(Der Schluß des Briefes ist nicht vorhanden. )
Meine Theuren!
Ich beschränke mich auf einige wenige Zeilen, die ich mich, da
schon 3 Wochen verflossen sind, an Euch zu richten verpflichtet halte.
Ich bin erst gestern hier angekommen und bin mitten in den Schwierigkeiten
der ersten Installation, die sich besonders in Hinsicht auf Wohnung schwierig
erweißt. Denn wenn sie auch wohl vorhanden sein mögen, so hängen
doch keine civilisirten Zettel mit Chambre à louer heraus, und bei
der Abgeschlossenheit der maurischen Häuser kennt man die freien Quartiere
nicht so. Das billigste scheint noch immer zu sein, unmöblirte Wohnungen
zu miethen und die nothwendigen Stücke selbst anzuschaffen. Der Preis
für diese Sachen bleibt bei späterem Verkaufe immer so hoch,
daß man fast Nichts verliert, während sie in den möblirten
Wohnungen hoch gerechnet werden. Daß dies mit mancherlei Embarras
verknüpft ist, begreift Ihr; besonders da man dabei mit Menschen von
allerlei Nationen und Sprachen verkehren muß.
Für meine practicirenden Pläne hier bot meine erste Entrée
jetzt hier nicht die günstigsten Aussichten, wenigstens scheinbar.
Denkt doch, daß während meiner Abwesenheit noch 2 Doctoren oder
Quasi-Doctoren angekommen sind, die wenigstens ähnliche Pläne
zu haben scheinen: ein Franzose und der andere von Malta. Sie scheinen
beide allerdings nicht an Ueberfluß an Kenntnissen zu laboriren.
Doch hängt ja davon der Effect bekanntlich nicht immer ab. Das ist
nun gleich und kann mich in meinem Vorhaben nicht hindern. Will das Schicksal
nur, daß mir einige günstige Augenfälle in die Hände
kommen, und es warten schon einige auf mich (so eine Dame im Hause des
Holländischen Consuls): so kann ich viel zu sehen bekommen und auch
verdienen. Ich hoffe, daß Ihr vor Allem nicht unzufrieden sein werdet
mit diesem Schritte, der ja übrigens, wenn ich nicht reussirte, von
keinen großen störenden Folgen begleitet sein kann. Sobald ich
nur installirt sein werde, werde ich auch die Correspondenz wieder mit
größerer Sorgsamkeit und Pünktlichkeit aufnehmen, so wie
ich sie ja doch lange genug treue gehalten habe. Aber hier ist es jetzt
kaum zu verlangen. Ich sitze hier in einem kleinen Hotelzimmer eingeschlossen,
in dem man kaum athmen kann, auf dem Bette und da ein verfügbarer
Tisch fehlt, so schreibe ich auf dem Nachttischchen, das für die Schreibmappe
keine hinlängliche Größe entwickelt.
All dies wird sich beim Abgange des nächsten Couriers, durch den
Ihr wieder auf Nachricht von mir zählen dürft, hoffe ich, arrangirt
haben. Dann werde ich meinen Verkehr in den Consular-Familien wieder aufnehmen
oder beginnen und werde vielleicht auch in besseren arabischen Kreisen
ein günstiges Vorurtheil für einen Berliner Doctor finden, da
erst mit dem letzten Schiffe die Gesandschaft des Bey von Berlin zurückgekehrt
ist und sehr befriedigt sein soll.
Dieser mein Brief wird Euch vermuthlich schon in Reinhardsbrunn antreffen,
wo, ich hoffen will, Ihr die vielen Annehmlichkeiten und Reize dieses prächtigen
Aufenthaltes in unvermindertem Maaße finden möget. Das wird
für Lenchen eine angenehme Tour sein und sie wird gewiß sehr
zur Unterhaltung und Munterkeit in diesem Aufenthalte, der sonst bisweilen
etwas zu still werden kann, beitragen. Es wird jedenfalls dort angenehmer
sein, als es hier schon ist und noch werden wird. Die Wärme ist bisweilen
schon etwas unangenehm und man vermeidet es gern, von 10 Uhr Morgens bis
Nachmittags 4 Uhr auszugehen. Besonders unangenehm werden die Nächte
durch die Moustiquos, welche hier viel reichlicher als in Bône zu
sein scheinen und die Einen wahrhaft zerfleischen, wenn man sich nicht
mit äußerster Vorsicht einhüllt.
Ich bin hier mit dem Abgange der Post noch nicht vertraut; ich schließe
also, um die Expedition nicht aufzuhalten, mit herzlichen, innigen Wünschen
für Euer Aller Wohl. Nächste Woche mehr!
Euer dankbarer
Gustav !
Tunis am 12ten Juni 1863
/23 Juni
Meine theuren Verwandten!
Ich schreibe schon wieder, theils weil ich das letzte Mal nur wenige
Zeilen geschrieben habe, theils weil meine Correspondenz durch die kleinen
Reisen in letzter Zeit überhaupt etwas unregelmäßig geworden
ist. Ich befinde mich noch im Hotel und kann dasselbe erst in 8 Tagen,
wo das muselmännische Jahr zu Ende geht und wo die Miethen wechseln,
verlassen. Ich habe eine unmöblierte Wohnung, d. h. den billigeren
Weg sich zu installiren, vorgezogen und werde während dieser Zeit
ein Bett, eine Commode, einen Tisch und 3 Stühle zu erstehen suchen.
Die Wohnung besteht aus 2 ganz schönen Zimmern und kostet 50 Piaster
(ca 33 frcs), liegt ziemlich gut, in der Nähe des Pastor Fenner und
in einem ziemlich bekannten Hause, was für einen Arzt immer etwas
werth ist. Laß das nothwendigste Mobiliar noch ca 150 Frcs kosten,
von denen im unglücklichsten Falle beim Wiederverkauf ein Drittheil
verloren gehen könnte, so wird dies immer noch billiger, als eine
möblierte Wohnung, die 50-60 Frcs per Monat kosten und sehr selten
sind. Freilich ist das Alles nicht billig, wie in Tunis Nichts billig ist,
doch denke ich, wird sich immerhin ein Theil ganz gut verdienen lassen.
Freilich bin ich durch diesen verlängerten Aufenthalt im Hotel, die
ersten Anlagen, die Reise u.s.w. des Geldes sehr bedürftig und will
hoffen, daß am künftigen Donnerstag eine kleine Sendung von
Dir, lieber Onkel, einlaufen wird. Andernfalls würde ich in ernstliche
Verlegenheit geraten können. Im Ganzen kann ich Euch wohl versichern,
habe ich mich einer rühmlichen Sparsamkeit befleißigt, die nicht
geringer geworden ist, seit ich mich mehr und mehr vor Betrügereien
zu hüten gelernt habe. Zu dem oben Erwähnten kommt noch, daß
die Miethen pränumerando bezahlt werden und daß alle Welt in
seinem Nächsten einen Betrüger wittert. Die Briefe, wie schon
erwähnt, kommen ganz prompt, und pünktlich an, da die Post französisch
ist und nur die Station von Bône nach Tunis noch weiter macht.
Nicht lieb war es mir, bei meiner Ankunft hier schon zwei „Doctoren“
zu selbigem Zwecke im Hotel vorzufinden: einen Franzosen und einen Malteser.
Ersterer ist wohl Schwindler oder wenigstens schlecht instruirt und behauptet
auch, in ca einem Monat wieder fortgehen zu wollen, letzterer ist ebenfalls,
wie die meisten Süd-Italiener, nicht sehr gebildet und schon ein älterer
Mann, der von Zeit zu Zeit noch nach Tunis zu kommen scheint. Man muß
also eine solche Concurrenz aufnehmen und sie wird wohl zu ertragen sein.
Gesund bin ich nach dem letzten kleinen Vorfall geblieben, d. h. derselbe
ist in der That viel besser vorübergegangen, als jemals einer der
vorhergehenden. Ich glaube noch vollständig, hier ganz und gar gesund
zu werden.
Von meinem Aufenthalte in Tunis kann ich noch nicht viel Bemerkenswerthes
mittheilen. Ich habe meine Zeit damit hingebracht, Wohnungen anzusehen
und zu suchen und da man wegen der anfangenden Hitze nicht gern von 10
Uhr bis Nachmittags 4 Uhr ausgeht, so geht die übrigbleibende Zeit
natürlich rasch hin. Meine Gesellschaft besteht aus dem Grafen von
Broyer, einem alten Orleanisten, der unter Napoleon zu dienen sich geweigert
und sich in eine Art Verbannung nach Algérien und hier zurückgezogen
hat; einem Herrn Mason aus Nancy, der zu seinem Vergnügen schon seit
Jahren reist, einem Maler aus Paris, der Zeichnungen hiesiger Sachen für
ein wissenschaftliches Werk macht, einem Herrn de Sainte-Marie, der beim
französischen Consulat angestellt ist, Herren, die fast alle im Hotel
wohnen. In der Stadt besuche ich häufig den Pastor Fenner und habe
meinen Besuch bei unserem Consul natürlich wiederholt. – Die englische
Gesellschaft hält sehr zusammen und sobald ich eingezogen bin, werden
meine englischen Studien auch beginnen. Im Französischen habe ich
in letzter Zeit große Fortschritte gemacht, wenn ich auch durchaus
nicht das Ziel erreicht habe, es wie ein Pariser oder wie ein Russe zu
sprechen. – Wie reich Tunis an mannichfachen Fabrikaten ist, habe ich erst
bei dem Herrn Masson aus Nancy gesehen, der gewiß schon für
mehre Tausend Franken zusammengekauft hat, um es mit nach Hause zu nehmen.
Waffen, Lederarbeiten und Stoffe in Wolle und Seide mit Gold- und Silberstickereien
sind die Zweige, in denen Mannichfaltiges geleistet wird. Der Maler, der
früher Jahre hier zugebracht hat, erzählt von einem wahrhaft
feenhaften Luxus, der in den Häusern vornehmer Muhamedaner herrsche.
Der Reisende sieht davon Nichts, denn die Häuser haben fast Alle dieselbe
ruinenhafte, triste, langweilige Außenseite; erst in ihrem Innern
entwickelt sich Alles Leben. Besonders die Landhäuser, die aber Alle
ziemlich weit von Tunis selbst liegen, sollen an Pracht und Reichthum,
an kostbaren Säulen, prächtigem Marmor und reichen Elfenbeinarbeiten
Alles übertreffen, das man nur ahnen kann.
Gestern bin ich mit dem Herrn aus Nancy in einem arabischen Hospitale
gewesen, das derselbe auf seinen Kunststreifereien (er ist auch etwas Maler)
entdeckt hatte. Einen traurigeren Anblick kann sich Niemand vorstellen,
als in Wirklichkeit diese Humanitätsanstalt darbot. Was an Schmutz,
Finsterheit und Ärmlichkeit nur erfunden werden kann, wird hier geleistet.
Man glaubt in eine Art Strafanstalt für schwere Verbrecher zu kommen,
ein Gedanke, der noch Nahrung erhält durch den Anblick der ersten
Etage des einen Flügels, die mit einem großen eisernen Gitter
umzogen ist, hinter dem man die abgezehrten, wilden Physionomieen der tobenden
Geisteskranken erblickt. Um solche, die sich nicht ihrer Beinen bedienen
können, des Genusses der frischen Luft theilhaftig werden zu lassen,
schleppt man sie aus ihren Höhlen (anders kann man die finsteren kleinen
Krankengemächer für ein oder 2 Kranke eingerichtet, ohne Fenster,
ohne Thür, ohne weiches Lager (meist nur Strohmatte) nicht bezeichnen)
beim Kragen hervor und läßt sie auf den Steinen des Hofes einige
Stunden liegen, nach welcher Zeit man sie in derselben Weise wieder in
ihre Löcher zurückbefördert. Ihre Nahrung schien nach dem,
was ich dann sah, ebenso kümmerlich zu sein, wie die übrigen
Krankeneinrichtungen. Glücklicherweise waren der Unglücklichen,
welche genöthigt waren, die Hülfe dieser Mordanstalt in Anspruch
zu nehmen, sehr Wenige; es schienen diejenigen zu sein, welche auch gar
keine Ressourcen, keine Anverwandten etc haben. Die blinden Bettler an
den Straßenecken, die Krüppel, welche das Mitleid der Vorübergehenden
anrufen und zahlreicher sind, als irgend wo, sind zweifelsohne viel glücklicher
und zufriedener als diese. Wenn es möglich sein sollte, die Erlaubniß
zu erhalten, würde ich die Unglücklichen behandeln und wenigstens
ihre Qualen erleichtern.
Einen viel angenehmeren Eindruck habe ich dagegen von der kleinen Reise
zu den verzauberten Bädern von Hammam-Mescoutine bewahrt, die ich,
wie ich geschrieben zu haben glaube, kurz vor meiner Uebersiedlung hierher
besuchte. Man hat auf dieser Tour die beste Gelegenheit, den Zustand der
Colonisation und vorzüglich der deutschen Colonen zu beobachten und
zu beurtheilen. Alle Dörfer zwischen Bône und Guelma, welche
Städte etwa 7-8 Meilen auseinander liegen, sind sog. deutsche Colonieen,
d.h. sie zählen unter den Colonen in der Mehrzahl Elsässer und
auch Badenser. Anscheinend war die Prosperierung des ersten, Penthièvre,
nicht allzu groß, wie auch die geringe Thätigkeit der Colonen
vermuthen ließ. Caféhäuser und Schnapsverkauf äußerst
lebhaft, doch Morgens um 5 Uhr Todtenstille im ganzen Dorf, Ende Mai, wo
das Getreide hier zu reifen beginnt. Gegen 6 ließen sich die ersten
Laute vernehmen und gegen 7 sah man einige deutsche Jungfrauen, zwar schmutzig
und nachlässig, doch in Crinolinen, die Heerden zum Dorfe hinaustreiben.
Etwas besser sahen aus Nechmaya (mit den meisten wirklichen Deutschen)
Bou-Sbah und Heliopolis. Gleichwohl ließen Gerste und Weizen fast
überall einen reichen Erndtesegen erwarten. Auch Baumwolle fand sich
in der Nähe der Städte ziemlich viel und sehr gut aufgegangen,
da das Jahr ein sehr erwünscht nasses ist. Man hörte überall,
daß man noch viel mehr Baumwolle gepflanzt haben würde, wenn
die Annoncen, die die Regierung mache, allgemeiner und frühzeitiger
bekanntgemacht wären. – Heliopolis, das größte Dorf, nahe
bei Guelma, baut dann noch viel Wein, der sich schon eines gewissen Rufes
erfreut. Nicht weit von Guelma befindet man sich in Mitten römischer
Erinnerungen. Zu beiden Seiten der jetzigen Straße erblickt man noch
wohl erhaltene römische Wege und Trümmer mannichfacher Constructionen.
