgefallen wäre, als wenn der Weihnachtstag
ein Tag wäre, wie alle Sonn- und Festtage. Etwas mehr Leben macht
sich am Neujahrstag geltend, an dem die Visitenjagd der unsrigen durchaus
nicht nachsteht, die Jagd auf Geld (étrenne = Neujahrsgeld), aber
in viel größerem Maaßstabe und ärgerlicherer Unverschämtheit
betrieben wird, als bei uns. Es regnet förmlich Fünffrankenstücke
und Briefträger, Stiefelputzer, Dienstboten befreundeter Häuser,
Garçon’s in den Speisehäusern u.s.w. belagern förmlich
die unglücklichen Geber, die bei reichlicher Bekanntschaft nicht selten
40 - 50 - 60 frcs los werden. Dazu werden dann feingedruckte Sachen: Kalender,
Postreglements, Telegrafenstationen und -Taxen etc. überreicht. Es
ist gut, daß es vorüber ist!
Das Unglück, das Heylands in Schwelm betroffen, hat mich allerdings
tief erschüttert. So kommt oft bei Menschen, welche scheinbar so glücklich
sind und ihr Glück mit soviel Bewußtsein genießen, das
Unglück, wenn es einmal beginnt, haufenweise. Es läßt sich
nicht vermuthen, oder ist wenigstens wohl möglich, daß Helene
Nahel auch von dieser Lungenentzündung verschont geblieben wäre,
wenn das andere Lungenleiden schon gründlich beseitigt war. Kranke
gereizte Lungen unterliegen viel leichter einer Entzündung als gesunde.
Hätten die Leute eigene Kinder, so würden sie sich zweifelsohne
besser trösten. Daß über Bertha Brügelmann, wenn es
wirklich so arg mit ihr ist, so viel Klage geführt wird, ist wirklich
traurig, um so mehr, je mehr sie ihrem Vater, der so dringend der Stütze
und der beständigen Gesellschaft bedarf, sein könnte. Wie kann
sich da Lenchen im Besitze ihrer Kinder glücklich preisen! Was machen
sie Alle? Es hat sicher eine reiche Bescheerung und endlosen Jubel gegeben?
Wilhelm und Carl könnten mich eigentlich einmal mit einem Briefe,
wenn er auch nur kurz ist, erfreuen? Meine herzlichsten Grüße
für Alle!
Anbei folgt ein Brief an den Dr. Garthe, den Du, lieber Onkel, wohl
die Güte hast zu couvertiren und an ihn zu schicken, und von dem ich
hoffen will, daß er durch seine Schwere das Postgeld nicht vertheuert.
Abgesehen davon, daß er früher den Wunsch aussprach, zu hören,
wie es hier mit meinen meteorologischen Beobachtungen ginge, erfordert
das Interesse des zoologischen Gartens in Coeln diese Correspondenz. Dr.
G. trug mir allgemein dringend auf, ihn nicht zu vergessen, doch muß
ich dazu bestimmte Instructionen haben, sonst bleibe ich mit den möglicherweise
acquirirten Thieren sitzen. Kleinigkeiten (einen Adler, eine Zibethkatze
etc.) konnte ich schon billig kaufen, doch wußte ich ja nicht, ob
selbst umsonst die Thiere erwünscht waren, da der Garten schon so
voll ist. Natürlich umsonst zu bekommen sind wilde Thiere hier auch
nicht; die Eingeborenen fangen sie in Gruben, wenn sie sie nicht mit Pulver
und Blei jagen dürfen und tödten sie meist, weil ihnen jedes
Fell mit 40 oder 50 frcs von der Regierung bezahlt wird, und weil sie dann
ein besonderes Lob erhalten, was ihnen sehr schmeichelt. In dem Briefe
an Garthe findet Ihr einige Preise angegeben, wie sie der zoologische Garten
in Marseille normirt hat und zu denen er stets ankauft. Kommen die Thiere
gut und gesund an, so giebt es noch eine besondere Gratification. Am leichtesten
dürfte noch eine Hyäne zu bekommen sein, welche man sogar vielleicht
zum Präsent machen könnte, und ich entsinne mich nicht, welche
gesehen zu haben in Coeln. Wenn ich nur genau wüßte, wie es
mit dem Transporte von Marseille aus zu halten ist, bis dahin sind sie
leicht zu schaffen. Hoffentlich schreibt darüber der Dr. Garthe genauer,
denn manche Thiere können so lange hungern und werden einfach mit
einer Adresse im luftigen Käfig als Fracht geschickt, aber wie verhält
es sich mit denen, welche unterwegs gefüttert werden müssen?
Es könnte leicht sein, daß der Direction selbst ein Geschenk
nicht angenehm wäre, weil sie es erst von Marseille kommen lassen
müßten. Unser protestantischer Pastor kam erst Weihnachten von
einem Dorfe, ca 4 Meilen von hier, zurück mit der Nachricht, daß
dort 4 junge Löwen gefangen seien. Diese wurden irgend einer hohen
Regierungsperson oder dem Landrath (Sous-prefect) zum Geschenk gemacht.
Doch wenn man in der Nähe zufällig gewesen wäre, hätte
man sie gewiß billig kaufen können. Seit ich hier in Bône
bin, sind wohl schon 3 oder 4 Mal todte Löwen hereintransportirt worden:
ein Beweis, daß es immer noch genug giebt. Doch, wie gesagt, im Allgemeinen
tödten die Araber die Thiere, teils weil Löwenfleisch und Pantherfleisch
sehr wohlschmeckend ist, teils weil sie die Jagd mit Feuergewehren außerordentlich
lieben. Letztere ist sehr eingeschränkt durch den Umstand, daß
kein Eingeborener Pulver bekommt, der nicht einen Erlaubnißschein
der Regierung aufweisen kann, und ein solcher nur an Vertrauenspersonen
gegeben wird. Die Jagd der Araber auf Löwen, wie ich sie mir habe
beschreiben lassen, ist höchst interessant und beweißt, daß
die Leute, denen ich sonst im Allgemeinen nicht viel zutraue, durchaus
keine übermäßige Furcht vor dem König der Thiere haben,
wie es auch wohl sonst oft behauptet wurde. In der That ist der Löwe
hier noch durch die zahlreichen Heerden der Araber auf freiem Felde so
gut verproviantirt, daß er nicht nöthig hat, Menschen anzufallen,
und die glaubwürdigsten Berichte beweisen mehr und mehr, daß
er dem Menschen begegnend meist seines Weges zieht, ohne irgend eine Neigung
zum Angriff zu bezeigen. Ich weiß nicht, ob es wahr ist oder ob ich
es schon erzählt habe: man erzählt eine Menge Geschichten wie
diejenige ist, in der eine arabische Frau, die nur einige Ziegen besaß,
den Löwen, der ihr eine davon forttrug, mit dem Stocke und laut schimpfend
verfolgte, bis dieser wirklich die Ziege fallen ließ und forttrabte.
Fest steht, daß die Araber, wenn er attrappirt ward beim Raube eines
Stückes Viehs, ihn verfolgen. Vor dem Panther haben sie mehr und gegründetere
Furcht: er scheint auch Menschen ohne großen Hunger anzufallen. Dementsprechend
wird auch das Fell eines Panthers von der Regierung höher prämiirt.
Die Hyäne verachten sie gänzlich, und den Eber, deren es in einigen
Gegenden noch viele giebt, hassen sie, weil sie ihn als unreines Thier
nicht essen dürfen, ihn also nicht gern jagen und er doch ihre Felder
verwüstet. Am Sonnabend habe ich die Herren Str. u. Z. auf die Wildschweinjagd
begleitet, zu der wir von einem Proprietaire, in der Nähe des großen
Sees, Lac Fetzara, einige Meilen von hier, geladen waren. Monsieur Vincent
hat bedeutenden Grundbesitz in einer fruchtbaren Ebene mit flachen Hügeln,
schränkt jedoch den Getreidebau mehr und mehr ein und cultivirt Wein,
der einen allerliebsten, feinen Geschmack hat. Es sind südfranzösische
und spanische Reben, von denen der Wein auch ein entferntes Geschmacksgepräge
hat. Seine Orangen waren von außerordentlicher Süße im
Garten und in den vergangenen Jahren haben sie stets 2mal Obst geerntet:
Aepfel, Birnen, Pflaumen etc. Leider herrscht auch hier das Fieber noch
immer. Auf den Felsen am See Fetzara herum wurde gejagt, doch von Ebern
Nichts entdeckt, nur große Rebhühner und Schnepfen reichlich
erlegt. Ich freute mich vorzüglich an dem Anblicke des Sees, den ich
von dieser Seite und so nahe noch nicht gesehen hatte. Er ist viel größer,
als ich gedacht hatte und wohl 4 bis 5 Meilen im Umkreis. Ringsherum ist
ein ganz flaches Ufer, das dann erst von Bergen gefolgt wird. Nahe dem
See ist es so sumpfig, daß zahlreiche Erzählungen über
versunkene Jäger, über Reiter, die versanken, ohne daß
man eine Spur von Roß oder Reiter wiederfand, vor dem unvorsichtigen
Betreten des Ufersaums warnen. Der See ist berühmt wegen des Reichthums
seiner Umgebungen an wildem Geflügel. Wichtig ist die Jagd der Grèben*,
von denen man das feine Gefieder zu Müffchen, Pelzkragen etc. verwendet.
Daß er übrigens von Fischen wimmelt, welche alle einer Art angehören
sollen und zur Production von Leberthran verwendet werden, glaube ich schon
berichtet zu haben. – Außerdem sind wir noch zur Jagd geladen worden
von einem Herrn Van der Butt aus Osteende, der ca 3 - 4 Meilen nach einer
anderen Gegend hin cultiviert. Er gab interessante Notizen über die
hiesige Landwirthschaft und Viehzucht. Die beste Zeit zur Saat ist Ende
December und durch den Januar. Auf den Bergen etwas eher, ca einen Monat.
Für das Vieh ist in der That der Herbst und Wintersanfang eine schlimme
Zeit. Ein Nachbar des genannten Herrn, M. Nicola, ein reicher Proprietaire,
der besonders Viehzucht treibt, hat in diesem Winter ca 600 Stück
Vieh verloren, ohne etwa eine verheerende Seuche, sondern wie der Belgier
meint, blos in Folge der langen Sommerdürre, vielleicht dann noch
in Folge des Wechsels von Dürre zu übermäßiger Nässe,
bei der sie sich endlich an dem schnell aufschießenden frischen Futter
überfraßen und verdarben. Gewiß würde Stallung und
künstliche Fütterung in der schlimmen Zeit solchem Sterben Einhalt
thun. –
Ich habe im letzten Briefe eine weitere Auseinandersetzung über
Regierung und Verwaltung der Araber, über die Cheikhs und ihre Bedeutung,
über einen Theil der Regierung, der die Angelegenheiten der Eingeborenen
besorgt und bureau arabe heißt und andere Einrichtungen, welche von
allgemeinem Interesse sein könnten (versprochen). Doch will ich dies
noch bis zum nächsten Brief verschieben, da es zu viel Raum und Zeit
in Anspruch nehmen würde. Ich fürchte nur, ich könnte mich
leicht wiederholen, da ich begreiflicherweise nicht genau behalten kann,
was ich wohl im vorigen Briefe, als was ich an meine Mutter oder Schwester
geschrieben habe. Mit einer Post sende ich einen Brief an diese, mit einer
folgenden an Euch und dies kann mich leicht verwirren. Dies mal war ich
durch häufigere Spaziergänge und Fahrten, die das schöne
Wetter begünstigte, durch den Anblick der fruchtbaren Gärten
und reizenden Thäler naturgemäß auf eine derartige Schilderung
hingeführt. Man kann sich wirklich des innigsten Bedauerns nicht erwehren,
alle Berge nur mit dichtem Gesträuch und Gestrüpp, das aus Myrten,
Dornenbüschen, Zwergpalmen, Heidekraut etc. besteht und oft völlig
undurchdringlich ist, bedeckt zu sehen, während auf ihren Abhängen
die reichste Fruchtbarkeit sich entfalten könnte. Hat einmal Jemand
sich die Mühe genommen, das „broussailles“* zu vertilgen, so trägt
auf der Stelle ohne alle weitere Cultur der Boden reichste Früchte.
Vor wenigen Tagen hatten wir spazierenfahrend das Vergnügen, solche
Versuche in der Nähe der Stadt zu sehen. Es war eine Pracht zu sehen,
wie die Erbsen und andere Gartenfrüchte blühten und gediehen.
Der Araber aber ist so träge, daß wenn ihm pflügend ein
kleines Gesträuch begegnet, das er leicht ausreißen und vertilgen
könnte, er ruhig darum herum pflügt, ohne es zu berühren.
Die thätigeren Bergbewohner kabylischen Ursprungs aber haben wiederum
die schlechtere Methode, einen Bergabhang von diesem Gestrüpp durch
Feuer zu reinigen, wodurch jährlich bedeutende Brände entstehen
und die wenigen ordentlichen Wälder, die es noch hier giebt, nicht
selten zerstören.
Was meine Gesundheit betrifft, so bin ich zufrieden. Es scheint wirklich,
als wenn eine langsame Besserung einträte.
Für heute Adieu, lieber Onkel und beste Tante! Meine herzlichsten
Grüße an Euch, die Kinder, die Großmama, Lenchen, Hermann,
Christiane, Julius. Möge die Letzteren reiches Glück bei der
Veränderung ihres Geschäftes begleiten.
In Liebe und Dankbarkeit
Euer Gustav
Randschrift: Wenn Du einen Augenblick Muße hast, lieber Onkel, so halte mich ferner noch etwas au fait in der heimischen Politik. Wir erfahren hier nur brockenweis durch telegraphische Depeschen, was sich zu Hause ereignet, und doch muß es interessant werden bei der bevorstehenden Kammereröffnung. – In Frankreich ist die Stimmung eine durchaus fatale und es sollte mich nicht wundern, wenn die Expedition in Mexico und die Arbeiternoth das Grab des Kaiserreiches würden.
* Haubentaucher
* Gestrüpp
Bône am 19ten Januar 1863
/3 Feb
Mein Lieber Onkel!
