Meine Lieben!
Ich habe euren letzten lieben Brief vom 17ten vorigen Monats mit großem
Vergnügen empfangen. Die Schicksalsschläge, welche zeitweilig
die Familie in einzelnen Gliedern bedrohten, scheinen ja doch weniger hart
zu sein, als man fürchten konnte. Klockenbring konnte schlechter fahren,
Julius Brügelmann ist auf dem Wege der Besserung und auch Lenchen
auf dem Wege, ihre frühere Stärke wiederzugewinnen. Die Großmama
erfreut sich nach wie vor ungetrübten Wohlseins, was von Jahr zu Jahr
anerkennens- und dankenswerther ist, und auch Ihr selbst scheint mit Eurem
Befinden zufrieden. Möge endlich auch Albert anfangen, Euch durch
Fleiß und gesittetes Betragen für die aufopfernde Liebe, die
Ihr ihm widmetet, einigermaßen zu danken.
Von meiner Mutter empfing ich ganz kürzlich Nachricht; sie hatte
Deinen Brief, lieber Onkel, betreffs meines Besuches in der Heimath, erhalten
und findet sich ja auch so verständig, als man es von ihr erwarten
konnte, in dies Arrangement. Meinen herzlichen Dank für Deine Bemühung
darin!
Ich lebe noch stets in einer Art Provisorium, wenigstens so weit meine
Wohnungs-Verhältnisse anlangt. Der Bey hat mich zum ersten Arzt seiner
Flotte ernannt, die aus einer Fregatte, einem Aviso, einer Yacht und 5
früheren Postdampfern zusammengesetzt ist. Doch der Minister war nicht
einverstanden mit dieser Anstellung, die er gleichwohl als einmal ausgesprochen,
nicht widerrufen konnte. Er hatte nämlich, wie ich Euch vielleicht
schon mittheilte, die Absicht, mich seiner Person und seinem Hause zu attachiren,
um so langsam den Dr. Lumbroso, den ersten Arzt des Gouvernements, der
in den Zeiten der Revolutionsnoth seinen Bey und Minister im Stiche ließ
und nach Italien floh, in den Hintergrund zu drängen. Dieser, ein
äußerst listiger und in Intriguen erfahrener Jude, betrieb in
Folge dessen beim Bey hinter dem Rücken des Ministers meine Anstellung
in der Flotte, die meinen Wohnsitz in der Goulette (dem Hafenorte von Tunis)
involvirt und stellenweise Abwesenheit mit sich bringt.
Vor der Hand hat der Minister nun, da er wie gesagt eine einmal ausgesprochene
Order des Bey nicht rückgängig machen kann, mich in seiner Nähe
behalten, so lange sein Sommeraufenthalt nahe der Goulette noch dauern
wird. Ob ich später ganz und gar in der Goulette bleiben oder hauptsächlich
in der Nähe des Ministers weilen werde, um mich von dort nur stellenweise
in der Goulette und meinem Dienste daselbst zu zeigen, wird sich in längstens
einem Monate, wenn der Hof sich in die Winterresidenz zurückzieht,
herausstellen. Doch auf die Dauer werde ich kaum mit dem Dr. Lumbroso kämpfen
können. Er hat den Vortheil, das Arabische besser als irgend eine
andere Sprache zu sprechen, kennt seit früher Jugend Land und Leute,
hat manche Geschäfts-Geheimnisse des Ministers in seiner Hand, ist
einmal in der Macht und ist mir zu schlau und intriguenvoll. Außerdem
empfängt ihn die Prinzessin, die Frau des Ministers, da er ältlich,
verheirathet und Jude ist, während ich noch nicht der Ehre theilhaftig
geworden bin, ihr Antlitz zu schauen. Und auch hier, wie in Europa, hängt
Alles von den Frauen ab.
Im schlimmsten Falle also werde ich für den Winter meinen Wohnsitz
in der schmutzigen, kleinen Hafenstadt Goulette aufschlagen und den gräßlichen
Dienst des Antichambrirens, der jetzt mein Loos ist, gegen eine stille
Häuslichkeit vertauschen. Ich werde dann 1000 Thaler Gehalt und freie
Wohnung haben und auf nur wenig Nebenverdienst rechnen können. Kann
ich aber beide Beschäftigungen vereinigen, so stellt sich die Sache
schon besser.
