In der Familie Brügelmann, aus der Frau Reitmeister stammte, wäre der Name Brebeck ganz unmöglich gewesen, denn es knüpfte sich daran folgende Mordgeschichte: In der Firma des Johann Dietrich Nachtigal, Onkels und Protektors des Afrikareisenden Gustav Nachtigal, war ein Bruder des Major a. D. Brebeck Prokurist gewesen. Er hatte Unterschlagungen verübt und um diese zu vertuschen, den Kassierer ermordet und die Leiche in den Geldschrank geschlossen. Er hatte dann einen Raubüberfall fingiert, wurde von der Polizei aber bald überwiesen und machte seinem Leben in der Untersuchungshaft durch Erhängen ein Ende, nachdem er noch einen wenig schönen Abschiedsbrief geschrieben hatte. Glücklicherweise kam es nicht zu einer Verbindung mit der Familie Brebeck. Der Bruder des Mörders und seine Frau waren ein wirklich biederes Ehepaar.
Ein weiterer Logenfreund von Reitmeister war ein Fabrikdirektor Frömbling, der König in einer Jutespinnerei am Bonner Talweg war. Er hatte einen Sohn Karl, der zwar eine zeitlang Corpsstudent mimte, aber sonst nichts Rechtes wurde. Er hätte seinen Sohn am liebsten auch mit der Tochter seines Ordensbruders Reitmeister verheiratet. Daraus wurde auch nichts. Mit der Familie Frömbling war im übrigen ein reger Verkehr. Die älteste Tochter war Mitschülerin von Helene und lebt heute noch in Bonn. Die jüngere, eine auffallend schöne aber nicht besonders kluge, Helene Frömbling, heiratete später einen tüchtigen Dr. Oldenburg, mit dem sie heute noch zusammen in Berlin wohnt, er als pensionierter Beamter des Landwirtschaftsministeriums, sie als mehrfache Großmutter. Ich habe selbst im Hause Frömbling – der Vater starb verhältnismäßig sehr früh – manche fröhliche Stunde als junger Mann verlebt.
Eine jüngere Schwester von Frau Reitmeister hatte in jungen Jahren einen Arzt Gustav Forstmann in Werden geheiratet. Aus der Ehe stammen vier Söhne, der älteste, Max, war Marineleutnant und kam häufiger zu seiner Tante nach Bonn zu Besuch. Nicht nur die Weine und die Zigarren seines Onkels Reitmeister, sondern auch der ganze Ton im Hause und vor allem die Tochter des Hauses gefielen ihm ausnehmend. Zwischen beiden entspann sich ein Liebesverhältnis, als es aber zur Heirat oder zu einer Verlobung kommen sollte, war von einer moralischen Verpflichtung des Vetters gegenüber seiner Kusine die Rede, eine Redensart, die allgemein Verdruß erregte. Vater Reitmeister war auch nicht gewillt, die zur Heirat erforderliche Offizierskaution zu stellen. Der Vetter Max lernte später im Verlauf eines Kuraufenthaltes, den er seiner Tropenerkrankung wegen machen mußte, seine spätere Braut und Frau, eine Freiin Tucher von Simmelsdorf kennen. Zwischendurch war mal eine Sache mit dessen Vetter Otto Forstmann, einem recht schneidigen und tüchtigen Artillerieoffizier, der später zur Firma Zeiss ging. Gelegentlich eines Besuches, den er in Bonn gemacht hatte, lernte er die Tochter Reitmeister kennen und schätzen und diese nicht weniger ihn. Er war wirklich nicht nur ein sehr schöner, sondern auch sympathischer und tüchtiger Mann. Sein Antrag wurde von Vater Reitmeister aber auch abgelehnt.
Auf den vielen Veranstaltungen der Lesegesellschaft hatte u. a. auch ein junger Jurist namens Heuser, Sohn des Bürgermeisters von Vilich-Müldorf, Helene kennengelernt und sich sterblich in sie verliebt. Sein älterer Bruder war in der Bonner Stadtverwaltung als Beigeordneter tätig. Der junge Liebhaber stellte sich toll an, machte Fensterpromenaden und spielte derartig den seufzenden Liebhaber, daß es allgemein Stadtgespräch wurde. Eine zeitlang konnte sich Helene nirgendwo zeigen, ohne daß er sie in der aufdringlichsten Weise belästigte.
