5. Teil:  El Kef 1864 

Copie eines Briefes von Dr. Nachtigal

El Kef den 29 November 1864

Was mich selbst betrifft, so kann ich trotz der gegenwärtigen ungünstigen Jahreszeit nur Gutes berichten. Trotzdem der Wind die Wände meines luftigen Hauses in beträchtlicher Weise bewegt, ja bisweilen Nachts das ganze Gebäude in wahrhaft beunruhigender Weise bewegt, erschüttert und ganz zu entfahren droht, trotzdem noch vor 2 Nächten ein auf mein Haupt niederrieselnder Regen mich ungemüthlich erweckte und Morgens früh bei unserer Abreise von einem Lagerplatz zum Andern der Thermometer nicht selten auf 5° bis 2° Celsius über dem Gefrierpunkt herabsinkt: so erfreue ich mich doch bis jetzt eines ungetheilten Wohlbefindens von Seiten meiner Respirationsorgane, ein constanter Schnupfen ist die einzige Unannehmlichkeit, der ich mich zu unterziehen genöthigt bin. Etwas Anderes ist es mit meinen Verdauungsorganen, welche sich weniger widerstandskräftig erweisen. Ich hatte eine Ruhr während meines Lagerlebens zu überstehen, doch vor unserer Abreise von Mdjez-el-Bab, wie sie in diesen Ländern häufig, nicht sehr heftig, doch hartnäckig, aber ohne Folgen, gegen Ende des Sommers auftritt.
Die tunesische Revolution ist seit dem Anfange dieses Monats als vollständig und nachhaltig zu Gunsten des Gouvernements als beendigt zu betrachten. Schon vorher, zur Zeit einer Acceptirung der gegenwärtigen Stellung, konnte man eine befriedigende Lösung der complicirten Verhältnisse voraussehen. Der größte Theil des Landes war Dank der eifrigen Bemühungen eines berühmten, verehrten Mannes der Religion aus Nefta im Lande der Datteln (dem Sahara-Antheil der tunesischen Staaten) zum Gehorsam zurückgekehrt und begnügte sich mit einigen Erleichterungen in der Kopfsteuer und ähnlichen unbedeutenden Reformen. Doch blieb immer noch ein bedenklicher Knotenpunkt der Revolution auf der Küste, wo nahe der Stadt Susa, ein ganzer Stamm im Widerstande verharrte. Aus dieser Gegend hatte man früher, unter dem Bey Achmed-Bascha, lebhaft recrutirt, so daß der ganze Landstrich voll von alten, wohlgeübten und dressirten Soldaten war, die jetzt, den Mangel der Regierung an Soldaten und Geld kennend, die Revolution allein fortzusetzen entschlossen waren. Im Lande gab es ferner zwei Männer, die diesem Heerde des Widerstandes und dem übrigen Lande Kräfte zuzuführen beeifert waren. Der eine, Ali-Ben-Gohdahum, Chef der Revolution im Anfange, der sich schon Bey genannt und als solcher decretirt hatte, war durch die Bemühungen des oben genannten religiösen Chefs, Sidi Mustapha-Ben-Asus, später zum Rücktritte bewogen worden, hatte sich durch die Zugeständnisse des Bey befriedigt erklärt und die aufgewiegelten Stämme aufgefordert, zum Gehorsam zurückzukehren. Doch jetzt, obgleich er die Verzeihung des Bey angenommen hatte, begannen Zweifel über seine künftige Sicherheit in ihm aufzusteigen; er traute dem Worte des Souverains nicht gänzlich und begann nach und nach aufs Neue eine mißtrauische, zweifelhafte und selbst feindliche Stellung einzunehmen. Der Andere, Ben-Dacha, versuchte während der Insurrection nachdem der Vorhergenannte seine Hand von der Leitung derselben zurückzog, ihre Fäden in seiner Hand zu vereinigen und die fast schon erloschene Revolution wieder anzufachen. Auch er erhielt ein oder zwei mal die Verzeihung des Bey, doch stets begann nachher sein Zutrauen in die Beständigkeit