6. Teil: Bordj-el-Aribi 1865
Copie!
Bordj-el-Aribi am 26 Januar 1865
Mein lieber Onkel!
Dein lieber Brief vom 27sten Decbr. der mir gestern glücklich
zugekommen ist, hat das innige Bedauern, das ich seit dem Beginn dieses
Jahres fühlte, Euch meine Glückwünsche zum neuen Jahre nicht
habe rechtzeitig senden zu können, wieder auf’s Neue wachgerufen.
Da die Kölnische Zeitung stellenweise Notizen über die hiesigen
Vorgänge enthält, so wird die zwingende Ursache meines Schweigens
von Euch geahnt werden können. Seit ich Euch meinen letzten Brief
schrieb, haben wir eine harte, bewegte und interessante Zeit durchgemacht,
welche der Correspondenz durchaus ungünstig war. Wenn ich mich recht
entsinne, so hatte ich Euch unsere Irrfahrt so weit mitgetheilt, daß
wir auf die Nachricht hin, Ali-Ben-Gohdahum, der alte Insurgenten-Bey,
sei mit beträchtlichen Streitkräften, etwa 8000 Mann, bis in
unsere Nähe gekommen und habe das Centrum und den Westen der Regentschaft
bis El-Kef hinauf auf’s Neue aufgewiegelt, unser Lager abbrachen und in
kühnem Muthe mit unserer Macht, 2000 Zuaven, 1000 Reiter, ein Bataillon
Infanterie und vier Kanonen, dem Heerde des Aufstandes entgegen zogen.
Unser Lager blieb noch auf dem Gebiete der Scharen, sehr zweifelhafter
und stellenweise der Regierung selbst feindlicher Leute und lagerten wir
am 13ten December an der Quelle (tin-) Babnoch. Schon war das Zeichen zum
Weitermarsch am folgenden Morgen gegeben, als gegen Sonnenuntergang Späher
die Nachricht brachten, daß der Rebellen-Chef mit seiner ganzen Macht
von der Spitze des nahen Berges Babnoch gesehen worden sei, wie er in Eile
gegen unser Lager sich heranbewege. Alles blieb begreiflicherweise auf
den Beinen, die Wachen wurden verdoppelt, die Kanonen wurden nach den vier
Himmelsgegenden auf den Umkreis des Lagers vertheilt (Ihr werdet Euch erinnern,
daß das Lager sich kreisförmig erbaut) und so erwarteten wir
ihn etwa um Mitternacht. Doch Nichts ließ sich sehen und als bis
um 2 Uhr Nachts noch Nichts wahrgenommen wahr, legten wir uns in unseren
Kleidern etwas auf’s Bett.– Am anderen Morgen brachen wir zur gewohnten
Zeit, d. h. kurz vor Sonnenaufgang, unser Lager ab und um 8 Uhr war Alles
zum Abmarsch bereit. Schon hatten wir die Pferde bestiegen und der Ferik
mit seinem Stabe verläßt den Lagerplatz als der Letzte, die
ganze Colonne setzte sich schon in Bewegung, als plötzlich die Spitze
derselben wieder Kehrt machte und die das Lager zu zwei Dritttheilen umgebenden
Hügel von Tausenden von Reitern zu wimmeln begannen. Als dieselben
immer massenhafter wurden und einen dichten Kreis um unser Lager zu schließen
begannen, wurde mir bei dem geringen Vertrauen, das ich in die Infanterie
und die Reiterei setzte, fast bedenklich zu Muthe. Die Ueberzahl war offenbar
auf Seiten des Feindes, der prächtig beritten und gut bewaffnet schien.
Doch ich hatte ohne die Kanonen gerechnet, deren erstes Auftreten, mir
allen meinen Muth wieder gab. Der Kampf engagirte sich hauptsächlich
am Eingange des Lagers, die Schließung des Kreises wurde unterbrochen,
die Zuaven schlüpften zum Theil hinaus, umgingen einen Berg zu unserer
Linken, um dem Feinde in die Flanke zu fallen und bald konnten wir mit
einem Geschütz einen Hügel, der den Eingang des Lagers beherrschte,
besetzen. Unter dem Schutze desselben brauste ein Theil unserer Reiterei
hinaus und gegen Mittag konnte der Erfolg nicht mehr zweifelhaft sein.