Wie ich es einmal angefangen habe, so will ich auch heute, als nach
dem Verlauf von 14 Tagen, nicht unterlassen, Nachricht von mir zu geben,
obgleich ich unter dem drückenden Einflusse eines betrübenden,
schmerzenden Briefes stehe, den ich heute von Fräulein von Kobiakoff
empfing. Es mag sein, daß ich weder recht noch klug gehandelt habe,
als ich das Verhältniß mit dieser durch seltene Eigenschaften
hervorragenden Dame abschloß, ohne genauer nach dem Beifalle Derjenigen
zu fragen, die nie Rast genommen hatten, in einer solchen Frage mitzusprechen.
Ich hatte mich so in die Bewunderung ihres reichen Herzens, ihres glänzenden
Geistes und ihres bewunderungswürdigen, wenn auch vielleicht zu schroffen
Charakters vertieft, sie war so gänzlich frei von all’ den Fehlern,
die man sonst wohl bei Frauen zum Nachtheil von Familie und Haus findet,
daß ich nicht daran zweifelte, sie müsse dem unbefangenen Beurtheiler,
so bald er nur Gelegenheit genommen habe, Kenntniß von ihrem etwas
abgeschlossenen Charakter zu nehmen, die höchste Achtung einflößen.
Trotzdem ich von dem allseitigen Mißfallen, das dies Verhältniß
bei der Familie hervorrief, höchlichst betroffen und unangenehm berührt
war, trotzdem es mir in der That nicht gleichgültig war, in der Zukunft
einen Schatten zwischen mir und meinen nächsten Angehörigen zu
sehen: so war doch meine Bewunderung zu fest verwurzelt, und so war doch
der anfänglich etwas laute Widerspruch meiner Mutter nicht geeignet,
besonders nicht, so lange ich unter dem reizenden und aufregenden Einflusse
meiner Krankheit stand, die Sache zu beendigen. Vielmehr war ich so fest
von der beglückenden Zukunft der Sache überzeugt, daß ich
deren drohenden Schatten bei weitem nicht in seiner ganzen Größe
würdigte, daß ich niemals mit einem Gedanken daran dachte, ein
Verhältniß, das mich trotz der Inconvenienzen an und für
sich so gänzlich erfüllte und beglückte, aufzugeben. Die
materiellen Aussichten, wie ich sie Euch mitgetheilt habe und wie sie Euch
schon nicht genügten, hatten damals wahrhaftig weniger Einfluß
auf mich, als vielleicht vernünftig war: ich weiß mich in dieser
Angelegenheit wahrlich und gewiß von niedrigem Speculationsgeiste
frei. Mit meiner wiederkehrenden Gesundheit und dem damit verbundenen Gleichgewicht
des Gemüths konnte ich mich allerdings einer richtigeren, weil ruhigeren
Würdigung der Angelegenheit nicht verschließen, sondern empfand
den Mißstand meiner Familie gegenüber viel lebhafter als früher
und konnte die Hindernisse, welche sich der Beendigung noch entgegenstellen
würden, besser nach ihrem wahren Werthe schätzen. Diese waren
natürlich zumeist materieller Art. Ich hatte meiner Mutter mit lebhaftem
Widerstreben versprochen, eine Heirath bis zur größeren Befestigung
meiner jungen Kräfte hinauszuschieben, doch ihr das volle Jahr, das
sie als Aufschub verlangte, nicht zugesagt. Der Dame hatte ich die Aussicht
gelassen, nach einem halben Jahr, wenn ich in der Fremde die Verhältnisse
sondirt und mich dort festgesetzt hätte, an eine Vereinigung zu denken.
Mein Gott, ich dachte es mir leichter, in der Fremde zu reussiren. Mit
den Mitteln, die von seiten ihrer Eltern in Aussicht gestellt waren, würde
es sowohl hier als auch zu Hause nicht thunlich sein, ohne Praxis zu existiren.
Ich mußte also die Begründung einer Existenz nach Wiederherstellung
meiner Gesundheit mehr in den Vordergrund stellen, als ich es der Dame
gegenüber, die von dem Plane ohnehin schon schmerzlich genug berührt
war, während meiner Anwesenheit in Europa zu thun wagte. Es ist doch
in der That keine ungewöhnliche Erscheinung, daß man mitten
in der Aufregung der Liebe, der Krankheit, des Widerspruchs, die Hindernisse
unterschätzt, die Arrangirung der complicirtesten Verhältnisse
für leichter ausführbar hält, als sich bei ruhiger Überlegung
herausstellt. Daß Fräulein Zenaide in ihrer Ungewöhnlichkeit
auch natürlich Eigenschaften besaß, die wohl dem ruhigen, häuslichen
Glücke und Wohlbefinden nicht gerade förderlich waren, habe ich
bisweilen dunkel gefühlt, aber erst in der neuesten Zeit mir zu gestehen
gewagt. Und als ich dieser gedachte, drängte die reiche, feste Liebe,
die geistigen Genüsse, welche ich mir aus dem Umgange eines so hochgebildeten
Geistes versprach und welche ich dagegen in die Waagschale legte, jene
Gedanken stets wieder zurück. Genug, ich kann nicht leugnen, daß
ich, ruhiger, wie ich geworden war, mit der Nothwendigkeit, erst eine Existenz
zu haben, der fernen Aussicht dieser Erfüllung, und des fast sicheren
Mißverhältnisses den nahestehenden Angehörigen gegenüber,
öfters gedacht habe, es wäre wohl besser gewesen, wenn ein früherer
starker Ausbruch meiner Krankheit mich an der Knüpfung dieses Verhältnisses
gehindert habe. Daß meine Briefe von hier aus den Stempel des Zweifels
an der baldigen und erwünschten Arrangirung unserer Pläne nicht
verleugnen konnten, wird Euch erklärlich scheinen. Ich fühlte
mich ihr gegenüber gedrückt und verhehlte es ihr nicht; ich sagte
ihr endlich, daß ich aus den und den Gründen zweifele, daß
wir in der von mir in Aussicht gestellten Zeit unsere Zukunft vereinigen
könnten und daß mich dies Bewußtsein ihr gegenüber
drücke. Ich bin endlich so wenig gewohnt, bloße Redensarten
zu machen und Gefühle zu heucheln, daß ich den Eindruck des
Entsetzens und des Schauderns, der mich noch jedesmal bei dem Gedanken
an den verflossenen Sommer und die nur Wenigen bekannten Qualen und Leiden,
die ich damals erduldete, überfiel, in meinen Briefen nicht ganz unterdrücken
konnte. Ich schrieb regelmäßig an sie nach Kissingen und erhielt
im Ganzen nur 2 Briefe von ihr, den letzten einige Wochen vor Weihnachten.
Doch schrieb ich dies bis ganz zuletzt der Laune zu, mich nicht mit beständigen
Klagen und Ausbrüchen der Unzufriedenheit langweilen zu wollen. Endlich
erhalte ich heute einen Brief, der mich in den härtesten, furchtbarsten
Ausdrücken beschuldigt, von Anfang bis zu Ende eine Comödie gespielt
zu haben, der mir vorwirft, schon im Sommer, da mir die Aussicht auf ihr
Geld nicht glänzend genug erschienen sei, meine Krankheit geheuchelt
zu haben, der meine Reise nach Afrika, Alles, Alles für Täuschung,
Berechnung, Comödie erklärt! O Gott, wie furchtbar muß
ihr Schmerz sein, wenn er ihre Feder zu solchen Beschuldigungen hinreißen,
ihren Kopf zu solchem Zorne bringen konnte! In einer solchen Weise, mit
vollster Verachtung von dem edelsten Herzen verabschiedet zu werden, schmerzt
unendlich! Ich kann sie nur bewundern und unendlich hochachten und mir
bleibt doch nur das Bewußtsein, ihren Haß und ihre Verachtung
geerntet zu haben. Wenn ich auch mehr und mehr damit einsehe, daß
solche energischen, schroffen, exaltirten Charaktere nicht geeignet sind,
friedliches Glück zu schaffen, so ist doch der Gedanke, ihre Achtung
gänzlich verloren zu haben, furchtbar, niederdrückend, quälend.
Und wohin mag sie ihren Schmerz und ihre Verachtung getragen haben? „Das
Meer sei zwischen uns auf ewig!“ sagt sie, und Entschließen und Handeln
ist eines bei ihr.
Verzeih, wenn ich heute Nichts weiter schreibe und überhaupt zu
schreiben habe; doch ich muß mich zu jemand aussprechen, und ich
habe doch niemand hier. –
Meinen Gruß an Euch Alle!
Eins muß ich noch erwähnen, da ich hier täglich daran
erinnert werde. Ich will hoffen, daß der Dr. Garthe oder Dr. Bodinus
wegen des zoologischen Gartens bis zur nächsten Post Antwort, resp.
Aufträge, zu Theil werden lassen. Es sind einige hübsche Thiere
hier, die noch aufgehoben werden, bis ich Nachricht habe. Was irgend hier
zu haben ist, kann ich billiger liefern, als sie es irgend sonst bekommen
können. Vor ca 8 Tagen hat man wieder mehrere junge Löwen in
der Nähe gefangen. Doch kann ich nicht allein solche beschaffen, sondern
was es hier nur in der Wüste oder in Aegypten oder sonst in Nordafrika
giebt. Seid nochmal gegrüßt und erfreut mich bald mit einem
Briefe, der meine Sicherheit und Ruhe befördert und der die Kammer-Session
und ihre Aussichten berührt, der sorgfältigsten Familien-Nachrichten
nicht zu vergessen. Adieu!
Euer
Gustav.
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Von der Heimfahrt weiß ich nicht viel zu berichten. Ich könnte
die wilde einsame Gegend nur noch wieder schildern, die Seeen, die man
unterwegs antrifft oder ihren Reichthum an Enten, Gänsen und tausend
andern Arten wilden Geflügels. Die Belebtheit der Wiesen von Kiebitzen,
Ochsenhütern, Reihern etc. Die kleinen Araberdouars*, den Kampf mit
Araberhunden, in dem ich einen erschlug und andere unbedeutende oder schon
beschriebene Vorkommnisse. Doch bin ich vielleicht schon in der Beschreibung
der Familie Robert zu weitschweifig gewesen. Ich dachte nur, es müßte
interessant sein, das Leben einer auf sich selbst angewiesenen Familie,
die noch dazu ihre Heimath so nah der unsrigen hatte, Euch vorzuführen.
Nun lebt aber wohl! Die Beschreibung und Auseinandersetzung des bureau
arabe und der Spahis, die das vermittelnde Element in der Herrschaft der
Franzosen über die Araber bildet, bleibe ich Euch noch schuldig.
Grüßt die Großmama und die Kinder, Lenchen und ihre
Kinder, Hermann und Christiane und die ihrigen, Carl und seinen Vater,
und erfreut mich bald durch ein Zeichen Eurer Liebe und Theilnahme, in
dem Ihr Eurer allseitiges Wohlbefinden mittheilt. – Adieu, lieber Onkel,
beste Tante!
Wenn ich bitten dürfte, den Dr. Garthe noch einmal zu erinnern.
Es ist jetzt, wo der Winter in seiner 2ten Hälfte steht und die Nahrung
nicht mehr so reichlich ist, die beste Gelegenheit, die Thiere einzufangen.
Noch einmal, adieu! und schreibt mir mit der nächsten Post, ich
bedarf Eures Zuspruchs.
Euer Gustav.
* Douar: Beduinendorf
Bône am 26sten Januar 1863
Meine Lieben!
. . . (16 Zeilen durchgestrichen und unleserlich gemacht)
Mit meiner Gesundheit bin ich zufrieden, der Nachlaß des Hustens
ist in der letzten Zeit beständiger gewesen und ein längerer
Aufenthalt in günstiger Luft, glaube ich wirklich, wird die Lungen
wiederherstellen. Auch ist das gute Wetter der letzten Zeit nur selten
durch Regen und Wind gestört worden.
Zwei Tage der letzten Woche habe ich zu einer kleinen Fußreise
verwendet, theils um meine trüben Gedanken zu zerstreuen, theils im
Interesse des zoologischen Gartens, über den ich auch heute leider
Nichts gehört habe. Ich hörte, daß 6 Stunden von hier,
nahe am Ausflusse der Mefrag, die sich in der angegebenen Entfernung nach
Osten hin von Bône ins Meer ergießt, der Fährmann, welcher
die Passage nach La Calle zu unterhalten hat, im Besitze drei schöner
Tigerkatzen sei, die jedenfalls für einen Spottpreis zu kaufen seien.
Ich machte mich eines Morgens früh auf, folgte dem Ufer des Meeres,
um auf diese Weise sicher den Weg nicht zu verlieren und zugleich Muscheln,
Schwämme und andere Seegeschöpfe suchen zu können. Ein kräftiger
Hund und ein Revolver bildeten meinen Schutz, eine gute Karte der Gegend
meinen Wegweiser, wenn ich später den Landweg einschlagen würde.
Es ist dies sehr nothwendig, denn die Gegend ist um Bône, besonders
in östlicher Richtung, vollständig wüst und europäischer
Cultur fast ganz baar; der Weg wird von zahlreichen Araberpfaden nach allen
Richtungen hin durchkreuzt und die Araber, welche man antrifft, sind zu
gleichgültig und uninteressiert, einem Fremden, wenn sie ihn nicht
gleich verstehen, den Weg zu zeigen oder sich durch Zeichen verständlich
zu machen. Nicht unbedenkliche Feinde aber für den gänzlich Unbewaffneten
sind die Araberhunde, deren ich wohl früher schon Erwähnung getan
habe. Sie sind von der Größe und Gestalt des Schakals, gelblich
weiß, furchtbar boshaft und bissig und sind die unvermeidlichen Bewacher
jedes Zeltes, jedes Gonsbi. Mit so furchtbarem Geheul sie auch auf den
Fremden losfahren, mit so leichter Mühe sind sie aber in die Flucht
zu schlagen, wenn man bewaffnet ist. Hätten sie einen aber erst gebissen,
so bin ich überzeugt, würden sie einen auch zerreißen.