Guelma selbst hieß früher Calama und florirte schon in den frühesten
Zeiten. Die Städte standen seit der Römer-Zeit auf demselben,
für den Ackerbau so günstigen Punkte, unter verschiedenen Namen,
stets blühend und reich, doch immer bald zerstört. Freundlich
liegt es da, ein heiteres, regelmäßiges, durchaus europäisches
Ackerstädtchen, wenig dem Lande entsprechend angelegt mit riesenbreiten
Straßen und dünnwandigen, mit zahlreichen Fenstern versehenen
europäischen Häusern. Guelma ist ein Städtchen von ca 4000-5000
Einwohnern; doch die Reste römischer Etablissements verrathen die
frühere Bedeutung. So ist das Amphitheater berechnet für eine
Stadt von ca 30.000 Einwohnern. Man findet außerdem noch römische
Wasserleitungen, Bäder etc.
Von Guelma sind die Bäder noch 1½ - 2 Meilen entfernt.
Der Weg führt durch prachtvolle Gegenden, passirt in fortwährender
Abwechslung Hügel und Thäler, üppige, bebaute Felder und
wildromantische Partieen. In dieser Gegend liegen die reichsten und schönst
angelegten Farmen und sah man den besten Getreidestand, den ich noch gefunden
habe. Man überschreitet den Seybouse, den Fluß, der sich bei
Bône ins Meer ergießt, und von da bis zu den heißen Quellen
hört alle Cultur auf. Das ist schon das Land der Löwen und Panther,
der Luchse etc. Schon von Ferne erblickt man endlich in weiter Ausdehnung
die zahlreichen weißen Kegel, die die Phantasie der Eingeborenen
mit verzauberten Zelten vergleicht, die die regelmäßige Formation
grober Zuckerhüte darbieten und die ebenso viele frühere Öffnungen
der Quellen repräsentiren. Das Wasser, wie ich schon früher sagte,
in der Temperatur von 95° Celsius, enthält eine große Menge
von Kalksalzen in Lösung, die sich zum Theil, sobald das Wasser durch
die Berührung mit der äußeren Luft erkaltet, absetzen.
Auf diese Weise entstehen Kegel, die endlich, wenn die Ablagerung ihren
Canal verschließt, kein Wasser mehr liefern. Dafür öffnet
sich auf einer anderen Stelle eine neue Quelle, so daß die Gesammt-Quantität
des Wassers, seit man die Quellen beobachtet hat, sich nicht wesentlich
geändert hat und für Tausende von Leidenden täglich hinreichen
würde. Die Hauptquelle ist ungemein reichlich und hat einen ungemein
großen Kalkberg gebildet, von dessen Höhe aus kraterförmiger
Öffnung das Wasser hervorsprudelnd nach allen Seiten über seinen
unregelmäßigen Rücken herabrauscht in ein kleines Thal,
durchflossen vom Oued-Chedraka, einem Nebenflüßchen des obengenannten
Flusses, in den sich die Quellen endlich ergießen und dessen Fluthen
noch eine weite Strecke dadurch eine hohe Temperatur zeigen. Dichte Dampfwolken
steigen von den herabsprudelnden, siedenden Quellen auf und hüllen
das Haupt des Kalkberges in dicke Wolken. Auf der anderen Seite des Oued-Chedraka
liegt auf einem Hügel das militärische Etablissement für
100 und einige Kranke berechnet, in dem auch einige Civilisten verpflegt
werden. Die erhaltenen Resultate übersteigen die Hoffnungen jedes
Arztes und grenzen bisweilen an das Wunderbare besonders in Gicht und chronischem
Rheumatismus. Es wird gewiß eine Zeit kommen, wo das kranke Europa
zu diesen von den Römern schon hoch geschätzten Bädern pilgern
wird. Leider wird dies bei der großen Entfernung noch lange dauern
und ich fürchte, daß mein alter Freund, der Dr. Moreau, die
Früchte seiner Anstrengungen nicht mehr erleben wird. Es ist gut,
daß zu dieser ihm concessionirten Besitzung der Bäder etwa 1200
Hectaren (ca 5000 Morgen) cultivirbares Land gehören, dessen Pachtzins
der Araber immerhin seine 10-12.000 Frcs eintragen mag.
Auch hier in der Nähe von Tunis sind zwei ähnliche Bäder,
die im Ganzen sehr besucht zu sein scheinen. Doch kenne ich sie noch nicht.
Dieser Brief trifft Euch zweifelsohne in Reinhardsbrunn. Möge
es Euch dort ebenso gefallen, wie im vorigen Jahre, wie ich Euch schon
gewünscht zu haben glaube, und möge es reichen Segen für
Eure Gesundheit bringen. Die Nachrichten, die ich aus Uchtenhagen erhalten
habe, sind leider auch nicht befriedigender Art. Marie leidet noch fortwährend
an Husten, was doch noch grad bedenklich wird. Mutter scheint sich nach
und nach zu erholen, auch das Bein sich etwas zu verlängern; doch
geht sie noch an 2 Stöcken. In Stendal soll schon das 2te Kind ankommen
und Vetter Meineke aus Uchtenhagen erholt sich nach langem Krankenlager
(er ist brustkrank) allmählig wieder.
Wie geht es Klockenbring in Elberfeld und seinen vielen Kindern? Grüße
ihn und Luise und die Brügelmannschen Familien von ganzem Herzen.
Meinen Respect an die Großmama, die Versicherungen meiner Liebe für
Euch! Sophie ist jetzt von Neu-Fahr zurück und dirigirt wohl das Stammhaus
in der Mühlengasse? Dichtet sie noch oder ist diese romantische Periode
schon vorüber?
Jetzt zu anderen Briefen: nach Uchtenhagen etc. Ich schließe
mit den herzlichsten Grüßen für Euer Wohlbefinden in Reinhardsbrunn.
In steter Anhänglichkeit
Euer
Neffe
Gustav
Tunis am 26ten Juni 1863
/8 Juli
Es ist wesentlich, daß Tunis deutlich geschrieben werde, da sonst
schon häufiger Briefe nach Turin gegangen sind.
Mein lieber Onkel und theure Tante!
Ich erwartete schon bei meiner Ankunft in Tunis einen Brief von Euch
vorzufinden und noch immer habe ich keine Zeile empfangen. Dein letzter
Brief, mein lieber Onkel, ist vom 5ten Mai: ich fange noch gerade an, mich
zu ängstigen. Jedenfalls ist Etwas nicht in Ordnung. Entweder ist
Einer von Euch krank oder ein Brief ist verloren gegangen oder es ist sonst
Etwas passirt. Ich will nur zufrieden sein, wenn der erste Fall nicht eingetreten
ist; und Dein letzter Brief ließ doch Eure vollständige Gesundheit
hoffen. Wenn Du auch kurz zuvor an einer Eiterung unter einem Hühnerauge
gelitten hast, so ließ das doch keine weitere Gefahr vermuthen. Von
der Tante schreibst Du auch, daß sie wieder ganz wohl sei; die Großmutter
wollte ihren Geburtstag feierlich begehen, und die Jungen hatten mich durch
ein kleines Briefchen erfreut. Wenn aber der zweite Fall eingetreten sein
sollte, was nun im Ganzen das Wahrscheinlichste erscheint, ist es sehr
fatal, daß der Brief wahrscheinlich einen Wechsel enthielt, daß
Du mindestens vielerlei Schreiberei nöthig haben wirst, um einen Verlust
zu vermeiden und daß ich endlich in nicht unerhebliche Verlegenheiten
gerathen kann. Ich bin schon nicht mehr im Stande, die Frau Pastorin Fenner,
welche mir mein Kanapee, das zu gleicher Zeit als Bett functionirt und
aus einer hölzernen Bank ohne Lehnen, einem einer Matratze ähnelnden
Sacke mit Werg und einem darüber gebreiteten, bunten Stoffe besteht,
hat zurichten lassen, zu bezahlen. Wenn ich mit der nächsten Post
keine Hülfe erhalte, werde ich in Bône ein kleines Anlehen machen
müssen. Im Uebrigen wird der Aufenthalt hier nicht im Geringsten theurer
werden, als in Bône, vielleicht sogar billiger. Wie viel ich werde
verdienen können, kann ich natürlich noch nicht bestimmen. Es
ist Mancherlei, was meine Berechnungen etwas zu Schanden macht. Mit dem
letzten Schiffe ist z. B. noch ein französischer Arzt angekommen,
mit Familie und Sack und Pack, der augenscheinlich seine Ankunft hier schon
hinlänglich durch Bekannte vorbereitet hatte. Er hat bereits eine
Wohnung, was sonst nicht etwa leicht ist, mit einem Worte, Alles arrangirt.
Er ist augenscheinlich der Gefährlichste der 3 Concurrenten, die kurz
vor mir, mit mir und kurz nach mir angekommen sind. Indessen was hilft
es: ich war einmal da, hatte schon einige Besuche gemacht, und übrigens
ist auch in Tunis Platz für viele. Von den beiden Uebrigen ist Einer
schon als Industrie-Ritter erkannt, ohne irgend ein Anrecht auf einen gelehrten
Titel, und wenn mich nicht Alles täuscht, verfolgt man ihn von Algier
aus. Das Praktiziren unter Arabern ist keine leichte und angenehme Sache.
Wenn man ihnen die Medicamente nicht gleich mit giebt, ist es durchaus
unwahrscheinlich, daß sie auch nur einen Silbergroschen für
den Apotheker aufwenden. Am liebsten würden sie durch einen Zauberspruch
oder sonst eine wunderbare Kur von ihren Leiden befreit sein wollen. Die
Mehrzahl ist ferner wirklich arm, denn das ganze Land ist in zu traurigen
Verhältnissen. Die Großen Herren sind durchweg Spitzbuben der
allerschlimmsten Sorte und erfreuen sich als solche eines enormen Reichthums.
Doch sind diese nur Wenige: Das Volk schmachtet in einem Elend, das grenzenlos
ist, und das noch ärger sein soll im Innern des Landes, als in Tunis.
Die Juden sind wohlhabender doch begreiflicherweise auch nicht eben verschwenderisch
mit ihrem Gelde. Im Ganzen gewinne ich nach und nach die Ansicht, daß
ein Aufrichten dieses Volkes nicht mehr wahrscheinlich ist. Sie sind vollständig
in Stupidität versunken: das allgemeine geistige Leben ist gleich
Null. Die Gravität, die würdevolle, philosophische Ruhe verdanken
mehr der Gedankenlosigkeit ihren Ursprung, als wirklicher innerer Würde
und dem auf Nachdenken beruhenden Gleichgewicht des Gemüths. Von der
Civilisation nehmen sie nur die Gemeinheiten an: Kartenspielen und Saufen;
Liederlichkeit ist im Orient immer zu Hause gewesen. Die edleren Schätze
der Civilisation sind der Allgemeinheit gänzlich verborgen geblieben.
Man kann wohl sagen: Tunis ist für den gebildeten Menschen ohne
ernstliche Beschäftigung gänzlich unbewohnbar. Ich spreche nicht
von Vergnügungen; Gott weiß, ich mache keine Ansprüche
darauf; aber die Möglichkeit, sich einen geistigen Genuß, eine
Anregung zu verschaffen, muß doch vorhanden sein. Der Mensch, stets
auf sich angewiesen, endigt in Stupidität. Und in der That, hier giebt
es Nichts: keine Buchhandlung, keine Zeitungen, kein Theater: Nichts, gar
Nichts. Die ganze gebildete Welt freut sich jetzt schon darauf, eine kleine
Kunstreiterbande für einige Zeit hier zu haben, Es giebt zwar eine
Buchdruckerei hier (arabische) und es erscheint selbst ein arabisches Journal
hier. Aber erstens kann die Mehrzahl es nicht lesen, und dann steht nicht
das Geringste Lesenswerthe darin. Zum Glück für die gebildeten
Europäer, welche hier wohnen, die Consular-Familien und die größeren
Handelshäuser, sind sie reich genug, in einem Theil des Jahres sich
in Frankreich oder Italien von dem vernichtenden Einfluß dieser Stadt
zu erholen.
Meine Wohnung gefällt mir gut, oder würde mir ganz gut gefallen,
wenn ich hinlängliche Möbel hätte. Das erwähnte Bett
oder Kanapee, ein Tisch, den ich auf einer Straßen-Auction für
10 Piaster gekauft habe und 4 Stühle bilden das Ensemble meines Mobiliars.
Ich habe es gestern kompletirt und bewohnbar gemacht durch den Ankauf eines
Nachtgeschirrs, einer Wasserkaraffe und eines Waschapparats. Jetzt kann
der Empfang der Patienten beginnen, sobald der Dolmetscher da sein wird.
Alles dies macht viel Mühe und findet sich nicht auf den ersten Tag.
Araber, die italienisch und französisch sprechen, sind selten; und
die übrigen sind noch spitzbübischer.
Der Bey residirt noch in der Hafenstadt La Goulette und Viele der übrigen
Familien haben ebenfalls Tunis verlassen, um Landhäuser zu bewohnen,
die in nicht zu entfernt gelegenen Orten, womöglich an der Meeresküste,
reichlich und gut, wie man sagt, in großer Kostbarkeit vorhanden
sind. Auch unser Consul mit Familie wird La Goulette bewohnen für
einige Monate. Er ist noch immer sehr liebenswürdig gegen mich, wenn
auch das vollständige Vertrautsein in englischen Familien nicht so
leicht ist. – Der französische Konsul packt seine Sachen um als ministre
plénipotentiaire nach Japan zu gehen. (Am Rand: scheint, wie ich
soeben höre, doch nicht sicher zu sein.) Die übrigen Consuln
werden froh sein, ihn nicht mehr in ihrer Nähe zu haben. Er überragte
sie Alle bedeutend an Fähigkeiten und tyrannisirte die tunesische
Regierung. Sehr achtungswerth scheint er nicht zu sein. Er war Muselmann,
Anhänger von Abd-el-Kader, dessen Tochter oder Nichte er sogar geheirathet
hatte. Nach dem Sturze Abd-el-Kaders, den er selbst vielleicht durch Verrath
herbeiführte, ging er wieder ins französische Lager über,
verließ seine Frau und leistete damals, wie es scheint, wesentliche
Dienste. Dem hat er wohl, nächst seinen gewiß bemerkenswerthen
Fähigkeiten, diesen herrlichen Posten hier (er hat ein Gehalt von
über 40.000 Franken) und seine Carriere zu verdanken.
In Preußen scheint es nach den letzten Journalen noch immer schlimm
auszusehen. Der Bismark’sche Staatsstreich macht überall viel von
sich sprechen, doch habe ich noch keinen Einzigen gehört, der auch
nur einigermaßen milde darüber geurtheilt hätte. Das Vertrauen
aber auf das preußische Volk ist im Allgemeinen groß. Wenn
doch der König abdanken wollte: es würde am Ende noch die beste
Lösung des ganzen traurigen Conflicts sein. Puebla ist genommen; ob
sich die Franzosen jetzt mit den Polen beschäftigen werden?