Wir waren unbestritten um 12 Uhr Herren des Terrains, die Rebellen in der
Flucht begriffen. Sie ließen etwa ein Dutzend Todte auf dem Schlachtfelde
zurück, führten jedoch die meisten Opfer mit sich hinweg. Um
zwei Uhr rückten unsere Truppen mit klingendem Spiel wieder ein, die
Zuaven abgeschnittene Köpfe vor sich her tragend. Ich kann nicht läugnen,
daß mir letztere einen höchst peinlichen, unheimlichen Eindruck
machten und ich konnte tagelang nicht an dem Orte vorbeigehen, wo man sie
den Hunden und Raubvögeln zur Speise hinwarf. – Das Lager war im Augenblick
gleich Anfangs wieder aufgeschlagen worden und an Weiterziehen war für
einige Tage nicht zu denken. Im Laufe des Vormittags wurden einige 50 Gefangene
eingebracht, schon auf dem Schlachtfelde ihrer Kleidung bis auf’s Hemd
beraubt und von jedem Vorübergehenden mit den Titeln Hund, Jude etc.
und einem Schlage, oder Stoße oder Tritte begrüßt. – Unsere
Verluste beschränkten sich auf einen Schwerverwundeten, der nach 24
Stunden starb und zwei leicht Verwundete, die noch am selben Tage umherzugehen
im Stande waren. Die Rebellen setzten sich aus Gliedern von 9 Stämmen
zusammen: Uläd-Bughanem, Zeralma, Dufan, Fräschisch, Uläd
Ayar, Scharen, Uläd-Yacub und Uärtän, von denen die ersteren
vorzüglich ingrimmig und muthig Stand hielten. Man sah sie, als sie
ihre Sache verloren gaben, je nach ihrer Heimath fliehen. – Am anderen
Tage kamen von allen Seiten Nachrichten über nachträglich an
ihren Wunden gestorbene Rebellen: unser Sieg war mit unseren geringen Verlusten,
ein wirklich glänzender zu nennen.
Wir blieben noch eine Woche am Orte der Schlacht, um zu drohen, zu
überreden, zu befehlen, zu bitten, zu strafen etc. und verlegten darauf
unser Lager so recht eigentlich in die Mitte der aufgewiegelten, oben genannten
Stämme. Bald zeigten die Uärtän bessere Regungen und gaben
unzweideutige Beweise ihrer verbesserten Gesinnung, auch die Uläd-Yacub
und die Uläd Ayar neigten sich zur Umkehr. Die letzteren sind sehr
wichtig, da sie ca 4000 Reiter in’s Feld stellen können. Doch gab
es immerhin bei ihnen Parteiungen und während ein Theil zu uns kam
und auf’s Neue Gehorsam gelobte, blieben andere ganz ruhig mit Ali-Ben-Gohdahum.
Letzterer, dessen Einfluß in der ganzen Gegend ein zweifellos großer
war, sah seine Sache vielleicht schon verloren, machte aber die rastlosesten
Anstrengungen, uns so viel Widerstand zu leisten und so viel Schaden zuzufügen,
als nur immer möglich. Einige Versuche, ihn nächtlich durch einige
Tausend Mann auszuheben, mißlangen und er gebot stets noch über
einen großen Einfluß und nicht zu verachtende Streitkräfte.
Sobald unsere Provisionen angekommen waren, setzten wir unseren Marsch
gegen Süden fort, dem Rebellenchef folgend. Von jetzt ab mußte
ich eine fabelhafte Thätigkeit entwickeln. Eine schädliche Quelle
hatte bösartige Fieber in Menge erzeugt und ich hatte für ungefähr
20 Schwerkranke, ungerechnet die minder bedenklich Kranken, zu sorgen,
ihren Transport zu ermöglichen, sie gegen die stets zunehmende Kälte
zu schützen, ihnen Suppe oder kleine Labungen zu verschaffen, sie
zu trösten, ihnen Medicin zu bereiten u.s.w. u.s.w. Denkt Euch dies
ohne alle Existenz auch nur der nothdürftigsten Erfordernisse zur
Erfüllung der genannten Zwecke, ohne Wägen, ohne Decken, ohne
für Kranke geeignete Nahrungsmittel, ohne Alles, und dabei täglicher
Lagerwechsel! Dabei keine Stadt weit und breit, wohin die Armen hätten
transportirt werden können, keine Seele, die sich ihrer angenommen
hätte, als ich; so war Alles mit der wichtigeren Aussicht auf Kampf
und Sieg beschäftigt, so wenig achtet man Menschenleben in diesem
Lande. Ich weiß in der That nicht was ohne mich aus ihnen geworden
wäre. Meine Verdienste sind, ohne Eitelkeit kann ich es sagen, in
dieser Hinsicht anerkennenswerth. Von Allen starb nur Einer, was die Freudigkeit
meiner Bemühungen nicht wenig erhöhte.
