Lieber Onkel
Dein lieber Brief vom 22sten Februar, dem ich so lange mit Sehnsucht
entgegensah, ist mir kürzlich zugekommen und hat mich mit Freude und
Zuversicht erfüllt. Es ist nicht sowohl der Trost selbst, der uns
durch Worte in die Ferne gesendet wird, welcher erlittene Wunden heilen,
ein geknicktes Herz aufrichten kann, als überhaupt das Gefühl
der Theilnahme und verwandtschaftlichen Liebe, (dessen Beweis die Briefe
selbst sind), das durch die einfachsten Worte in uns geweckt wird und die
schmerzhafte Empfindung des Verlassenseins nach Verlusten unserer Lieben
so wesentlich vermindert. Eins der wesentlichen Bande, das mich an die
Heimath fesselte, ist zerrissen. Es wird jetzt mein Bestreben sein, die
übrigen um so mehr zu festigen und zu sichern. Von diesen aber werden
diejenigen, welche mich an meine einzige Schwester binden und an dein Haus,
das mir jahrelang eine Heimath war, mir stets die liebsten sein. So hoffe
ich dann auch von ganzem Herzen, daß meine lang gehegte Hoffnung,
die Lieben in der Heimath wieder zu sehen, deren wesentlichstes Glied zwar
eine für mich unausfüllbare Lücke in ihrer Reihe ließ,
in diesem Jahr sich realisiren möge. Doch werde ich es jedenfalls
so lange in den Sommer hinausschieben, als es der kalten Herbstwitterung
im Norden wegen geschehen kann, um nicht so bald nach unserem gemeinschaftlichen
Verluste im Hause Marie’s durch unser Wiedersehen die kaum verharschte
Wunde wieder aufzureißen. Wer kann freilich 3-4 Monate voraus über
sich bestimmen? Wer weiß, was besonders in einem Lande, wie Tunis,
das nothwendiger weise großen Änderungen entgegensieht, in nächster
Zeit sich ereignen wird? Ich sage nur, daß eine meiner liebsten Hoffnungen,
wenn mir etwas dazwischen kommen sollte, zerstört werden würde.
Deine Erwartung, etwas Interessantes über die kleine Seereise
während des Decembers und Januars zu hören, fürchte ich
nur unvollkommen befriedigen zu können. Die Reise selbst, die glücklicherweise
durch kein schlechtes Wetter verunannehmlicht war, war nur gefährlich
durch den gänzlichen Mangel an Kenntnissen in der Navigation, die
unsere Tunesischen Seeoffiziere täglich an den Tag legen. Da kein
Capitän auch nur mittelmäßige nautische Kenntnisse hat,
so wird jedem ein Capitän-Pilot italienischer, französischer
oder anderer Abkunft zur Seite gegeben, der der faktische Befehlshaber
ist, während der andere der nominelle bleibt. Da aber nur untergeordnete
europäische Seeleute sich zu dieser immer nur inferioren Stellung
hingeben, so ist es in der That eine gewagte Sache, sich mit tunesischen
Fahrzeugen auf weite Reisen zu wagen. Obgleich doch unsere Reise nur in
einer Küstenfahrt bestand, deren Details Allen wohl hätten bekannt
sein sollen, so ist es uns doch passirt, mehrmals auf den Grund zu fahren
und einmal bis zu zwei Tagen fest liegen zu bleiben. Allerdings sind die
Gewässer, welche das Ziel unserer Reise, die Inseln Kerkenah, umgeben,
in weiter Ausdehnung vom Lande sehr flach, so daß eine äußerst
genaue Ortskenntniß dazu gehört, um sich mit großen Schiffen
nahe an ihr Ufer zu wagen. Glücklicherweise giebt es ringsherum keinen
felsigen Grund, sondern nur Sand, andernfalls würden wir doppelt und
dreifach vom Meere verschlungen worden sein.
Die Stadt Sfax, welche die schönste Rhede auf allen tunesischen
Küsten hat, war unser nächstes Ziel und ist nach Tunis und den
übrigen Städten des Innern, deren Kenntniß mir geworden
war, eine große, wahre Erquickung. Der heitere Himmel, trotz Decembers
und Januars (es regnet nur äußerst selten hier) und die milde
Temperatur mit den endlosen Gärten, welche sich auf eine Entfernung
von wenigstens einer deutschen Meile von der Stadt ausdehnen, und die Reinlichkeit
der Außenseite der Stadt machen einen der heitersten Eindrücke,
welchen man erfahren kann.
Dieser gute Eindruck wird beim Besuche im Innern der Stadt nur bestätigt
und erhöht, obgleich sie keineswegs nach europäischen Begriffen
schön genannt werden kann, durch den Fleiß der Einwohner, ihre
höflichen Manieren und das verhältnismäßige Gepräge
von Wohlstand, das Alles trägt. Der Glanzpunkt bleiben die endlosen
Gärten, welche Mandeln, Pistaschen, Bananen etc. zum Verkauf hervorbringen.
