8. Teil:   Tunis 1866

Erlanger & CIE
 TUNIS    16ten Maerz 1866

 Lieber Onkel
Dein lieber Brief vom 22sten Februar, dem ich so lange mit Sehnsucht entgegensah, ist mir kürzlich zugekommen und hat mich mit Freude und Zuversicht erfüllt. Es ist nicht sowohl der Trost selbst, der uns durch Worte in die Ferne gesendet wird, welcher erlittene Wunden heilen, ein geknicktes Herz aufrichten kann, als überhaupt das Gefühl der Theilnahme und verwandtschaftlichen Liebe, (dessen Beweis die Briefe selbst sind), das durch die einfachsten Worte in uns geweckt wird und die schmerzhafte Empfindung des Verlassenseins nach Verlusten unserer Lieben so wesentlich vermindert. Eins der wesentlichen Bande, das mich an die Heimath fesselte, ist zerrissen. Es wird jetzt mein Bestreben sein, die übrigen um so mehr zu festigen und zu sichern. Von diesen aber werden diejenigen, welche mich an meine einzige Schwester binden und an dein Haus, das mir jahrelang eine Heimath war, mir stets die liebsten sein. So hoffe ich dann auch von ganzem Herzen, daß meine lang gehegte Hoffnung, die Lieben in der Heimath wieder zu sehen, deren wesentlichstes Glied zwar eine für mich unausfüllbare Lücke in ihrer Reihe ließ, in diesem Jahr sich realisiren möge. Doch werde ich es jedenfalls so lange in den Sommer hinausschieben, als es der kalten Herbstwitterung im Norden wegen geschehen kann, um nicht so bald nach unserem gemeinschaftlichen Verluste im Hause Marie’s durch unser Wiedersehen die kaum verharschte Wunde wieder aufzureißen. Wer kann freilich 3-4 Monate voraus über sich bestimmen? Wer weiß, was besonders in einem Lande, wie Tunis, das nothwendiger weise großen Änderungen entgegensieht, in nächster Zeit sich ereignen wird? Ich sage nur, daß eine meiner liebsten Hoffnungen, wenn mir etwas dazwischen kommen sollte, zerstört werden würde.
Deine Erwartung, etwas Interessantes über die kleine Seereise während des Decembers und Januars zu hören, fürchte ich nur unvollkommen befriedigen zu können. Die Reise selbst, die glücklicherweise durch kein schlechtes Wetter verunannehmlicht war, war nur gefährlich durch den gänzlichen Mangel an Kenntnissen in der Navigation, die unsere Tunesischen Seeoffiziere täglich an den Tag legen. Da kein Capitän auch nur mittelmäßige nautische Kenntnisse hat, so wird jedem ein Capitän-Pilot italienischer, französischer oder anderer Abkunft zur Seite gegeben, der der faktische Befehlshaber ist, während der andere der nominelle bleibt. Da aber nur untergeordnete europäische Seeleute sich zu dieser immer nur inferioren Stellung hingeben, so ist es in der That eine gewagte Sache, sich mit tunesischen Fahrzeugen auf weite Reisen zu wagen. Obgleich doch unsere Reise nur in einer Küstenfahrt bestand, deren Details Allen wohl hätten bekannt sein sollen, so ist es uns doch passirt, mehrmals auf den Grund zu fahren und einmal bis zu zwei Tagen fest liegen zu bleiben. Allerdings sind die Gewässer, welche das Ziel unserer Reise, die Inseln Kerkenah, umgeben, in weiter Ausdehnung vom Lande sehr flach, so daß eine äußerst genaue Ortskenntniß dazu gehört, um sich mit großen Schiffen nahe an ihr Ufer zu wagen. Glücklicherweise giebt es ringsherum keinen felsigen Grund, sondern nur Sand, andernfalls würden wir doppelt und dreifach vom Meere verschlungen worden sein.
Die Stadt Sfax, welche die schönste Rhede auf allen tunesischen Küsten hat, war unser nächstes Ziel und ist nach Tunis und den übrigen Städten des Innern, deren Kenntniß mir geworden war, eine große, wahre Erquickung. Der heitere Himmel, trotz Decembers und Januars (es regnet nur äußerst selten hier) und die milde Temperatur mit den endlosen Gärten, welche sich auf eine Entfernung von wenigstens einer deutschen Meile von der Stadt ausdehnen, und die Reinlichkeit der Außenseite der Stadt machen einen der heitersten Eindrücke, welchen man erfahren kann.
Dieser gute Eindruck wird beim Besuche im Innern der Stadt nur bestätigt und erhöht, obgleich sie keineswegs nach europäischen Begriffen schön genannt werden kann, durch den Fleiß der Einwohner, ihre höflichen Manieren und das verhältnismäßige Gepräge von Wohlstand, das Alles trägt. Der Glanzpunkt bleiben die endlosen Gärten, welche Mandeln, Pistaschen, Bananen etc. zum Verkauf hervorbringen. Im Uebrigen bildet Sfax den Stapelplatz für die commerziellen Verbindungen des Dattellandes Djerid mit der Außenwelt, und für Oliven und Wolle aus dem Innern. Bei der Stadt selbst fischt man die zahlreichen Waschschwämme, welche einen wesentlichen Beitrag zum Wohlstand der Stadt liefern, und andere Seethiere, welche nach Egypten, Griechenland etc. ausgeführt werden.