Was machen die Tigerkatzen? Solcher Thiere, d. h. nicht derselben Art,
hätte ich leicht noch viele und zu viel geringeren Preisen anschaffen
können, wenn Dr. Bodinus sie hätte haben wollen. Jetzt lasse
ich natürlich die Affen, Schildkröten, Geckos und Chamaeleons
(am Rand: d. h. deren Anschaffung), bis zu meiner Rückkehr, da es
vielleicht difficil ist, sie zu schicken.
Mit der Ankunft meines Briefes seid Ihr vielleicht schon wieder in
Coeln. Möge Euch der Aufenthalt in Reinhardsbrunn ebenso gefallen
haben, als im vorigen Jahre und denselben wohlthuenden, stärkenden
und reinigenden Einfluß auf Euch ausüben.
Vor einigen Tagen bin ich auf einer Judenhochzeit gewesen, um wenigstens
einen Theil dieses merkwürdigen Schauspiels anzusehen. Eine solche
Hochzeit dauert mehre Wochen ununterbrochen fort und erst nach Ablauf dieser
Zeit gelangt der junge Gatte in den ungestörten Besitz seiner Frau.
Ich habe niemals im Leben einen solchen Ueberfluß an Gold, Silber
und edlen Steinen gesehen, als bei dieser Gelegenheit. Denn nicht allein
die Braut trägt solche Kleidungen, wie ich sie Euch einmal beschrieben
habe (reich gestickte Hosen, Westen etc.) mehrere übereinander, sondern
alle ihre nahen weiblichen Verwandten waren fast ebenso reich gekleidet.
Ihre Finger waren bis zur Hälfte braun gefärbt, ein kleiner braunschwarzer
Punkt zierte die Stirn zwischen den Augenbrauen und ein ebensolcher das
Kinn. Augenbrauen und Augenlider waren geschwärzt. Die Finger sämmtlich
mit 3 bis 4 kostbaren Ringen geziert. Die Ceremonien sind nun sehr mannichfache
und schwer zu beschreiben. Es war dies der Tag der eigentlichen Verheirathung,
d. h. man wechselte die Ringe oder der Bräutigam gab ihr vielmehr
einen und man führte am Abend die junge Frau in das Haus des Gatten
unter großem Gefolge und Geschrei, mit Lichtern etc. Zur Erhöhung
der Feierlichkeit nimmt man Heulweiber, welche auf einem Tambourin herumtrommeln
und dazu das Lob der Braut singen. Allgemeines Geheul und Gesinge bei besonders
festlichen Momenten, wenn man der Braut den Schleier, der ihr ganzes Haupt
verhüllte, nahm oder den Gürtel entfernte etc. Festordner ist
der Barbier oder Friseur des jungen Ehemannes. Der Kopf des letzteren ist
ebenfalls mit einem Schleier bedeckt. Man war sehr liebenswürdig gegen
die anwesenden Europäer und Christen und erquickte uns mit Mandelmilch
und Kuchen. Jeder von uns begrüßte die Braut zeremoniel, wir
Männer durch Händedruck, doch die Damen waren vielfach genöthigt,
sie zu umarmen und zu küssen, so daß die arme Braut während
des Abends unserer Anwesenheit gewiß ein Tausend Küsse bekam.
Der ganze Chor der anwesenden weiblichen Verwandten und Gäste erhöhte
von Zeit zu Zeit die Feierlichkeit durch ein besonders seltsames Geräusch,
was sie mit der Zunge hervorbringen und was einige Aehnlichkeit mit lu
lu lu lu etc. etc, in ganz hohen und hellen Tönen hervorgebracht,
hat. Der Preis der Anzüge der Frau, die sie zusammen auf dem Körper
hat, kann sich auf viele Tausende von Thalern belaufen. Der Bräutigam
ist dagegen ziemlich einfach und ohne allzuvielen Prunk.
Nun Adieu, meine Lieben, gehabt Euch wohl und ich will noch einmal
hoffen, daß keine allzu unangenehmen Verhältnisse und Umstände
mich ohne Nachricht von Euch gelassen haben. Meine besten Grüße
für Euch und die ganze Familie. Nochmals, lebt wohl, bleibt gesund
und denkt an Euren
Gustav.
Tunis am 11ten July 1863
Mein lieber Onkel!
Endlich nach langen Irrwegen ist Dein betreffender lieber Brief in
meine Hände gelangt. Er ist ganz und gar bedeckt mit Poststempeln,
aus denen ich das, was Dein zweiter Brief, den ich am Donnerstag empfangen
habe, mich lehrte, schon ersehen hatte.
Es ist dies, glaube ich, eine Stupidität der Postbeamten von Marseille
und es ist nicht zu verstehen, daß, wenn dies die richtige Route
für nicht chargirte Briefe ist, dieselbe nicht auch für die chargirten
Gültigkeit haben sollte. Der andere Weg über Wien, Triest, Genua
etc. ist viel langweiliger und zeitraubender und ist gewiß nicht
einmal so sicher, wie der durch Frankreich, wenn man die vielfachen Beschwerden
hört, die stets gegen die oesterreichische Posten erhoben werden.
Wenn also die Post in Coeln nicht das Gegentheil sagt, so würde ich
die Adresse der Briefe nach Tunis stets mit dem Zusatze: via Marseille
versehen. – Für den Inhalt des Briefes sage ich meinen herzlichsten
Dank. – Daß Ihr in Reinhardsbrunn sein würdet, wie Dein letzter
Brief beweißt, hatte ich vermuthet, wie auch die Begleitung von Lenchen
dorthin. Sie schreibt ganz entzückt über die Naturschönheiten
dieses idyllischen Aufenthaltsortes, über die Waldungen und ihre Bewohner,
über die Hügel und Berge, die Ihr mit ihr besucht und bestiegen
habt. Die wohlthuende Stille dieser Gegend, die doch durch die Nähe
der Landstraße der Abwechslung nicht entbehrt, wird hoffentlich ihren
heilsamen Einfluß auf die Nerven der lieben Tante geltend machen
und die leichten Störungen, denen sie in ihrer Gesundheit in letzterer
Zeit unterworfen gewesen ist, bald gänzlich vergessen machen. Die
Schilderung Lenchens hat mich recht lüstern auf eine heimathliche
Waldung gemacht. Es ist schon lange her, daß ich nicht einen ordentlichen,
anständigen Baum erblickt habe, z. B. eine Eiche oder eine große
Linde. Wenn in Algérien schon ½ Bäume nicht häufig
waren, so fehlen sie in Tunis ganz und ich wüßte mich nicht
zu erinnern, auch nur einen einzigen mittelmäßigen in der Stadt
oder ihrer näheren Umgebung gesehen zu haben. Sonne und wieder Sonne,
noch viel mehr Staub und die scharf reflectirenden Mauern der Häuser
machen das Ausgehen am Tage durchaus nicht angenehm. Der Boden in der Umgebung
der Stadt zeigt weder schöne Saaten, noch das saftige Grün unserer
Wiesen, sondern ist verbrannt, unkultiviert zum größten Theil
und trägt nur verkrüppelte Olivenbäume, die durch ihren
dunkelgrünen, finsteren Blätterschmuck weit entfernt sind, an
das frische Grün unserer Waldbäume zu erinnern. Und doch ist
das Land fruchtbar: es bedarf nur regelmäßiger Cultur und Bewässerung.
Die Dörfer, die nicht weit von hier existiren und in denen die Vornehmen
Landgüter besitzen, sollen sich durch herrliche Gärten auszeichnen.
Und irgendwo müssen doch auch die zahllosen Rosen wachsen, denen Tunis
durch die Fabrikation von Rosenoel einen Theil seines Rufes verdankt. Ich
gedenke nächstens dorthin zu gehen, um dem ersten Arzte des Bey, der
in einem der Dörfer, Marsa seinen Landaufenthalt hat, meinen Besuch
zu machen. Tunis selbst ist wirklich abscheulich. Keine Möglichkeit
der Zerstreuung, sei es durch Bücher, Promenaden oder Caffeehäuser
und Lesekabineten, wenig Leute, mit denen man sprechen und die man besuchen
kann. Ein wahres Grab, wenn man keine Beschäftigung hat, die einem
Ersatz bietet. Darum will ich von ganzem Herzen hoffen, sie bald zu finden.
– Dies wird hoffentlich seinen Anfang nehmen, sobald ich im Besitz eines
Dolmetschers bin, den ich in geeigneter Weise noch nicht habe finden können.
Jetzt beschäftige ich mich damit, italienisch zu lernen, was doch
als die herrschende europäische Sprache das unentbehrlichste ist.
Jedenfalls findet man in diesen äußeren Anforderungen eine Menge
Stoff zur Beschäftigung.
Der französische Doctor ist jetzt als Schwindler entlarvt und
als solcher vor dem Gerichte seines Consulats gewesen. Doch hat er immerhin
auf diese Weise einen Theil des Credits im Publikum ruinirt. Von dem anderen
französischen Arzte, der mit Familie angekommen ist, habe ich Nichts
weiter gehört.
Im Ganzen, lieber Onkel, lernt man in einem so scheußlichen Lande,
wie Tunis ist, das Vaterland schätzen, wenn es auch augenblicklich
von Herrn von Bismark regiert und im Auslande in Mißcredit gesetzt
wird. Hat die Cölnische Zeitung noch kein Avertissement bekommen?
Wenn dieser Brief bei Euch ankommt wird man in Coeln das große
Deputirtenfest schon festlich begangen haben, das man, glaube ich, auf
den 18ten sich vorgenommen hat? Ihr seht, ich bin über die Vorkommnisse
ganz gut unterrichtet, und ich habe stets gefunden, seit ich die Heimath
verlassen habe, daß die französischen Journale gut über
die Ereignisse in Preußen unterrichtet waren. Sie waren stets in
vollster Uebereinstimmung mit Deinen Nachrichten und denen, die ich auf
anderen Wegen empfing.
Eine Antwort auf Lenchens Brief, für den ich recht von Herzen
meinen Dank sage und über den ich mich unbeschreiblich gefreut habe,
behalte ich mir für nächstes Mal vor, da ich diesmal an meine
Mutter, Schwester, nach Bône etc unumgänglich schreiben muß.
Ich sage ihr bis dahin durch Euch meinen innigen Dank, wie auch nicht minder
an Julchen, der ich auch dann einige Postmarken gesammelt haben werde.
Eure Postmarken finden hier natürlich auch ihre Bewunderer und Sammler.
Die meisten sind bisher nach Philippville gegangen, wo sie sich eine Dame,
die ich nicht kenne, für ihre Sammlung hat erbitten lassen.
Hat Fräulein Sophie in Lenchens Abwesenheit das Haus ordentlich
verwaltet? Ich freue mich recht darauf, sie als vollständig große
Dame wieder zu sehen. Meine herzlichsten Grüße an Alle die übrigen
Kinder der Familie, vorzüglich die Jungen im Hause. Die Großmutter,
die sich nach Lenchens Brief, einer ungestörten Gesundheit erfreut,
ist jedenfalls in Honnef. Wollet Ihr bei Eurem nächsten Besuch meinen
Respect, meine Verehrung überbringen. Was macht der zoologische Garten?
Auch ohne Deinen Rath, lieber Onkel, von weiteren Lieferungen für
ihn abzusehen, würde ich dazu jetzt in Tunis selbst kaum Gelegenheit
finden. Ich bitte, den Dr. Bodinus zu grüßen und ihm das mittheilen
zu wollen.
Ich bin von der Hitze so aufgelöst und habe so wenig Neues gesehen
und erfahren seit meinem letzten Briefe, daß ich mir erlauben muß,
den Brief so mager, als er ist, abzuschicken, obgleich ich mir gewissermaßen
wegen des theuren Porto’s Vorwürfe mache. Was letzteres betrifft,
so erwartet man täglich eine Minderung desselben. Die Kaufleute beklagen
sich schon lange über den ungeheuren Preis.
Was macht die Thürmchens-Gesellschaft? Was Thermar’s, Paas, Weegmanns
und die übrigen Euch näher stehenden Familien? Ich habe lange
Nichts von Ihnen gehört. – Wie steht es mit Herrmanns Badereise in
diesem Sommer? Ist sie nach Pyrmont in Ausführung gekommen? Von meiner
Mutter und Schwester habe ich seit einigen Wochen keine Nachricht bekommen,
ich will von ganzem Herzen hoffen, nächsten Donnerstag etwas Gutes
über ihr Befinden zu erfahren.
Möget Ihr endlich glücklich von Eurer Reise zurückgekommen
sein und möge sie eine gute Nachwirkung zurücklassen. Meine wärmsten
und liebevollsten Grüße an Euch Alle!
Euer Gustav.
Tunis am 31sten Juli 1863
/14 Aug
Mein lieber Onkel und meine geliebte Tante!
Von ganzem Herzen will ich hoffen, daß Du, lieber Onkel, unmittelbar
nach dem Schreiben Deines letzten Briefes in Besitz des meinigen, der den
Empfang des quästionirten meldet, gekommen bist. Es sollte mir leid
thun, wenn Du weitläufige Recherchen anstellen solltest, die immerhin
Mühe, Schreibereien u.s.w. machen. Du wirst dann ersehen haben, daß
Deine Vermuthung über die Existenz einer anderen Post eine wohlbegründete
ist, nur daß der Brief trotz meiner Kenntniß dieser Thatsache
nicht eingelaufen war. Der Weg über Oesterreich, durch Italien, ist
nicht allein weiter, sondern gewiß unregelmäßiger und
mehr Zufälligkeiten, Unterbrechungen etc ausgesetzt, weshalb ich auch
im fraglichen Briefe gebeten habe, die Briefe mit der Adresse „via Marseille“
zu versehen, welchen Rath mir hier die französischen Postbeamten gegeben
haben. Deinen letzten lieben Brief, für den ich Dir meinen lebhaften
Dank sage, habe ich ebenfalls über Italien empfangen, doch ist er
wenigstens nicht über Wien etc gegangen und also etwas schneller angekommen.
Ich habe immerhin soviel Bekanntschaft hier, daß ich nicht in
unangenehme Verlegenheiten gerathen bin. Doch ist es nicht wohl möglich,
wie Du wohl einsehen wirst, daß ich Monate lang in Vorrath bin, zumal
nach einem Wechsel des Aufenthalts. Rechne ca 150 frcs monatlich regelmäßige
Kosten, so nehmen zwei Monate schon einen großen Theil der Summe
(die ich im Anfange Juni erwartete) in Anspruch. Dazu kommt, daß
bei der herrschenden Hitze eine leichtere Kleidung unbedingt nothwendig
ist, zumal da ich mir seit meiner Ankunft in Algérien noch Nichts
hatte anfertigen lassen, und derlei Sachen sind im Ganzen hier theurer,
als bei uns. Dazu Stiefel und die nothwendigsten Sachen der Einrichtung:
und eine derartige Summe ist fast erschöpft. Doch bitte ich vor Allem
zu glauben, daß mein Hauptbestreben stets sein wird, durch Sparsamkeit
Eurer Güte die Sache nicht theurer werden zu lassen, als unbedingt
nöthig ist. Noch einmal aufrichtigen Dank für diesen Brief.
