El Kef den 29 November 1864
Was mich selbst betrifft, so kann ich trotz der gegenwärtigen ungünstigen
Jahreszeit nur Gutes berichten. Trotzdem der Wind die Wände meines
luftigen Hauses in beträchtlicher Weise bewegt, ja bisweilen Nachts
das ganze Gebäude in wahrhaft beunruhigender Weise bewegt, erschüttert
und ganz zu entfahren droht, trotzdem noch vor 2 Nächten ein auf mein
Haupt niederrieselnder Regen mich ungemüthlich erweckte und Morgens
früh bei unserer Abreise von einem Lagerplatz zum Andern der Thermometer
nicht selten auf 5° bis 2° Celsius über dem Gefrierpunkt herabsinkt:
so erfreue ich mich doch bis jetzt eines ungetheilten Wohlbefindens von
Seiten meiner Respirationsorgane, ein constanter Schnupfen ist die einzige
Unannehmlichkeit, der ich mich zu unterziehen genöthigt bin. Etwas
Anderes ist es mit meinen Verdauungsorganen, welche sich weniger widerstandskräftig
erweisen. Ich hatte eine Ruhr während meines Lagerlebens zu überstehen,
doch vor unserer Abreise von Mdjez-el-Bab, wie sie in diesen Ländern
häufig, nicht sehr heftig, doch hartnäckig, aber ohne Folgen,
gegen Ende des Sommers auftritt.
Die tunesische Revolution ist seit dem Anfange dieses Monats als vollständig
und nachhaltig zu Gunsten des Gouvernements als beendigt zu betrachten.
Schon vorher, zur Zeit einer Acceptirung der gegenwärtigen Stellung,
konnte man eine befriedigende Lösung der complicirten Verhältnisse
voraussehen. Der größte Theil des Landes war Dank der eifrigen
Bemühungen eines berühmten, verehrten Mannes der Religion aus
Nefta im Lande der Datteln (dem Sahara-Antheil der tunesischen Staaten)
zum Gehorsam zurückgekehrt und begnügte sich mit einigen Erleichterungen
in der Kopfsteuer und ähnlichen unbedeutenden Reformen. Doch blieb
immer noch ein bedenklicher Knotenpunkt der Revolution auf der Küste,
wo nahe der Stadt Susa, ein ganzer Stamm im Widerstande verharrte. Aus
dieser Gegend hatte man früher, unter dem Bey Achmed-Bascha, lebhaft
recrutirt, so daß der ganze Landstrich voll von alten, wohlgeübten
und dressirten Soldaten war, die jetzt, den Mangel der Regierung an Soldaten
und Geld kennend, die Revolution allein fortzusetzen entschlossen waren.
Im Lande gab es ferner zwei Männer, die diesem Heerde des Widerstandes
und dem übrigen Lande Kräfte zuzuführen beeifert waren.
Der eine, Ali-Ben-Gohdahum, Chef der Revolution im Anfange, der sich schon
Bey genannt und als solcher decretirt hatte, war durch die Bemühungen
des oben genannten religiösen Chefs, Sidi Mustapha-Ben-Asus, später
zum Rücktritte bewogen worden, hatte sich durch die Zugeständnisse
des Bey befriedigt erklärt und die aufgewiegelten Stämme aufgefordert,
zum Gehorsam zurückzukehren. Doch jetzt, obgleich er die Verzeihung
des Bey angenommen hatte, begannen Zweifel über seine künftige
Sicherheit in ihm aufzusteigen; er traute dem Worte des Souverains nicht
gänzlich und begann nach und nach aufs Neue eine mißtrauische,
zweifelhafte und selbst feindliche Stellung einzunehmen. Der Andere, Ben-Dacha,
versuchte während der Insurrection nachdem der Vorhergenannte seine
Hand von der Leitung derselben zurückzog, ihre Fäden in seiner
Hand zu vereinigen und die fast schon erloschene Revolution wieder anzufachen.