Von allen diesen Fährlichkeiten traf ich auf dem Hinwege Nichts an,
da ich am Ufer des Meeres wandelte, das nur von einigen Möwen, Seeschwalben
etc belebt war. Keine menschliche Seele traf mein Auge auf dem ganzen Wege
an, selbst die Seevögel wurden seltener mit der Entfernung von Bône,
die Einsamkeit wirklich vollständig, fast drückend. Stets derselbe
Anblick: links das weite Meer, rechts die Sanddünen, bedeckt mit spärlichem
Gestrüpp, in der Ferne, nach La Calle zu die blauen Ketten der Gebirge;
stets dasselbe Geräusch der sich brechenden Wogen und meiner eigenen
im Sande knirschenden Schritte. Auch dem Hunde schien diese vollständige
Stille und Einsamkeit etwas drückend zu werden, er schlich von Viertelstunde
zu Viertelstunde trübseliger hinter mir her. Seine Excursionen nach
den Seiten hörten bald ganz auf. Von Zeit zu Zeit erstieg ich, um
etwas Abwechslung zu haben, die Dünen, durchstrich die niedrigen Büsche
derselben und sah dann wenigstens einige Schakale entfliehen, oder einige
Aasgeier sich, von ihrem Mahle aufgeschreckt, in die Lüfte erheben.
Endlich, nach Mittag, sah ich in der Ferne die Mündung der Mefrag.
Die Dünen wurden höher und höher, verloren nach und nach
ihren sandigen Charakter, ihre Vegetation wurde üppiger, die ganze
Gegend wilder. Der Fluß hatte am Ende seines Laufes etwa die Breite
des Mains, seine Tiefe soll hier beträchtlich sein. Ein schmaler Ufersaum
erlaubte mir zwischen Bergen und Fluß vorzudringen und schon nach
einigen hundert Schritten sah ich die Fähre, welche ich suchte, nahe
vor mir. Vergebens suchte ich zwar nach einem Dorfe, von dem ich immer
gehört hatte; ich passirte 2 oder 3 aus Schilf construirten Hütten,
die kaum die Solidität arabischer hatten, und vor denen einige Fischernachen
angebunden waren. Ihre vor der Tür sitzenden Herren trugen das unverkennbare
Gepräge der Malteser. Nahe der Fähre jedoch erhob sich ein sauber
geweißtes Haus, aus 2 Stockwerken bestehend, das ein durchaus cultivirtes
Aussehen hatte. In der Nähe grasten ganz ruhig eine große Ziegenheerde
und Schafe und Schweine harmlos durcheinander. Die Annäherung eines
Menschen kümmerte sie wenig; vielmehr zeigten sie die harmlose Ursprünglichkeit
im Verkehr mit den Menschen, wie man sie hier bei allen Thieren viel mehr
findet, als zu Hause, und wie sie gewiß im Paradiese im allerhöchsten
Maaße bestand. Einige Araber saßen neben ihren Thieren mit
gekreuzten Beinen an der Erde und warteten der Ueberfahrt. Bei meiner Annäherung
trat aus dem Hause ein Mann mit vollem schwarzem Barte, über mittlerer
Größe, kräftigen, selbstbewußten Aussehens, eine
ächte Hinterwäldlererscheinung. Statt des rechten Vorderarmes,
der abgenommen war, trug er einen großen eisernen Haken, der mit
Bandagen am übrigen Arme befestigt war und ihm als Hand diente. Auf
meine Frage nach Mefrag, dem Dorfe etc, sah er mich scharf an und fragte
dann im reinsten Coblenzer Deutsch, wo ich denn vom Meere her komme etc.
etc. Seine Freude, einen wirklichen Deutschen, und zwar vom Rheine, zu
treffen, war unverkennbar und erzählte gleich, daß seine Frau
eine Württembergerin sei und daß alle Kinder Deutsch sprächen,
und obgleich keins in der Heimath geboren sei und seine Frau Zeit ihres
Lebens in Algier gewesen wäre. Und der Mann war nicht einmal ein Deutscher,
sondern aus der Gegend von Forbach, ist vom 11ten Jahre an in Koblenz bei
einem Onkel (wenn ich nicht irre, Tuchhändler Hahn) erzogen worden,
da es seinem Vater schlecht ergangen sei. Wie er habe Soldat werden müssen,
sei er nach Algier gekommen und hätte dann dort seine Frau kennen
gelernt und geheirathet (sein ältester Sohn ist 16 Jahr). Noch einmal
zu seiner Mutter nach Paris zurückgekehrt, habe es ihnen dort nicht
gefallen und sei um 1848 herum besonders der Verdienst mangelhaft gewesen.
Seit 49 ist er wieder hier, ist erst in den Minen angestellt gewesen, hat
dort den Arm verloren durch eine Explosion; man hat ihm darauf diese Fähre
als Posten gegeben und er unterhält dabei einen Gasthof, der ziemlich
frequentirt ist durch die Reisenden von Bône nach La Calle, hat große
Heerden und hofft, noch eine kleine Concession in dieser einsamen Gegend
zu bekommen, um nicht blos auf Viehzucht beschränkt zu sein, sondern
auch Ackerbau betreiben zu können. Er hofft sein Leben hier zu beschließen
und würde mit der kleinen Concession und, wenn seine Kinder das Fieber
nicht hätten, ganz zufrieden sein. Seine Kinder kamen darauf, Knaben
von 11 und 9 Jahren und kleine Mädchen von 4 und 5 Jahren, allerliebste
Kinder, besonders die letzten. Sie freuten sich außerordentlich über
mich und mein deutsches Aussehen und über den Hund der „Waldmann“
hieß und so wenig den Araberhunden ähnlich sah. Im wunderbarsten
Deutsch, in dem sie mich bald „Du“, wie die Araber, bald „Sie“, wie die
Deutschen, bald „Ihr“, wie die Franzosen, anredeten, und in dem alle Augenblicke
ein französisches, arabisches, maltesisches Wort zu Tage kam, suchten
sie mich zu unterhalten und ihre Freude auszudrücken. Der älteste
Sohn, augenscheinlich der Stolz des Vaters, denn er erzählte mir stets
von seiner Größe, Stärke, Gewandheit im Fischen, Bootfahren,
auf der Jagd, in der häuslichen Arbeit und von seiner Freude an lebhafter
Thätigkeit, war zu Schiffe nach Bône, um eben die Tigerkatzen
zu dem Director des hiesigen Acclimatisationsgartens zu transportiren.
Der Vater hatte sie länger nicht behalten wollen, da eine über
Nacht ausgebrochen war und eine Menge Hühner umgebracht hatte. Es
war interessant und rührend, wie der Vater seine Sorge um den Sohn,
der schon am vorigen Tage nach Bône gegangen war, ausdrückte.
Bald äußerte er, daß der Junge doch recht gut seine Geschäfte
besorgt haben könnte, bald sah er wieder den Himmel an und sprach
von drohendem Wetter; dann ging er wieder hinein, um der Mutter zu beweisen,
daß er eigentlich nicht über die Zeit geblieben sei; dann erzählte
er wieder von den vielen Unglücksfällen, welche Jahr aus, Jahr
ein nach La Calle zu passirten: doch mit keiner Silbe äußerte
der rauhe Mann, daß er wirklich so besorgt sei, wie der genaue Beobachter
merken konnte. Erst seine zunehmende Unruhe, das häufige nach der
Uhr sehen, endlich aber das glückliche Lachen, als das Boot an der
Mündung der Mefrag erschien und die freudige Stimme, mit der er die
ganze Familie zusammenrief: „Der Sohn ist wieder da! Der Sohn ist wieder
da!“ bewieß seine und der Seinen zärtliche Besorgniß.
So einsame Leute sprechen weniger, besonders in der Mitte einer Bevölkerung,
welche auch nicht übermäßig redselig ist, werden aber sinniger,
nachdenkender, oft über ihren Bildungsgrad weit hinaus. Der Sohn war
eine offene, heitere Natur, lebhaft, thätig, der kaum angekommen,
die neuen Provisionen aus dem Boote schaffte: Mehl, Wein, Branntwein etc.
etc. und unmittelbar darauf mit mir eine Stunde weit den Fluß hinauffuhr,
um mir das Aufstellen der Fallen zum Einfangen der Tigerkatzen zu zeigen.
Mit lebhafter Freude lehrte er mich die Spuren des Wildschweins, des Schakals,
der Tigerkatze, der Manguste unterscheiden, die alle in dieser von Menschen
selten betretenen Gegend unverwischt bunt durcheinander im Sandboden nahe
dem Flusse zu verfolgen waren. Die Tigerkatzen fängt man am besten
mit Fischen, die sie leidenschaftlich lieben. Als wir zurückkamen,
war der Abend da und die Gesellschaft vermehrt durch einen Ochsenhändler
und einen Araber, der sich einmal vortheilhaft von denen gewöhnlichen
Schlages unterschied. Seine hohe Gestalt, sein ernstes regelmäßiges
Gesicht mit dem schönen schwarzen Barte und den dunklen Augen zeigte
in der That die Würde, die man dem „stolzen Sohn der Wüste“ bei
uns immer zuschreibt und die ich so oft vergeblich gesucht habe. Wir hatten
ein gutes Diner, zu dem der Fluß den Fisch und das Wasserhuhn geliefert
hatte, dem aber der Araber nur zum allerkleinsten Theile zusprach. Er begnügte
sich mit der Mäßigkeit, die seine Nation karakterisirt, mit
einer Omelette und einigen Nüssen, natürlich auch unseren Wein
verschmähend. Der Fluß, fällt mir noch ein, hat so viel
Fische, daß die Araber mit großen Säbeln sie erschlagen,
was ich selbst gesehen habe. – Den ganzen Abend hindurch erzählte
der Hausherr Geschichten aus Coblenz und Bonn und von den Ufern des Rheins:
der unglückliche Ochsenhändler mußte immer zuhören.
Er erging sich in die größten Detailschilderungen von Straßen,
Häusern, Zuständen und Leuten, hatte Nichts vergessen, keinen
Namen seiner Gespielen, keinen Apfel, den er gegessen, keinen Platz, wo
er gespielt, keinen Streich, den er begangen hatte. Er beschrieb mit der
größten Lebhaftigkeit dem Ochsenhändler und dem Araber
Ehrenbreitstein, die Karthause, die Stärke der Festung, den stolzen
Rhein, den Lauf der Mosel, den Reichthum der Städte, die Heiterkeit,
die Billigkeit des Landes und seiner Bewohner, die Reihe von Bergen, alle
mit Wein bepflanzt: fortwährend dabei an mich appellirend, der es
nicht über das Herz bringen konnte, seine öfteren Unrichtigkeiten
(seit 1835 bis 1845 mag sich Manches geändert haben!) als solche zu
bezeichnen. In den Herzen des Ochsenhändlers und des Arabers stieg
die Idee eines glücklichen Landes auf, das solche Provinzen besitze,
Preußen schien ihnen ein großes, mächtiges Land, und sein
Abglanz fiel auf mich zurück. – In der Nacht hatte ich ein sehr gutes
Bett, stand am Morgen um 6 Uhr auf, der Araber und der Ochsenhändler
waren schon bei ihren Thieren beschäftigt, wir tranken Kaffee zusammen
und dahin zog der Ochsenhändler, mit einem weißen Burnus wie
ein Araber, nach Bône zu; der Araber in gemessenem Schritte seines
Maulthieres bewegte sich wieder seinem Douar mit Würde entgegen, und
ich pilgerte auf meinen Füßen wieder in meine momentane Heimath.
Schwer trennten sich die Kinder von Waldmann, der so wenig „Ähnlichkeit
mit einem Araberhunde“ hatte, und nachdem sie vergeblich versucht hatten,
den Vater zu bewegen, doch in einen Handel mit mir über den Hund einzutreten.
Randschrift: Der Platz ist schon wieder zu Ende und ich habe doch so
klein und so schlecht geschrieben als nur möglich. Verzeiht dies mir;
ich verfalle zu leicht in diesen Fehler und nehme mir augenblicklich vor,
es das nächste Mal besser zu machen. Die Fortsetzung folgt in dem
Briefe von vor 8 Tagen. Ich hatte den Briefbogen auseinandergerissen, weil
ich glaubte, daß das, was ich hinzufügen wollte, nur den Raum
zweier Octavseiten einnehmen würde. Und nun bin ich noch nicht einmal
mit meiner kleinen 2tägigen Excursion zu Ende gekommen.
Bône am 2ten Februar 1863
Meine sehr geliebte Tante!
Ganz gegen meine frühere Gewohnheit ergreife ich schon wieder
die Feder, um Euch einen Beweis meiner steten Erinnerung an Euch zu geben.
Da ich keinen Augenblick Muße habe, so würde ich sicherlich
heute noch nicht wieder geschrieben haben, wenn mein Gedächtniß
mir nicht sagte, daß Dein Geburtstag in diese Zeit fällt. Verzeihe,
daß ich wieder den Tag* nicht mehr behalten konnte, sondern sei überzeugt,
daß meine Glückwünsche deswegen nicht weniger herzlich
gemeint sind. Entschuldige auch deshalb, wenn ich mich diesmal auf diesen
eigentlichen Zweck des Briefes beschränke, wie gesagt, ich bin außerordentlich
pressirt, da mir die Administration der Brücken- und Wegebauten für
4 Tage ihre Register der gemachten meteorologischen Beobachtungen seit
3 bis 4 Jahren geliehen haben, die ich während dieser Zeit copiren
oder doch gründlich excerpiren soll; eine Arbeit, die für die
genannte Zeit colossal ist und mir kaum die Zeit zu den gewohnten heilsamen
Spaziergängen läßt.
Mögest Du Deinen Geburtstag, liebe Tante, so vergnügt und
heiter feiern, wie Dich das Gefühl des ersten seit Jahren gesund verbrachten
Winters wohl berechtigt; so glücklich, wie Dich an solchen Tagen besonders
die zahlreichen Beweise der Liebe und Dankbarkeit und Verehrung in und
außer der Familie gewöhnlich machen. Ich möchte wohl den
Tag wissen und habe ihn früher schon zur Unterstützung meines
Gedächtnisses aufgeschrieben; doch hat das gar Nichts genützt,
da ich nun den Ort vergessen habe, an dem diese Notiz aufbewahrt ist. Indessen
ist es besser, mein aufrichtiger, herzlicher Wunsch für Dein Wohlergehen
in dankbarer Liebe kommt etwas zu früh, als umgekehrt. – Auch der
Geburtstag von Fräulein Sophie fällt in diese Zeit, und solltet
ihr schreiben, so bitte ich, ihr auf diese Weise meine Gratulationen zukommen
zu lassen.