Die Wärme fängt jetzt stellenweise an, etwas unangenehm zu
werden und 30°, 32°, 34° des Celsius’schen Thermometers sind
durchaus nicht selten. Auch bei Nacht bleiben wir immerhin auf ca 25°
stehen. Ich befinde mich sehr wohl dabei, wenn ich auch ihren Einfluß
verspüre und wie alle Einwohner etwas schlafsüchtig und faul
werde. Es regnet natürlich niemals, der Himmel ist stets ganz klar,
es sei denn, daß der Sirocco (hier anders genannt), wehe, wo die
ganze Atmosphäre mit einem gelblichen Hauche, welcher allen entfernteren
Gegenständen einen entsprechenden gelblichen Schleier verleiht, versehen
ist, der wohl einem wirklichen feinen Staube seinen Ursprung verdankt.
Die Abende zeichnen sich besonders durch ihre wunderbare Schönheit
aus. Der Mond leuchtet mit einem lebhaften Lichte, fast wie das Eigenlicht
der Sonne mit sich bringt, und läßt bei der Durchsichtigkeit
der Atmosphäre viele Meilen weit entfernte Berge mit wunderbarer Klarheit
sehen. Der bevorstehende Monat wird wohl der wärmste von Allen sein,
wenn auch der September ebenfalls noch das Seinige leistet. Die Eingeborenen
tragen zum Theil riesige Strohhüte, deren Rand so breit ist, daß
er, um nicht seiner Schwere zu folgen und auf allen Seiten des Kopfes herunterzuklappen,
mit Stricken an dem Kopfe befestigt ist.
Letzterer ist sehr hoch und das Ganze ein recht komisches Gebäude.
Alles ist mit Fächern bewaffnet, wie ich wohl schon früher erwähnt
habe, deren ich einige mitbringen werde, da sie sich zugleich durch billigen
Preis auszeichnen. Zum Ausgehen am Tage bedient man sich wo möglich
weißer Regenschirme, um die Sonne abzuhalten. Die Häuser oder
Zimmer sind glücklicher weise größtentheils durch reichlichen
Durchzug und ihren versteckten Bau vor den Sonnenstrahlen geschützt.
– In der vergangenen Woche machte ich mit dem amerikanischen Vertreter
und dem Pastor Fenner und ihren Familien eine Partie nach einem einige
Stündchen entfernten, am Ufer des Meeres gelegenen Städtchen.
Wir hatten im Ganzen etwa 10 Minuten in der Sonne zu gehen, welche kurze
Zeit jedoch hinreichte, um Jedem an irgend einem Theil des Gesichts oder
der Schultern die Haut zu verbrennen. Besonders die Damen kamen schlecht
fort. In der Sonne kommen wir gewiß bis über 40° Celsius,
ich werde zur Constatirung des Grades ein Thermometer der Sonne aussetzen.
Das erwähnte Städtchen, Sidi Bouzaïd, ist eine heilige
Stadt und bis vor kurzem war es keinem Christen oder Israeliten erlaubt,
dort einzutreten. Für die Juden besteht das Verbot fort, doch darf
ein Christ ebenfalls dort keinen Wohnsitz erwerben. Es giebt noch eine
Menge Ortschaften heiligen Ursprungs in der Regentschaft, in denen das
ursprüngliche Verbot noch aufrecht erhalten wird.
Die Krankheiten hier sind mannigfaltige, wenigstens augenblicklich.
Besonders fangen bösartige Fieber, die man sonst fast nicht kannte,
an sich zu zeigen und man bringt diese Erscheinung, vielleicht nicht ohne
Grund, mit der neuen Wasserleitung, die das Wasser aus einer bösen
Fiebergegend herbeiführt, in Verbindung.
Doch sind augenblicklich die gewöhnlichen Sommerkrankheiten in
Folge des übermäßigen Genusses von Obst, das im Allgemeinen
sehr schlecht ist, nicht grade allzu zahlreich. Ich selbst bin ärztlich
ziemlich beschäftigt, wenn ich auch gestehen muß, daß
ich noch keinen Karus, die kleinste gangbare Kupfermünze, verdient
habe. Es ist eine wahre Armenpraxis, die ich zu besorgen habe, in der ich
weit mehr Elend, Noth, Bestialität zu sehen bekomme, als ich mir in
Europa träumen ließ. Seit einigen Wochen bin ich unter den armen
Juden etwas bekannt geworden und es ist vorzüglich in ihrem Quartier,
daß ich mein Wesen treibe. Hoffentlich wird sich die Praxis auch
mit der Zeit auf andere Klassen erstrecken, deren Behandlung etwas lohnender
und zufriedenstellender ist, wenn ich auch die Schwierigkeiten, die sich
dem entgegenstellen mehr und mehr erkenne. Die Ärzte sind ziemlich
zahlreich, nach Nationalitäten etwas geschieden, so daß es nicht
leicht ist, sich bei einer fremden Nationalität Geltung zu verschaffen;
der Argwohn gegen Fremde, deren man weit mehr reine Spekulanten und Charlatane,
als ehrliche Leute sieht, begreiflicherweise sehr rege; Vorurtheil, Aberglaube,
Gleichgültigkeit, Fatalismus u.s.w. weit gewöhnlichere Uebel,
als bei uns. Die Reichen hängen vom Hofe ab und bereichern sich sämmtlich
unter der Aegide des Hofes. Alles dies sind Sachen, welche den Weg eines
fremden, keiner der Haupt-Nationalitäten angehörenden jungen
Arztes erheblich erschweren. Doch, sei dem, wie ihm wolle, ich habe immerhin
eine nutzbringende praktische Thätigkeit, die meine Kenntnisse und
Erfahrungen zweifelsohne auch bereichern wird. – Wenn ich nur erst geeignete
Individuen zu Staaroperationen gefunden hätte! Nach gelungener Operation
würde ein gewisser Erfolg gewiß nicht ausbleiben.
Doch von der Undankbarkeit, Niedrigkeit, Gleichgültigkeit der
Bevölkerung könnt Ihr Euch keine Idee machen. Ich erscheine in
einem Hause und erweise Jemand einen kleinen Dienst: und man betet mich
an. Man küßt meine Hände, meine Beine, meinen Rock, meinen
Dolmetscher. Morgen hat man mich nicht mehr nöthig oder ich habe kein
Wunder gethan: und man kennt mich nicht mehr. Mit Thränen bittet mich
heute eine Mutter um ein Recept für ihr krankes Kind: morgen finde
ich das Recept ruhig vor, ohne daß etwas geschehen ist, oder man
hat es verloren u.s.w. u.s.w. Eine entsetzliche Bevölkerung!
Von Uchtenhagen habe ich gute Nachrichten, wenn auch die Schwiegereltern
meiner Schwester das Unglück gehabt haben, gänzlich abzubrennen.
Irgend ein Schaden ist glücklicherweise damit nicht verbunden gewesen.
Meiner Mutter und Schwester geht es ziemlich gut. Ich freue mich nicht
minder, aus Eurem letzten Briefe zu ersehen, daß Euch die Thüringer
Reise vortrefflich bekommen zu sein scheint. Möge sich Deine Gesundheit,
meine liebe Tante, von Tag zu Tag mehr verbessern: das ist mein sehnlichster
Wunsch, den ich wohl kaum einen Tag vergesse mir auszusprechen. Möge
die Großmama Euch noch lange erhalten bleiben und die Kinder Euch
die wohlverdiente belohnende Freude machen!
Für einige Wochen ist jetzt ein Rheinländer, aus Solingen
hier, Kaufmann, der alle paar Jahr die Türkei, Klein-Asien, Egypten,
Tunis und Italien in Quincaillerien zu bereisen scheint. Er heißt
Putsch und scheint ein sehr ordentlicher Mann zu sein. –
Die letzten politischen Nachrichten sehen nicht sehr hoffnungsvoll
aus, wenigstens was die polnische Frage anbetrifft. – Ueber Preußen
habe ich Nichts mehr gelesen: Seit der Reise des Königs und Herrn
von Bismarks scheint die Verfassungsfrage zu ruhen. Nur die Avertissements
der Journale häufen sich in fast komischer Weise. Die Correspondenz
zwischen König und Kronprinz, von der man schrieb, scheint, wie ich
mir gleich dachte, nicht authentisch zu sein. Giebt es etwas Neues, so
theilt es mir doch mit, wenn es Dir, lieber Onkel, nicht zu viel Mühe
macht.
Herzlichste Grüße, aufrichtigsten Dank und meine wärmste
Liebe!
Euer Gustav.
Tunis am 21sten August 1863
Meine Lieben!
Ich weiß wirklich diesmal nicht, welchen Gegenstand des Interesses
ich meinem Brief einverleiben kann, da in Tunis leben eigentlich lebendig
begraben sein heißt. Keine Ereignisse frischen Einen auf, keine neuen
Anschauungen regen an; man vegetirt kümmerlich fort, manche Tage,
ohne einen einzigen gebildeten Menschen zu sehen. Wenn der englische Pastor
nicht hier wäre, wüßte ich wirklich nicht, wie ich das
Leben ertragen sollte.
Denn wenn ich auch bei ausreichender Beschäftigung mir vielerlei
Entbehrungen gern gefallen lassen wollte, so ist doch meine ärztliche
Thätigkeit keine allzu Freudenbringende. Zuerst habe ich nur Kranke
in äußerster Armuth gesehen, bei denen man sich stets verleitet
sieht, noch ein Scherflein zur Minderung ihrer Misere beizutragen; dann
aber ist man, je gutmüthiger und opferwilliger man sich unentgeltlich
den ärztlichen Mühen unterzieht, um so leichter der rücksichtslosesten
Undankbarkeit ausgesetzt; endlich habe ich das Unglück gehabt, die
erste große Augenoperation mit unglücklichem Erfolge zu machen.
Ich habe einem Israeliten den Staar operirt, ihn zu der nachfolgenden nothwendigen,
sorgfältigen Behandlung in meiner Wohnung gehabt, trotz seines Ungeziefers,
war natürlich ihn zu ernähren gezwungen; habe auf der Erde geschlafen
etc etc und eine nachfolgende Entzündung machte alle meine Mühe
vergebens und den Erfolg der Operation zu nichte. Bei der natürlichen
Furcht aller Israeliten vor Schmerz und Operation wird das vielleicht meiner
operativen augenärztlichen Thätigkeit ein frühes Ende bereiten.
Ich muß unter den Arabern mein Heil versuchen. Endlich scheint seit
meiner Anwesenheit hier Tunis ein wahres Schlachtfeld für ärztliche
Concurrenten geworden zu sein. Vor mir hatte der französische Charlatan
das öffentliche Vertrauen wankend gemacht. Kaum fange ich an, es etwas
zu befestigen, kommt ein anderer französischer Arzt und vorgestern
endlich ein französischer Ophthalmologe. Die meisten verstehen, ich
muß es leider zugeben, die geschäftliche Seite ihres Metiers
besser, als ich. Das erste, was sie thun, sind riesige Plakate an den Straßenecken
und das Aussenden von Emissären zur Zusammentreibung von Kranken etc.
etc. Sachen, die mir allerdings höchst widerwärtig und unpassend
erscheinen, so daß ich mich nur im Zustande äußerster
Noth würde dazu entschließen können. Ich bin wirklich für
die Concurrenz der Neuzeit wenig gemacht, wie sie die großen Städte
erfordern, wenn man nicht wohlhabend ist, und es wird mir schließlich
nichts übrig bleiben, als an einem kleinen Orte meine Kräfte
und Kenntnisse zu verwerthen.
Daß mein Onkel Carl in Berlin ziemlich plötzlich an einem
Halsleiden verschieden ist, wird Euch wohl durch meine Mutter mitgetheilt
sein. Er war jünger, als meine Mutter und ein äußerst kräftiger,
gesunder Mann, der bei seiner Gelehrsamkeit, die von Allen, die ihn kannten,
wenn sie auch verschiedenen Anschauungen huldigten, geschätzt wurde,
der Welt noch viel Dienste leisten konnte. Er ist mitten in seiner Thätigkeit
unterbrochen worden; die letzte Lieferung eines Buches über die Freiheitskriege
sollte demnächst erscheinen. Die Nachricht seines Todes hat mich sehr
überrascht und sehr betrübt. Er war vorzüglich während
unserer Kindheit unser sehr großer Freund, und wir verdanken ihm
viele vergnügte Stunden. Er war ein braver Mann, der in der Schule
eines ungetheilten Ansehens genoß.
Meine Mutter macht fortwährend Fortschritte in der Genesung und
in der Verlängerung ihres Beines. Auch Marien’s Husten scheint sich
gebessert zu haben. Ich will hoffen, daß es Euch Allen in Coeln nicht
minder gut geht. Ich bin mit meiner Gesundheit ebenfalls zufrieden, während
die Uebersiedlung hierher erst Schwankungen in derselben zur Folge hatten.
Das ist Alles, was ich von hier mittheilen kann. Ich kann nicht einmal
über Politik sprechen, da die französischen Journale, welche
ich nach der Abreise des Grafen von Brayer während seiner Reise durch
Italien für ihn in Empfang nahm, aufgehört haben anzukommen.
Jetzt weiß ich nur im Allgemeinen, daß die Stellung zwischen
Frankreich und Rußland sehr gespannt und die Gefühle ersterer
Macht für Preußen nicht allzu freundschaftliche sind.
Was haben denn der König von Preußen und der Kaiser von
Oesterreich in ihrer Unterredung besprochen und abgemacht? Von der übrigen
Welt weiß man hier ebenfalls Nichts. Der Bruder des Bey, der künftige
Thronfolger, der sogenannte Bey du camp (so genannt, weil er stets auswärts
im Lager bei der Armee zubringt, die immer nöthig ist, um die Steuern
im Land einzutreiben) ist vor 7 Tagen plötzlich gestorben und heute
glaube ich, hat es eine Festlichkeit im Bardo gegeben bei Gelegenheit der
Ernennung des neuen Bey du camp, auch eines Bruders des Beys. Außerdem
hat der Baschembo (so etwas wie Polizei-Präsident), der die Würde
eines Generals hat, den Kutscher des Khasnadar, des Premier-Ministers,
ermordet, aus Gründen, die ebenso schmutzig und scheußlich sind,
als der Mord. Der Khasnadar will ihn zum Tode verurtheilt sehen, weil es
sein dritter Domestik ist, der von jenem wahrscheinlicherweise ermordet
wurde, und der Bey ist, glaube ich, auch disponirt, ihn geköpft zu
sehen, weil der Mord am Todestage seines Bruders vollbracht wurde. Das
sind die Sachen, die uns interessiren, aus Mangel an wichtigeren Ereignissen.