desselben schwankend zu werden. – Je mehr die Aussichten der Regierung sich aufhellten, je weiter die Pacificirung des Landes um sich griff und das Ende der ganzen Affaire drohte: desto bedenklicher wurde den beiden Herren die Sache, desto zweifelhafter ihre Conduite, so daß bald auf’s Neue eine Kluft zwischen ihnen und der Regierung etablirt war, die sie immer weiter und weiter trieb. – Um überhaupt die Bewegung und Haltung der verschiedenen Stämme und die Parteien im Lande begreifen zu können, muß man folgendes wissen: vor anderthalb Jahrhunderten, als die gegenwärtige Regentenfamilie auf den Thron kam, war der Stifter derselben, Husseïn Bey lange ohne Kinder geblieben und hatte seinen Neffen deshalb adoptirt. Dieser machte sich natürlich Rechnung auf die Thronfolge, als plötzlich sein Onkel eine genuesische Renegatin zur Frau nahm und mit ihr drei Kinder hatte. Der adoptirte Neffe erboßt begann einen Krieg gegen Husseïn, wurde geschlagen, schlug seinerseits, regierte eine Zeit lang, wurde aber endlich wieder von seinen Cousins bekriegt. Zu dieser Zeit theilte sich das ganze Land in zwei Parteien, die Husseïniten und solche, welche den anderen Prätendenten unterstützten. Und solltet Ihr es glauben, diese Verhältnisse bestehen noch heut zu Tage, wie vor mehr denn 100 Jahren? Die Stämme Husseïniten sind noch heute feindlich den Andern, bei den geringsten Anlässen macht sich dieser 100jährige Haß wieder geltend und führt nicht selten zu höchst blutigen Kämpfen. Dieses Verhältniß war bei allen Ereignissen ein großer Vortheil für die Regierung. Je nach Bedürfniß stützte sie sich auf ihre Partei, war stets eines gewichtigen Anhanges sicher und konnte stets eine Partei gegen die andere hetzen.
Das einzige Leitziel von der Einigkeit zwischen beiden historisch feindlichen Parteien, dessen man sich erinnern kann, war die gegenwärtige Revolution, ein Umstand, der offenbar für die Berechtigung der allgemeinen Unzufriedenheit spricht. Die kleinen Kriege, welche fortwährend zwischen einzelnen Husseïnitischen Stämmen und andern geführt worden waren, ohne daß die Regierung große Anstrengung gemacht hätte, sie zu verhindern oder auch nur vermocht hätte, es zu thun, hörten auf und das ganze Land erhob sich gegen dieselbe. Wohl niemals war die Lage einer Regierung verzweifelter, denn niemals gebot eine solche über weniger materielle Kräfte, Soldaten und Geld, und niemals sah man eine so gänzlich verlassen, so gänzlich ohne Partei. Ich und alle Welt mit mir, wunderte mich stets, daß Bey und Ministerium so ganz unfähig waren einen Entschluß zu fassen diesen mißlichen Umständen gegenüber. Mit kindischem Eigensinn schienen beide den Forderungen des Landes gegenüber weder nachgeben zu wollen noch auch widerstehen zu können. Man war etwas verzweifelt, besonders der Bey, ein sehr guter, wohlwollender Mann weinte viel und soll sich in sehr wenig muselmännischer Weise durch berauschende Getränke getröstet haben; man suchte die verzweifelte Lage nach außen hin etwas zu bemänteln; doch übrigens legte man die Hände in den Schooß. Alles dies war natürlich in dem traurigen Mangel an Armee und Geld wohl begründet; doch der gute Muth und die Zuversicht, die wenigstens der Premier-Minister, Sidi Mustafa Kasnadar, gegen den die ganze Bewegung vorzüglich dirigirt war, nie verließ, beweißt die große Kenntnis, welche dieser intelligente Mann von dem Character