So kamen wir nach fast täglichem Weiterziehen am 7ten Januar an
das Flüßchen Haïdra, den Namen von den berühmten Ruinen
von Haïdra empfangend, welche nahe der französischen Grenze auf
dem Gebiete der Fräschisch liegen. Westlich von uns, hinter einem
Hügel, die genannten Ruinen, etwa 1½ Stunden weit; südlich
das Flüßchen und eine Hügelkette, die Ali-Ben-Gohdahum
zum Aufenthalte diente, etwa ½ Stunde weit.
Der Insurgenten-Häuptling wohl wissend, daß die Entscheidung
nahe sei, hatte die unglaublichsten Anstrengungen gemacht und es war ihm
in der That gelungen, seine Streitkräfte zu vermehren. Während
dieser Zeit war zur gewöhnlichen Periode Si Ali-Bey der Thronfolger
mit einer Colonne von Tunis nach dem Sahara-Antheil der Regentschaft, dem
Dattellande Djerid, aufgebrochen, um dort Steuern zu erheben. Er zog 3-4
Tagereisen östlich von uns gegen Süden und hielt in unserer Höhe
an, um bei etwaigem Mißlingen von unserer Seite nahe zu sein. Dies
ist der wahrheitsgemäße Grund seiner Abwesenheit im Centrum
des Landes, die zu der von Dir erwähnten Deutung Veranlassung gegeben
hat. Doch benutzte der General Rustam die nicht zu große Entfernung,
um Boten an ihn zu senden, mit der Nachricht, daß er in den nächsten
Tagen eine Schlacht erwarte und für diese Eventualität einige
Tausend Reiter ein erwünschter Zuzug sein würden.
Am 8ten Januar sollte nicht weitergerückt werden; ich legte mich
also in dieser Aussicht zum ersten Male nach langer Zeit vollständig
ausgekleidet in’s Bett und wollte am folgenden Morgen ausschlafen. Doch
schon um 3 Uhr Morgens wurde ich höchst unsanft durch lebhaftes Gewehrfeuer
und pfeifende Kugeln, welche ihren Weg bis zu meinem Zelte fanden, aus
dem Schlummer erweckt. Mondlos, wie die Nacht war, vermehrte die Dunkelheit
noch die allgemeine Aufregung. Das Lager wurde im Westen von einem Hügel
beherrscht, den die Rebellen besetzt hatten und von wo aus sie ihre Kugeln
sendeten; südlich war der Fluß und östlich und nördlich
das Terrain niedriger als unser Lagerplatz. Wir schossen mit Haubitzen
auf den Hügel und es gelang uns, unterstützt von dem Gewehrfeuer
der Zuaven, welche demselben zukrochen, ihn mit Anbruch des Tages zu reinigen.
Den zahlreichen, großen Blutlachen nach zu urtheilen, welche trauriger
Weise den Berg zierten, hatten sie bedeutende Verluste gehabt, doch nahmen
sie Todte und Verwundete mit sich. Sie zogen sich auf eine nahe Hügelkette,
zehn Minuten weiter zurück und erwarteten unsere Reiterei. Bald entspann
sich ein mörderischer Kampf, den man vom nächsten Hügel
aus herrlich beobachten konnte. Heute gab es mehr zu thun; ich war den
ganzen Vormittag mit Kugeln suchen und ausschneiden, Blutgefäße
unterbinden und verbinden beschäftigt. Um gleich bei der Hand zu sein,
näherte ich mich dem Kampfplatze etwas, zumal mein jüdischer
Hilfsarzt sich weigerte, dieser Pflicht nachzukommen. Während dem
kamen plötzlich 1500 Reiter vom Lager Si-Ali-Bey’s vom Stamme der
Djella’s und Hamema, welche den aufgestandenen Tribus nicht besonders freundlich
gesinnt sind, und fielen mit den unsrigen gemeinsam über den Feind
her. Um Mittag war die Sache beendigt, der Feind in regelloser Flucht,
die Todten und Verwundeten auf dem Schlachtfelde zurücklassend. Die
Unsrigen und die Djellas, denen Ali-Bey gesagt hatte, er wolle sie nicht
wieder ansehen, wenn sie ohne den Kopf des Hochverräthers zurückkehrten,
verfolgten ihn eilig. Um Mittag brachen wir unser Lager ab und verlegten
dasselbe nach den Ruinen von Haïdra. Ich ritt mit dem General über
das Schlachtfeld und war entsetzt über die zahlreichen Opfer, die
der Kampf kostete. Unsere Pferde entsetzten sich alle 20 Schritt über
eine
Leiche ohne Kopf, über einen mit Blut bedeckten schwer Verwundeten,
der sich in Todesschmerzen krümmte, oder über einen bleichen
Kopf, dessen gläserne Augen noch umherzustarren schienen, ohne Rumpf.