Mein Consul ist noch und bleibt noch in La Goulette; der Pastor Fenner
wird in nächster Woche ebenfalls auf einen Monat verreisen und der
amerikanische Consul geht im nächsten Monat ebenfalls auf 3 Monat
nach Italien. Alsdann bin ich ganz verrathen und verkauft. Meine einzige
Rettung wird dann die Arbeit sein, die ich allerdings bald werde anfangen
können, da ich in Algérien und hier mancherlei beobachtet,
gesehen und erfahren habe, was zur Kenntniß des hiesigen Landes und
Klimas beitragen könnte. An den täglichen Verkehr mit der Familie
Fenner bin ich so gewöhnt, daß ich ihn schwer vermissen werde.
Denn die Einwohner sind so schlecht, so unzuverlässig, so ungebildet,
so intriguant, so verleumderisch, daß man einen honetten Freund sehr
hoch halten lernt. Die Europäer hier sind gewiß nicht besser,
als die Eingeborenen. Der Fabrikant aus Wald bei Solingen, der hier war,
hat Euch wohl schon meine Grüße überbracht und von Tunis
erzählt, was ich nicht geschrieben habe, da er schon seit langer Zeit
alle paar Jahre hierher kommt.
Eine Sache hat Tunis, die ganze hiesige Gegend und der Orient, die
lobenswerth und vergnüglich ist: das sind die maurischen Bäder,
ohne welche die Bevölkerung wahrscheinlich nicht würde leben
können. Sonderbarer Weise sind es die Bewohner einer großen
Oase im Sahara-Theil Algériens, welche im Rufe stehen, allein den
ganzen Tag die hohe Temperatur der Bäder ertragen zu können und
welche diesen Industriezweig fast ganz in Händen haben. Es sind dies
die Bewohner der Oase der Beni-Mzab, von denen ich früher wohl schon
gesprochen habe: die Mzabiten. Sie zeichnen sich vor allen Arabern schon
äußerlich durch Gesicht und Kopfbildung aus, noch viel mehr
aber durch ihren Fleiß, ihre verhältnismäßige Redlichkeit
und durch ihre religiösen Anschauungen. Letztere geben ihnen eine
Stellung, wie die Protestanten unter den Katholiken sie einnehmen, und
ziehen ihnen im Ganzen Haß und Verachtung unter den Muselmännern
zu. Ihrer Oase stehen nur geringe natürliche Existenzquellen zu Gebote,
so daß sie, sich auf sie verlassend, in äußerster Armut
und Noth schmachten würden; trotzdem ist dieselbe mit 7 ansehnlichen
Städten geziert und erfreut sich einer lebhaften Industrie, die ihre
Produkte zum größten Theil dem Sudan, dem Negerlande, durch
Karawanen zuführt. Doch können die Einwohner nicht alle in der
Heimath ernährt werden und sie wandern daher in der Jugend in die
Städte des Nordens, um als Kaufleute und in Badeetablissements Subsistenz-Mittel
für die Zukunft zu gewinnen. – Die Bäder nun sind gewöhnlich
im Erdgeschoß gelegen und leidlich kenntlich, wenn sie auch kein
Schild tragen, durch die komischen Darstellungen des Löwen im Hausflur,
dessen Bild wohl niemals vermißt wird. Vom Hausflur gelangt man in
einen großen Saal oder in ein großes Gemach, das von einer
Menge liegenartiger Betten gefüllt ist, die nur einen schmalen Gang
frei lassen. An den Seiten dieses großen Hauptgemaches findet man
noch in besseren Etablissements kleinere Gemächer für die Vornehmen.
Man kleidet sich hier aus, wo noch ungefähr die gewöhnliche Temperatur
herrscht, bekommt ein Schurzfell und einen Ueberwurf um und wandelt in
ein zweites Gemach mit erhöhter Temperatur, wo man sich niedersetzt,
plaudert und sich an die Temperatur gewöhnt. Ein 3tes ist von sehr
hoher Temperatur und gewöhnlich noch für Liebhaber mit einem
Bassin heißen Wassers versehen. Darauf wird man auf ein auf dem Steinboden,
der überall ist, ausgebreitetes Tuch gelegt, ein kleines Kopfkissen
untergeschoben und jetzt beginnen die Badewärter ihre Thätigkeit
des Waschens, Klopfens, Klatschens, Reckens und Dehnens, wie sie den ganz
passiven Körper des Badenden in einen höchst angenehmen und behaglichen
Zustand versetzt. Zum Frottiren ziehen diese Wärter, welche in derselben
Kleidung, wie die Badenden sind, große Fausthandschuhe von Ziegenfell
an. Alle ihre Proceduren gehen nach dem Tacte und nach gewissen Regeln
und sind gewöhnlich von einem eintönigen, melancolischen Gesang
begleitet. Dann wird man mit einigen Eimern warmen Wassers übergossen,
wird gründlich abgeseift mit großer Verschwendung von Seife,
wieder übergossen und wandelt nun in ein anders Gemach mit kleineren
Verschlägen und Bassins, wo die Temperatur etwas niedriger ist und
man die Bassins mit Wasser von beliebiger Temperatur (es sind Krahnen für
warmes und kaltes Wasser da) füllen kann. Hier wäscht man sich
etwas kühler ab, um allmählig sich an die gewöhnliche Temperatur
zu gewöhnen und kehrt nach all’ diesem in den Hauptsaal zurück,
nachdem man in große, ganz weiche, wollene Tücher gehüllt
ist, deren ein Etablissement viele Tausende besitzen muß, und legt
sich dort ins oder aufs Bett. Man dünstet noch enorm aus, ist jedoch
durch die weichen Tücher und den wollenen Turban vor jeder Erkältung
geschützt. Jetzt schläft man oder träumt behaglich oder
plaudert, während man noch einmal, etwas sanfter, geknetet wird, und
muntert sich endlich durch eine Tasse arabischen Kafees wieder auf. Denn
die ganze Procedur, die wohl 2 Stunden dauert, ermattet etwas, doch in
höchst angenehmer Weise. Das sind die maurischen Bäder!
Doch jetzt, wie geht es in Coeln? Was macht Ihr, und die Kinder und
die Großmutter und die ganze Familie? Ist Dir, liebe Tante, Thüringens
Aufenthalt ebenso wohl bekommen, als im vorigen Jahr? Meinen Brief, in
den ich einen an Lenchen eingelegt hatte, habt Ihr doch bekommen? Ich hoffte
eigentlich schon am Donnerstage einige Zeilen von Euch zu sehen, doch werde
ich mich wohl noch eine Woche gedulden müssen. Ich habe lange Nichts
von den bekannten Familien in Coeln gehört. Wie geht es Thermars,
Paas, Weegmanns, Rudolf’s, Funke’s etc etc? Empfehlt mich denen, die meiner
etwa Erwähnung thun und grüßt die sämmtlichen Glieder
unserer Familie auf das Wärmste und Herzlichste. Wie geht es Carl
in der Schule? Macht Wilhelm noch gute Fortschritte und denkt der kleine
Albert mehr an die Schule als an dumme Streiche? Nehmt jetzt meinen dankbaren
Wunsch für Euer aller Wohl und denkt und schreibt an
Euren
Gustav.
Tunis am 6ten September 1863
/11 Oct
Ich habe so lange, mein lieber Onkel und verehrte Tante, keine Nachricht
von Euch erhalten, daß ich doch anfange, mich zu beunruhigen. Möge
der Grund kein solcher sein, der Eure Gesundheit, Euer Wohl etc etc in
Frage stellen könnte! Doch welche Ursache hat es? Nach Eurem letzten
Briefe genosset Ihr einer ungetrübten Gesundheit, und vorzüglich
auch Du, liebe Tante, schienst mit der Deinigen ganz zufrieden zu sein.
Es ist wahr, meine gewöhnliche, pünktliche 14tägige Correspondenz
ist in der letzten Zeit öfters nicht so ganz regelmäßig
geblieben. Statt 14 Tagen lagen einige Male 3 Wochen dazwischen. Doch müßt
Ihr bedenken, daß Tunis ein Land ist, in dem Wenig oder Nichts passiert,
wo man keine frischen Anschauungen aufnimmt, keine neue Anregungen empfängt.
Die Stabilität der Muhamedaner, ihrer Religion und ihrer ganzen Lebensweise
bringt keine Abwechslung mit sich, sondern ist vielmehr von ertödtender
Einförmigkeit. Ein großer Theil der Einwohner von Tunis, Europäer
mit inbegriffen, lebt in der That nicht, sondern vegetirt nur. Dem entsprechend
spinnt sich mein Leben hier mit einschläfernder Gleichförmigkeit
ab. Doch glücklicherweise ist diese Gleichförmigkeit keine Ruhe.
Ich erhebe mich des Morgens um 6 Uhr, lerne bis 8 Uhr etwas italienisch,
oder lese über die Krankheiten meiner Patienten und denke über
sie nach, beginne dann meine Runde zu machen, was bis 10 Uhr dauert und
beschließe meinen Morgen mit dem Frühstück. Darauf plaudere
ich mit einem Maltesischen Arzte, der im Hotel wohnt, oder lese mit ihm
ein Stück italienisch, um mich alsdann durch einen energischen Mittagsschlaf,
allgemein Siesta genannt, für den Rest des Tages vorzubereiten. Darauf
studiere ich Etwas, um 4-4½ Uhr kommen die Patienten, die mich oft
bis 7 Uhr aufhalten, wo ich meine 2te Mahlzeit einnehme, um nach Tische
die einzig mögliche Promenade, von der Stadt zur Marina, etwa 10 Minuten
weit, zu machen. Um 10 Uhr lege ich mich zu Bett. Ihr werdet finden, das
im Ganzen das Capitel des Schlafes reichlich bedacht ist; doch dies ist
nothwendig in diesem Lande, wenigstens in der heißen Jahreszeit.
Meine Praxis nimmt, wie Ihr seht, ebenfalls schon eine beträchtliche
Zeit in Anspruch, doch leider ohne bis jetzt lohnend geworden zu sein.
Im Ganzen habe ich etwa 30 Piaster eingenommen und habe noch etwa ebenso
viel ausstehen. Ein Anderer, als ich, würde allerdings mehr herauszuziehen
gewußt haben; doch das wird wohl leider stets mein Fehler bleiben,
die geschäftliche Seite nicht energisch genug zu betreiben, eine Sache,
die hier vorzüglich außerordentlich am Platze sein dürfte.
Daß es die letzten Wochen waren, in denen ich diese geringen Summen
eingenommen habe, läßt in mir noch immer die Hoffnung aufkeimen,
daß sich die Sache noch arrangiren werde. Der unglückliche Erfolg
der ersten großen Operation hat mir natürlich sehr geschadet.
– In der Person des genannten maltesischen Arztes, der sich allerdings
sehr geringer Kenntnisse rühmen zu können scheint, habe ich freilich
das traurige Beispiel des Nichtgelingens vor Augen. Der arme Mann ist sehr
pflichteifrig und brav und hat seit ca 9 Tagen keinen Patienten, was ihn
begreiflicherweise in nicht geringe Verzweiflung versetzt.
In der verflossenen Woche war ich in Marsa, ein aus Landhäusern
bestehendes Dorf, 2 Stunden von Tunis, um dort den Dr. Lumbroso, den ersten
Leibarzt des Bey, zu besuchen, der dort den Sommer verbringt. Der Empfang
war ein außerordentlich liebenswürdiger und der ganze Besuch
erleichtert dadurch, daß er mit Leichtigkeit französisch spricht.
Er hat ein prächtiges Haus dort, mit ebenfalls prächtigem Garten,
welcher freilich noch etwas im Entstehen ist. Das sind Alles Geschenke
des Bey, die er auf einmal macht, vielleicht nachdem er von einer geringen
Indisposition geheilt war. Für den Intriguanten ist dies Land eine
günstige Gelegenheit, sich von der allgemeinen Beute, um die die Großen
des Landes ringen, einen erklecklichen Antheil zu verschaffen. – In der
Marsa sieht man in den Gärten dort, was das Land hervorzubringen vermag,
wenn es durch sorgfältige Bewässerung dazu angeregt wird. Das
Land ringsum ist eine Wüste, die Gärten Oasen darin. Kein Grashalm,
der noch seine grüne Farbe bewahrt hätte, kein Baum, als der
Olivenbaum mit seinem finsteren Grün, keine Kräuter, die auch
nur einem bescheidenen Esel zur Nahrung dienen könnten, zieren das
Land: Alles ist von den brennenden Strahlen der Sonne getödtet, gelähmt,
ausgedörrt. In den Gärten dagegen, die mit einiger Sorgfalt gepflegt
sind, wachsen Rosen, vorzüglich der geliebte Jasmin, (der sich im
Arabischen ebenfalls Jasmin nennt), Granatäpfel, eine köstliche,
erfrischende Frucht, welche jetzt anfängt zu reifen, u.s.w. Doch eine
große Mannigfaltigkeit von Blumen kennt man hier nicht. Jasmin, Rosen
und Nelken sind der ganze Reichthum. Die Rosen zur Fabrikation von Rosenwasser
und Rosenoel, die Nelken und Jasmin werden zu 3 oder 4 als kleine Bouquets
zusammengebunden, in der Stadt herumgetragen und verkauft und von den jugendlichen
Muselmännern über dem rechten Ohre, von der rothen, tunesischen
Mütze gehalten, getragen. Vom Jasmin macht man natürlich ebenfalls
Parfümerien. Rosen werden zum Behuf der Fabrikation von Oel und Wasser
in großen Feldern cultivirt. Sonst ist die ganze Gegend voller Olivenbäume,
die im Norden und im Osten den ganzen Reichthum des Landes ausmachen. Der
Olivenbaum wird außerordentlich alt und wenn es auch übertrieben
sein mag, daß die in der Umgegend von Tunis schon in der Römerzeit
da waren, so scheint es doch sicher zu sein, daß er im Alter von
ca 500 Jahren anfängt, auseinanderzubersten und daß es in ganz
Tunis Niemand giebt, der die Oelbäume der Gegend anders als mit getheilter
Krone gesehen hätte. – Im Süden des Landes ist es die Dattelpalme,
die den Reichthum der Bewohner ausmacht. El-Gerid, das Dattelland, bringt
in der That die besten Datteln der Welt hervor und selbst die Datteln von
Mekka, die eines so hohen Rufes genießen, stehen weit hinter ihnen
zurück. Menschen und Vieh leben von ihnen (die Gerichte, welche man
mit ihrer Hilfe präparirt, sind außerordentlich mannigfaltig),
und riesige Ladungen nehmen alljährlich mit Karawanen ihren Weg in
alle möglichen Länder.
Ich bin jetzt außerordentlich viel allein, da der Pastor Fenner,
zu dem ich sonst alle Tage zu gehen gewohnt war, für einen Monat nach
Constantine in Algérien verreist ist. Wenn der mexikanische Consul
am 16ten dieses Monats nach Italien mit seiner Familie abgereist sein wird,
werde ich ganz allein sein. Unser Consul wohnt noch immer in dem Euch wohl
jetzt bekannten Städtchen Gouletta, so daß ich, wenn ich nicht
meine ärztliche Beschäftigung hätte und im Wirthshause äße,
wirklich mich allzu vereinsamt fühlen müßte.
