7. Teil:   Carthago 1865 

Carthago Ende September 1865

 Meine Lieben!
Ich habe euren letzten lieben Brief vom 17ten vorigen Monats mit großem Vergnügen empfangen. Die Schicksalsschläge, welche zeitweilig die Familie in einzelnen Gliedern bedrohten, scheinen ja doch weniger hart zu sein, als man fürchten konnte. Klockenbring konnte schlechter fahren, Julius Brügelmann ist auf dem Wege der Besserung und auch Lenchen auf dem Wege, ihre frühere Stärke wiederzugewinnen. Die Großmama erfreut sich nach wie vor ungetrübten Wohlseins, was von Jahr zu Jahr anerkennens- und dankenswerther ist, und auch Ihr selbst scheint mit Eurem Befinden zufrieden. Möge endlich auch Albert anfangen, Euch durch Fleiß und gesittetes Betragen für die aufopfernde Liebe, die Ihr ihm widmetet, einigermaßen zu danken.
Von meiner Mutter empfing ich ganz kürzlich Nachricht; sie hatte Deinen Brief, lieber Onkel, betreffs meines Besuches in der Heimath, erhalten und findet sich ja auch so verständig, als man es von ihr erwarten konnte, in dies Arrangement. Meinen herzlichen Dank für Deine Bemühung darin!
Ich lebe noch stets in einer Art Provisorium, wenigstens so weit meine Wohnungs-Verhältnisse anlangt. Der Bey hat mich zum ersten Arzt seiner Flotte ernannt, die aus einer Fregatte, einem Aviso, einer Yacht und 5 früheren Postdampfern zusammengesetzt ist. Doch der Minister war nicht einverstanden mit dieser Anstellung, die er gleichwohl als einmal ausgesprochen, nicht widerrufen konnte. Er hatte nämlich, wie ich Euch vielleicht schon mittheilte, die Absicht, mich seiner Person und seinem Hause zu attachiren, um so langsam den Dr. Lumbroso, den ersten Arzt des Gouvernements, der in den Zeiten der Revolutionsnoth seinen Bey und Minister im Stiche ließ und nach Italien floh, in den Hintergrund zu drängen. Dieser, ein äußerst listiger und in Intriguen erfahrener Jude, betrieb in Folge dessen beim Bey hinter dem Rücken des Ministers meine Anstellung in der Flotte, die meinen Wohnsitz in der Goulette (dem Hafenorte von Tunis) involvirt und stellenweise Abwesenheit mit sich bringt.
Vor der Hand hat der Minister nun, da er wie gesagt eine einmal ausgesprochene Order des Bey nicht rückgängig machen kann, mich in seiner Nähe behalten, so lange sein Sommeraufenthalt nahe der Goulette noch dauern wird. Ob ich später ganz und gar in der Goulette bleiben oder hauptsächlich in der Nähe des Ministers weilen werde, um mich von dort nur stellenweise in der Goulette und meinem Dienste daselbst zu zeigen, wird sich in längstens einem Monate, wenn der Hof sich in die Winterresidenz zurückzieht, herausstellen. Doch auf die Dauer werde ich kaum mit dem Dr. Lumbroso kämpfen können. Er hat den Vortheil, das Arabische besser als irgend eine andere Sprache zu sprechen, kennt seit früher Jugend Land und Leute, hat manche Geschäfts-Geheimnisse des Ministers in seiner Hand, ist einmal in der Macht und ist mir zu schlau und intriguenvoll. Außerdem empfängt ihn die Prinzessin, die Frau des Ministers, da er ältlich, verheirathet und Jude ist, während ich noch nicht der Ehre theilhaftig geworden bin, ihr Antlitz zu schauen. Und auch hier, wie in Europa, hängt Alles von den Frauen ab.
Im schlimmsten Falle also werde ich für den Winter meinen Wohnsitz in der schmutzigen, kleinen Hafenstadt Goulette aufschlagen und den gräßlichen Dienst des Antichambrirens, der jetzt mein Loos ist, gegen eine stille Häuslichkeit vertauschen. Ich werde dann 1000 Thaler Gehalt und freie Wohnung haben und auf nur wenig Nebenverdienst rechnen können. Kann ich aber beide Beschäftigungen vereinigen, so stellt sich die Sache schon besser.