Eigentlich erwartete ich heute, als am Tage der Post von Frankreich
einen Brief von Coeln, und ich werde mit der Zeit, wie meine Mutter, d.
h. ich denke sofort, wenn ein erwarteter Brief auf sich warten läßt,
daß Krankheit die Ursache des Aufschubes sei. Ich hoffe bestimmt
am nächsten Montage günstige Nachricht von Euch zu erhalten und
betreffs des zoologischen Gartens ebenfalls etwas zu hören.
Was mich anbetrifft, so kann ich nicht gerade klagen; die Witterung
ist prachtvoll, wenn auch bei diesem schönen Winterwetter die Temperatur
Nachts zu tief herunter steigt. So hatten wir heute Morgen 5° und heute
Mittag 12½° R, das macht eine Differenz von 7° und mehr
und erfordert schon Vorsicht. In Folge dessen habe ich mich auch vor einigen
Tagen erkältet und mir einen unbedeutenden Katarrh zugezogen, welcher
noch nicht verschwunden ist.
Ueber die ganze Krankheit bin ich in eine mich sehr interessirende
Correspondenz getreten mit meinem Lehrer, Prof. Niemeyer, in Tübingen.
Derselbe hat schon eine Reihe von Fällen gesammelt, die durch ihre
Abweichung von einer anderen Reihe, und zwar der gewöhnlichen, von
Schwindsuchtfällen den Beweis liefern sollen, daß den Verschiedenheiten
verschiedene Krankheitszustände zum Grunde liegen, daß nur der
einen Reihe die gefürchtete Tuberkulose zur Ursache dient, daß
zwar beide zur Schwindsucht führen können, daß aber die
eine Art (die nicht auf Tuberkulose beruht) in ihren früheren Stadien
gewiß heilbar sei. Dies erklärt auch eine große Reihe
von verschiedenen Beobachtungen, die ich gemacht und die mir viel Kopfbrechens
gemacht haben, und den so sonderbar verschiedenen Verlauf, den bei verschiedenen
Individuen die genannte Lungenkrankheit nimmt. Ich würde zur günstigeren
Art gehören, die durch Clima und verständige Lebensweise zur
dauernden Gesundheit gebracht werden können. Ich hatte, ohne seine
Ideen zu kennen, meine Bedenken über den Krankheitsverlauf ihm mitgetheilt,
und, da er sich gerade mit dieser Frage beschäftigt, so kam ihm dies
äußerst erwünscht, und er hat als Beleg für seine
Ansichten schon öfters meine Briefe in der Klinik vorgelesen.
Von meiner Mutter habe ich heute einen Brief bekommen. Sie hat einen
Fieber-Anfall gehabt und in Folge dessen ein geschwollenes Bein, sonst
geht es Allen gut. Doch ist der Vater meines Schwagers noch immer sehr
weit von seiner Herstellung entfernt.
Adieu, für dies Mal, verehrte Tante! Ich will diesen Brief als
einfachen Gratulationsbrief nicht rechnen und, da/wenn es Euch Vergnügen
macht, von Land und Leute zu hören, in 8 Tagen wieder schreiben. Grüße
den Onkel und versichere ihn meiner Liebe, vergiß der Großmama
nicht meinen Respect zu melden und grüße die ganze Familie in
ihren einzelnen Gliedern herzlich von mir. Empfiehl mich bekannten Familien!
Dein
Gustav.
Welchen Unterschied macht man wohl in Coeln im Handel zwischen Apfelsinen
und Orangen? Ich möchte wohl darüber Etwas hören.
Euer G.
* 19.03.1806
Bône am 10ten Februar 1863
/17.
Meine Lieben!
Meinem Versprechen gemäß,
den Gratulationsbrief nicht rechnen zu wollen und veranlaßt durch
Deinen lieben Brief vom 3ten d. M. will ich die kurze Zeit heute vor Abgang
des Couriers noch benutzen, um Euch einige Zeilen zu senden, wenn ich auch
seit meinem Spaziergange nach der Mefrag weder eine Excursion gemacht noch
überhaupt Etwas erlebt habe, was der Beschreibung würdig wäre.
Ich habe vielmehr sehr energisch in der Bewältigung des meteorologischen
Materials, das ich mir, wie ich glaube geschrieben zu haben, verschafft
hatte, zu thun gehabt und bin froh, daß ich mit all’ den Zahlen fertig
bin, wenigstens für die Stadt Bône. Es handelt sich jetzt darum,
dasselbe noch für andere Städte der Provinz, für Constantine,
die Hauptstadt, und Guelma und Philippville zu erlangen, von denen die
ersteren beiden eine viel höhere Lage haben und als mehr von der See
entfernt zweifelsohne viele Abweichungen von den hiesigen Resultaten bieten
werden, die für die Bestimmung des Klimas in sanitätlicher Hinsicht
nicht unwichtig sind. Es macht alles viel mehr Mühe, als man glaubt,
nicht sowohl die Arbeit selbst, als die Beschaffung des Materials. Man
macht Visiten über Visiten zu diesem Zwecke und stößt meistens
auf solche Gleichgültigkeit in allen wichtigen Dingen, daß man
gleich an der passenden Beihülfe verzweifelt. Die Ingenieure des Brücken-
und Wege-Baues, wie gesagt, scheinen die einzigen Beamten zu sein, die
nicht allein gut unterrichtet sind, sondern, die auch den guten Willen
und die Redlichkeit haben, ihr Amt energisch und pflichtgetreu zu verwalten.
Es ist dies erklärlich, denn man nimmt zu diesen Ingenieuren die besten
Eleven der polytechnischen Schule, welche in den Prüfungen etc. die
ersten Nummern erhalten, die übrigen werden dann Officiere etc. Auch
leisten sie praktisch, wie ich vielleicht schon erwähnt habe, noch
am meisten. Die Straßen sind im Allgemeinen gut und wenn ich bedenke,
wie noch vor 2 Jahrzehnten die Hauptlandstraßen von Magdeburg aussahen,
so muß ich die Chausséen bewundern, die man sofort erbaut,
wo nur immer einige Ansiedlungen sind. Freilich erfordert die leichtere
Verwaltung des Landes, besonders früher, einen regen Telegraphendienst
und gute Militairstraßen und ein Haupttheil der anerkennenswerthen
Zustände beider kommt vielleicht auf diese Nothwendigkeit. Doch sind
sie immerhin da.
Was die Verwaltung des Landes anbetrifft, die Herrschaft über
die Eingeborenen, die Verhandlungen mit ihnen, die Kenntniß ihres
Wohnorts etc., so wird Alles vermittelt durch das „bureau arabe“, welches
ich schon oft erwähnt habe und über das ich endlich noch einige
Erklärungen geben muß. Das Bureau arabe ist eine halb militärische,
halb civile Behörde, ursprünglich und noch vorherrschend ist
das militärische Element. Das Bureau arabe allein kennt die Douars
(Dörfer), die Tribus (Stämme), ihre Seelenzahl, ihre Ortslage,
ihre Gesinnung etc. etc. Das Bureau allein ist das verbindende Element
zwischen den Eingeborenen und den Eroberern. Es ist zusammengesetzt aus
Officieren und einigen civilen Elementen und genießt das relative
Vertrauen der Eingeborenen dadurch, daß es eingeborene Beamte ebenfalls
hat. Durch das Bureau arabe werden die Kaïds und Cheikhs ernannt [von
denen Ihr Euch erinnern werdet, daß die ersteren die Befehlshaber
der Tribus, letztere die von Theilen der Tribus sind, und sich amtlich
durch die Farbe ihres Burnus (scharlach und purpur) unterscheiden], wenn
auch unter Mitwirkung der wählenden Eingeborenen. Doch letzteres macht
keinen Eindruck, da bei der ganzen ursprünglichen aristocratischen
Verfassung der Araber derartige Würden fast erblich sind bei ihnen.
Das Bureau arabe hat also Nichts zu thun, als sich die „Söhne der
großen Zelte“, die Anspruch auf der artige Würden haben, zu
sich zu ziehen, sich zu verpflichten und später dieselben unter Zustimmung
ihrer Tribus und Douars als Kaïds etc. zu installiren. Das Bureau
hat eine außerordentlich große Zahl von Arabern sich zur Dienstvermittlung
attachirt, die meist einigen Einfluß zu Hause haben und wohl vertheilt
aus allen Gegenden des Bezirks des betreffenden Bureau zusammengesucht
werden. Sie heißen Spahis und tragen blaue Burnus zum Unterschiede
von den militärischen Spahis, von denen ich gleich reden werde und
welche rothe Mäntel tragen. Die Araber unterziehen sich gern einem
solchen Dienste, weil sie vor allem etwas kriegerisches Aussehen sehr lieben
und eine gewisse äußere Wichtigkeit. Sie sind außerordentlich
brauchbar für ihren Dienst und ersetzen in vielen Fällen den
Telegraphendienst, da sie mit einer unglaublichen Geschwindigkeit die riesigsten
Entfernungen zurücklegen. Bei seiner Ehrfurcht vor Geschriebenem und
vor Leuten, welche der Kunst des Lesens und Schreibens kundig sind, ruht
ein Spahis nicht eher, verläßt er den hochlehnigen Sattel und
die sonderbar geformten Steigbügel seines Rosses nicht eher, bis die
Besorgung gemacht ist; und man erzählt die abenteuerlichsten Vorkommnisse,
wie ein Spahis weder Löwen noch Panther noch übergetretene, reißende
Flüsse scheute, um an den Ort seiner Bestimmung zu kommen und einen
Brief abzugeben. Man sieht sie nur Galopp reiten und es ist eine interessante
Erscheinung, auf einem stillen Felde einem dahinsprengenden Spahis zu begegnen
mit seinem weit hinflatternden blauen Mantel, schön contrastirend
mit dem weißen Haïk auf seinem Kopfe und seiner weißen
Umhüllung, seine geliebte Mukala (Gewehr) quer vor sich auf der hohen
vorderen Sattellehne liegen. Ihre Beine stecken stets in langen, bis zum
Knie reichenden, rothen Marocain-Stiefeln, die Füße tragen über
diesen noch die gewöhnlichen, weiten Schuhe.
Die rothen Spahis sind militärisch organisirt und bilden wirkliche
einheimische Reiterregimente, die außerordentlich schön aussehen.
Die Eingeborenen lieben allen Prunk, besonders kriegerischer Art, so sehr,
sind solche Freunde des „sprechenden Pulvers“, daß Viele aus diesem
Grunde Dienste nehmen. Es sind lauter vornehmere Leute, welche in diesen
Regimentern dienen, die auch verpflichtet sind, sich selbst zu equipiren
und zu unterhalten. Die ärmeren und gewöhnlicheren Eingeborenen
treten bisweilen, wenn sie ihre Neigung zu Schießgewehren nicht mehr
zügeln können, in Turco-Regimenter, die zwar aus lauter Eingeborenen
bestehen, doch kaum aus Arabern, sondern mehr aus europäischen Abkömmlingen,
aus Mischvölkern, aus Negern und Halbnegern etc. etc.
Die Eingeborenen werden auch Officiere in ihren Spahis-Regimentern,
doch ist das Avancement selten, weil sie selten instruirt genug sind. In
Algier wohnt General Yonfront, welcher ein seltenes Beispiel solchen Avancements
bildet und stets angeführt wird.
Dies ist ein Überblick über die Thätigkeit oder Organisation
des bureau arabe, das der Araber, glücklicherweise für die Franzosen,
noch als seine Behörde reclamirt.– Liegt ihm etwas auf dem Herzen,
bedarf er der Unterstützung und des Rathes, so eilt er zum bureau
arabe, weil die Söhne seiner angesehendsten Familien bei demsselben
angestellt sind. An das bureau arabe oder durch seine Vermittlung bezahlt
er seine Steuern, empfängt er alle Befehle etc. etc. Dem Bureau arabe
endlich gelingt es bisweilen, die Persönlichkeit einzelner Individuen
festzustellen, z. B. vor Gericht. Ein Araber weiß niemals, selbst
der den besseren Classen angehörende nicht, wie alt er ist, sondern
gewöhnlich rechnen die älteren nach den Vorkommnissen während
ihrer Kämpfe mit den Franzosen. Also hier um Bône bildet die
Einnahme von Bône einen passenden Anhaltspunkt. „Die Franzosen waren
noch nicht in Bône, oder als die Franzosen nach Bône kamen,
wurde ich geboren oder war ich so oder so groß“ etc. etc. Eben so
wenig verständlich geben sie auf Befragen ihren Wohnort an: „O dahinten
(nach der Richtung deutend) Ak“! „Weit“ u.s.w. u.s.w. Dann wird das bureau
arabe in Thätigkeit gesetzt, recherchirt den Namen des Stammes, sucht
ihren Douar etc. etc.
Ich schließe diese Uebersicht, um noch einmal auf den zoologischen
Garten zurückzukommen. Voraussichtlich wird die Antwort einlaufen,
wenn die Zeit, sich in den Besitz von Thieren zu setzen, vorüber ist.
Wenn es nicht aus Interesse für Cöln wäre, würde ich
mich darum nicht mehr kümmern. Ich kann mir ihre Bedenklichkeiten
wohl ausmalen. Sie überlegen also: „Ja, kaut noch der Dr. N. genug
daran, um nicht fortwährend Täuschungen, Betrügereien etc.
ausgesetzt zu sein. Ferner: „Wenn die Thiere auf dem Transport sterben,
wen sollen wir dafür verantwortlich machen?“ u. dergl. mehr u. dergl.
mehr. Auf diese Weise werden sie auch anderswo mancherlei Gelegenheiten
verabsäumen. Ich habe mich in den Besitz einer Tigerkatze gesetzt,
eines sehr schönen Exemplars, dessen Erhaltung mir, da ich den Vorsteher
des Schlachthauses kenne und ihm ärztlichen Rath ertheilt habe, sehr
erleichtert ist. Dies muß ihnen, damit sie nur Muth bekommen, als
Geschenk offerirt werden. Aber, wie gesagt, die Antwort, die wohlüberlegte,
wird noch einlaufen, wenn es zu spät ist. Wenn sie nur einen Menschen
in Marseille haben, der ihnen schon öfters Sendungen gemacht hat,
dann ist es ja kinderleicht, von hier zu schicken.