Im Uebrigen bildet Sfax den Stapelplatz für die commerziellen Verbindungen
des Dattellandes Djerid mit der Außenwelt, und für Oliven und
Wolle aus dem Innern. Bei der Stadt selbst fischt man die zahlreichen Waschschwämme,
welche einen wesentlichen Beitrag zum Wohlstand der Stadt liefern, und
andere Seethiere, welche nach Egypten, Griechenland etc. ausgeführt
werden.
Wohl interessanter war der Besuch der oben genannten Inseln, wo man
hinlänglich Gelegenheit hatte, das Leben in seiner einfachsten Form
bei den gutmüthigsten Leuten zu studieren. Die Inseln haben ungefähr
eine Bevölkerung von 6000 Seelen, die sich in 9 Ortschaften vertheilt.
Ihre Hauptbeschäftigung ist der Fischfang, zumal der Boden nicht sehr
gut geeignet ist, Getreide hervorzubringen. Doch ist jedes Fleckchen Erde
gut benutzt und besonders der Weinbau sehr kultivirt. Ich habe täglich
Wein dort getrunken aus dem Lande selbst, der, kunstlos bereitet, doch
seine Superiorität durch seinen großen Zuckergehalt und sein
Arom bewies. Leider erlaubt ihnen der Koran nicht, davon viel zu bereiten;
sie verkaufen also meistens die Trauben als Rosinen. Die ganzen Inseln
sind eigentlich nur ein großer Dattelhain, von dem nur zu bedauern
ist, daß die herrlichen Bäume, welche ihn zieren, sehr mangelhafte
Früchte hervorbringen; die Hitze ist nicht groß genug, die Früchte
bleiben klein und wenig süß, obgleich sie eßbar sind und
begreiflicherweise, da die Leute wenig haben, zahlreich genossen werden.
Kein Pferd existirt auf den Inseln, kein Ochse und keine Kuh; auch Ziegen
sind sehr sparsam, und von Schaafen giebt es im ganzen ca. 400. Dafür
kommt der Esel häufig vor, und zwar ist er sehr schön und stark,
und auch das Kameel ist recht ansehnlich. Es ist hier zum ersten Male,
daß ich Kameele habe den Pflug ziehen sehen.
Meine Kenntniß dieser Inseln ist eine recht vollständige
geworden, da mein Geschäft, Seeleute für die Flotte auszuheben,
eine successive Eselpromenade in alle Orte erforderte. Ich komme wohl ein
anderes Mal auf sie zurück und ihre Einwohner.–
Wir gehen hier wahrscheinlich, wie ich schon oben andeutete, großen
Veränderungen in der Regierung entgegen. Die Finanzen haben sich in
einer Weise verschlechtert und complicirt, daß gar keine Rettung
mehr zu existiren scheint ohne gänzliche Aenderung des Systems. Mehre
Anleihen lasten auf dem Lande, die Ressourcen mehren sich nicht, die Kosten
wachsen durch die große Armee und die Flotte unverhältißmäßig:
genug, man weiß nicht mehr ein noch aus. Herr Erlanger aus Paris
wird hier nächsten Monat erwartet, und ich hoffe von ganzem Herzen,
daß er etwas Ordnung in unsere Staatsmaschiene bringen wird: andernfalls
ist das Land verloren.
Ich habe kürzlich eine Buchhändler-Rechnung von Du Mont bekommen,
von deren Betrag ich keine Ahnung hatte. Bei meiner Abreise war mir trotz
meiner Bitte die Nota nicht zugekommen und übersteigt ihr Betrag,
wie gesagt, alle meine Vermuthung. Gleichwohl muß natürlich
die Sache endlich geregelt werden und ich bitte Dich freundlichst, eine
detaillirte Rechnung ausziehen lassen zu wollen und eventuell zu bezahlen.
Andernfalls sage ihnen gefälligst, daß ich bestimmt im Sommer
kommen zu können hoffte, um dann die Sache selbst zu ordnen. Ich habe
im verflossenen Jahre an Collegienhonoraren für Greifswald (die dort
nicht gleich bezahlt worden, wenigstens nicht Alle) noch fast 1000 Piaster
bezahlt, habe mir für mehr denn 1000 Frcs Bücher und Instrumente
angeschafft und habe doch, da ich übrigens äußerst sparsam
lebe, noch etwas zurückgelegt. Wenn die gegenwärtigen Männer
an der Spitze der Regierung bleiben, so hoffe ich übrigens auch in
nicht zu langer Zeit meine Stellung verbessert zu sehen.
Auf Deine Familien-Nachrichten und Berichte über Deine Freunde
und Bekannte erlaube ich mir im nächsten Briefe zurückzukommen.
Bis dahin versichere gütigst die liebe Tante meiner liebevollsten
Anhänglichkeit, hinterbringe der Groß-Mama meinen unterthänigsten
Respect, küsse alle Cousins und Cousinen, beglückwünsche
Henriette und Lina für die Confirmation und grüße alle
Deine Freunde, soweit sie Interesse an mir nehmen, herzlich.
Mit den aufrichtigsten Wünschen, daß keine neuen Schicksalsschläge
in diesem Jahre unsere in jüngster Zeit so vielfach heimgesuchte Familie
treffen möge, bleibe ich Dein
treuer Gustav.