Das einzige Ereigniß, welches hier für einige Tage die Aufmerksamkeit
fesselte, war der kürzlich erfolgte Tod des Thronfolgers, des sogenannten
Bey du camp (des Bey vom Lager, so genannt, weil er stets die Armee dirigirt
und sein Hauptgeschäft ist, die Steuern einzutreiben, eine Sache,
die immer eine Art Kriegszug erfordert). Er soll ein sehr braver Mann gewesen
sein. Bei der Gelegenheit muß ich die Art der Thronfolge erwähnen,
die höchst merkwürdig ist, doch ganz dem patriarchalischen Charakter,
den alle Einrichtungen der Araber tragen, entspricht. Die regierende Familie
theilt sich in zwei Branchen, die in so weit auf die Regierung gleiche
Ansprüche haben, als der jedesmalige Aelteste in der Familie, mag
er der älteren oder der jüngeren Linie angehören, als der
Chef der ganzen Familie betrachtet wird und die Regierung übernimmt.
Außerdem spricht man noch von dem Morde, oder der mehrfachen Mordthaten,
die der bisherige Chef der gesammten Polizei, ein hoher Würdenträger,
an dem Domestiken des allmächtigen Premier-Ministers, Khasnadar, eigenhändig
vollbracht hat, aus Motiven, die noch nicht hinlänglich aufgeklärt
sind, doch der schmutzigsten Sorte angehören. Seine Familie, sagt
man, hat 500.000 Piaster gegeben, um ihm die Todesstrafe zu ersparen. Das
Urtheil ist noch nicht gefällt. Solche Canaillen sind alle höheren
Beamten, mit wenigen Ausnahmen, und es ist dadurch begreiflicher, daß
ein Land, früher ausgezeichnet durch Reichthum und fähig, eine
Bevölkerung von ca 12 Millionen gut zu ernähren, unter einer
solchen Verwaltung zu Grunde geht und seine Bevölkerung von ca 1 Million
im größten Elend schmachten läßt.
Kürzlich, am Geburtstage Muhameds, habe ich den Bey mit seinem
ganzen Gefolge zu betrachten Gelegenheit gehabt. Er geht an diesem Tage
mit seinem ganzen Hofstaate von seinem Palaste in der Stadt in eine Mosquee,
um seine Andacht zu verrichten. Alle Beamten sind europäisch gekleidet,
haben dadurch außerordentlich verloren, denn Turban und Burnus ist
eine kleidsame Tracht, und bieten Nichts Bemerkenswerthes dar. Viel sehenswerther
sind bei solchen Gelegenheiten die Maulthiergespanne, die gewöhnlich
in der Anzahl von Dreien vor dem Wagen sind, und deren sehr schöne
existiren. Die Wagen sind gemein, veraltet, plump; elegante Equipagen existiren
nicht.
Doch genug; der Courier wartet nicht und ich kann hier, wo ich die
Medicin ausübe, nicht so frei über meine Zeit disponiren, als
in Bône.
Hoffentlich bin ich bei der Ankunft meines Briefes in Cöln schon
aus meiner Unruhe über Euer Schweigen gerissen; sollte es unglücklicherweise
noch nicht der Fall sein, so bitte ich dringend um einige, wenige Zeilen.
Deine Gesundheit, liebe Tante, vorzüglich ist nicht derart befestigt,
daß man nicht Grund hätte, von Zeit zu Zeit eine kleine Wiederkehr
zu fürchten. – Auch von den übrigen Angelegenheiten möchte
ich wohl einmal wieder hören, sowohl den städtischen, gesellschaftlichen,
als den politischen. Was macht der Dom, der Zoologische Garten, das Sommertheater,
Eure Kaffeegesellschaft im Prinz Carl, das Museum und andere öffentliche
Institute? Wie geht es Euren Bekannten, die ja auch zum größten
Theil die meinigen sind, was machen Thermar’s, Paas, Weegmann, mit Frl.
Tochter, Rudolf’s, Herr Bofgen mit Gemahlin, Aragon’s, Stelzmanns usw.
usw. Gar nicht zu sprechen von der Familie in der Altenbergerstraße
und der Mühlengasse, von der ich die detaillirtesten Nachrichten immer
am liebsten entgegennehme. Was lernt Carl in der Schule am liebsten und
fängt er an, ein Talent oder eine Fähigkeit in einer bestimmten
Richtung zu entwickeln? Bildet auch Wilhelm seine Neigung zum Zeichnen
weiter aus? Und erwirkt sich Albert Eure und seiner Lehrer Zufriedenheit?
Was sagt man in Preußen zum Fürsten-Congreß und zu
König Wilhelms standhafter Nichtbetheiligung? Oder hat er sich endlich
zuletzt doch zur Theilnahme entschlossen? Wie hält sich die Cölnische
Zeitung den Bismark’schen Preß-Verwarnungen gegenüber? Was denkt
man zu Rußland’s Stellung zu den Westmächten usw. usw.
Verzeihe die vielen Fragen auf einmal, aber das Bedürfniß,
Genaueres über Alles zu hören, macht sich bei dem hiesigen Mangel
an Journalen und Zeitungen sehr fühlbar. Beantworte so viel es Dir
eben paßt und Dir Deine rastlose Thätigkeit gestattet? A propos
Thätigkeit: wie verhält sich das Geschäft?
Hast Du es eingeschränkt oder die alten Dimensionen behalten?
Und wie habt Ihr es mit der Instandsetzung der oberen Etagen des Geschäftshauses
gemacht?
Noch einmal Verzeihung für alle meine Fragen! Möget Ihr Euch
einer vollkommenen Gesundheit und einer heiteren, zufriedenen Stimmung
erfreuen! Das ist mein täglicher, aufrichtiger Wunsch!
Adieu! Schreibt bald an
Euren
Gustav.
Tunis am 26sten September 1863
/11 Oct
Mein lieber Onkel und meine theure Tante!
Ich weiß in der That nicht, was ich davon denken soll, seit ca
2 Monaten ohne alle und jede Nachricht von Euch geblieben zu sein. Bald
nach Eurer Rückkehr von Thüringen hast Du, lieber Onkel, geschrieben
und seitdem ist Alles ausgeblieben. Jeden Donnerstag kehre ich betrübt
von der Post zurück, denn, während ich Alle mit Briefen beschwert
sehe, gehe ich seit längeren Wochen gänzlich leer aus. Auch von
meiner Mutter und Schwester hörte ich auffallend lange Nichts, was
mich nicht minder beunruhigt. Je mehr man allein ist, je weniger die Praxis
an Ausdehnung gewinnt, desto lebhafter ist das Bedürfniß nach
Briefen. Möge es keinen üblen Grund für Euch haben, dann
will ich schon zufrieden sein!
Gleichwohl war die letztere Zeit nicht ohne Abwechslung hier in Tunis,
wenn auch nicht immer der angenehmsten Art. Morgen werden es 14 Tage, daß
die Einwohner von Tunis durch ein Erdbeben in den heftigsten Schrecken
versetzt wurden. Um 8 Uhr Abends, nachdem die Luft gegen Abend auffallend
schwül und windstill geworden war, erfolgte plötzlich unter lautem
unterirdischem Donner eine heftige, gewiß 3-4 Sekunden dauernde Erschütterung,
die die Wände schwanken, die Gegenstände von den Wänden
abrücken und die Teller auf den Tischen klappern machte. Die Fenster
klirrten, als wollten sie herausfallen und die Bewohner verließen
voll Angst die Häuser, um im Freien Sicherheit zu suchen. Um 9 Uhr
und um 9½ Uhr fanden noch 2 Erschütterungen, wenn auch etwas
minder heftig, Statt und am Morgen um 3 Uhr wurde ich durch einen anständigen
Satz, den ich mit dem Bette machte, aus dem Schlafe erweckt. Seitdem beobachtet
man noch von Zeit zu Zeit leichte Schwankungen und dumpfere, unterirdische
Geräusche, die jedoch meist so unbedeutend waren, daß man sie
am Tage über den gewöhnlichen Beschäftigungen und in der
Nacht im Schlafe nicht bemerkte. Die beiden ersten Nächte war die
Umgegend der Stadt in ein wahres Heerlager verwandelt und Mancher holte
sich dort, auf einer einfachen, dünnen Matratze schlafend, eine ordentliche
Erkältung. Dies war besonders leicht, da in der ersten Nacht ein heftiges
Gewitter, wie langjährige Einwohner dieses Landes sich nicht erinnern
erlebt zu haben und wie es mir neu war, mit einem mächtigen Regen
statt fand und die draußen Campirenden überschwemmte. Ich selbst
blieb zwar im Hause, legte mich jedoch angekleidet, mit dem Rest meines
Geldes und meinen Papieren versehen, auf’s Bett, um bei erneuten und heftigeren
Stößen schnell das Weite suchen zu können. Weit näher
trat mir jedoch diese Nacht die Gefahr des Gewitters, indem ein Blitz seinen
Weg zu mir durch ein schlecht schließendes Fenster ins Zimmer nahm,
lebhafte Zickzackbewegungen in demselben machte, jedoch, ohne Schaden anzurichten,
erlosch. Es war ein furchtbarer Schlag, an den ich noch lange denken werde,
der unmittelbar über dem Haus sich entladend, letzteres zerschmettern
zu wollen schien. Ein lebhafter Geruch nach Schwefel blieb noch etwa eine
Stunde lang nach dem Blitze als Zeuge seines Besuches in dem Zimmer.
Wunderbar und beängstigend war die Erscheinung, daß das
Erdbeben nirgends in der Umgegend von Tunis trotz seiner Heftigkeit verspürt
wurde. Es hat sich nicht viel über eine Stunde von der Stadt bemerkbar
gemacht. Gleichwohl kann man kaum denken, daß ein Vulkan unter Tunis
schlummern könnte, da seit dem hohen Alterthum höchstens von
Zeit zu Zeit Erschütterungen doch nie mehr, beobachtet wurden. Nicht
mit Unrecht sucht man es mit den starken Eruptionen des Ätna auf Sicilien,
die derselbe seit Wochen macht, und mit etwaigen Unterbrechungen derselben
in Verbindung zu bringen. Dem sei, wie ihm wolle, ein Erdbeben ist eine
höchst ungemüthliche, wenn nicht Furcht, so doch eine unendliche
Unsicherheit hervorrufende Naturerscheinung. Den Feind gar nicht sehen,
seine Stärke gar nicht abschätzen und den Ausgang nicht vermuthen
zu können, erhöht in Verbindung mit der Plötzlichkeit des
Auftretens das Unheimliche des Unterirdischen. – Unter den Furchtsamen
zeichneten sich vor Allem wieder die Israeliten aus. Sie waren gerade bei
der Feier ihres Neujahres begriffen, wo sie einen ganzen Tag in den Synagogen
zubringen, um Gott um die Sendung des Messias zu bitten, den sie selbst
mit Trompetenblasen herbeizulocken trachten. Einige Rabbiner benutzten
das Naturereignis, um das Erscheinen des Messias wahrscheinlich zu machen,
was jedoch die Juden nicht vermochte, denselben in Tunis selbst erwarten
zu wollen. Nach ihnen fürchteten die enragirtesten Katholiken, die
Malteser und Süd-Italiener, sich am meisten. Die Muselmänner
zeigten zweifellos die geringste Besorgniß, die wohl theilweise aus
ihrem Stumpfsinn hervorgeht, doch zum Theil auch dem lebhaften Gottvertrauen
ihren Ursprung verdankt. Ich habe viele, sehr viele Muhamedaner an den
folgenden Tagen gefragt, ob sie Furcht gehabt hätten; doch mit würdevollem,
verächtlichem Lächeln deuteten sie nur gen Himmel mit dem Worte:
Robbi! (Gott!)
Die andern Abwechslungen, von denen ich sprach, waren angenehmerer
Art. Am Donnerstag kam mit dem Schiffe von Algérien der Geheimrath
Lischke, Oberbürgermeister von Elberfeld und ich habe die 3 Tage seiner
Anwesenheit in sehr vergnügter Weise mit ihm zugebracht. Es war das
dritte Mal, daß er Algérien bereiste, wenn er auch noch nicht
in Tunis gewesen war; diesmal war er bis zur Wüste gewesen. Er hatte
2 Jahr in Amerika gereist, kannte den ganzen Orient bis auf die kleinsten
Inseln, den Norden, wie den Süden, den Osten, wie den Westen, und
hatte seine Reisen offenbar mit dem größten Nutzen gemacht.
Ein sehr unterrichteter, liebenswürdiger Mann, der, wenn er gemäß
den Grundsätzen handelt, die er mir gegenüber ausgesprochen hat,
gewiß die Achtung aller Parteien in seiner Stadt gewinnen wird. Ich
habe auch von ihm einige politische Nachrichten eingenommen, deren ich
gänzlich baar war, mit ihm über politische Sachen, wie über
Waisenhaus-Angelegenheit gesprochen und mit ihm den Zwiespalt von Bachem
in Coeln mit seinen Stadtverordneten gehört. Schreibe doch darüber,
lieber Onkel, und über das Dombau-Fest und die sonstigen, öffentlichen
Vorkommnisse in Coeln. Nicht genug mit ihm, liefen am Freitag einige preußische
Kriegsboote in den Hafen der Goulette, um hier Kohlen einzunehmen zur Weiterreise
nach Constantinopel, wo sie den künftigen Winter, der dortigen Gesandtschaft
zur Disposition gestellt, bleiben werden. Ich habe versucht, ihnen die
Stadt zu zeigen, doch ähneln sie schon zu sehr den Officieren des
Landheeres, um lebhaftes Interesse für merkwürdige Sachen zu
zeigen. Es erklärt dies auch, warum von unserer kleinen Marine, die
verhältnismäßig viel herumgereist ist, gar keine Bereicherungen
irgend welcher Wissenschaft ausgegangen sind, während sich dadurch
die Seeleute anderer Nationen auszeichnen. Unsere Marine ist freilich sehr
klein und man muß Geduld haben. Die meisten der Officiere, die an
Land waren, hatten Japan besucht, kannten Westindien u.s.w. Wenn sie noch
wenige Tage bleiben werden, denke ich ihnen einen Besuch an Bord zu machen.
– Eine italienische Fregatte liegt ebenfalls im Hafen, so daß ein
außergewöhnliches Leben in Tunis herrscht.
Meine Gesellschaft ist dieselbe, hat jedoch durch den Dr. Ferrini,
unstreitig dem instruirtesten Arzt hier, der eine bedeutende Praxis unter
den Italienern besitzt, sehr gewonnen. Ich mache fast täglich eine
kleine Promenade mit ihm, wo wir über Medicin sprechen; er konsultirt
mich, wenn er schwerere Kranke hat u.s.w. Auch den ersten Arzt des Bey,
den Dr. Lumbroso, sehe ich öfters, wie auch einen maltesischen Arzt,
der in England und Frankreich studiert hat, sehr brav ist und eine Anstellung
vom Gouvernement hat.
Am Donnerstag kehrt der Pastor Fenner glücklicherweise zurück,
so daß ich meinen Haupt-Anhalt wieder haben werde.