Mache Dir nicht zu viel Mühe damit, lieber Onkel. Wenn sie nicht
wollen, lassen sie es bleiben zu ihrem eigenen Schaden. Ebenso ist es mit
meinen in Deutschland eingezogenen Nachrichten über Blutegel. Diese
sind hier gut und billig und ich kenne die Art und Weise ihres Transportes.
Wahrscheinlich sind noch vortheilhafte Geschäfte in diesem Artikel
zu machen. Doch glaubst Du, daß ich eine Antwort erlangen kann oder
nur erfahren kann, wer Großhändler in Blutegeln ist?
Was mein Geldbedürfniß betrifft, so sind meine Fonds allerdings
erschöpft und ich werde Ende des Monats die laufenden Mieths- und
Tischrechnungen nicht bezahlen können. Wohnung, Tisch, Kaffee, Stiefelputzer,
Wäscherin, Ausbesserung von Schuhen und Kleidern macht monatlich ca.
50 Thaler. 175 habe ich hierher mitgebracht und, obgleich ich wenig extraordinäre
Ausgaben habe, so ist der Überschuß in 3 - 4 Monaten leicht
erschöpft. – Einige 100 Frcs. in Wechseln auf Marseille würden
demgemäß wohl am Platze sein, da Du so gütig warest, es
anzubieten. Wahrscheinlich wird mir meine Mutter durch den Bruder meines
Schwagers ebenfalls schicken, doch weiß ich weder wie viel, noch
wann.
Die günstigen Nachrichten über die ganze Familie haben mich
mit lebhafter Freude erfüllt. Grüßt sie alle herzlich von
mir und seid meiner Anhänglichkeit gewiß. Es ist doch schön,
daß Du liebe Tante, so lange nun schon von Deinem Uebel befreit gewesen
bist? Nimmst Du bisweilen noch Pillen? Empfehlt mich der Großmutter,
wenn ich bitten darf, grüßt die Uebrigen und die Kinder von
Eurem
Gustav.
Randschrift: Den Brief vom 12. Januar habe ich nicht erwähnt,
weil ich ihn in der That nicht erhalten habe. Ich glaubte erst, ich könnte
mich täuschen, doch ich finde die früheren Brief alle und pflege
doch die letzteren am allerwenigsten zu zerstören.
Mein dummer Katarrh will gar nicht wieder weichen und ist ein Zeichen,
daß der Feind immer nur schlummert, nicht getödtet ist. Gleichwohl
ist er doch jetzt ziemlich gefesselt gewesen und im Uebrigen befinde ich
mich wohl.
Bône am 24sten Februar 1863
/16 März
Mein lieber Onkel, meine geliebte Tante!
Soviel mir der bald abgehende Curier und die Unregelmäßigkeit,
welche diesmal in der ganzen Expedition herrscht durch einen 2tägigen
Sturm, erlauben wird, will ich noch schreiben und wäre es auch nur,
um Euch meinen herzlichen, tiefen Dank für den klingenden Beweis Eurer
fortwährenden Liebe zu sagen. Ich habe den Wechsel richtig empfangen,
obgleich es vorgestern nicht unwahrscheinlich war, daß ihn das ...
Meer verschlingen würde. Es cirkulirten schon bedenkliche Gerüchte
über verschiedene Schiffe, bis gestern doch die glückliche Ankunft
des französischen gemeldet wurde.
Es ist doch wirklich ärgerlich, daß es mir jedesmal mit
den Geburtstagen in Coeln so geht. Ich habe es nun schon vielleicht zum
4ten 5ten Male aufgeschrieben und will hoffen, daß ich nicht im nächsten
Jahre, wenn die Zeit herankommen wird, vergessen habe, wo ich die Notiz
gemacht habe. Letzteres hat bis jetzt meine Gratulationsbemühungen
immer zu Schanden gemacht. Nun jedenfalls wird wenigstens das Gedächtnis
bis zum Geburtstage der Großmama hinreichen. Der meinige war in der
That gestern und ich bin glücklich, Eure liebevollen Wünsche
dazu empfangen zu haben. Nicht minder erfreut war ich über den letzten
Brief, den der gelehrte Herr Doctor so reichlich beschwert hatte. Es ist
eigentlich spaßhaft, sein Brief, wie ihr gesehen haben werdet, beginnt
in Eifer mit einem Apparate über die Analyse durch das Licht etc.
etc. Im Uebrigen bin ich erfreut über die wohlwollende Aufnahme, die
sie meinem Anerbieten haben zu Theil werden lassen. Der Transport ist in
der That leichter, als der Dr. Bodinus denkt, da man ja nicht nöthig
hat, die Thiere nach Algier zu bringen, wie der College zu meinen scheint
nach seiner Anfrage, ob Eisenbahn von Bône nach Algier bestehe. Letztere
wird es freilich wohl noch lange nicht geben, direct wegen der Gebirge
wohl überhaupt kaum. Die einzige Eisenbahn, welche in Algérien
existirt, ist die von Algier nach Blidah, höchstens 5 Meilen lang.
Doch dies in Paranthese.
Es gehen oft genug direct Dampfboote nach Marseille, welche kaum länger
Zeit brauchen als die Passagierboote; also in längstens 3 Tagen sind
die Thiere drüben im zoologischen Garten von Marseille, wo sie gefüttert
und weiter besorgt werden. Es ist mir unangenehm, daß ich, trotz
meiner Vorsicht, durch die günstige Gelegenheit mich verleiten ließ,
die beiden Tigerkatzen zu erzielen. Doch ist es ohne Geldopfer, wenn nur
eine davon verkauft wird und eine wird ja nach dem Briefe des Dr. Bodinus
benöthigt. Jetzt werde ich mich natürlich ganz strict an die
Wünsche der Herren halten. Die meisten Thiere, welche Herr Dr. Garthe
bezeichnet hat, wohnen in der That viel südlicher, auch die Antilopen;
doch werde ich letztere, glaube ich, bekommen können und zwar zu civilen
Preisen. Ein Paar wird keine 50 Thaler kosten. Das Böse ist der Landtransport.
Der Director des hiesigen Acclimatisationsgartens wird das Weitere mir
belehrend sagen. Den gewünschten Affen weiß ich ebenfalls zu
finden und einige Amphibien ebenfalls, die ich selbst der Sicherheit wegen
mitbringen kann. Ueber die größeren Sumpfvögel und den
Bartgeier bin ich noch unklar, Ich weiß noch nicht, wie man ihrer
habhaft werden kann.
Die Bedenken, die die Herren ausgesprochen haben, was Preise und Risico
betrifft, finde ich natürlich und habe sie mir selbst vorher gemacht.
Mit meiner Gesundheit bin ich nicht ganz zufrieden, lange nicht so,
als vor 4 Wochen; indessen solche kleinen scheinbaren Rückschritte
können wohl vorkommen und brauchen Einen nicht zu ängstigen.
Etwas trägt wohl das Wetter, das in der letzten Zeit nicht besonders
günstig war, so daß ich eigentlich schon an große Kälte
in Europa, besonders bei der Herrschaft des Nordwindes hier, glaubte, mit
die Schuld. Und mehr und mehr lerne ich den bösen Einfluß von
veränderten Gemüthsstimmungen schätzen, denen ich früher
nicht genug Einwirkung zugetraut habe.
Daß es Euch Allen sonst wohl geht, freut mich von ganzem Herzen.
Wenn die Zeit da sein wird, werde ich die heißesten Wünsche
für Dein Wohlergehen, liebe Tante, wiederholen. – Die Erwähnungen
der Vorkommnisse in Coeln, des Ergehens der bekannten Familien interessiren
mich außerordentlich. Von Thermars habe ich kaum eine andere Nachricht
erwartet. Der „geheime Hofrath“ belustigt mich ungemein; der Carneval erweckt
muntere Erinnerungen. Ich bitte mich denjenigen Familien, die sich meiner
freundlich erinnern, ja empfehlen zu wollen und sie meiner aufrichtigen
Anhänglichkeit zu versichern.
Da Du, lieber Onkel, diesmal keine politischen Nachrichten mittheilst,
so vermuthe ich, daß Nichts von besonderem Interesse passirt ist,
besonders da auch meine Schwester, die mich zu meinem Geburtstage mit einem
Briefe erfreute, Nichts der Art erwähnt. Leider sind sie in Uchtenhagen
nicht ganz wohl. Meine arme Mutter liegt schon lange im Bette, weil sie
ihr geschwollenes Bein nicht hinlänglich brauchen kann, und Marie
wird von einem hartnäckigen Katarrh gequält.
Hoffentlich wird der milde Winter, dessen ihr genießt, dazu beitragen,
die Gesunden in ihrem Wohlsein zu erhalten und die Kranken dieses kostbaren
Gutes theilhaftig zu machen.
Du bewunderst mit Recht, lieber Onkel, die Vortrefflichkeit und Weisheit,
von der die Institution des bureau arabe zeugt. Leider muß ich aber
gestehen, daß sich darin die ganze Staatsweisheit erschöpft
zu haben scheint und daß diese Einrichtung auch nicht einmal immer
das leistet, was es soll und will. Trotz seines Bestehens kommen genug
Verletzungen und Beeinträchtigungen der Araber vor und sind früher
noch unendlich viel mehr vorgekommen. Das Bureau arabe, selbst wenn es
sich stets wirklich als väterlichen Vormund und als Beschützer
der Araber fühlte und gerirte, wird natürlich befehligt und beeinflußt
vom Militaircommando und in seiner Wirksamkeit ohne Zweifel sehr beeinträchtigt
durch die Civil-Verwaltung ebenfalls. Das System zweier Verwaltungsbehörden
hat überhaupt viel Unklarheit und Wirr-warr in die ganze Frage gebracht.
An manchen Orten ist die Militärbehörde die oberste Verwalterin
und Regiererin, an anderen wieder die Civil-Behörde, ja, an manchen
collidiren sie sehr unangenehm, weil die Grenzen ihrer Districte unendlich
vielfache sind und oft schwer genau zu präcisiren.
Doch die Hauptfrage, der Knotenpunkt für die ganze algerische
Lage, ist die Regelung des Besitzthums. Wie ich schon früher auseinandergesetzt
habe, erhalten die Europäer sogenannte Concessionen, d.h. sie verpflichten
sich, eine bestimmte Fläche in einen durch Gesetz bestimmten Culturzustand
zu versetzen und haben dazu den Nießbrauch dieser Fläche. Sie
werden durch die Regierung in ihrer Cultivirung beaufsichtigt und durch
Rathschläge unterstützt, zu welchem Zwecke die Colonisationsinspectoren
da sind.
In welcher Weise diese Concessionen als Speculation benutzt werden,
habe ich schon erwähnt; wie man scheinbar den Verpflichtungen nachkommt
und wie leicht es ist, sie zu umgehen; welcher Art Menschen zum Theile
die Inspectoren sind; wie man das auf diese Weise, zum Theil wenigstens,
entrissene Land wieder an die Araber verpachtet und sie dadurch in den
ursprünglichen Zustand der Culturlosigkeit setzt: Alles dies habe
ich schon öfters beschrieben und werde noch öfter darauf zurückkommen.
Eigenthümer von Land zu werden, ist für den kleineren Colonen,
der nur mit beschränkten Mitteln herkommt, nicht leicht, weil man
das Land nicht billig genug verkauft, sondern lieber das Geld der Concessionen
einzieht und das Land behält. Er bekommt eine Concession, und wie
schwer, den Großen gegenüber! In der Geschichte der Colonieen
steht der Beweis deutlich geschrieben, daß eine uncultivirte Colonie
nur dadurch prosperiren kann, daß arbeitsfähigen Europäern
das Land um einen Spottpreis verkauft werde. Das ganze hiesige System hat
sich ja seit lange gerichtet. Die Entwicklung der reichen fruchtbaren Länder
geht mit außerordentlicher Langsamkeit voran. Die Einwanderung nimmt
in nur kläglichen Ziffern zu und die Leute befinden sich nicht einmal
im Wohlstand.
Es ist aber im Ganzen nicht leicht, die Sache zu regeln, wenigstens
nicht diejenige Seite, welche die Araber angeht. Die nomadisirenden Araber
haben niemals persönliches Eigenthum gehabt, sondern jeder Tribus
hatte ein gewisses Territorium, was er durchwanderte, hier weidend, hier
beackernd, das aber nicht dem Einzelnen, sondern dem Staate, dem Gemeinwesen
gehörte oder unter der Türken-Herrschaft den Staatsoberhäuptern
oder Chefs. Jedes Jahr theilt der Kaïd noch heutzutage die von dem
Einzelnen zu beackernden Ländereien aus. Der Einzelne hat die Nutznießung,
aber nicht die freie Verfügung, nicht wirkliches Besitzthum. Die ganze
Kunst würde darin bestehen, diese Nomaden zu Leuten zu machen, die
sich an feste Wohnsitze gewöhnen, wie die Kabylen, ob dies jemals
gelingen wird? Schon bis jetzt sind häufig Araber nach Tunis, wo die
ursprünglichen Verhältnisse bestehen, gewandert. Viele haben
sich nach der Wüste zurückgezogen; denn der Araber liebt die
freie Beweglichkeit, sein ungebundenes Leben über Alles. Der General
Daumas, der am längsten und besten arabisches Leben studirt hat, führt
in dieser Beziehung sogar an, daß er glaube, die Araber sträubten
sich, unsere europäischen Werkzeuge des Ackerbaus, deren Vorzüge
sie wohl erkennten, bei sich einzuführen, nur, weil sie zu plump,
zu groß, ihre Beweglichkeit hindern und schlecht durch ihre engen
Wege zu transportiren sein würden. Jetzt nun hat der Kaiser einen
Brief an den Herzog von Malakoff, General-Gouverneur von Algérien,
erlassen, um diese Frage, über der seit Jahren conseil d’etat, Senat
und besondere Commissionen schwitzen, etwas zu fördern, in dem er
seine Intention ausspricht, den Arabern Alles als Eigenthum zu geben, was
sie irgend, unter welchem Rechtstitel es nur immer sei, besessen hatten.