der Araber hat. Trotzdem diese die Macht hatten, fiel es ihnen doch nicht ein, nach Tunis oder der Residenz Bardo bei Tunis zu kommen, um eine Pression auf die wehrlose Regierung auszuüben. Unbestimmte Furcht vor ummauerten Städten mit Kanonen auf den Wällen, Mißtrauen gegen die Geschwader der verschiedenen Nationen, welche auf der Rhede der Goulette stationirt waren, und Indifferenz ihrem Wesen inhärirend, die Sache consequent weiterzuführen, hielten sie von diesem entscheidenden Schritte ab. Sie blieben in ihrer resp. Heimath und begnügten sich damit, momentan keine Steuern zu zahlen. Monate verliefen über diesem ungewissen Zustand der Dinge und das Band der Einigkeit, das die Husseïniten und ihre Feinde für den Augenblick verbunden hatte, begann sich zu lockern. Streitigkeiten begannen von Neuem unter ihnen auszubrechen, welche die Regierung weislich zu nähren beflissen war, und führten oft zu blutigen Kriegen, an denen das Geld der Regierung nicht wenig Schuld trug. So zersplitterte sich nach und nach das ganze Land in gewohnter Weise wieder, und die Politik der Regierung war gerettet. Der fromme religiöse Chef aus dem Süden, Sidi Mustafa-Ben-Asus, trug dann das seinige bei, einen Theil des Landes zum Gehorsam zurückzuführen und bald waren die Aussichten der Regierung auf Rettung gar nicht so schlecht. Freilich machten die genannten Parteiungen die Stellung des genannten, zurückgetretenen Revolutionschefs, Ali-Ben-Gohdahum, von Neuem zweifelhaft ja feindlich, wie schon oben erwähnt. Der Husseïniten Stamm Fräschisch machte eines Tages einen Streifzug gegen ihn und seine Leute (er war früher Chef der Mädjer), erschlugen ungefähr 100 und hätten ihn selbst fast getödtet. Er glaubte die Hand der Regierung mit im Spiele und wenn er vorher zweifelhaft sich betragen hatte, so wurde er jetzt feindlich. Dieser Mann wie gesagt und Ben-Dacha, die aus Furcht vor künftiger Strafe sich auf Seite der Feinde der Regierung schlugen, suchten den Widerstand der Gegend von Susa kräftig zu unterstützen. In dieser befanden sich, wie gesagt, ungefähr 10-12.000 Mann, zum größten Theil alte Soldaten unter dem Befehle des General Magrun, der trotzdem sein Bruder Gouverneur der Stadt Tunis ist, sich auf Seite der Rebellen geschlagen hatte.
Die Regierung hatte indessen langsam begonnen durch Zahlung hoher Prämien Soldaten anzuwerben, hatte besonders das Corps der Zuaven, irreguläre Truppen, Kabylen, feindlich den Arabern, wie ich in meinem früheren Briefe geschrieben zu haben glaube, completirt und war so nach und nach dahin gekommen, zwei Lager auszurüsten, von denen das, dem ich angehöre, früher ausgesandt war, die aber übrigens beide gleiche Größe haben (je 3-5000 Mann Infanterie, Artillerie, Zuaven und Spahis (Reiter)). Durch Politik und Schlauheit suchten wir im Lande vorzudringen, gegen Süd-West hin (um mit Gewalt vorzugehen, genügten unsere Kräfte doch noch nicht), um später, wenn das andere Lager unter dem Befehle des Sidi Hamed Zaruck bis gegen Susa vorgedrungen sein würde, eine Seitenbewegung dorthin zu machen und uns mit ihm zu vereinigen. Zunächst fiel die Einfangung des Herrn Ben-Dacha uns zu, da wir in der Gegend, welche er bewohnt, hausten. Nachdem mein General durch politische Briefe seinen Anhang möglichst vermindert hatte, und persönlich war er im Lande nicht sehr beliebt, machten wir dann einige Ghasia’s (fälschlich wohl bei uns Razzia’s genannt) gegen ihn. Alles dies ist hier zu Lande mit großen Schwierigkeiten verbunden. Die Leute wohnen in den Bergen, Städte, bei deren Chefs und Beamten man sich renseigniren könnte, liegen nicht auf den Wegen; Nahrung für Menschen und Pferde findet sich nicht leicht unterwegs. Das eine Mal hatten wir die bestimmte Nachricht seines Aufenthalts in seinem eigentlichen Wohnplatz. 