Wenn ich an diese Zeiten zurückdenke, so muß ich mich wundern, mit welchem sicheren Instinkt und welchem Aufgebot an natürlicher Schlauheit ich bei dieser Frage vorgegangen bin, die für mich ganz ohne Zweifel die wichtigste meines Lebens war. Ich hatte es verstanden, über den Weg des Bruders mir stets das Vertrauen des jungen Mädchens zu sichern. Sie erzählte mir fast restlos alle ihre Erlebnisse mit den verschiedenen Bewerbern und hörte sehr auf mich, wobei ich ihr mitunter sehr verzwickte und keineswegs gerade Wege anempfahl. Zugleich verstand ich es die Situation dahin auszunutzen, daß der Vater Reitmeister möglichst fest den Daumen auf seinen Beutel hielt. Auch er zeigte stets Vertrauen zu mir und ich suchte es auch zu rechtfertigen. Vor allem hatte er in mir einen sehr geduldigen Schüler, der seine weisen Lehren ruhig anzuhören pflegte, während der Sohn dazu wenig Lust zeigte. Er brachte mir unter anderem bei, die Kölnische Zeitung mit Kritik zu lesen, auch den Handelsteil derselben, die Bedeutung der Börsenberichte, Wertpapiere und so weiter. Durch den fast täglichen Verkehr mit ihm lernte ich eine ganze Unmenge. Dabei betonte er immer wieder, daß die meisten Leute nach ihrem äußeren Auftreten, sowohl bezüglich ihres Vermögens als auch ihrer einzelnen Verhältnisse bedeutend überschätzt würden, so daß es sehr selten sei, wenn es einmal ausnahmsweise umgekehrt der Fall war. Als letzteres Beispiel führte er den Vater des berühmten chemischen Professors Fischer an, der obgleich selbst Millionär, jeden freundlich behandelte, der nur für zwei Pfennig bei ihm kaufte. Ich lernte daher verstehen, daß er weder Verbindlichkeiten für einen Schwiegersohn noch Bürgschaften übernehmen wollte und erst recht nicht daran dachte, eine Kaution für einen Schwiegersohn zu stellen. All diese Momente benutzte ich, um eins gegen das andere auszuspielen und um Zeit zu gewinnen, selbst später als ernsthafter Freier auftreten zu können. Damals war ich natürlich noch ohne Stellung und Vermögen und zu jung dazu, um so etwas wagen zu dürfen. Inzwischen lernten wir uns alle besser kennen und gefielen uns immer besser. Das Ergebnis war, daß wir uns gegenseitig Treue versprachen und ich kann Helene bis heute nicht genug dafür danken, daß wir dies auch durchgehalten haben. Einfach war es nicht, zumal zum Schluß durch meine Erkrankung noch drei bittere Jahre des Wartens hinzukamen, mit denen wir eigentlich nicht gerechnet hatten. Es war nicht angenehm, was in dieser Zeit meine Braut und deren Mutter von allen Seiten zu hören bekamen, während ihre Freundinnen sich alle nach und nach verheiratet hatten. Einzig ein Fräulein Rittershaus, die auch ihrem Verlobten die Treue hielt, kam ebenso wie wir erst spät zur Heirat. In beiden Fällen war dies aber, wie sich erst später herausstellte, von besonderem Glück. Unsere Verlobung hatten wir bis Anfang des Jahres 1909 geheimgehalten, obwohl alle Bekannten längst davon wußten. Im Mai 1909 schickten wir die Verlobungskarten und machten daraufhin noch einmal die üblichen Besuche, die Einladungen usw. Im darauffolgenden Winter arbeitete ich dann die Monate auf dem Amtsgericht. Ich war auch noch einmal als Vertreter des Justizrat Schumacher I tätig, der den Spitznamen der rote Schumacher führte. In seiner Jugend war er ein guter Bekannter meines Schwiegervaters als „Lord Feuerbrand“ gewesen. Aus dem Honorar kaufte ich bei Tietz einen Kasakteppich, der heute noch unser Bibliothekzimmer ziert. In Bernkastel lebte ich noch zwei Monate als Junggeselle in recht angenehmem Verkehr mit den Kollegen Amtsgerichtsräten Dr. Rothschild, Dr. Winckler und von Hymmen. Nach der Heirat im Juli hatten wir mit diesen einen recht angenehmen Verkehr. In Bernkastel verlebten wir vier fette und vier magere Jahre. Die fetten Jahre waren von 1910 bis 1914, die vier mageren Jahre von 1914 bis 1918. Schließlich wurde es so mager, daß wir uns noch vor Kriegsschluß nach Rheinbach versetzen ließen, um uns dort wieder zu ernähren. Wir wurden dort von den Pächtern des Schwiegervaters in Büllesheim besser versorgt. In Bernkastel hat meine Frau nach ihrem eigenen Geständnis regelrecht gehungert und sich abends eine Schnitte Brot nicht gegönnt, damit diese anderen Morgens den Kindern zukäme. Es ist gut sich daran zu erinnern. Die Kartoffeln sind uns freilich auch damals nicht ausgegangen.