Auch er erhielt ein oder zwei mal die Verzeihung des Bey, doch stets begann
nachher sein Zutrauen in die Beständigkeit desselben schwankend zu
werden. – Je mehr die Aussichten der Regierung sich aufhellten, je weiter
die Pacificirung des Landes um sich griff und das Ende der ganzen Affaire
drohte: desto bedenklicher wurde den beiden Herren die Sache, desto zweifelhafter
ihre Conduite, so daß bald auf’s Neue eine Kluft zwischen ihnen und
der Regierung etablirt war, die sie immer weiter und weiter trieb. – Um
überhaupt die Bewegung und Haltung der verschiedenen Stämme und
die Parteien im Lande begreifen zu können, muß man folgendes
wissen: vor anderthalb Jahrhunderten, als die gegenwärtige Regentenfamilie
auf den Thron kam, war der Stifter derselben, Husseïn Bey lange ohne
Kinder geblieben und hatte seinen Neffen deshalb adoptirt. Dieser machte
sich natürlich Rechnung auf die Thronfolge, als plötzlich sein
Onkel eine genuesische Renegatin zur Frau nahm und mit ihr drei Kinder
hatte. Der adoptirte Neffe erboßt begann einen Krieg gegen Husseïn,
wurde geschlagen, schlug seinerseits, regierte eine Zeit lang, wurde aber
endlich wieder von seinen Cousins bekriegt. Zu dieser Zeit theilte sich
das ganze Land in zwei Parteien, die Husseïniten und solche, welche
den anderen Prätendenten unterstützten. Und solltet Ihr es glauben,
diese Verhältnisse bestehen noch heut zu Tage, wie vor mehr denn 100
Jahren? Die Stämme Husseïniten sind noch heute feindlich den
Andern, bei den geringsten Anlässen macht sich dieser 100jährige
Haß wieder geltend und führt nicht selten zu höchst blutigen
Kämpfen. Dieses Verhältniß war bei allen Ereignissen ein
großer Vortheil für die Regierung. Je nach Bedürfniß
stützte sie sich auf ihre Partei, war stets eines gewichtigen Anhanges
sicher und konnte stets eine Partei gegen die andere hetzen.
Das einzige Leitziel von der Einigkeit zwischen beiden historisch feindlichen
Parteien, dessen man sich erinnern kann, war die gegenwärtige Revolution,
ein Umstand, der offenbar für die Berechtigung der allgemeinen Unzufriedenheit
spricht. Die kleinen Kriege, welche fortwährend zwischen einzelnen
Husseïnitischen Stämmen und andern geführt worden waren,
ohne daß die Regierung große Anstrengung gemacht hätte,
sie zu verhindern oder auch nur vermocht hätte, es zu thun, hörten
auf und das ganze Land erhob sich gegen dieselbe. Wohl niemals war die
Lage einer Regierung verzweifelter, denn niemals gebot eine solche über
weniger materielle Kräfte, Soldaten und Geld, und niemals sah man
eine so gänzlich verlassen, so gänzlich ohne Partei. Ich und
alle Welt mit mir, wunderte mich stets, daß Bey und Ministerium so
ganz unfähig waren einen Entschluß zu fassen diesen mißlichen
Umständen gegenüber. Mit kindischem Eigensinn schienen beide
den Forderungen des Landes gegenüber weder nachgeben zu wollen noch
auch widerstehen zu können. Man war etwas verzweifelt, besonders der
Bey, ein sehr guter, wohlwollender Mann weinte viel und soll sich in sehr
wenig muselmännischer Weise durch berauschende Getränke getröstet
haben; man suchte die verzweifelte Lage nach außen hin etwas zu bemänteln;
doch übrigens legte man die Hände in den Schooß. Alles
dies war natürlich in dem traurigen Mangel an Armee und Geld wohl
begründet; doch der gute Muth und die Zuversicht, die wenigstens der
Premier-Minister, Sidi Mustafa Kasnadar, gegen den die ganze Bewegung vorzüglich
dirigirt war, nie verließ, beweißt die große Kenntnis,
welche dieser intelligente Mann von dem Character der Araber hat. Trotzdem
diese die Macht hatten, fiel es ihnen doch nicht ein, nach Tunis oder der
Residenz Bardo bei Tunis zu kommen, um eine Pression auf die wehrlose Regierung
auszuüben. Unbestimmte Furcht vor ummauerten Städten mit Kanonen
auf den Wällen, Mißtrauen gegen die Geschwader der verschiedenen
Nationen, welche auf der Rhede der Goulette stationirt waren, und Indifferenz
ihrem Wesen inhärirend, die Sache consequent weiterzuführen,
hielten sie von diesem entscheidenden Schritte ab. Sie blieben in ihrer
resp. Heimath und begnügten sich damit, momentan keine Steuern zu
zahlen. Monate verliefen über diesem ungewissen Zustand der Dinge
und das Band der Einigkeit, das die Husseïniten und ihre Feinde für
den Augenblick verbunden hatte, begann sich zu lockern. Streitigkeiten
begannen von Neuem unter ihnen auszubrechen, welche die Regierung weislich
zu nähren beflissen war, und führten oft zu blutigen Kriegen,
an denen das Geld der Regierung nicht wenig Schuld trug. So zersplitterte
sich nach und nach das ganze Land in gewohnter Weise wieder, und die Politik
der Regierung war gerettet. Der fromme religiöse Chef aus dem Süden,
Sidi Mustafa-Ben-Asus, trug dann das seinige bei, einen Theil des Landes
zum Gehorsam zurückzuführen und bald waren die Aussichten der
Regierung auf Rettung gar nicht so schlecht. Freilich machten die genannten
Parteiungen die Stellung des genannten, zurückgetretenen Revolutionschefs,
Ali-Ben-Gohdahum, von Neuem zweifelhaft ja feindlich, wie schon oben erwähnt.