Gesundheitlich geht es mir sonst ganz gut, wenn ich auch gegen früher
abgemagert bin. Mein Freund Schmidt ist wieder zurück. Ich bedauere
von Herzen, daß er in Köln angekommen Abends schon am selben
Abend wieder fortreisen mußte und Euch nicht das Vergnügen seines
Besuches machen konnte. Nach Deutschland gereist, um seine Mutter zu besuchen,
hat er nichtsdestoweniger den größten Theil seiner Zeit den
Geschäften in Paris opfern müssen; so verliert sich ein Mann
zuletzt gänzlich in seinen Geschäften. Auch von Paris mußte
er dann athemlos wieder hierher eilen, telegraphisch vom Minister gerufen,
der ewig mit seinen Finanzen embroullirt ist. Er führt ein peinliches
Leben, hat aber dafür die Genugthuung, in zwei Jahren ein reicher
Mann geworden zu sein, während so viele Tausende ihr ganzes Leben
sich mühen, ohne das Nothwendigste zu erlangen.
Herr Plock ist abgereist und wird kaum wieder zurückkehren. Für
ihn wird jemand anders, auch ein Deutscher, Preuße sogar, glaube
ich erwartet, aber eine dem Schmidt untergeordnete Stellung einnehmen.
Herr von Moers aus Frankfurt wird in dritter Stelle endlich wahrscheinlich
ebenfalls hierbleiben.
Ein mißlungenes Abgeordnetenfest hat weidlich die Runde durch
alle fremden Zeitungen gemacht und läßt freilich den Herrn Geiger
und Herrn Eich nicht gerade in dem angenehmsten Lichte erscheinen. Wenn
Aussprüche der Richter keine Geltung mehr in Preußen haben,
was dann? Die Geschichte und der Tod des französischen Koches Ott
in Bonn durch die Hand des Herrn von Eulenberg und das Verfahren der Behörden
gegen den letzteren haben uns viel Ansehen im Auslande gekostet. Nicht
minder schlecht wird das Verfahren der beiden Großmächte in
Schleswig-Holstein und die Convention von Gastein beurtheilt, wie denn
Herr Graf von Bismark, trotz seiner zahlreichen eclatanten, momentanen
Erfolge Deutschland nicht gerade in das beste Renommée gebracht
hat. Das Eine ist mir unbegreiflich, wie der Deutsche Liberalismus (gemäßigter
Fortschritt) in Bezug auf Schleswig-Holstein so gemeinsame Sache mit ihm
machen konnte (Cölnische Zeitung etc). Annexion der Herzogthümer
mag ein Fortschritt sein zur deutschen Einheit, doch bleibt nichtsdestoweniger
eine Treulosigkeit, ein Unrecht, ein Versprechensbruch. Vortheile oder
selbst gute Endzwecke rechtfertigen niemals schlechte Mittel.
Schreibe doch, lieber Onkel, einmal, was man in Cöln über
die Eulenberg’sche Angelegenheit denkt.
Hier ändert sich sehr wenig, so daß man nicht wohl im Stande
ist, Neues zu erzählen. Der englische Geistliche, mein Freund Fenner,
ist durch die Geburt eines Töchterchens kürzlich erfreut worden,
bei deren Taufe ich Gevatter stand. – Die Cholera hält sich immer
noch sporadisch in Marseille und in einigen Städten Italien’s, so
daß uns die Quarantäne-Maaßregeln noch nach wie vor langweilen.
Man kann nichts geschickt erhalten, da keine Posten Waarensendungen annehmen.
Ich erwarte Instrumente und Bücher von Paris, die alle in Marseille
oder Genua liegen, bis die Quarantäne vorüber ist.
Ihr habt jedenfalls Eure 2te kleine Reise bis Baden-Baden schon gemacht,
wenn diese Zeilen Euch erreichen. Möget Ihr Euch gut amüsiert
haben während derselben, die für Sophie, Carl und Leopold eine
außerordentlich interessante gewesen sein muß.
Grüßt sie Alle, wie auch die ganze Familie und Annchen herzlich
von mir. Meine Glückwünsche für Paas bei Gelegenheit der
Hochzeit und Thermars zur Verlobung Ida’s. Denkt man über diese besser
als früher?
So denn Adieu auf kurze Zeit! Laßt es Euch gut ergehen, pflegt
Euch während des bevorstehenden Winters gut, daß ich das Vergnügen
haben kann, Euch im Frühjahr im vollen Wohlsein zu finden, und seid
auf das innigste gegrüßt von Eurem
Gustav.