Mit meiner Gesundheit bin ich im Ganzen sehr zufrieden, wenn auch die
linke Lunge, als schwache Partie geneigt ist, sich katarrhalische Entzündungen
zuzuziehen. Doch dauern diese so kurze Zeit, daß diese Erscheinung
allein schon für die bedeutende Besserung spricht. Meine Praxis bewegt
sich ungefähr in denselben Grenzen, trotzdem man, wie ich sicher gehört
habe, gut von mir in der Stadt spricht. Es giebt viele Umstände, die
es sehr erschweren. Zuerst das Unterlaufen mit veralteten und unheilbaren
Krankheiten, deren Inhaber stets, nachdem sie alle vorhandenen Aerzte gebraucht
haben, auf die neuen Aerzte fallen. Bei der ersten Consultation fragen
sie aber vor der Erbittung von Rathschlägen: bist du im Stande, diese
Krankheit zu heilen? Antwortet man der Wahrheit gemäß, sagt,
daß die Krankheit zu veraltet sei, spricht von wesentlicher Verbesserung,
so ziehen sie sich schleunigst zurück. Ehe die Leute den fremden Arzt
zu ihren acuten Krankheiten nehmen, soll er an den alten, verjährten
Leiden beweisen, was er kann. 2/3 aller Eingeborenen stirbt, ohne einen
Arzt zu sehen. Kürzlich behandelte ich einen Beduinen, der nach eingezogenen
Erkundigungen sicher bezahlen würde. Er war sehr schwer krank und
ich fürchtete für sein Leben. Kaum war das Bedenken ausgesprochen
und ich habe das Haus verlassen, so hängt ihn seine Familie auf einen
Esel und strebt munter seiner Heimath zu, die 3 Tagereisen von hier ist.
Ich bekomme kein Geld und der Mann kommt todt zu Hause an. Und das Verlangen,
einen bestimmten Preis für eine Krankheit im Voraus zu machen, ist
wirklich abscheulich und ich gehe dadurch viel verlustig, da ich, wenn
die Wiederherstellung zweifelhaft und die Dauer unberechenbar ist, mich
auf die Sache nicht einlasse. Auf die Praxis bei den Eingeborenen rechnet
auch wohl nur ein Arzt hier, ein Spanier, der schon 40 Jahre hier ist.
Ferrini weist sie, wenn er sie nicht genau kennt, zurück. Es ist eben
eine Unmöglichkeit, hier, wie zu Hause, Vertrauen und Renommée‚
im Sturme zu gewinnen. Selbst Ferrini, obgleich er unter günstigen
Verhältnissen herkam, hat 4-5 Jahre und eine Cholera-Epidemie gebraucht,
um festen Fuß zu fassen. – Die Aerzte, die ungefähr mit mir
zu gleicher Zeit gekommen sind, haben wo möglich noch weniger zu thun.
Der Herr Lischke hat mir erzählt, daß der Dr. Graef, der
Schwager des Herrn Diel, seinen Aufenthalt von Elberfeld nach Coeln verlegt
habe? Wie geht es ihm?
Jetzt weiß ich Nichts mehr zu schreiben, als noch einmal die
dringende Bitte zu wiederholen, mir doch dies räthselhafte Schweigen
erklären und es bald durch einen lieben, langen Brief gut machen zu
wollen.
Ich kann kaum denken, daß Krankheit Eines von Euch Schuld sein
könne, da doch dann gerade mein Interesse an Eurem Wohlergehen erst
recht dringende Nachrichten verlangen würde. Ich hoffe, daß
der Verlust eines Briefes auf der Post das Ganze erklären wird.
Alle Fragen, die ich in den vorigen Briefen über Euch und die
ganze Familie gethan habe, kann ich nur wiederholen. Wenn Du, lieber Onkel,
einige politische und städtische Nachrichten hinzufügen würdest,
würdest du mich sehr erfreuen.
Daß Du Dich einer ungetrübten Gesundheit erfreust, wage
ich voraussetzen zu dürfen, darum schließe ich mit den lebhaftesten,
dringendsten Wünschen für Dein Wohl, liebe Tante und hoffe bald
das allgemeine Wohlbefinden der Familie Brügelmann-Nachtigal durch
einen freundlichen Brief constatirt zu sehen. Meine Grüße an
Familienglieder und Bekannte bitte ich allseitig zu überbringen.
Euer
treuer Neffe
Dr. G. Nachtigal
Tunis am 2ten November 1863
Meine Lieben!
Ich habe diesmal eine Woche länger als gewöhnlich verstreichen
lassen, da ich eine kleine Reise mit dem Pastor Fenner ins Innere gemacht
habe, die mir, da sie zum Theil eine Amtsreise desselben war, sehr billig
zu stehen kam. Wir waren in dem Gebirge und in der Stadt Zaoughwan, die,
obgleich nur 6 deutsche Meilen von Tunis entfernt, doch selten Gegenstand
eines Besuches der Europäer sind. Es ist eine Gegend, die schon dem
alten Carthago und den Römern sehr bekannt und berühmt durch
ihren Wasserreichthum war. Von hier aus führt die alte carthaginiensische
oder römische (man weiß nicht genau, aus welcher Zeit sie stammt)
Wasserleitung nach Carthago, von hier hat man auch jetzt wieder das schöne
frische Bergwasser nach Tunis geleitet. Jener ein stolzer Riesenbau, der
in wunderbarer Weise dem verwüstenden Einflusse der Zeit, der Vandalen,
der Türken u.s.w. getrotzt hat, der so recht beweißt, welche
Wichtigkeit die Römer dem Wasser für eine Stadt beilegten, der
in großartigem Maßstabe die herrliche, geschmackvolle und solide
Bauart jener Zeit repräsentirt. Man folgt ihm oft stundenweit und
kann sich nicht losreißen von dem imponirenden Anblicke des Riesenwerkes.
Noch jetzt findet man stellenweise Hunderte von großen, haushohen
Bögen, die von denselben Riesensteinen erbaut wurden und in derselben
Weise, wie Ihr sie an der Porta Nigra in Trier bewundern gelernt habt,
aufrecht stehen, auf ihrer Höhe den weiten, sorgfältig gemauerten
Canal, in dem das Wasser strömte, tragend und mit Stolz herabsehend
auf seinen mesquinen* Bruder, die Wasserleitung, mit der französische
Ingenieure noch jetzt beschäftigt sind. Sind ja einige Bögen
eingestürzt, so imponiren die Riesenblöcke, die die stolzen Trümmer
bilden, fast noch mehr als das Werk in seiner Vollendung. Stein hält
sich am Stein und sträubt sich gegen den Zerfall, in einer Weise,
dessen Geheimniß nur die Römer gehabt zu haben scheinen. Wie
jammervoll, wie kümmerlich nimmt sich das französische Werk dieses
Jahres dagegen aus, das an seiner Seite hinläuft und die Vergleichung
jedes denkenden Menschen provozirt? Noch nicht fertig, muß es stellenweise
reparirt werden und mit Leichtigkeit bohren die Araber Löcher, um
sich Wasser zu verschaffen. Viele Menschen haben wie Blutegel sich Reichthum
aus dieser Unternehmung gesogen, Millionen sind bei dieser Gelegenheit
gestohlen worden, um vielleicht nach 20 Jahren das Werk wieder zerfallen
zu sehen. Auf dem ersten Drittheil des Weges stoßen wir auf die Trümmer
einer muhamedanischen kleinen Stadt, die sich unter dem drittletzten Bey
um seinen großen Palast, der seinen Lieblingsaufenthalt bildete,
formte. Der Bey ist darin gestorben, Grund genug für seine Nachfolger,
und die Muselmänner im Allgemeinen, das Ganze zerfallen zu lassen.
Zwischen den Trümmern wohnen vielleicht noch 50 Menschen, eine einzige
Familie (des Kastellans) in den weiten Räumen des großen Palastes.
In 50 Jahren richtet die Nachlässigkeit der Muhamedaner größere
Verwüstungen an, als die Zeit an römischen Städten in 500
Jahren zerstören kann. Die großen Marmorplatten des Fußbodens
und der Wände sind weggenommen worden, um den Palast eines Großen
zu zieren, die Marmorsäulen, deren Hinwegnahme nicht zu mühevoll
war, ebenfalls; die Fenster verschwunden oder zertrümmert, die Decken
im Einsturze begriffen: das Ganze mit der umgebenden Stadt ein wahres Bild
des Muhamedanismus! Mit Trauer durchwandelt man die verlassenen Straßen
und Häuser, die nur von Ratten, Mäusen, Salamandern und Scorpionen
bewohnt sind und folgt dem Wege oder vielmehr der Richtung, um wahrlich
im freien Felde nicht an Vertrauen auf die Zukunft des Landes unter dem
Islam zu gewinnen. Alles wüst und leer; und wenn man je einmal eine
gepflügte Stelle trifft, so ist diese in einer Weise bearbeitet, daß
jede Distel, jeder kleine Strauch stolz dem Einflusse des Pfluges trotzen
konnte. Im Ganzen haben wir vielleicht 20 Menschen auf dieser Strecke von
6 Meilen angetroffen, die auf dem Wege wohnten oder aus der Nähe zur
Stadt Tunis oder Zaoughwan zogen. Wahrlich traurig, dieses herrliche Land,
das den Römern die fabelhaftesten Reichthümer lieferte, unter
dem erlahmenden Einflusse des Islam langsam verkommen zu sehen. Ein wenig
weiter, als Mahamedeya (so heißt das verlassene muhamedanische Städtchen)
finden wir die riesigen Trümmer einer großen römischen
Stadt, die auf mehren Hügeln erbaut, nicht so gut erhalten ist, als
andere antike Reste in der Tunisie, doch immerhin viel mehr bietet, als
Carthago und als wir in Deutschland zu finden gewohnt sind. Noch findet
man die großen Gerichtssäle oder Theater oder Tempel erhalten,
noch erkennt man die Hauptgebäude der Stadt, große Brückenbögen
vollständig erhalten, noch bewundert man die großen Waserreservoirs
der privaten und öffentlichen Gebäude. Oudenah (ich weiß
nicht, welchen römischen Namen die Stadt führte) war wenigstens
eine Stadt von 50-80.000 Einwohnern.
In der Nähe der Stadt Zaoughwan wird die Vegetation üppiger,
der ganze Charakter der Landschaft ändert sich durch das belebende
Grün, das sonst den unbebauten Gegenden der Regentschaft sehr mangelt.
Die Stadt selbst ist von den köstlichsten Gärten umgeben, schlecht
unterhalten und gepflegt, doch voller riesiger Feigenbäume, Nußbäume,
Citronen- und Orangenbäume u.s.w., die natürlich durch Pflege
und weise Benutzung des reichen Wasservorrathes noch wesentlich verbessert
werden könnten. Am Ursprung der Hauptquellen findet sich ein großer
römischer Tempel, der gut erhalten ist, wenn man auch die Bildsäulen,
die vorhanden waren, weggenommen hat. Leider findet sich keine Inschrift;
doch das Bassin zur Fassung der Quellen in admirabler Weise erhalten. Das
Hauptthor der Stadt ist ebenfalls römisch und trägt über
einem Widderkopf die Inschrift: AUXILIS! (der Hülfe!)
Trotzdem die Franzosen in der Nähe gearbeitet hatten, schienen
sie doch sehr selten zur Stadt gekommen zu sein, wenn man nach der Aufregung,
die unsere Ankunft verursachte, urtheilen soll. Der Anblick eines „Carussa“
ist für die provincielle tunesische Bevölkerung eine seltene
Sache, und die Jugend der Straße schien sich nicht minder über
den Anblick der Christen aufzuregen. Aus weiser Entfernung schrieen die
Kinder lebhaft schimpfend: Christen (Roumi!), seht die Rumi, die Söhne
des Hundes! und warfen auch wohl aus großer Entfernung einige Steine.
Sonst ist das Benehmen des Arabers gegen Fremde würdig. Man sah wohl,
daß sie uns Eindringlinge nicht liebten; sie waren also noch schweigsamer
als gewöhnlich, doch nicht allzu unfreundlich und gar nicht feindlich.
Der Cheikh nur wünschte nicht, uns zu empfangen, als wir ihn besuchen
wollten (er ist der Erste einer Stadt), doch ich glaube wohl, daß
er sich geschämt hat, denn wir erzählten nachher auf den Straßen,
wo wir uns durch den Tact des Pastor Fenner und seine Fertigkeit der arabischen
Sprache sehr viele Freunde machten, wozu mein Titel als Arzt ebenfalls
wesentlich beitrug, in spottender Weise sein Benehmen, ihn vergleichend
mit den Vornehmen von Tunis u.s.w. Wir logirten bei Israeliten, da begreiflicherweise
Hotels oder Herbergen nicht existiren, um so dem Pastor Fenner zugleich
Gelegenheit zur Unterhaltung mit ihnen zu geben. Ein wahrer Missionar,
durchaus abweichend von unseren jungen Eiferern, die wir nach Afrika senden
und die ihrem Predigen und ihrem Eiferen gewiß einen großen
Theil ihres Nichterfolges zuzuschreiben haben! Er geht ganz in den Geist
der Israeliten, zu disputiren ein und ohne den Anschein des Belehrenwollens,
in zwangloser Unterhaltung bei Kaffee und Pfeife spricht er mit ihnen,
über Talmud und altes Testament und schon am 2ten Abende war unser
ganzes Zimmer voll Zuhörer, die mit Lächeln ihren gelehrten Rabbiner
aus Jerusalem aus dem Felde geschlagen sahen! Seine Erfolge in Tunis und
überall sind viel größer, als ich anfangs gedacht habe.
Die jüdische Familie, die uns logirte, bestand aus sehr braven
Leuten, und besonders die Kinder Benjamin und Smeecha (Freude), Cousin
und Cousine, schlossen sich besonders an uns an. Ersterer etwa 12 Jahr,
letztere 9 Jahr; sie sind durch elterliche Uebereinkunft mit einander verlobt
und mit großer Befriedigung über sein Gefühl für Anstand
und Schicklichkeit erzählte uns der Vater des Mädchens, daß
er dem Neffen nächstens den Besuch seines Hauses verbieten werde.
– Das Gebirge ist in seinen Formen viel wilder und romantischer, als sonst
wohl hier und schweizähnlich. Nicht sehr hoch, vielleicht 4-5000 Fuß
hoch, doch steil und mühsam zu erklimmen. Es besteht aus Granit und
Kalk; hat jedoch fast auf seiner höchsten Höhe, von der aus man
eine weite Aussicht hat, eine große Fläche mit Moschee, einigen
Häusern, Bäumen und Weide. Die Leute beschäftigen sich mit
Bienenzucht und bleiben fast den ganzen Winter oben, ohne herunterzusteigen.
In der Stadt hatten wir genug zu thun: Herr Fenner zu disputiren und
ich Medicin zu machen und Kranke zu untersuchen. Als wir abreisten, hatten
wir schon viele Freunde gewonnen. Ein bedeutender Theil der Einwohner hat
sich in den Straßen und am Thore aufgepflanzt, um unsere Abreise
wenigstens zu sehen, manche auch, um Adieu zu sagen.