6-7 Meilen weit in großer Geheimnißvolligkeit und Schnelligkeit zurückgelegt, fanden wir das Nest noch warm, doch den Vogel ausgeflogen. Seine Frau und Töchter fanden wir nebst Vieh und allerlei Kostbarkeiten im Bette eines nahen Flusses verborgen. Er selbst wurde noch mit wenigen Leuten und Pferden auf einem nahen Berge gesehen. Doch wer sollte ihm in das Gebirge folgen, wo er jeden Tritt, jeden Schlupfwinkel kennt, während der Verfolger auf ihm unbekanntem Terrain ist? Die Zuaven stürzten sich mit großer, barbarischer Wuth auf Vieh und Frauenzimmer los, trieben das erstere fort, rissen den andern Alles vom Leibe, was nur einigen Werth hatte und überließen sich jeder Art von Schandthat. Andere sah man mit kostbaren goldgestickten Sätteln von dannen eilen, noch Andere thürmten die Vorräthe von Getreide, Mehl, Honig und Fett auf und als endlich alles aus dem Hause geschleppt war, was nur irgend versprach, verwerthet werden zu können, goß man das vorgefundene Oel durch das ganze Haus und zündete dasselbe an. Er floh darauf aus dieser Gegend, hatte aber doch Gelegenheit, sein Hab und Gut mitzunehmen; denn ein anderes Mal, als wir ihn nicht fanden, gingen wir doch von hinnen mit ca 200 Ochsen und Kühen, 500 Schafen, 700 Ziegen, einem Dutzend Kameelen und ebensoviel Pferden. So irrte er von Bergen zu Bergen, von Ort zu Ort, geächtet, vielleicht verarmt, verfolgt von der Furcht. Endlich ist er vor ca 8-14 Tagen fern von hier im Süden der Regentschaft gefangen worden.
   Indessen war Hamed Zaruck bis in die Nähe des Zentrums der Revolution vorgedrungen und ehe wir zu ihm gelangen konnten, hatten die Feindseligkeiten gegen einen viel stärkeren und besser geübten Feind begonnen. Jetzt kommt ein dunkler Punkt in die Geschichte. In brutaler Wuth, ohne Ueberlegung, deren er nicht allzuviel haben soll, griff dieser alte Türke (er ist türkischen Ursprungs) den in einem Flecken, Khala Sghrira, verschanzten Theil des Feindes an und besiegte ihn glänzend. Warum die übrigen Insurgenten ihre Genossen im Stiche ließen und besonders die Msäknia thatlos blieben, weiß Niemand. Thatsache ist, daß er siegte, unsere Anwesenheit die Sache beendigte und alle theuer von Malta erkauften Kanonen und alles andere Gepäck in unsere Hände fiel. Hamed Zaruck legte sofort der ganzen Gegend eine starke Geldbuße auf, hängte einige Chef’s an den Thoren der Stadt Susa auf und lieferte die anderen gebunden in Tunis ab. Er liegt noch jetzt in der Gegend von Susa. – Unser Lager, befehligt von einem politisch gebildeteren und fähigeren Mann, General Rustam, wie Ihr wißt, konnte jetzt auf einigermaßen sicherer Basis, seinem Zwecke ohne Blutvergießen, wenn möglich, das Land zu ordnen, nachgehen; Chef’s absetzen und neue wählen, Steuern, die seit länger als einem halben Jahr nicht bezahlt sind und die Regierung bei ihren schlechten finanziellen Verhältnissen sehr nöthig hat, eintreiben, die wankelmüthigen Männer im Gehorsam befestigen, die übelwollenden einschüchtern, die guten stärken etc.