Wenn ich auf meine Ehe zurückblicke, so kann ich wohl sagen, daß ich das große Los gezogen habe. Sorgen, Krankheiten und Verluste sind uns nicht erspart geblieben, aber alles haben wir mit gutem Mute überstanden. Der erste schlimme Schlag, der uns traf, war ein böses Wochenbett meiner Frau, das sich unglücklicherweise zusammentraf mit einem leichten Rückfall in meiner Lungensache. Unser etwas hilfloses Mädchen holte den ihr bekannten Kreisarzt Dr. Lehmann, der das Ehepaar in einer seltsamen Verfassung antraf. Der Mann lag mit einem Regenschirm im Bett und sprach kein Wort, die Frau lag im Blute und hatte eine Frühgeburt. Es war für den Mann schwierig, sich ernst zu halten, wie er mir später gestanden hat. Da wir mit dem Gesicht zum Fenster lagen, blendete ich das Licht mit dem Regenschirm ab. Wenn ich wegen meiner Lunge im Bet lag, pflegte ich diese Zeit über möglichst kein Wort zu sprechen. Erst als mich der Arzt einige Tage später, als ich ins Fremdenzimmer umquartiert war, genau untersuchte und ich ihm die Gründe meines Verhaltens erklärte, sah er die Sache sehr viel günstiger an und fand meine Erkrankung durchaus ungefährlich. Bedenklicher war die Geschichte mit meiner Frau, es hätte leicht die Folge haben können, daß wir überhaupt keine Kinder mehr bekamen. Wir waren daher sehr froh, als wir im September 1911 unsere Herta bekamen und es war uns wirklich durchaus gleichgültig, ob es ein Junge oder ein Mädchen war. Die vier Vorkriegsjahre führten wir wirklich ein recht angenehmes Leben in Bernkastel. Nach Ablauf des ersten Jahres wurden gleich zwei Amtsrichterstellen dort frei. Obwohl ich mich bis dahin nur, und zwar ohne Erfolg, um die Verleihung einer Notarstelle beworben hatte, meldete ich mich auf eine der beiden Stellen und wurde dort auch zum Amtsrichter ernannt. Es war ein behagliches Leben im kleinen Städtchen, das auf etwa dreitausend Einwohner dreißig Kneipen hatte und mindestens etwa zwei Dutzend Schlächter. Man lebte gut und billig dort. Im Weltkriege änderte sich dies leider sehr gründlich. Im Laufe des Krieges kam eine starke Nachfrage nach Wein und alles was mit Wein zu tun hatte, verdiente spielend die Mittel zu einem größeren Lebensbedarf. Die Beamten mit ihren festen Bezügen gerieten derweil ins Hintertreffen. Dazu kam, daß Bernkastel mit Gemüse ohnehin schlecht versorgt ist. Die einheimischen Bauern haben nur so viel, als sie zum eigenen Bedarf anbauen und das alles ziemlich grob. Schon gleich in den ersten Jahren legte ich mir ein kleines Gärtchen zu und zog mir eine ganze Reihe Gemüse selber.
Bei Gericht nahmen die Kollegen Rücksicht auf meinen Gesundheitszustand und so hatte ich die meiste Zeit keine öffentlichen Sitzungen. Ich bearbeitete Grundbuch und Vormundschaftssachen, wechselte auch schon einmal mit dem neuen Kollegen Reinecke, dessen Abteilung. Er hatte nämlich Zivilsachen und kam nie zum Urteil. Er schleppte die Sachen vom Gericht zu seinem Kotten und von seinem Kotten wieder zum Gericht. Nach dem Tausch war er derartig erstaunt über den Umfang meiner Arbeit, daß der den Tausch schleunigst wieder rückgängig machte. Ich arbeitete im allgemeinen schnell und hatte viel Zeit übrig, zumal in den Jahreszeiten, in denen Winzer und Bauern stark beschäftigt waren. Die meiste Freude machte mir die Bearbeitung der Vormundschaftssachen. Die Vormünder taten meistens nichts und der Richter mußte alles machen. Von der Justizverwaltung wurde dies berücksichtigt und meist noch ein Hilfsrichter in Bernkastel mitbeschäftigt. Durch meine Tätigkeit als Vormundschaftsrichter hatte ich manchen Einblick in das Leben der Winzerfamilien an der Mosel. In kleinen Familien verursachte neben der Sorge um das tägliche Brot die Beschaffung des Schuhwerks viel Kopfzerbrechen. Man macht sich keine Vorstellung davon, wie anstrengend das Leben der Schuhe der Winzersleute ist. Den ganzen Tag stehen sie in dem Grauwackegestein, stets geht es bergauf und bergab und obwohl die Schuhe bis an die hundert Nägel pro Stück zählen, verschleißen sie ganz gewaltig. Ich erinnere mich, daß in einer Familie die Schuhschulden auf eine Summe von drei- bis vierhundert Mark angewachsen war. Diese wurde erst dann wieder abgedeckt, wenn ein gutes Weinjahr kam.