Der Husseïniten Stamm Fräschisch machte eines Tages einen Streifzug
gegen ihn und seine Leute (er war früher Chef der Mädjer), erschlugen
ungefähr 100 und hätten ihn selbst fast getödtet. Er glaubte
die Hand der Regierung mit im Spiele und wenn er vorher zweifelhaft sich
betragen hatte, so wurde er jetzt feindlich. Dieser Mann wie gesagt und
Ben-Dacha, die aus Furcht vor künftiger Strafe sich auf Seite der
Feinde der Regierung schlugen, suchten den Widerstand der Gegend von Susa
kräftig zu unterstützen. In dieser befanden sich, wie gesagt,
ungefähr 10-12.000 Mann, zum größten Theil alte Soldaten
unter dem Befehle des General Magrun, der trotzdem sein Bruder Gouverneur
der Stadt Tunis ist, sich auf Seite der Rebellen geschlagen hatte.
Die Regierung hatte indessen langsam begonnen durch Zahlung hoher Prämien
Soldaten anzuwerben, hatte besonders das Corps der Zuaven, irreguläre
Truppen, Kabylen, feindlich den Arabern, wie ich in meinem früheren
Briefe geschrieben zu haben glaube, completirt und war so nach und nach
dahin gekommen, zwei Lager auszurüsten, von denen das, dem ich angehöre,
früher ausgesandt war, die aber übrigens beide gleiche Größe
haben (je 3-5000 Mann Infanterie, Artillerie, Zuaven und Spahis (Reiter)).
Durch Politik und Schlauheit suchten wir im Lande vorzudringen, gegen Süd-West
hin (um mit Gewalt vorzugehen, genügten unsere Kräfte doch noch
nicht), um später, wenn das andere Lager unter dem Befehle des Sidi
Hamed Zaruck bis gegen Susa vorgedrungen sein würde, eine Seitenbewegung
dorthin zu machen und uns mit ihm zu vereinigen. Zunächst fiel die
Einfangung des Herrn Ben-Dacha uns zu, da wir in der Gegend, welche er
bewohnt, hausten. Nachdem mein General durch politische Briefe seinen Anhang
möglichst vermindert hatte, und persönlich war er im Lande nicht
sehr beliebt, machten wir dann einige Ghasia’s (fälschlich wohl bei
uns Razzia’s genannt) gegen ihn. Alles dies ist hier zu Lande mit großen
Schwierigkeiten verbunden. Die Leute wohnen in den Bergen, Städte,
bei deren Chefs und Beamten man sich renseigniren könnte, liegen nicht
auf den Wegen; Nahrung für Menschen und Pferde findet sich nicht leicht
unterwegs. Das eine Mal hatten wir die bestimmte Nachricht seines Aufenthalts
in seinem eigentlichen Wohnplatz. 6-7 Meilen weit in großer Geheimnißvolligkeit
und Schnelligkeit zurückgelegt, fanden wir das Nest noch warm, doch
den Vogel ausgeflogen. Seine Frau und Töchter fanden wir nebst Vieh
und allerlei Kostbarkeiten im Bette eines nahen Flusses verborgen. Er selbst
wurde noch mit wenigen Leuten und Pferden auf einem nahen Berge gesehen.