Wohl interessanter war der Besuch der oben genannten Inseln, wo man hinlänglich Gelegenheit hatte, das Leben in seiner einfachsten Form bei den gutmüthigsten Leuten zu studieren. Die Inseln haben ungefähr eine Bevölkerung von 6000 Seelen, die sich in 9 Ortschaften vertheilt. Ihre Hauptbeschäftigung ist der Fischfang, zumal der Boden nicht sehr gut geeignet ist, Getreide hervorzubringen. Doch ist jedes Fleckchen Erde gut benutzt und besonders der Weinbau sehr kultivirt. Ich habe täglich Wein dort getrunken aus dem Lande selbst, der, kunstlos bereitet, doch seine Superiorität durch seinen großen Zuckergehalt und sein Arom bewies. Leider erlaubt ihnen der Koran nicht, davon viel zu bereiten; sie verkaufen also meistens die Trauben als Rosinen. Die ganzen Inseln sind eigentlich nur ein großer Dattelhain, von dem nur zu bedauern ist, daß die herrlichen Bäume, welche ihn zieren, sehr mangelhafte Früchte hervorbringen; die Hitze ist nicht groß genug, die Früchte bleiben klein und wenig süß, obgleich sie eßbar sind und begreiflicherweise, da die Leute wenig haben, zahlreich genossen werden. Kein Pferd existirt auf den Inseln, kein Ochse und keine Kuh; auch Ziegen sind sehr sparsam, und von Schaafen giebt es im ganzen ca. 400. Dafür kommt der Esel häufig vor, und zwar ist er sehr schön und stark, und auch das Kameel ist recht ansehnlich. Es ist hier zum ersten Male, daß ich Kameele habe den Pflug ziehen sehen.
Meine Kenntniß dieser Inseln ist eine recht vollständige geworden, da mein Geschäft, Seeleute für die Flotte auszuheben, eine successive Eselpromenade in alle Orte erforderte. Ich komme wohl ein anderes Mal auf sie zurück und ihre Einwohner.–
Wir gehen hier wahrscheinlich, wie ich schon oben andeutete, großen Veränderungen in der Regierung entgegen. Die Finanzen haben sich in einer Weise verschlechtert und complicirt, daß gar keine Rettung mehr zu existiren scheint ohne gänzliche Aenderung des Systems. Mehre Anleihen lasten auf dem Lande, die Ressourcen mehren sich nicht, die Kosten wachsen durch die große Armee und die Flotte unverhältißmäßig: genug, man weiß nicht mehr ein noch aus. Herr Erlanger aus Paris wird hier nächsten Monat erwartet, und ich hoffe von ganzem Herzen, daß er etwas Ordnung in unsere Staatsmaschiene bringen wird: andernfalls ist das Land verloren.
Ich habe kürzlich eine Buchhändler-Rechnung von Du Mont bekommen, von deren Betrag ich keine Ahnung hatte. Bei meiner Abreise war mir trotz meiner Bitte die Nota nicht zugekommen und übersteigt ihr Betrag, wie gesagt, alle meine Vermuthung. Gleichwohl muß natürlich die Sache endlich geregelt werden und ich bitte Dich freundlichst, eine detaillirte Rechnung ausziehen lassen zu wollen und eventuell zu bezahlen. Andernfalls sage ihnen gefälligst, daß ich bestimmt im Sommer kommen zu können hoffte, um dann die Sache selbst zu ordnen. Ich habe im verflossenen Jahre an Collegienhonoraren für Greifswald (die dort nicht gleich bezahlt worden, wenigstens nicht Alle) noch fast 1000 Piaster bezahlt, habe mir für mehr denn 1000 Frcs Bücher und Instrumente angeschafft und habe doch, da ich übrigens äußerst sparsam lebe, noch etwas zurückgelegt. Wenn die gegenwärtigen Männer an der Spitze der Regierung bleiben, so hoffe ich übrigens auch in nicht zu langer Zeit meine Stellung verbessert zu sehen.
Auf Deine Familien-Nachrichten und Berichte über Deine Freunde und Bekannte erlaube ich mir im nächsten Briefe zurückzukommen. Bis dahin versichere gütigst die liebe Tante meiner liebevollsten Anhänglichkeit, hinterbringe der Groß-Mama meinen unterthänigsten Respect, küsse alle Cousins und Cousinen, beglückwünsche Henriette und Lina für die Confirmation und grüße alle Deine Freunde, soweit sie Interesse an mir nehmen, herzlich.
Mit den aufrichtigsten Wünschen, daß keine neuen Schicksalsschläge in diesem Jahre unsere in jüngster Zeit so vielfach heimgesuchte Familie treffen möge, bleibe ich Dein
  treuer Gustav.


FORTSETZUNG IM 9. TEIL