Stirbt ein Elternteil mit Hinterlassung von minderjährigen Kindern, so schickt das Nachlaßgericht einen Vordruck, worin im Interesse dieser Minderjährigen deren Vermögen möglichst eingehend aufgezählt werden soll. Das Ausfüllen dieser Vordrucke ist für die meisten Leute ein wahres Kreuz und pflegt meistens so summarisch wie möglich zu geschehen. Der Vormundschaftsrichter muß meistens mithelfen. Einmal erlebte ich das Gegenteil. Ein junger Lehrer war der übriggebliebenen Witwe zum Beistand für ihre minderjährigen Kinder beigeordnet worden. Er lieferte ein sauber geschriebenes Vermögensverzeichnis, in dem auch nicht der geringste Gegenstand fehlte. Dieses Vermögensverzeichnis hatte einen hohen kulturhistorischen Wert, denn es gab ein Bild von dem gesamten Hausmobiliar einer mittelgroßen Winzerfamilie um die Jahrhundertwende. Ich habe dieses Aktenstück vor der Vernichtung bewahrt, indem ich groß mit Buntstift darauf schrieb: Staatsarchiv. Es war angelegt worden, da solchen kulturhistorisch wichtigen Urkunden von der Vernichtung ausgeschlossen sein sollten. Ich bin überzeugt, daß es später eine reiche Fundgrube für einen bilden wird, der das Leben der Bauern erforscht.
Auch an vielen sonstigen Sachen erlebte ich meine Freude. In einem kleinen Hunsrückdorfe lebte eine kinderlose Witwe auf einem umfangreichen Bauernhofe. Sie war recht bequem und verkaufte leider den gesamten schönen alten Hausrat, um sich ganz gewöhnlichen Plunder dafür anzuschaffen. Nach und nach verkaufte sie auch ihre Äcker und Wiesen. Da griffen die Bauern der Gemeinde ein und auf ihren Antrag wurde die Witwe wegen Verschwendung entmündigt, nachdem sie noch nicht alles durchgebracht hatte. Manches mußte weiter liquidiert werden. Und im Besitze mehrere Sparbücher war die recht ansehnliche Frau ein begehrtes Heiratsobjekt, meist für ältere dürre Witwer mit mehr oder weniger großer Kinderzahl. Die Bauern der Gemeinde waren sehr dafür, daß sie heiraten sollte, denn an ihrem Treiben wurde lebhaft Anstoß genommen. Ich sorgte dafür, daß sie nicht den ersten besten heiratete. Ich hatte allerhand Erlebnisse mit den verschiedensten Bewerbern. Schließlich heiratete sie einen schon älteren Arbeiter aus der Graacher Schäferei, der keine erwachsenen Kinder mehr daheim hatte. Sie ist ganz glücklich mit ihm geworden. Über die verschiedenen Erlebnisse schrieb ich einen kleine Skizze „Die lustige Witwe im Hunsrück“.
Eine weniger glückliche Angelegenheit war die Vormundschaft über
einen wegen Geistesschwäche entmündigten Stadt- und Bürgermeistereisekretär
Bildhauer. Dieser war ein sehr tüchtiger Beamter gewesen und hatte
die Geschäfte gleich zweier Bürgermeistereien gut geführt.