Wir sind zu diesem Zwecke im Anfange des Monats von Mdjez-el-Bab, welches 1-2 Tagereisen von Tunis entfernt am Ufer des auf unseren Karten verzeichneten einzigen größeren Flusses Medscherda (dem antiken „Bagnados") liegt, aufgebrochen und dem Flusse folgend oder vielmehr seinem Ursprung entgegengehend im Laufe von 10-12 Tagen bis zu unserem gegenwärtigen Aufenthalte der festen Stadt El-Kef gelangt. Diese Festung auf einem Berge liegend, eine Tagereise von der algerischen Grenze, dominirt den Westen der Regentschaft und ist der wichtigste Platz fast in dem ganzen Lande. Für diejenigen Eurer Bekannten, wie Herr Funcke z. B. welche sich für Archäologie interessiren, sei gesagt, daß dies das alte Sicca Venerea war, mit einem berüchtigten Venus-Dienste. Für dieselben Eurer Freunde füge ich einige weitere Notizen über diese höchst interessante Reise von Mdjez-el-Bab bis El-Kef bei. Jeder Fußtritt in diesem prächtigen Lande ist voll historischer, imponirender, grandioser Reminiscenzen, welche Jeden mit stummer Bewunderung erfüllen müssen. Oft findet man in den Inschriften die Namen der Städte im Alterthum, die sich zuweilen in merkwürdiger Aehnlichkeit erhalten haben. Auf der Basis römischer Solidität sind dann die jämmerlichen, arabischen Hütten construirt, welche ohne diese colossalen Grundmauern, welche die Zeit nicht zu zerstören vermochte, gewiß alle 10 Jahre in Trümmern fallen würden. Oft tritt man durch ein wohlerhaltenes römisches Stadtthor oder durch einen prächtigen Triumphbogen in einen elenden Flecken ein, oft findet man in römischer oder byzantinischer Festung, deren Außenmauern vollständig erhalten sind, eine Ausspannung, wie man am besten die Hotel vertretenden Freduks nennen könnte. Die viel besuchten Ruinen von Carthago, Utika, Udina in der Nähe von Tunis, sind gar nicht zu vergleichen mit den prächtigen Resten, welche man jeden Tag im Inneren des Landes findet.
Die Ruinen von Dugga (Thugga) sind z. B. splendid, grandios, colossal. Auf der Höhe eines Berg-Plateau’s liegend, bedecken sie ungefähr eine halbe Quadratmeile und bieten uns Trümmer dar, welche in ihrer Conservirung uns in das Alterthum zurück zu versetzen und Alles um uns her vergessen machen wohl geeignet sind. Die Grundmauern von Häusern, privaten und öffentlichen Gebäuden mit zum großen Theil noch aufrecht stehenden herrlich gearbeiteten Säulen; ein schöner Triumphbogen und ein magnifiker Tempel des Jupiter, sind die Glanzpunkte. Doch welche Contraste? An der Seite eines römischen Ritters, begrub man, als ich den Ort besichtigte, einen Araber; noch nach 100 Jahren wird der Grabstein des Römers Zeugniß geben von seiner Existenz. Doch wer weiß von dem Leben seines Nachbarn? Der Tempel des Jupiter war in einen Kuhstall verwandelt, zur Seite des Riesen die arabische Hütte: Menschen und Thiere wandelten unter diesen sprechenden Zeugnissen vergangener Größe in derselben Gleichgültigkeit, derselben Unkenntniß, demselben Schmutze. – Ich fand zum Theil sehr interessante Inschriften, welche zum Theil, wie ich glauben muß, Niemals zur öffentlichen Kenntniß kamen. Ich begnüge mich mit diesen allgemeinen Andeutungen über die classischen Genüsse, welche diese nach europäischen Begriffen doch nur kurze Reise mitbrachte.
Bis hierher sind wir also gekommen, ohne auch nur das geringste Uebelwollen anzutreffen. Ueberall beeiferten sich die Kaïds und Scheichs (Chefs und Unterchef’s), unseren Chef zu begrüßen und ihn ihrer Treue und ihres Gehorsams zu versichern. Ueberall versicherte man sofort Steuern zahlen zu wollen. Eigentlich sollte das das Ziel unserer Reise sein. Alle Stämme des westlichen Theils der Regentschaft sollten hierher kommen, um ihre Treue zu bezeugen und Steuern zu zahlen. Doch im Augenblick wo ich dies schreibe, höre ich, daß der obengenannte Rest der Rebellion, der frühere Chef derselben, Ali-Ben-Gohdahum, in seiner Verzweiflung noch Unruhe zu machen sucht im Lande und vor einigen Tagen ein Rencontre hatte mit dem Stamme der Zeralmi. Man spricht davon das Lager auf das Gebiet des letzt genannten Stammes zu verlegen und womöglich den Rebellen und seine 1000 Reiter, welche er noch besitzt, zu vernichten. Dies würde uns noch weiter gegen Süden führen und mir, wenn die Jahreszeit und das Wetter etwas besser wären, äußerst angenehm sein. Doch Ihr habt keine Idee, wie unfreundlich und selbst kalt die Witterung in diesen Bergen ist.