Allgemeine Bestürzung ist auf diesen Ausspruch erfolgt. Jeder hier
hat Angst, sein Eigenthum zu verlieren oder das gehoffte nicht zu erlangen.
Jeder legt den Brief in seiner Weise aus: Der Eine glaubt, man wolle ihm
seine Concession, die ursprünglich vielleicht von Arabern bewohnt
war, wieder nehmen; der Andere meint, die Araber sollten Alles Ackerland
in Algérien haben und also privilegirte Ackerbauern sein, während
für die Franzosen Handel und Industrie blieben: im Allgemeinen ist
man unzufrieden, sich die endlichen Zinsen eines nicht immer angenehmen
Aufenthalts hierselbst in so weite Ferne gerückt zu sehen. In Oran
soll es förmlich unruhig sein. Ueberall wählt man Deputirte nach
Paris, um die prompte Ausführung solcher Ansichten zu verhindern,
die übrigens immer noch von der Meinung der Commission abhängt.
Ich freue mich dabei aber, daß der Krebsschaden der Concessionen
ausgeschnitten werden wird. –
Die Zeit ist verronnen, der Courier will in einer Viertelstunde fort,
ich schließe also mit meinem wiederholten Danke und der Bitte um
Eure fernere Liebe und freundlichen Grüßen an alle Familienmitglieder
und Bekannte.
Adieu!
Euer dankbarer Gustav
Bône am 10ten Maerz 1863
Meine Lieben!
Gewohntermaßen erlaube ich mir Euch Nachrichten von mir zu geben,
wenn ich auch keine besondere Veranlassung dazu habe und nicht gerade besonders
neue Sachen von Interesse mitzutheilen habe. Das allgemeine Interesse wird
hier zu sehr absorbirt von den polnischen Ereignissen und der ganzen politischen
Lage; erst in zweiter Linie kommt die Lebensfrage für Algérien,
das arabische Königreich, das der Kaiser in Algérien sehen
möchte und das reiche Besitzthum, das er den Eingeborenen sichern
will.
Die Franzosen sind im Allgemeinen etwas abgekühlt, da sich ihre
Aussicht an den Rhein ziehen zu dürfen, durch die Haltung Englands
und Oesterreichs etwas hinausschiebt. Doch bleiben die Sympathien für
die polnische Insurrection noch sehr lebhaft und die Mißachtung Preußens
wegen der Haltung seiner Regierung in dieser Frage hat nicht im Geringsten
abgenommen. Zweifels ohne würde eine Occupation des linken Rheinufers
einen populäreren Feldzug abgeben als die mexicanische Unternehmung,
deren Kosten immer höher anschwellen, deren Resultate immer zweifelhafter
werden, deren Ende in immer weitere Ferne rückt und welche eine immer
allgemeiner werdende Unzufriedenheit und Mißbilligung hervorruft.
Die wörtliche Ausführung der im kaiserlichen Briefe ausgesprochenen
Projecte halte ich für unmöglich, sie würde jeder Entwicklung
Algériens den Lebensfaden abschneiden. Wer die patriarchalische
Verfassung der Araber kennt, weiß, daß ein wirkliches „arabisches
Königreich“ (als was der Kaiser Algérien betrachtet wissen
will) unmöglich ist und unvereinbar mit aller Civilisation und allen
Fortschritten derselben; wer weiß, welch’ Nomadenleben sie führen
und daß sie keinen persönlichen Grundbesitz haben, kann unmöglich
verkennen, daß dies ein Haupthinderniß der Ausbeutung des Bodenreichthums
darstellt, als dessen anderer Factor endlich die gänzliche Indolenz,
die unbeschreibliche Sorglosigkeit und Faulheit, wenn diese auch zum Theil
aus den patriarchalisch-feudalen Institutionen resultiren, mitwirkt. Es
ärgert mich sehr, zu bemerken, daß sich an die Spitze dieser
im Ganzen berechtigten Bewegung (wenn auch bei vielen nur persönliche
Habsucht vorliegt), die Geistlichkeit stellt, die der Bischof von Algier
durch einen energischen Hirtenbrief zu außergewöhnlicher Thätigkeit
angespornt hat. Der Herzog von Malakoff (Marschall Pélifier) ist
wieder in dieser Angelegenheit in Paris citirt und gleichermaßen
sind die zahlreichen Deputationen und Adressen aus allen Provinzen dorthin
unterwegs. Die Araber aber wittern oder wissen jetzt, daß Etwas zu
ihren Gunsten im Werke ist; die Chefs haben den Blick freier und tragen
den Kopf höher.
Jetzt ist übrigens hier diese Fastenzeit, deren Anfang diesmal
mit dem der christlichen zusammenfiel. Sie dauert einen Monat, der Rhamadan
heißt und dessen strenge Innehaltung ein Haupterforderniß für
den gläubigen Muselmann bildet. Er ist verpflichtet, Morgens von Tagesanbruch,
d. h. von dem Augenblicke an, wo man einen weißen Faden von einem
schwarzen unterscheiden kann, zu fasten, bis Abends der letzte Sonnenstrahl
hinter den Bergen verschwunden ist, ein Moment, der von Marabouts, welche
auf dem Thurme der Moschee Wache halten, durch Aufhissen einer Fahne der
Besatzung der Kasbah angezeigt wird. Von ihr donnert dann ein Kanonenschuß
und verkündet der Menge der Gläubigen die Erlaubniß, zu
essen, zu trinken, zu rauchen. Auf dem Platze erwartet man in Menge diesen
Augenblick, den die fröhliche muselmännische Jugend (obgleich
sie bis zum 14ten bis 16ten Jahre noch keinen Rhamadan hält) mit lautem
Jubel begrüßt. Die bereit gehaltenen Cigaretten und Pfeifen
werden in Brand gesteckt und von den arabischen Cafés wird der geliebte
Trank von Mokka herumgereicht. Habe ich schon erwähnt, daß dieser
von Kaffee, aromatischen andern Vegetabilien und Zucker (alles in pulverisirtem
Zustande) zusammen gehörig gekocht wird und dann mit dem Satze genossen?
Er schmeckt sehr angenehm und außerordentlich süß. Während
dieses ganzen Fastenmonats wird auch strenge nicht gearbeitet, ein Verbot,
das jedenfalls ihrer angeborenen Faulheit außerordentlich zusagt.
Am Tage wird vielfach geschlafen, weil man die ganze Nacht aufbleibt, und
wenn auch nicht zu unmäßigen Gastmählern und Gelagen (die
ein unbestrittenes Recht der Christenheit bleiben), so doch zu würdigen
Plaudereien, zu stillem Rauchen und zum Kaffeetrinken.
In der That, niemals sieht man einen trunkenen Araber, er müßte
denn als Soldat bei den Turko’s gestanden haben oder sonst in eine allzu
häufige Berührung mit Europäern gekommen sein.
Weniger eifrig sind sie, fürchte ich, in der präcisen Befolgung
der meisten Vorschriften des Propheten in Bezug auf die häufigen Abwaschungen,
die sie vorzunehmen haben. Mit bewunderungswürdiger Sorgfalt und Weisheit
giebt er genau an, wie oft sie über das Gesicht zu fahren haben, wie
sorgfältig sie die Winkel der Augen und die Ohren zu reinigen und
wie sie Wasser durch die Nase zu ziehen und endlich die Zwischenräume
zwischen den Zehen zu säubern haben. Wenn dies vielleicht auch oft
etwas oberflächlich geschieht, so reicht es doch hin, sie vor dem
Schmutz zu bewahren, in den sie bei ihrer Gleichgültigkeit und ihrer
Gewohnheit, nacktfüßig zu gehen, unrettbar verfallen würden.
Ihre Hände, selbst wenn die Inhaber den unteren Klassen angehören,
sind immer noch sauberer und sorgfältiger gehalten, als man sie bei
unseren niederen Gesellschaftsklassen findet. Nur um die Aufmerksamkeit
auf diese Organe zu lenken, empfiehlt wahrscheinlich der Prophet, die Nägel
mit Henna‚ gelb zu färben (was wirklich nicht übel aussieht)
und die Augenbrauen und Augenlidränder mit Koheul (Schwefel-Spießglanz)
zu schwärzen, was zu gleicher Zeit etwas vor den sonst so häufigen
Augenentzündungen bewahrt. – Letztere sind durch Staub, grelles Licht,
Nachlässigkeit in den Häusern bedauernswert häufig und so
Unglückliche, wie der Onkel Julius, sieht man täglich zu Dutzenden
und meist bis zu gänzlicher Blindheit gekommen. Noch viel mehr zwar
verlieren ihr Augenlicht durch die Syphilis, eine Krankheit, welche um
so zügelloser unter den Arabern wüthet, als sie nicht häufig
einen Arzt fragen, sondern mehr auf Amulette und Talismane halten. Sie
ist es auch, welche einen großen Theil der neugeborenen Kinder im
zarten Alter wieder hinrafft. Für die Verbreitung der Krankheit sorgt
der bekannte Hang zur Liederlichkeit der Araber.
–––––
Mit tiefer Betrübniß habe ich gestern von meiner Schwester
die Nachricht erhalten, daß meine Mutter immer noch im Bette zu liegen
genöthigt ist, also schon seit ca 4 Wochen, da die schmerzhafte Geschwulst
der Kniegegend, die nach einem Wechselfieberanfall sich eingestellt hatte,
noch immer fortbesteht. Das lange Krankenlager hat sie sehr geschwächt,
und da Marie selbst noch an einem Lungenkatarrh leidet, so ist die Sache
doppelt bedauerlich. Wenn nur Nichts Bedenkliches an der Sache ist, will
ich schon zufrieden sein; ich erwarte in dieser Beziehung Nachricht vom
behandelnden Arzte.
Der Schwiegervater Marien’s scheint wieder, wenn nicht hergestellt,
so doch in der Besserung begriffen zu sein und die Uebrigen Glieder der
Familie scheinen ja ebenfalls sich einer leidlichen Gesundheit zu erfreuen.
Ich will von ganzem Herzen hoffen, daß die nächste Nachricht
von Euch ebenfalls eine günstige sein möge.
Was mich selbst betrifft, so bin ich ebenfalls mit der günstigeren
Witterung, welche wieder eintrat, wieder zufriedener geworden und hoffe
bald den erreichten günstigen Standpunkt wieder zu erlangen.
Soeben habe ich einen Besuch erhalten von Jemand, den ich, da es sich
um eine Erkrankung handelte, unmöglich zurückweisen konnte; ich
bin, lange aufgehalten, genöthigt zu schließen, um die Post
nicht zu versäumen. Ich bitte tausend mal um Entschuldigung und schließe
mit dem herzlichen Wunsche Eures allseitigen Wohlergehens und der Bitte
alle Verwandten herzlich zu grüßen und allen Bekannten mich
empfehlen zu wollen.
Euer Gustav.
Bône am 23. Maerz 1863
/14 April
Meine Theuren!
Die Witterung ist hier in den letzten Wochen derartig gewesen, daß
ich nicht weiß, ob Euch mein jetziger Brief pünktlich erreichen
wird. Es hat seit Wochen mit kurzen Unterbrechungen fortdauernd geregnet:
die Wege sind augenblicklich unbrauchbar für Diligencen; die Gräben
sind zu großen Flüssen, diese zu reißenden Strömen
geworden, und wo sonst Ebenen waren, sieht man nur noch Sümpfe und
Seeen. Der Fluß, welcher sich hier ins Meer ergießt, die Seybouse,
nicht ganz so groß, als die Mosel, hat in dieser Zeit ihre Mündung
um mehr als das Doppelte verbreitert, und das Sandufer des Meeres, welches
in der Gegend ihrer Mündung befindlich ist, kennt man nicht wieder.
Es ist nur gut, daß 3tägiger Sonnenschein alle Erscheinungen
dieser Art verschwinden macht. Das angesammelte Wasser hält sich in
den Bergen, um von dort aus einen Theil des Sommers die Ebenen mit Wasser
zu versorgen; doch auf den Ebenen wird es aufgesogen oder verdunstet und
nach 8 Tagen ziert sie die üppigste Vegetation. Doch augenblicklich
ist es unangenehm, da man nur selten ausgehen kann und es immerhin ziemlich
kalt bei dem Mangel an Sonne wird. Das Meer hat sich daran betheiligt,
denn der Courier von Frankreich ist über eine Woche auf dem Meere
herumgeschleudert und erst gestern hier angelangt, während er schon
vor 8 Tagen hätte ankommen müssen. Seit länger als 20 Jahren
ist dies nicht passirt. Man verspricht sich eine sehr gute Erndte in Folge
dieses reichlichen Regens, der absolut nöthig ist, da es fast 6 Monate
oft keinen Tropfen regnet.
Man hat die Post von Europa natürlich mit Ungeduld erwartet, sowohl
wegen der polnischen, als wegen der algerischen Frage. Erstere spielt noch
immer eine große Rolle im Interesse der Franzosen und Adressen aus
vielen Theilen des Landes gehen an Kaiser und Deputirte, um die Theilnahme
und das Interesse der Bürger auszudrücken. Jener wird sich gewiß
ärgern, daß das verhängnisvolle Mexico ihn hindert, thätigen
Antheil zu nehmen und sich und sein Land zu befestigen, während er
so von Tage zu Tage an Popularität verliert. Die schlechten Finanzen
von Mexico rütteln mit aller Gewalt an seinem Throne und während
die Presse in den Banden der „discretionären Gewalt“ schweigt, sprechen
sich allmählich alle Theile der Bevölkerung im freien Gespräch
rückhaltlos aus. Man beginnt das Andenken der Orléans aus dem
Grabe hervorzuholen und selbst das Heer, das ihn erhoben hat, zählt
nicht besonders viele Verehrer. Beim Charakter der Franzosen können
einige fördernde Elemente mehr machen, als bei uns die zwingendsten
Ereignisse.
Besetzung des linken Rheinufers, Befreiung der Polen, Krieg mit Preußen
hätte die Sympathien der ganzen Bevölkerung gewonnen: doch so
Menschen und Geld in der Ferne ohne Erfolg verschlingen zu sehen, ist den
Franzosen zu viel.