Doch
wer sollte ihm in das Gebirge folgen, wo er jeden Tritt, jeden Schlupfwinkel
kennt, während der Verfolger auf ihm unbekanntem Terrain ist? Die
Zuaven stürzten sich mit großer, barbarischer Wuth auf Vieh
und Frauenzimmer los, trieben das erstere fort, rissen den andern Alles
vom Leibe, was nur einigen Werth hatte und überließen sich jeder
Art von Schandthat. Andere sah man mit kostbaren goldgestickten Sätteln
von dannen eilen, noch Andere thürmten die Vorräthe von Getreide,
Mehl, Honig und Fett auf und als endlich alles aus dem Hause geschleppt
war, was nur irgend versprach, verwerthet werden zu können, goß
man das vorgefundene Oel durch das ganze Haus und zündete dasselbe
an. Er floh darauf aus dieser Gegend, hatte aber doch Gelegenheit, sein
Hab und Gut mitzunehmen; denn ein anderes Mal, als wir ihn nicht fanden,
gingen wir doch von hinnen mit ca 200 Ochsen und Kühen, 500 Schafen,
700 Ziegen, einem Dutzend Kameelen und ebensoviel Pferden. So irrte er
von Bergen zu Bergen, von Ort zu Ort, geächtet, vielleicht verarmt,
verfolgt von der Furcht. Endlich ist er vor ca 8-14 Tagen fern von hier
im Süden der Regentschaft gefangen worden.
Indessen war Hamed Zaruck bis in die Nähe des Zentrums
der Revolution vorgedrungen und ehe wir zu ihm gelangen konnten, hatten
die Feindseligkeiten gegen einen viel stärkeren und besser geübten
Feind begonnen. Jetzt kommt ein dunkler Punkt in die Geschichte. In brutaler
Wuth, ohne Ueberlegung, deren er nicht allzuviel haben soll, griff dieser
alte Türke (er ist türkischen Ursprungs) den in einem Flecken,
Khala Sghrira, verschanzten Theil des Feindes an und besiegte ihn glänzend.
Warum die übrigen Insurgenten ihre Genossen im Stiche ließen
und besonders die Msäknia thatlos blieben, weiß Niemand. Thatsache
ist, daß er siegte, unsere Anwesenheit die Sache beendigte und alle
theuer von Malta erkauften Kanonen und alles andere Gepäck in unsere
Hände fiel. Hamed Zaruck legte sofort der ganzen Gegend eine starke
Geldbuße auf, hängte einige Chef’s an den Thoren der Stadt Susa
auf und lieferte die anderen gebunden in Tunis ab. Er liegt noch jetzt
in der Gegend von Susa. – Unser Lager, befehligt von einem politisch gebildeteren
und fähigeren Mann, General Rustam, wie Ihr wißt, konnte jetzt
auf einigermaßen sicherer Basis, seinem Zwecke ohne Blutvergießen,
wenn möglich, das Land zu ordnen, nachgehen; Chef’s absetzen und neue
wählen, Steuern, die seit länger als einem halben Jahr nicht
bezahlt sind und die Regierung bei ihren schlechten finanziellen Verhältnissen
sehr nöthig hat, eintreiben, die wankelmüthigen Männer im
Gehorsam befestigen, die übelwollenden einschüchtern, die guten
stärken etc.
Wir sind zu diesem Zwecke im Anfange des Monats von Mdjez-el-Bab, welches
1-2 Tagereisen von Tunis entfernt am Ufer des auf unseren Karten verzeichneten
einzigen größeren Flusses Medscherda (dem antiken „Bagnados")
liegt, aufgebrochen und dem Flusse folgend oder vielmehr seinem Ursprung
entgegengehend im Laufe von 10-12 Tagen bis zu unserem gegenwärtigen
Aufenthalte der festen Stadt El-Kef gelangt. Diese Festung auf einem Berge
liegend, eine Tagereise von der algerischen Grenze, dominirt den Westen
der Regentschaft und ist der wichtigste Platz fast in dem ganzen Lande.