Ich ritt wie in einem bösen Traume umher und entsetzte mich in gleicher
Weise über das entsetzliche Bild, als über die naive Freude der
Sieger, die jauchzten, ihre Mitbürger ermordet und ihr einwohnerloses
Vaterland so vieler Arme beraubt zu haben. Der Befund des Schlachtfeldes
und die nachträglichen Berichte machen den Tod von 500 Menschen wahrscheinlich.
Ich hatte 14 Verwundete zu besorgen, von denen 8 in den ersten Tagen starben.
Zwei Tage habe ich nichts gegessen, sondern mich durch Thee mit Cognac
und Kaffee aufrecht erhalten, so viel hatte ich zu thun, theils mit der
ärztlichen Behandlung, theils in dem Bestreben, den Verwundeten, Nahrung,
Schutz gegen die Kälte (wir hatten Nachts bis zu 6 Kältegraden),
Labsal und Transportmittel zu verschaffen. Um dies zu verstehen muß
man denken, daß auch nichts, gar nichts der Art vorhanden ist, daß
der Arzt gar keinen Beistand hat, sondern Alles selbst thun muß.
Besonders die Djellas, die seit 48 Stunden ununterbrochen auf dem Pferde
waren, ohne Nahrung für sich und die Thiere, schrieen nach Nahrung,
ohne daß ich sie ihnen anfangs verschaffen konnte. Ich ließ
ihnen einige Male Kaffee bereiten bis Suppe für sie gekocht war, froh,
denen die gleich darauf ihren Geist aufgaben, noch diese Erquickung verschafft
zu haben.
In unmittelbarer Nähe der algerischen Grenze hielten wir an. Nach
2 Tagen kehrten die verfolgenden Reiter zurück, der Insurgentenführer
war über die Grenze gegangen nach Tebessa und hatte französischen
Schutz nachgesucht. Ein geringer Theil seiner Anhänger war ihm gefolgt,
die übrigen an ihren Heerd zurückgekehrt. Die Revolution war
zu Ende. Nach der Nachricht von der Transportirung Ali-Ben-Gohdahums von
Tebessa nach der Hauptstadt der Provinz, Constantine, zogen wir nach Osten
in das Centrum der Regentschaft und liegen seit etwa 8 Tagen zu Bordj-el-Aribi,
auf dem Gebiete der Mädjer. Vor unserer Rückkehr hierher hatte
ich Gelegenheit, die Ruinen von Haïdra zu bewundern und zu durchforschen
und brachte zahlreiche Inschriften zurück. Noch nach 3-4 Tagen fand
ich in Gewölben und Winkeln dieser Ruinen Schwerverwundete, die vor
Hunger, Kälte, Blutverlust im Sterben begriffen waren, ohne daß
sie sich hätten bewohnten Orten zuschleppen können. Ein ernstes
Bild: diese Zeichen vergangener Größe, die stolzen Bauwerke
römischer Kunst und Energie mit kümmerlich daran geklebten zertrümmerten
Beduinenhütten als Contrast; das fröhlich plätschernde Flüßchen
wie vor Tausenden von Jahren dahinrauschend über sein steiniges Bett,
Zeuge riesiger Kämpfe der Vorzeit und Beobachter unserer jetzigen
elenden kümmerlichen Massacres; der nackte oder doch nur mit Lumpen
bedeckte Beduine neben einer korinthischen Säule; die Opfer unserer
Schlacht ihr Leben aushauchend in antiken Mausoleums. Welch’ reiches Treiben
belebte dieselbe Scene vor 1500 Jahren mit ihren Triumphbögen, Tempeln,
Säulen und der riesigen Citadelle, die jetzt, im Bild tödtlicher
Einsamkeit, menschen- und kulturlos, sich nur für einen Augenblick
durch unsinnigen Brudermord so traurig belebt hatte!
„Und das ist eine Welt! Das heißt eine Welt!"
So endigte die tunesische Revolution, welche fast ein Jahrlang den
ohnehin schon mangelnden Wohlstand der Regentschaft gänzlichem Elend
entgegenzuführen drohte. – Da diese Gegend reicher als der Osten,
Süden und Norden ist, haben wir einige Millionen Kriegscontributionen
ausgeschrieben und erwarten deren Eingehen, um dann, unsere Geldkisten
gefüllt, den Dank des geretteten Vaterlandes zu empfangen, nach Tunis
zurückzukehren. Alsdann hoffe ich ebenfalls mein bescheidenes Theil
der gesammelten Lorbeeren zu erhaschen und demnächst einen Besuch
in Europa machen zu können.
gez: Dr. Nachtigal
FORTSETZUNG IM 7. TEIL