In der algerischen Frage hat man sich zunächst mit der Organisation
der Araber beschäftigt und ziemlich entsprechend den Intentionen des
Kaisers im Senate sich ausgesprochen. In der Nähe der Städte
soll persönlicher Grundbesitz eingeführt werden, doch weiter
südlich sollen die Tribus ihre ungeheuren Landstrecken behalten und
zwar als Eigenthum der Tribus, die gegeneinander abgegrenzt werden. Es
wird dies, vermuthe ich, zur Folge haben, daß die Araber in der Nähe
der Städte ihr Eigenthum in Geld verwandeln und weiter südlich
ziehen, wo es Land und Freiheit genug giebt. Allerdings wird so Platz für
die Europäer, die vielleicht billig Land kaufen werden, doch den Intentionen
der kaiserlichen Humanität eigentlich nicht entsprochen.
Mein Leben geht übrigens mit großer Einförmigkeit hin,
zumal zur Zeit des schlechten Wetters. Meine Gesellschaft beschränkt
sich auf die früher erwähnten Herren. Doch habe ich dazu die
Bekanntschaft des hier angesehensten Arztes gemacht, der mir sehr freundlich
entgegengekommen ist. Er ist schon seit 1830 hier in Bône, mit sehr
kurzen Unterbrechungen, die seine militärische Laufbahn (er war Militärarzt
früher) veranlaßten. Als er als médecin en chef des Hospitals
zu Lyon commandirt wurde, nahm er seinen Abschied, weil er sich nicht von
seinem geliebten Afrika trennen wollte. Auch seine Frau hängt sehr
an ihrem Aufenthalte. Er ist hier der Arzt des Civil-Hospitals und besitzt
etwas Grundeigenthum in der Nähe von Bône; zugleich ist er der
beschäftigteste Arzt. Doch ist er kürzlich der Eigenthümer
heißer Quellen geworden, welche schon bei den Römern als „aquae
Tibilitenae“ eines großen Ansehens und einer großen Frequenz
sich erfreuten. Es besteht jetzt dort eine Anstalt für Militairs;
die besuchenden Civilisten, Engländer und Franzosen, müssen sich,
wenn die wenigen ihnen eingeräumten Betten besetzt sind, in kleinen
improvisirten Hütten behelfen. Demnächst wird Moreau (so heißt
der Dr.) ein großes Hotel erbauen und ich glaube gewiß, daß
er mit der Zeit glänzenden Erfolg haben wird. Der Besitzer der Quellen
von Vichy besichtigte sie kürzlich und äußerte sich dahin,
daß die Bäder nicht Hunderttausende, sondern Millionen werth
wären, auf dem europäischen Continente. Sie übertreffen
an Reichlichkeit des gelieferten Wassers, an Dampf in Folge dessen und
an Höhe der Temperatur alle bisher bekannten Bäder. Auch ihre
chemische Zusammensetzung hat große Vorzüge für viele Krankheiten
vor den europäischen heißen Quellen. Es sind die Bäder
von Hammam-Meskoutine („verzauberte Bäder“), die etwa 10 Meilen von
hier gelegen sind. Sie stehen in großem Ansehen auch bei den Eingeborenen,
die in ihrer phantastischen Auffassung sonderbare Legenden über ihre
Entstehung erzählen. So z. B. erzählen sie mit reicher Ausschmückung,
wie Salomon auf der ganzen Erde Bäder eingerichtet und daß er
die Gegend von Hammam-Meskoutine ebenfalls dazu gewählt habe. Die
Pflege und Bewachung habe er Genien anvertraut, welche blind und taubstumm
gewesen seien, damit dieselben nicht wiedererzählen könnten,
was dort geschähe. Als Salomon starb, ohne seine Diener ihrer Verpflichtung
zu entbinden, so konnte von den anderen Sterblichen Niemand sich ihnen
verständlich machen, und die Armen sitzen nun da und kochen fortwährend
Badewasser für den Salomo, der niemals kommt. Die jetzigen Erfahrungen
über die Quellen, die ich nach ihrem Werthe geprüft habe, sprechen
für eine außergewöhnliche Heilkraft und wenn die Communication
noch etwas erleichtert ist, werden sie bald reichen europäischen Zuspruch
haben.
Eine weitläufigere Beschreibung behalte ich mir noch vor, sobald
ich sie genauer kenne, denn ich möchte sie selber gerne gebrauchen,
wenigstens zur Einathmung heißer Dämpfe.
Der Fastenmonat der Gläubigen ist vor einigen Tagen zu Ende gegangen.
Eine Reihe von Kanonenschüssen verkündete den sehnlich erwarteten
Schluß der Enthaltsamkeit und dem ernsten Rhamadan-Ausdruck machte
eine festliche Stimmung Platz. Mehrere Tage haben sie gefeiert, das heißt,
sie sind in ihren besten Kleidern in gewohnter Würde umhergewandelt
und haben eine entsetzliche Menge Kuchen gebacken.
Die Knaben und Mädchen nahmen sich in ihren glänzenden Kleidern
wirklich allerliebst aus. Jene tragen eine rothe Cherhia (fezartige Kopfbedeckung)
mit Goldstickerei und goldener Quaste, Jäckchen von Sammt, Seide oder
Wolle in roth oder schwarz oder gelb oder Isabellenfarben ebenfalls mit
reicher Goldstickerei. Die Schühchen sind von rothem, gelben etc.
Maroquin, die ebenfalls geschmackvoll gestickt sind. Die Hände und
Füße sind einige Zoll weiter hinauf, als gewöhnlich, mit
Henna‚ gelb gefärbt und die Nägel mit besonderer Sorgfalt gepflegt.
Die Mädchen und Frauen tragen seidene farbige Gewänder (gelb
besonders), einen feinen, spinnwebartigen Überwurf von dünner,
durchsichtiger (Flor-)Seide (Haïk), der vom Kopf, den er einhüllt,
bis zum Gürtel geht und haben die Finger ebenfalls mit Henna‚ die
Augenbrauen mit Koheul (Schwefel-Spiesglanz) schwarz gefärbt und duften
reichlich von Parfumerien aller Art. Man sieht sie natürlich wenig,
wie stets, doch etwas mehr, als gewöhnlich, da sie am Schluß
des Rhamadan auf den Kirchhof wallen, um die Gräber ihrer Angehörigen
zu besuchen und zu schmücken. Die Männer, innig bedauernd, daß
sie ihrem gewöhnlichen Hange zu öffentlichen Schaustellungen
mit Geräusch wegen des schlechten Wetters nicht folgen können,
zeigen sich wenigstens öffentlich so viel als möglich. Bei besserer
Witterung wird eine ordentliche sogenannte „Fantasia“ veranstaltet, d.
h. Jeder, der ein ordentliches Pferd besitzt, schmückt es mit den
buntesten Decken und dem sauberst geflickten Sattelzeug, ziert sich selbst
mit den besten Kleidern und kostbaren Waffen und dann werden auf öffentlichem
Platze Wettrennen, Geschrei, blinde Schüsse so viel als möglich
losgelassen. Die Begrüßungen, welche immer sehr höflich
und unterwürfig gegen Höherstehende und sehr zärtlich gegen
Gleichgestellte gemacht werden, nehmen an Häufigkeit und Wärme
zu. Freunde küssen sich begegnend stets ins Gesicht; steht man sich
etwas ferner, doch immer noch befreundet genug, so reicht man sich die
Hände und führt die das Anderen an die Lippen. Einem blos Bekannten
giebt man die Hand und Jeder führt die seinige demnächst an die
Lippen. Einem Kaïd oder überhaupt hochstehenden Manne begegnend,
eilt der gewöhnliche Araber auf ihn zu und küßt ihm die
rechte Schulter und die Hand. Alle diese Begrüßungen werden
mit großer Würde, Wärme und Anmuth gemacht. Begegnen sich
Leute aus verschiedenen Orten, die durch irgend welche Freundschaft oder
Bekanntschaft verbunden sind, so ist wirklich der Begrüßungen
und Fragen kein Ende. Wie geht es zu Hause, wie den Kindern, wie dem Vater,
der Mutter, dem Großvater, der Großmutter, dem Zelte, u.s.w.
Nur nach dem Befinden der Frau erkundigt man sich bei einem Bekannten nicht,
weil es die Eifersucht und den Argwohn desselben erregen würde, sondern
umschreibt das durch endlose Fragen nach dem Befinden der Personen, die
ihr nahestehen.
An diesen Tagen, wie gesagt, war das Alles recht auffallend, weil das
sonst schon so öffentliche Leben an Frequenz noch zugenommen hatte.
Selbst die Beni Mzab (Söhne Mzab), welche alle Detailhandel mit Zeugen
treiben, hatten sich aus ihren Boutiquen hervorgemacht, die sie sonst niemals
verlassen. Es sind dies sehr biedere, sparsame und auch thätige Leute,
die in ihrer Jugend ihre Oase verlassen, um in den Städten des Nordens
durch den genannten Handel mit Zeugstoffen ein kleines Capital zu erwerben,
mit dem sie dann glücklich in ihr Vaterland zurückkehren. Man
kann sie an ihrem Gesichtsausdrucke gleich kennen (sie sind aus Berberischem
Blute) und sie genießen eines sehr guten Rufes. Ihre Läden
sind so klein, daß sie kaum darin sich umdrehen können. Sie
sitzen dort auf einem Teppich mit gekreuzten Beinen und haben so Alles
fast im Bereiche ihrer Hand, wenn ein Käufer kommt. Diese suchen sie
durchaus nicht anzulocken, sondern sitzen schweigend, mit apathischem Gesichtsausdrucke
da oder schreiben oder lesen den Koran (sie zeichnen sich fast alle durch
Bildung aus, denn der gewöhnliche Araber kann niemals lesen oder schreiben)
und scheinen wirklich dem Käufer einen besonderen Gefallen zu erweisen
durch die Präsentation ihrer Waaren. So sind übrigens alle arabischen
Kaufleute.
Ich habe dies vielleicht schon, wenigstens theilweise, früher
mitgetheilt. Für solche Wiederholungen muß ich immer wieder
um Entschuldigung bitten, doch sind sie natürlich, da ich keine bestimmte
Reihenfolge eingehalten habe und verschiedenen Personen Verschiedenes berichtet
habe.
24. 3. 63
Soeben empfange ich Deinen lieben Brief, bester Onkel, und sage dafür
meinen Dank. Daß mein Brief vom 9ten oder 10ten d. M. noch
nicht in Euren Händen war bei der Absendung des Deinigen, wundert
mich nicht allzusehr, da, wie oben erwähnt, durch die Witterung große
Unregelmäßigkeit im Postverkehr herrscht. Derselbe ist ohne
Zweifel über Algier gegangen und dies dauert einige Tage länger.
Aus anderer Ursache erklärt sich auf dem vorletzten Briefe der Poststempel
Philippville. Man hat an der Diligence hier einen Briefkasten angebracht,
dessen Inhalt erst in Philippville visitirt wird.
Die politischen Nachrichten, die Du so freundlich bist mitzutheilen,
sind uns hier ebenfalls schon bekannt geworden; denn wie ich schon oben
gesagt habe, es giebt nur eine Sache von allgemeinem Interesse in Frankreich
und das ist die polnische Frage. Die Hälfte aller Depeschen und aller
Leitartikel, ja die Hälfte des ganzen Journals ist gewöhnlich
dieser Sache und der Haltung Preußens gewidmet. Trotzdem sie gern
genug an den Rhein gezogen wären, wie es die Zeitungen deutlich genug
aussprechen, so muß ich doch gestehen, daß die einigermaßen
cultivirten Franzosen wohl zu unterscheiden wissen zwischen dem preußischen
Gouvernement und der preußischen Volksvertretung, der sie volle Gerechtigkeit
widerfahren lassen. Außer Mexico und den schlechten Finanzen, als
hindernden Momenten ist allerdings Englands Haltung ein großer Hemmschuh
für ihre rheinischen Gelüste. Jetzt spielen sie die Verwunderten
und belächeln höhnisch das patriotische Kriegsgeschrei der Kölnischen
Zeitung.
Von Deinen Familien- und Local-Nachrichten habe ich mit großem
Vergnügen vernommen, daß die Gesundheit der lieben Tante noch
von Dauer ist und daß Ihr Euch überhaupt wohl befindet. Mögest
Du, liebe Tante, meine verfrühten Geburtstagsgratulationen jetzt noch
einmal auch nachträglich annehmen und überzeugt sein, daß
mein innigster Wunsch Euer Wohlsein, Euer Glück betrifft.
Daß Dorchen W. doch auf Herrn Klouth zurückgekommen ist,
thut mir leid; ich wünschte ihr einen würdigeren Gatten. Möge
sie zufrieden und glücklich sein.
Von Thermars höre ich stets nur mit einem gewissen Bedauern reden,
denn die Hoffnung auf die Aenderung seiner Stimmung wird eine immer geringere.
Was macht Frl. Eugenie?
Allen Bekannten meine Empfehlungen, Herrn Geheimrath Weegmann meinen
Glückwunsch, den Verwandten meine besten Grüße. Vor allem
bitte ich meine Glückwünsche bei Gelegenheit der Elberfelder
Familien-Vermählung an die Adressen der glücklichen Eltern mitzutheilen.
Für meine Gesundheit, die sich wieder trotz des scheußlichen
Wetters gehoben hat, hoffe ich jetzt (gestern hat gutes Wetter begonnen
und wird hoffentlich und wahrscheinlich lange anhalten) das Beste.
Was machen die Jungen? Und die andern Kinder der Familie? Allen meinen
Gruß, nicht zu vergessen die großen Kinder der Mühlengasse.
Mit dankbarer Anhänglichkeit
Euer Gustav.