Das Land ist übrigens prächtig, je weiter man nach Westen und Süd-Westen vordringt, von einer Fruchtbarkeit, welche den alten Ruf der Provinz Afrika wohl rechtfertigt. Dem entsprechend ist auch das Bild, das die Einwohner darbieten, etwas heiterer geworden. Die Misére, welche die Umgegend von Tunis und die Stadt selbst in einer für die Fremden traurigen und widerlichen Weise kennzeichnet, hat wohlgebauten Feldern, wohlgekleideten Personen und wohlgenährten Pferden Platz gemacht. Welche Schätze könnten aus diesem Lande, aus der einzigen Branche Ackerbau bei irgend vernünftiger und redlicher Verwaltung gewonnen werden? Ich habe wohl früher hinlänglich über die Anwendung meiner Zeit, meine Arbeit, meine Gesellschaft u.s.w. berichtet. Die einzigen Personen, mit denen ich sprechen kann, sind der General en chef und mein Diener, mit dem ich mein unvollkommenes Italienisch spreche. Mit Arabern kann ich immer nur noch die allereinfachsten und nothwendigsten Sachen verhandeln, die Sprache ist zu colossal schwer. Auch meine Unterhaltungen mit unserem Chef sind etwas steril und langweilig geworden; er haßt die Franzosen und ihre Sprache und seine Politik und Responsibilität absorbiren ihn ganz, da er ein sehr thätiger und pflichttreuer Mann ist. Ich sehe ihn täglich Mittags und Abends, da ich mit ihm speise. Ich sitze mit gekreuzten Beinen auf einem Tepiche, wie die anderen; reiße mit den Fingern nöthigenfalls von dem aufgetragenen, vortrefflich gebratenen Lamm ein Stück ab, stecke es in den Mund, um die Procedur in dieser landesüblichen Weise zu wiederholen, adoptire mit einem Worte in gelungener Weise alle Gebräuche. Diese Art zu essen ist durchaus nicht so unreinlich, als es uns erscheint auf den ersten Blick; denn der Araber wäscht sich viel häufiger und gründlicher als die meisten Menschen bei uns die Gewohnheit haben. Vor dem Essen und nachher geht ein Diener mit Servietten, Waschbecken und Wasser herum und man reinigt Hände und bei der zweiten Procedur auch Mund, Bart u.s.w. in sehr bemerkenswerth completer und ungenirter Weise. Die Speisen sind von großer Mannigfaltigkeit und behagen meinem Gaumen sehr gut. Im Allgemeinen sind sie für unseren Geschmack zu sehr gewürzt oder auch allzu süß. Die Kunst der Araber, Confect und Kuchen zu bereiten, ist sehr cultivirt. Jede Hausfrau weiß die herrlichsten Conditorwaaren selbst zu verfertigen. – Alles wird servirt auf einer großen, kupfernen, stets glänzend geputzten Platte; auf derselben haben nur der General und ich Teller; die Uebrigen legen ihr mit den Fingern ergriffenes Stück Fleisch vor sich auf die Platte. Hinter uns stehen während der Mahlzeit Diener mit gefüllten Wassergläsern. Die übrigen Gebräuche im alltäglichen Leben, bei den gebildeten Muselmännern gefallen mir im Ganzen sehr wohl und sind voll Delikatesse. Doch herrschen darüber im Allgemeinen viel Irrthümer, da es nicht viel Europäer giebt, welche das Privatleben von Leuten comme il faut zu beobachten Gelegenheit hatten. Nur zu Viele urtheilen leichtfertig nach Lastträgern oder anderen zufällig getroffenen Leuten und bedenken nicht, daß zwischen diesen und den feinen Arabern in dieser Beziehung vielleicht ein größerer Unterschied besteht als zwischen einem Bauer und einem wohlerzogenen Städtebewohner bei uns. In moralischer Hinsicht will ich die Araber nicht zu sehr loben; sie sind nicht offen, versteckt und voller Reserve und haben alle Fehler, welche daraus resultiren. Doch ist es eine Thatsache, daß sie sich vortheilhaft von den Juden und Christen, welche Tunis bewohnen, auszeichnen. Doch für heute wollte ich Euch über die Revolution in’s Klare setzen. Ein anderes Mal kann ich über Sitten und Gebräuche schreiben. Der Brief ist ohnehin schon zu lang geworden und kostet zweifelsohne doppeltes Postgeld.


FORTSETZUNG IM 6. TEIL