Für diejenigen Eurer Bekannten, wie Herr Funcke z. B. welche sich
für Archäologie interessiren, sei gesagt, daß dies das
alte Sicca Venerea war, mit einem berüchtigten Venus-Dienste. Für
dieselben Eurer Freunde füge ich einige weitere Notizen über
diese höchst interessante Reise von Mdjez-el-Bab bis El-Kef bei. Jeder
Fußtritt in diesem prächtigen Lande ist voll historischer, imponirender,
grandioser Reminiscenzen, welche Jeden mit stummer Bewunderung erfüllen
müssen. Oft findet man in den Inschriften die Namen der Städte
im Alterthum, die sich zuweilen in merkwürdiger Aehnlichkeit erhalten
haben. Auf der Basis römischer Solidität sind dann die jämmerlichen,
arabischen Hütten construirt, welche ohne diese colossalen Grundmauern,
welche die Zeit nicht zu zerstören vermochte, gewiß alle 10
Jahre in Trümmern fallen würden. Oft tritt man durch ein wohlerhaltenes
römisches Stadtthor oder durch einen prächtigen Triumphbogen
in einen elenden Flecken ein, oft findet man in römischer oder byzantinischer
Festung, deren Außenmauern vollständig erhalten sind, eine Ausspannung,
wie man am besten die Hotel vertretenden Freduks nennen könnte. Die
viel besuchten Ruinen von Carthago, Utika, Udina in der Nähe von Tunis,
sind gar nicht zu vergleichen mit den prächtigen Resten, welche man
jeden Tag im Inneren des Landes findet.
Die Ruinen von Dugga (Thugga) sind z. B. splendid, grandios, colossal.
Auf der Höhe eines Berg-Plateau’s liegend, bedecken sie ungefähr
eine halbe Quadratmeile und bieten uns Trümmer dar, welche in ihrer
Conservirung uns in das Alterthum zurück zu versetzen und Alles um
uns her vergessen machen wohl geeignet sind. Die Grundmauern von Häusern,
privaten und öffentlichen Gebäuden mit zum großen Theil
noch aufrecht stehenden herrlich gearbeiteten Säulen; ein schöner
Triumphbogen und ein magnifiker Tempel des Jupiter, sind die Glanzpunkte.
Doch welche Contraste? An der Seite eines römischen Ritters, begrub
man, als ich den Ort besichtigte, einen Araber; noch nach 100 Jahren wird
der Grabstein des Römers Zeugniß geben von seiner Existenz.
Doch wer weiß von dem Leben seines Nachbarn? Der Tempel des Jupiter
war in einen Kuhstall verwandelt, zur Seite des Riesen die arabische Hütte:
Menschen und Thiere wandelten unter diesen sprechenden Zeugnissen vergangener
Größe in derselben Gleichgültigkeit, derselben Unkenntniß,
demselben Schmutze. – Ich fand zum Theil sehr interessante Inschriften,
welche zum Theil, wie ich glauben muß, Niemals zur öffentlichen
Kenntniß kamen. Ich begnüge mich mit diesen allgemeinen Andeutungen
über die classischen Genüsse, welche diese nach europäischen
Begriffen doch nur kurze Reise mitbrachte.
Bis hierher sind wir also gekommen, ohne auch nur das geringste Uebelwollen
anzutreffen. Ueberall beeiferten sich die Kaïds und Scheichs (Chefs
und Unterchef’s), unseren Chef zu begrüßen und ihn ihrer Treue
und ihres Gehorsams zu versichern. Ueberall versicherte man sofort Steuern
zahlen zu wollen. Eigentlich sollte das das Ziel unserer Reise sein. Alle
Stämme des westlichen Theils der Regentschaft sollten hierher kommen,
um ihre Treue zu bezeugen und Steuern zu zahlen. Doch im Augenblick wo
ich dies schreibe, höre ich, daß der obengenannte Rest der Rebellion,
der frühere Chef derselben, Ali-Ben-Gohdahum, in seiner Verzweiflung
noch Unruhe zu machen sucht im Lande und vor einigen Tagen ein Rencontre
hatte mit dem Stamme der Zeralmi. Man spricht davon das Lager auf das Gebiet
des letzt genannten Stammes zu verlegen und womöglich den Rebellen
und seine 1000 Reiter, welche er noch besitzt, zu vernichten. Dies würde
uns noch weiter gegen Süden führen und mir, wenn die Jahreszeit
und das Wetter etwas besser wären, äußerst angenehm sein.
Doch Ihr habt keine Idee, wie unfreundlich und selbst kalt die Witterung
in diesen Bergen ist.