Wegen des lange anhaltenden Wetters habe ich mich nicht weiter um Bestien
kümmern können. Jedenfalls werden die Vögel, für die
Dr. Bodinus größte Vorliebe hat, schwer zu bekommen sein. Die
meisten wohnen ja überdies südlicher, doch kann sie natürlich
ein Zufall in meine Hände spielen. – Gestern hätte ich gern das
Fell eines Panthers gekauft für Dich zum Teppich, die man hier sehr
geschmackvoll zu arbeiten versteht. Ich traf die Araber, die 2 große,
schöne, frisch erlegte Panther nach der Stadt brachten, um die Prämie
von 50 frcs per Stück zu erheben. Doch forderten sie nicht weniger
als 200 frcs für die Haut; dies schien mir doch etwas zu unverschämt
und würde Deinen Intentionen wenig entsprochen haben. So sind die
Araber immer, sie überschätzen den Werth aller Dinge, die sie
zu verkaufen haben, in ihrer Habsucht. Wer weiß, zuletzt hat sie
gewiß Jemand für 50 - 60 frcs das Stück gekauft! Vielleicht
ist die Gelegenheit ein andermal günstiger, denn fern von der Stadt
ist natürlich so etwas viel billiger.
Noch mals, Adieu und gute Gesundheit!
Euer G.
Bône am 13ten April 1863
Mein lieber Onkel, theuerste Tante!
Jetzt wird sicher die Unordnung der Briefsendung aufhören, denn
wenn auch die Wege noch etwas grundlos sind, so sind sie doch zu passiren.
Einmal hätte können ein Brief 8 Tage eher abgeschickt werden,
doch, wenn die gewöhnliche Post unterbrochen ist, macht man die anderen
Hülfsmittel nicht öffentlich genug bekannt, und so kam es, daß
ich eine gute Gelegenheit mit einem algerischen Schiffe kürzlich einmal
versäumt habe. Dies ist der letzte Monat, in dem es regnet, später
muß das Land von dem winterlichen Wasservorrathe zehren. Oft fällt
in den sechs Monaten vom May zum October kein Tropfen, je mehr es also
im Winter regnet, desto bessere Aussichten sind für eine gute Ernte.
So kann man in diesem Jahr sehr zufrieden sein und einen reichen Ertrag
erwarten. Dies ist um so besser, als die allgemeine Aufmerksamkeit in Frankreich
etc. auf Algérien und seine Produkte gerichtet ist, seitdem die
Frage seiner ganzen Administration durch den kaiserlichen Brief angeregt
wurde. Zur selben Zeit erscheinen eine Menge Broschüren und Ausstellungsberichte,
welche den Werth der hiesigen Produkte in’s Licht zu setzen bestrebt sind.
So verdrängt das algerische Getreide (harter Weizen) mehr und mehr
das sicilische und südrussische in der Fabrikation der Maccaroni u.s.w.
und soll große Vorzüge vor denselben haben.
Dies blé dur und die Gerste sind die hauptsächlich cultivirten
Getreidearten. Von anderen Früchten scheinen noch eine Rolle im Handel
zu spielen die großen Bohnen (Saubohnen), die vielfach gebaut werden.
– Die Baumwollfrage ist von Neuem in Angriff genommen worden. Ein Fabrikant
in Mühlhausen (Elsaß) macht eine Aufforderung zum Baumwollanbau
bekannt, in der er sehr bedeutende Vorschüsse den Cultivateuren Gewähr
leistet, und alle Baumwolle, die geerntet wird, zu kaufen verspricht. Er
wird Agenten in die verschiedenen Küstenstädte setzen, Reinigungsmaschinen
aufstellen und die Baumwolle zu Preisen kaufen, die von gebildeten Jury’s
festgesetzt sein werden. Dies ist langhaarige Baumwolle, die ausgezeichnet
gedeiht und auf vielen Ausstellungen die höchsten Preise gewonnen
hat. Die Regierung fordert ihrerseits zum Baue von Courte-soie auf und
setzt zur Ermuthigung für die kleinen Colonen, besonders für
sie, Preise darauf. Auch von diesen wird der Fabrikant aus Mühlhausen
(Dolfuß) wahrscheinlich den größten Theil kaufen. Es bilden
sich Vereine zur Beschaffung guten Saamens, und die Regierung ist ebenfalls
behülflich dazu. – Mit einem Worte, die ganze Angelegenheit betreffs
der algerischen Angelegenheiten in Paris haben wenigstens den Vortheil,
die allgemeine Thätigkeit anzuspornen und die etwas entmuthigten Colonen
wieder neu zu beleben. Ich schrieb das so ausführlich, was die Baumwolle
angeht, weil ich dachte, es würde für Herrmann vielleicht von
Interesse sein. Dasjenige, was noch ein großes Hinderniß für
die Verwerthung der Landesprodukte ist, ist die Mangelhaftigkeit in der
Communication und der ungeheure Preis des Transportes. Denn wenn ich auch
früher schon die Thätigkeit der Ingenieure des Wegebaus lobend
anerkannt habe, so genügt sie doch nicht, um den kleinen Ackerbauern
zu Hülfe zu kommen. Die Transportkosten sind so ungeheuer, daß
sie bei den besten Preisen in Algier, in Bougie, in Philippeville, in Oran,
in Bône (den Ausschiffungsorten) nicht zu ihrer Rechnung kommen können.
Nach Algier z. B. muß alles Getreide aus der fruchtbaren Flußebene
des Chelif gebracht werden. Die dortigen Märkte Orléansansville,
Milianah. Letztere Stadt ist 14 Meilen von Algier entfernt, und der Transport
des Centners kostet 6 bis 7 frcs. Sétif von Philippville ca 19 Meilen:
der Transport kostet zuweilen bis über 20 frcs der Centner (Kilo-Centner).
Dies sind Alles amtliche Zahlen. Jedenfalls ist daraus zu entnehmen, daß
er für die Colonen, solange keine Eisenbahnen sind, ein schweres Stück
Arbeit ist, vorwärts zu kommen. Doch ist jetzt große Hoffnung,
die Eisenbahnfrage gefördert zu sehen. Die Gesellschaft von Paris
nach Lyon und dem Mittelmeere wird die Angelegenheit in die Hand nehmen
und bauen. – Der Tabacksbau ist endlich enorm, wenn auch noch Monopol des
Staates. –
In den Gegenden nach der Wüste hin wird natürlich nicht so
viel Getreide gebaut. Vor dem Wüstentheile Algériens kommen
die Steppen, wo sich nur schöne Weiden finden und die demnach das
Hauptland der Nomaden und Heerden sind. Hier sind die Araber nach der Stückzahl
ihrer Heerden besteuert. Von jedem Ochsen bezahlen sie ca 2½ frcs,
vom Hammel ca 3 sgr (7 Sous) und vom Kameel fast 5 frcs. Wenn man bedenkt,
daß sie weiter nichts haben, so scheint mir der Steuersatz ein ungeheurer.
In dem eigentlichen Wüstentheil sind die Oasenbewohner, die feste
Wohnsitze haben und nicht nomadisiren, nach der Zahl ihrer Dattelbäume
besteuert. Jede Dattelpalme bringt etwa 40 Centimes ein. Die Nomaden zahlen
dann wieder nach der Stückzahl der Heerden jedes Tribus.
Die Engländer würden gewiß alles praktischer und besser
einrichten und nicht allein größeren Nutzen aus einer so schönen
Colonie ziehen, sondern derselben auch zu größerem Reichthum
und sicherer Blüte verhelfen.
In Mexico scheint der Stand der französischen Angelegenheiten
noch immer derselbe zu sein. Die Zufriedenheit im Lande ist dem gemäß
in entsprechender Abnahme begriffen, und der Kaiser wird froh sein, wenn
Puebla genommen ist und er einen scheinbar ehrenvollen Frieden schließen
kann.
Weitere Nachrichten aus Europa hat die gestrige Post nicht gebracht.
Langiewicz in Oesterreich, Mieroslawsky wieder auf der Rückreise nach
Polen, wie auch Rochebrun. Das ist so ziemlich Alles, was wir wissen. Die
Revolution scheint trotz vieler ungünstiger Momente noch immer fortzudauern
und Rußland immer entschiedener entschlossen, sie niederzuschmettern.
Frankreich und Oesterreich scheinen sich intim zu sein, und Herr von Bismark
in geschickter Weise das Geheimniß der preußisch-russischen
Convention zu bewahren und den dringendsten Fragen darüber auszuweichen.
Meine letzten Nachrichten von Uchtenhagen theilen mir immer noch einen
traurigen Stand von meiner Mutter Leiden mit. Ich kann zwar keine große
Gefahr in dem Uebel selbst sehen, aber doch ist ein sehr langes Betthüten,
bei so schwacher Constitution immerhin gefährlich genug. Ich bin nur
froh, daß die Geschwulst aufgekommen ist; doch muß ich den
Arzt tadeln, daß er sie nicht früher eröffnet hat, um die
schlafraubenden und kräftezehrenden Schmerzen zu beenden. Ich möchte
wohl alle 8 Tage, statt alle 14 Tage oder 3 Wochen, Nachricht haben; doch
hat wohl Marie, die ja glücklicherweise wiederhergestellt scheint,
mit Mutters Pflege und der Haushaltung zu viel zu thun.
Ich selbst bin zufrieden mit meiner Gesundheit und habe, wenn auch
von Zeit zu Zeit bei dem schlechten Wetter kleine Rückfälle den
guten Weg in Frage stellen, im Ganzen große Fortschritte gemacht.
Beständige Witterung und die Bäder in Hammam-Meskoutine werden
das Uebrige, hoffe ich, besorgen. Was letztere und meinen Besuch dort,
betrifft, so erwarte ich den Entschluß des Herrn Dr. Moreau, von
dem ich Euch geschrieben habe, dem Eigenthümer der Bäder. Es
ist angenehmer, mit ihm dort hin zu gehen, weil schwer ein Unterkommen
zu finden sein wird, zumal da außerordentlich viele Besucher dorthin
gegangen zu sein scheinen. Der Mann hat ungeheuer viel damit zu thun und
meint oft selbst, daß es wohl ein zu großes Unternehmen für
seine Jahre (er ist über 60 Jahre, wenn auch sehr rüstig) sei.
Doch thut er es für seinen Sohn und um nicht genöthigt zu sein,
bis an sein Lebensende der Praxis nachzujagen. Der Sohn ist 18 Jahre alt
und im Begriffe, sein Abitur-Examen zu machen, um ebenfalls sich der Medicin
zu widmen. Es kostet natürlich ein großes Capital, dessen Beschaffung,
obgleich er Theilhaber in Frankreich hat, ihm doch manchmal Sorgen zu machen
scheint. Es ist ein ungeheurer Land-Complex dabei, der cultivirt werden
soll; es soll sofort ein Etablissement, wenn auch noch nicht im großartigen
Maaßstabe, errichtet werden etc. etc. Ich verkehre viel bei ihm oder,
da er sehr beschäftigt ist, bei seiner Frau, die eine sehr liebenswürdige
Dame ist, wenn auch etwas zu gesprächig, wie man es nicht selten bei
Französinnen trifft. Ich behandle sie jetzt an einem Augenleiden,
und will hoffen, Ehre dabei einzulegen.
Jetzt zu Euch und Eurem Befinden, meine Lieben! Ich habe das Bedürfniß,
von jedem Einzelnen detaillirte Nachrichten zu haben und jetzt, wenn ich
in der Familie des Dr. Moreau in der Mitte aller Kinder und er hat deren
bis zu 3 Jahren herunter, bin, versetze ich mich mehr, als je, im Geiste
in den zahlreichen Kreis der Brügelmann’schen Familien-Zweige. Die
Großmama hat wohl ihren Geburtstag gestern schon gefeiert (ich spreche
vom Tage der Ankunft meines Briefes), oder sollte mein Brief das Glück
haben, am Tage selbst noch einzulaufen? Jetzt habt Ihr vermuthlich kein
gutes Wetter, denn je günstiger der Winter, desto unangenehmer pflegt
das Frühjahr zu sein. Möget Ihr nur von Krankheiten bewahrt bleiben:
Es ist mein täglicher, aufrichtiger Wunsch. Wie habt Ihr das Osterfest
zugebracht? Was machen Karl und Wilhelm und Albert? Und wie macht sich
der erstere auf dem Gymnasium? Er könnte mir wohl nächstens einmal
einen kleinen Brief schreiben. Frl. Sophie kehrt nächstens aus Neu-Fahr
und Frl. Marie wird ihren Platz einnehmen, wie sie schon so lange dringend
gewünscht hat? Und Lenchen und die übrige kleine Schaar? Kann
sie den kleinen „Dirk“ noch bändigen? Was macht der Mann ihrer Schwägerin
in Rotterdam? Und das Geschäft und Herrmann und Christiane und die
Kinder? Das sind genug Fragen, die im lebhaften Interesse natürlich
sind, ohne daß man auf jede einzelne eine Antwort erwarten kann.
Wie hat sich das mit Dorchen Wahlenberg wieder angeknüpft und was
sagen die Eltern dazu? Allen meine freundlichsten Grüße und
den Freunden der Familie und der Thürmchensgesellschaft, die sich
meiner wohlwollend erinnern, die Versicherung meines Respectes. Meine Nachrichten
über Land und Leute werden wahrscheinlich allmählig dürftiger,
doch ist dies wohl natürlich, da das in die Augen springende Neue
und Interessante erschöpft ist, da ich aus Mangel an Ausflügen
keine neuen Sachen schöpfen konnte und mich noch mehr der Bibliothek
des Dr. Moreau zugewandt habe, um meine klimatologischen Studien zu fördern.
Hammam-Meskoutine wird gewiß neuen Stoff und neue Anregungen geben
und zu interessanteren Mittheilungen führen. Es thut mir leid, daß
meine erste Sendung von Thieren vielleicht nicht nach Wunsch des zoologischen
Gartens ausfällt. Denn erstens ist die eine Tigerkatze weiblichen
Geschlechts (sie kam während ihres Aufenthaltes in meiner Gefangenschaft
frühzeitig nieder) und wenn mich auch Beamte des hiesigen Acclimatisationsgartens
der Männlichkeit der anderen Bestie versichert haben, so habe ich
doch meine Zweifel. In jedem Falle wenigstens sind wohl kaum solche im
Garten vorhanden gewesen und werden sie als neu vielleicht nicht ganz unerwünscht
sein. Meine Empfehlung an Herrn Dr. Bodinus und Herrn Dr. Garthe, an den
ich nächstens über die Bodenbeschaffenheit hierselbst schreiben
werde. Ins Künftige werde ich mich natürlich auf ausdrücklich
ausgesprochene Wünsche beschränken.
Euer Gustav.