Doch genug davon; wenn es Euch interessirt, werde ich suchen, bei Gelegenheit
wieder eine Excursion zu machen, um Euch davon erzählen zu können.
Im Uebrigen geht es mir gut. Mit meiner Gesundheit bin ich zufrieden; mit
der Praxis scheint es sich ebenfalls besser machen zu wollen, so daß
ich glaube, wenn ich lange genug bleiben könnte, gewiß eine
hinlängliche Praxis zu bekommen.
Auch von meiner Mutter und Schwester habe ich kürzlich Nachricht
erhalten. Meine Mutter ist in wunderbarer Weise in ihrer Genesung fortgeschritten;
wie ich jetzt höre, hatte der Arzt sehr an ihrem Aufkommen gezweifelt.
Auch Marie befindet sich wohl, und die Kinder gesund. Ich wollte, dies
hörte ich bald einmal von Euch auch wieder. Seit alle Briefe durch
Italien gehen, ist alle Regelmäßigkeit dahin.
Ein Schwager des Onkel Fritz in Stendal, Huth in der Weberstraße,
hat sich der Brandstiftung schuldig gemacht.
Hat man die Schlacht bei Leipzig großartig gefeiert? Wie sind
die Wahlen ausgefallen? Schreibe doch etwas über den Wahlkampf und
die dahin schlagenden Ereignisse. Wenn die Erfolge, wie das letzte Mal,
sind was soll dann aus dem Conflikte werden? Volksvertretung und Gouvernement,
beide werden gleich unnachgiebig sich gegenüberstehen. Es scheint,
der Ministerpräsident ist in Pommern auf einem Bahnhofe insultirt*
worden?
Schreibe etwas über Eure Stadt und Land und vor Allem über
Eure Familie. Möge Euch Gesundheit für den bevorstehenden Winter
verliehen werden und wir uns gesund und vergnügt wiedersehen.
Adieu, lieber Onkel, lebe wohl, beste Tante! Grüßt die Großmama,
die Kinder, Lenchen und ihre Familie, und Herrmann und Christiane und Carl’s
Vater; seid aber selbst zumeist gegrüßt von
Eurem Gustav.
* kleinlichen
* beleidigt
Tunis am 27sten November 1863
Meine Theuersten!
Meinen herzlichen Dank für Deinen lieben Brief, lieber Onkel,
der mir wenigstens beweißt, daß Ihr Alle Euch in zufriedenstellendem
Gesundheits-Zustande befindet. Mit Bedauern habe ich gelesen, daß
Du den Herrn Schiede, der Dir jetzt in der aufregenden und schwierigen
Zeit so sehr nöthig gewesen wäre, durch den Tod verloren hast.
Leider fürchtete ich ein solches Ende nach den letzten Nachrichten,
die Du mir über sein Befinden gegeben hast, wenn ich es auch nicht
so schnell erwartete. So ist wieder ein braver Mann durch die so zahlreiche
Opfer fordernde Krankheit des Nordens hingerafft worden. Die Schwankungen
und Widerwärtigkeiten des Geschäftes in dieser Saison, vorzüglich
in diesem Jahre, hast Du also doppelt zu tragen. Es ist ein großes
Glück, dessen ich auch oft dankbar gedenke, daß Du Dich dabei
wohl zu befinden scheinst, wenn Du auch zweifelsohne manche unruhige Nacht
und gedankenschwere Tage genug durchmachst. Mögen die unangenehmsten
Conjecturen bereits vorüber sein und einem günstigeren Geschäftshimmel
Platz gemacht haben. Daß Du während längerer Abwesenheit
Herrn Guerike und Carl Brügelmann die Geschäftslast und Verantwortung
schon auf die Schultern laden könntest, kann ich mir auch kaum denken.
So lieb ich meine Kunst habe, so denke ich doch oft mit Bedauern daran,
wie nützlich ich mich Dir und der Familie hätte machen können,
wenn ich mich Deiner Carriere gewidmet hätte. Das wäre vielleicht
für Euren Carl und Albert auch nutzbringend gewesen.
Laß Dich nur durch Deine Verluste nicht in Deiner Stimmung zu
sehr derangiren. Ich weiß zwar sehr wohl, daß Niemand Verluste
ganz gleichmüthig erträgt, zumal wenn sie die Errungenschaften
langjährigen Fleißes betreffen, doch werden sie wohl kaum über
Deine Kräfte gehen. Es freut mich, daß Ihr mit dem Ankaufe des
Lavalette’schen Hauses und Gartens ein so gutes Geschäft gemacht habt
und ich will hoffen, daß sich der Verkauf des Hauses auch ebenso
gut arrangirt, als Eure Häuser an Annehmlichkeit und Werth gewonnen
haben. Das Geschäftshaus wird wirklich mit der Zeit ein Musterhaus
mit allen denkbaren Vorzügen und Annehmlichkeiten.
Wenn ich damit die hiesigen Häuser vergleiche, die im Rufe stehen,
die besten zu sein; wenn ich an das denke, das der Pastor Fenner gestern
für 2500 Frcs gemiethet hat, und welches gerade hinreicht für
seine kleine Familie (er hat nur 2 Kinder)! Die Pilze wachsen in den feuchteren
Zimmern auf der Erde; kein Fenster, keine Thür schließt ordentlich;
ein Abtritt, mit Respect zu sagen, existirt noch nicht, verschiedene Zimmer
empfangen ihr Licht nur durch die Thür u.s.w. u.s.w. Durch die Feuchtigkeit
der Häuser friert man selbst bei erträglicher Temperatur unendlich,
zumal, wenn man keine Teppiche besitzt, um sie auf den Marmorboden zu legen.
Um in meinem, allerdings etwas dürftigen Bette nicht allzusehr zu
frieren, habe ich Strohmatten kaufen müssen, und rings um das Bett
die Wände damit ausschlagen. Am Tische sitzend und lesend oder schreibend,
muß ich mir die Beine in Decken wickeln. Um die Mittagszeit ist es
dagegen draußen, wenn nicht Regentage sind, wunderbar schön
und noch vor wenigen Tagen konnte ich in weißen Beinkleidern ein
Picknick auf dem Lande, das verschiedene Familien veranstaltet hatten und
zu dem ich eingeladen war, mitmachen. Das würde Dir freilich wohl
nicht einmal für die Stunde des Kaffees am Thürmchen möglich
sein. Das besagte Landvergnügen fand eine Stunde von hier, in der
Manouba, ebenfalls einem Dorfe nur aus Landhäusern und Pallästen
der Reichen gebildet, statt in dem Pallaste und Garten des Si Mohammed
Khasnadar, der Gouverneur von Susa, einer der größten Städte
im Districte von Tunesien. Wenn man irgendwo ein solches Vergnügen
veranstalten will in einem Orte, wo die Betheiligten selbst keine Häuser
und Gärten besitzen, so bittet man einen vornehmen Muselmann darum,
welcher mit großer Höflichkeit, besonders natürlich Consulats-Familien
gegenüber, dann sein Eigenthum zur Disposition stellt. Die reichen
Muselmänner, welche fast stets hochgestellte Beamte sind, sind, wie
ich glaube schon geschrieben zu haben, dann auch gleich sehr reich und
gebieten über viele Millionen. Da kann man dann auch wirklich in den
Häusern oder vielmehr Pallästen eine kaum geahnte Pracht schauen.
Riesige Säle mit köstlichen Plafonds, wunderbar feiner und eleganter
Stukkatur, getragen von kostbaren Marmorsäulen, und schöne Springbrunnen
bilden mit dem schönen Marmor des Fußbodens und der Wände
die Hauptzierden dieser Behausungen. Kleine angenehm eingerichtete Zimmer,
zierliche Boudoirs und geschmackvolles Ameublement findet man niemals.
Doch oft dafür eine Verschwändung von Gold, die wahrhaft erschreckend
sind. Die höchste Kunst und Zierlichkeit entfalten sie stets in der
Stukkatur der Plafonds und Wände, in Elfenbein- und Holzschnitzereien.
Die Gärten sind gewöhnlich nach unseren europäischen Begriffen
nicht geschmackvoll arrangirt und etwas kahl durch den Mangel an ordentlichen
Bäumen. Doch zeichnet sich in dieser Beziehung der Garten des Generals
Khéreddin, der zugleich von einem europäischen Gartenkünstler
dirigirt wird, aus. Mit waren bei dieser Gelegenheit der englische Consul,
Herr Wood, mit Familie, der englische Vizeconsul mit seinen schönen
Töchtern, die Frau Gambarotta, italienische Consulesse, die Familie
des spanischen Consuls, Romeo, der Pastor Fenner, der amerikanische Consul
und unter einigen einzelnen jungen Leuten unser Landsmann Schmidt aus Kassel,
Repräsentant des Hauses Erlanger in Paris und ich. Von letzterem habe
ich gewiß schon geschrieben, er ist ein sehr verständiger und
liebenswürdiger junger Mann, der mir zum genaueren Umgang nur leider
durch die ihm zu Gebote stehenden reichlichen Geldmittel zu große
Ansprüche macht. Sein Mitarbeiter hierselbst (denn das Haus Erlanger
gründet eine Banque hier) ist ebenfalls angekommen und ein Herr Plock
aus Frankfurt, noch jünger, sehr intelligent, körperlich sehr
hübsch und ein wahrer Dandy aus Paris. Sie scheinen den Auftrag zu
haben, hier durch Aufwand u.s.w. den Bewohnern zu imponiren. Der französische
Consul ist als ministre plenipotentiaire nach Japan abgereist und setzt
also sein abenteuerliches Leben fort. Sein interimistischer Stellvertreter,
M. Beauval, ist angekommen und entzückt durch sein reiferes honettes
Wesen und durch die Energie, mit welcher er auftritt, Alle, wer mit ihm
zu thun. Der Ruf großer Rechtschaffenheit und Willenskraft geht ihm
von Alexandrien voraus, wo er ebenfalls die Mission hatte, verwirrte und
vernachlässigte Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. – Dies ist,
mit der Nachricht, daß der Polizeipräsident, General etc. vor
kurzem wegen Mordes erschossen ist, in der That Alles, was sich von Tunis
mittheilen läßt. Ich könnte noch hinzufügen, daß
kürzlich ein Dilettanten-Concert zum Besten eines hier zu errichtenden
Gymnasiums veranstaltet wurde, zu dem ich, da Madame Gambarotta dazu einlud,
auch gehen mußte. Große allgemeine Heiterkeit erregte auf ihm
die Frau des Kaïd Nicim, Großen Schatzmeisters des Bey, welche
in der Ungewohnheit, in europäischer Tracht einherzugehen und civilisirte
Gesellschaften zu besuchen, lauter komische Dummheiten beging. Vorzüglich
die Kleidung, die zum Ueberfluß mit Steinen, die gewiß Millionen
an Werth hatten, besäet war, genirte sie außerordentlich. Die
Israelitinnen hier tragen sich zu Hause immer tunesisch, weßhalb
es viele Commercanten hier giebt, die niemals Fremde mit nach Hause nehmen,
weil die Frau nicht die Honneurs machen kann.
Diese Landpartie und dieses Concert brauchen nicht die Idee in Euch
hervorzubringen, als wenn Tunis reich sei an gesellschaftlichen Vergnügungen.
Dies waren die beiden einzigen Vorkommnisse der Art und werden auch wohl
noch längere Zeit die einzigen bleiben. In mancher Beziehung ist dies
auch gut, denn die geringste Sache hier kostet gleich so viel, daß
ich ihnen sehr bald würde entsagen müssen. Der Wagen, den ich
mit Herrn Schmidt zusammen genommen hatte, kostete z.B. ein Pfund Sterling,
eine Summe, die ich nicht bezahlen würde, wenn es nicht ein einziges
Mal wäre. Wohnung und Nahrung kosten mich 200 Frcs und jetzt, wo ich
schon lange aus der Heimath bin, kostet es mich viel Mühe, meine kleine
Garderobe in präsentablem Zustande zu erhalten. Ich ziehe mich des
Tages 2-3 mal um, um nur die jedesmalige Kleidung, die ich nicht genöthigt
war, anzulegen, zu schonen. Doch No 3 ist fast unmöglich, öffentlich
zu zeigen. An dies einmal angeregte Capitel schließt sich am natürlichsten
mein Dank für Dein Geldanerbieten, das ich leider immer wieder anzunehmen
genöthigt bin. Zu Neujahr, hoffe ich, wird man mir einige hundert
Piaster bezahlen, doch ist in einem Land der Diebe das Geld, das man noch
bekommen soll, niemals sicher. Wenn du mir also wieder einen Wechsel zukommen
lassen willst, lieber Onkel, werde ich ihn mit aufrichtigem Danke empfangen.
Die politischen Zustände, wie sie zu Hause herrschen und wie Du
sie schilderst, sind sehr traurig. Auch auswärtige Journale beschäftigen
sich seit dem Zusammentritt der Kammern viel mit der Frage, was daraus
werden solle und was der König jetzt tun werde. Er scheint schon öffentlich
von Wiederauflösen gesprochen zu haben. – In welcher Weise mag der
Tod des Königs von Dänemark die dänisch-deutsche Frage compliciren?
Eigentlich wäre sie dadurch gelöst, denn er war, soviel ich weiß,
der letzte König, der zugleich Herzog von Holstein und Lauenburg war.
– Die Greuel in Polen sind wirklich unmenschlich und nach 50 Jahren wird
man kaum glauben, daß so etwas sich zutragen konnte. In Amerika nicht
viel besser, also überall Mangel an Vertrauen in die Zukunft etc.
– Der Congreß scheint wohl nicht zu Stande zu kommen.
Der Zustand des Herrn Paas hat meine höchste Theilnahme erregt;
ich bitte mich der Familie empfehlen zu wollen. Daß Elisabeth Weegmann
eine Krankheit, wie die Schwindsucht, in ihrem Alter und ihrem übrigen
Zustande, bekommen sollte kann ich mir kaum denken. Meine aufrichtigsten
Wünsche für ihre baldige Genesung. An Eugenie Thermar denke ich
oft mit tiefem Bedauern. Was machen jetzt unsere jungen Damen aus der Mühlengasse?
Nun vor Allem freue ich mich, daß Ihr Euch so ziemlich wohl befindet,
mit den Kindern und der Großmutter. Möchtet Ihr noch lange,
lange so bleiben und Euch der Früchte Eurer Aussaat erfreuen.
Mit meiner Gesundheit bin ich zufrieden, wenn man auch in dieser Übergangs-Saison
den Schnupfen gar nicht los wird. Die Praxis nimmt eher ab, als zu, weil
die Jahreszeit weniger Krankheiten hervorbringt, und ich selbst friere
unendlich.
Adieu, mein lieber Onkel, gehab’ Dich wohl, beste Tante!
Grüßt die ganze Familie herzlich von Eurem
Euch treu ergebenen
Gustav.