Das Land ist übrigens prächtig, je weiter man nach Westen
und Süd-Westen vordringt, von einer Fruchtbarkeit, welche den alten
Ruf der Provinz Afrika wohl rechtfertigt. Dem entsprechend ist auch das
Bild, das die Einwohner darbieten, etwas heiterer geworden. Die Misére,
welche die Umgegend von Tunis und die Stadt selbst in einer für die
Fremden traurigen und widerlichen Weise kennzeichnet, hat wohlgebauten
Feldern, wohlgekleideten Personen und wohlgenährten Pferden Platz
gemacht. Welche Schätze könnten aus diesem Lande, aus der einzigen
Branche Ackerbau bei irgend vernünftiger und redlicher Verwaltung
gewonnen werden? Ich habe wohl früher hinlänglich über die
Anwendung meiner Zeit, meine Arbeit, meine Gesellschaft u.s.w. berichtet.
Die einzigen Personen, mit denen ich sprechen kann, sind der General en
chef und mein Diener, mit dem ich mein unvollkommenes Italienisch spreche.
Mit Arabern kann ich immer nur noch die allereinfachsten und nothwendigsten
Sachen verhandeln, die Sprache ist zu colossal schwer. Auch meine Unterhaltungen
mit unserem Chef sind etwas steril und langweilig geworden; er haßt
die Franzosen und ihre Sprache und seine Politik und Responsibilität
absorbiren ihn ganz, da er ein sehr thätiger und pflichttreuer Mann
ist. Ich sehe ihn täglich Mittags und Abends, da ich mit ihm speise.
Ich sitze mit gekreuzten Beinen auf einem Tepiche, wie die anderen; reiße
mit den Fingern nöthigenfalls von dem aufgetragenen, vortrefflich
gebratenen Lamm ein Stück ab, stecke es in den Mund, um die Procedur
in dieser landesüblichen Weise zu wiederholen, adoptire mit einem
Worte in gelungener Weise alle Gebräuche. Diese Art zu essen ist durchaus
nicht so unreinlich, als es uns erscheint auf den ersten Blick; denn der
Araber wäscht sich viel häufiger und gründlicher als die
meisten Menschen bei uns die Gewohnheit haben. Vor dem Essen und nachher
geht ein Diener mit Servietten, Waschbecken und Wasser herum und man reinigt
Hände und bei der zweiten Procedur auch Mund, Bart u.s.w. in sehr
bemerkenswerth completer und ungenirter Weise. Die Speisen sind von großer
Mannigfaltigkeit und behagen meinem Gaumen sehr gut. Im Allgemeinen sind
sie für unseren Geschmack zu sehr gewürzt oder auch allzu süß.
Die Kunst der Araber, Confect und Kuchen zu bereiten, ist sehr cultivirt.
Jede Hausfrau weiß die herrlichsten Conditorwaaren selbst zu verfertigen.
– Alles wird servirt auf einer großen, kupfernen, stets glänzend
geputzten Platte; auf derselben haben nur der General und ich Teller; die
Uebrigen legen ihr mit den Fingern ergriffenes Stück Fleisch vor sich
auf die Platte. Hinter uns stehen während der Mahlzeit Diener mit
gefüllten Wassergläsern. Die übrigen Gebräuche im alltäglichen
Leben, bei den gebildeten Muselmännern gefallen mir im Ganzen sehr
wohl und sind voll Delikatesse. Doch herrschen darüber im Allgemeinen
viel Irrthümer, da es nicht viel Europäer giebt, welche das Privatleben
von Leuten comme il faut zu beobachten Gelegenheit hatten. Nur zu Viele
urtheilen leichtfertig nach Lastträgern oder anderen zufällig
getroffenen Leuten und bedenken nicht, daß zwischen diesen und den
feinen Arabern in dieser Beziehung vielleicht ein größerer Unterschied
besteht als zwischen einem Bauer und einem wohlerzogenen Städtebewohner
bei uns. In moralischer Hinsicht will ich die Araber nicht zu sehr loben;
sie sind nicht offen, versteckt und voller Reserve und haben alle Fehler,
welche daraus resultiren. Doch ist es eine Thatsache, daß sie sich
vortheilhaft von den Juden und Christen, welche Tunis bewohnen, auszeichnen.
Doch für heute wollte ich Euch über die Revolution in’s Klare
setzen. Ein anderes Mal kann ich über Sitten und Gebräuche schreiben.
Der Brief ist ohnehin schon zu lang geworden und kostet zweifelsohne doppeltes
Postgeld.