Gesundheitlich geht es mir sonst ganz gut, wenn ich auch gegen früher abgemagert bin. Mein Freund Schmidt ist wieder zurück. Ich bedauere von Herzen, daß er in Köln angekommen Abends schon am selben Abend wieder fortreisen mußte und Euch nicht das Vergnügen seines Besuches machen konnte. Nach Deutschland gereist, um seine Mutter zu besuchen, hat er nichtsdestoweniger den größten Theil seiner Zeit den Geschäften in Paris opfern müssen; so verliert sich ein Mann zuletzt gänzlich in seinen Geschäften. Auch von Paris mußte er dann athemlos wieder hierher eilen, telegraphisch vom Minister gerufen, der ewig mit seinen Finanzen embroullirt ist. Er führt ein peinliches Leben, hat aber dafür die Genugthuung, in zwei Jahren ein reicher Mann geworden zu sein, während so viele Tausende ihr ganzes Leben sich mühen, ohne das Nothwendigste zu erlangen.
Herr Plock ist abgereist und wird kaum wieder zurückkehren. Für ihn wird jemand anders, auch ein Deutscher, Preuße sogar, glaube ich erwartet, aber eine dem Schmidt untergeordnete Stellung einnehmen. Herr von Moers aus Frankfurt wird in dritter Stelle endlich wahrscheinlich ebenfalls hierbleiben.
Ein mißlungenes Abgeordnetenfest hat weidlich die Runde durch alle fremden Zeitungen gemacht und läßt freilich den Herrn Geiger und Herrn Eich nicht gerade in dem angenehmsten Lichte erscheinen. Wenn Aussprüche der Richter keine Geltung mehr in Preußen haben, was dann? Die Geschichte und der Tod des französischen Koches Ott in Bonn durch die Hand des Herrn von Eulenberg und das Verfahren der Behörden gegen den letzteren haben uns viel Ansehen im Auslande gekostet. Nicht minder schlecht wird das Verfahren der beiden Großmächte in Schleswig-Holstein und die Convention von Gastein beurtheilt, wie denn Herr Graf von Bismark, trotz seiner zahlreichen eclatanten, momentanen Erfolge Deutschland nicht gerade in das beste Renommée gebracht hat. Das Eine ist mir unbegreiflich, wie der Deutsche Liberalismus (gemäßigter Fortschritt) in Bezug auf Schleswig-Holstein so gemeinsame Sache mit ihm machen konnte (Cölnische Zeitung etc). Annexion der Herzogthümer mag ein Fortschritt sein zur deutschen Einheit, doch bleibt nichtsdestoweniger eine Treulosigkeit, ein Unrecht, ein Versprechensbruch. Vortheile oder selbst gute Endzwecke rechtfertigen niemals schlechte Mittel.
Schreibe doch, lieber Onkel, einmal, was man in Cöln über die Eulenberg’sche Angelegenheit denkt.
Hier ändert sich sehr wenig, so daß man nicht wohl im Stande ist, Neues zu erzählen. Der englische Geistliche, mein Freund Fenner, ist durch die Geburt eines Töchterchens kürzlich erfreut worden, bei deren Taufe ich Gevatter stand. – Die Cholera hält sich immer noch sporadisch in Marseille und in einigen Städten Italien’s, so daß uns die Quarantäne-Maaßregeln noch nach wie vor langweilen. Man kann nichts geschickt erhalten, da keine Posten Waarensendungen annehmen. Ich erwarte Instrumente und Bücher von Paris, die alle in Marseille oder Genua liegen, bis die Quarantäne vorüber ist.
Ihr habt jedenfalls Eure 2te kleine Reise bis Baden-Baden schon gemacht, wenn diese Zeilen Euch erreichen. Möget Ihr Euch gut amüsiert haben während derselben, die für Sophie, Carl und Leopold eine außerordentlich interessante gewesen sein muß.
Grüßt sie Alle, wie auch die ganze Familie und Annchen herzlich von mir. Meine Glückwünsche für Paas bei Gelegenheit der Hochzeit und Thermars zur Verlobung Ida’s. Denkt man über diese besser als früher?
So denn Adieu auf kurze Zeit! Laßt es Euch gut ergehen, pflegt Euch während des bevorstehenden Winters gut, daß ich das Vergnügen haben kann, Euch im Frühjahr im vollen Wohlsein zu finden, und seid auf das innigste gegrüßt von Eurem
    Gustav.



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