Er war ein hervorragend talentierter Mann, es war ihm aber längst
vor meiner Zeit in irgend einer Form ein Unrecht geschehen, damit hatte
er sich nicht abfinden wollen und war zu einem unleidlichen Stänkerer
geworden, der seine ganzen Fähigkeiten dazu benützte, um die
unmöglichsten Szenen gegen alle möglichen Behörden in Gang
zu setzen. Er mußte als Beamter abgesetzt werden, wobei auch durch
eine Dummheit der verschiedenen Bürgermeister seine Pensionsansprüche
gegen eine Provinzialkasse verloren gingen. Ich hatte mir lange Zeit,
nachdem er unter vorläufige Vormundschaft gestellt worden war, die
größte Mühe gegeben, diese Pensionssache in Ordnung zu
bringen, wogegen Bildhauer mir fest zugesagt hatte, in eine andere Landschaft
zu verziehen. Durch eine neue Torheit wurde auch dies unmöglich und
mir blieb nichts übrig, als in den sauren Apfel zu beißen und
ihn zu entmündigen. Das Material war längst beisammen, es war
ein typischer Fall einer vollendeten Paranoia Querulatoria. Ich war so
klug, diesen Beschluß durch einen Vertreter während meiner Abwesenheit
aussprechen zu lassen, weil ich später als Vormundschaftsrichter mit
ihm weiter zu tun hatte. Jetzt begann ein herrliches Schauspiel, das ich
im großen und ganzen vorausgesehen hatte, dessen Einzelheiten aber
immer wieder neue Seiten der menschlichen Seele zum Vorschein brachten.
Alle blamierten sich dabei so gut sie konnten. Zunächst wollte keiner
Vormund werden. Ich hatte verbreiten lassen, daß ich mich streng
an den Vorschlag des zuständigen Gemeindewaisenrats, des erfahrenen
Hammelschlächter Stüttgen halten werde. Dieser schlug einen Bernkasteler
Bürger vor, Roderfeld mit Namen, Schwager von Notar Astor, der eine
Weinkellerei Astoria besitzt. Bei Weigerung hat der Vormundschaftsrichter
das Recht, dreimal eine Ordnungsstrafe bis zu 300 Mark auszusprechen. Ich
hatte durch den Volksmund verbreiten lassen, daß ich in diesem Falle
nur einmal, und zwar gleich 300 Mark erheben würde. Dies hatte den
Erfolg, daß Roderfeld das Amt, wenn auch seufzend, übernahm.
Vermutlich hat er es heute noch. Um ihm sein Leben zu erleichtern, erfand
ich zwei vervielfältigte Drucke a) und b). In dem einen war etwas
kürzer, in dem anderen ausführlicher die gesamte Rechts- und
Tatsachenlage auseinandergelegt und insbesondere nachgewiesen, daß
Bildhauer unpfändbar sei und den Offenbarungseid geleistet habe. Je
nach den Anfeindungen, die sein Vormund erfuhr, wurde den Betreffenden,
die sich mitunter gewaltig erregten, Formular a) oder Formular b) zur Besänftigung
zugeschickt. Da kamen die tollsten Dinge vor. Ein märkischer Kaninchenzüchter
ließ sich beschwindeln und sandte einen Kaninchenzuchtbock gegen
Nachnahme. Dessen Annahme wurde verweigert und das wertvolle Kanin unter
den Bahnbeamten versteigert. Die Differenz wurde von einem jüdischen
Advokaten in Potsdam eingeklagt, der sich nur sehr schwer wieder beruhigen
wollte. Juwelierlieferanten hatten ihm Sachen zugeschickt, unvorsichtigerweise
nicht gegen Nachnahme, und sahen sich um ihr Geld betrogen. – Der Verkehr
mit Reben in den verschiedenen Weinbaubezirken unterliegt einer sehr strengen
Kontrolle. Bildhauer handelte mit Reben nach seinem Belieben. Der Staatsanwalt
erhob Anklage und Bildhauer wurde auf das ausführliche Gutachten des
Kreisarztes freigesprochen. Der Oberstaatsanwalt in Koblenz rumorte gewaltig
und forderte vom Vormundschaftsrichter dringend geeignete Maßnahmen,
um diesen Unfug zu steuern. Dir werde ich schon helfen, dachte ich, und
schickte sämtliche Akten Bildhauer, die fast eine Viertel Stube füllten,
der Staatsanwaltschaft in Koblenz mit ausführlichem Bericht zu und
versicherte, ich wäre sehr dankbar dafür, wenn sie mir einige
Vorschläge machen wollten. Wie ich vorausgesehen hatte, kam die Sache
nach Kenntnisnahme einfach zurück. Der Stadtbürgermeister von
Bernkastel, Simonis – genannt der dicke Philipp – behandelte diese Sache
ganz ohne Humor, hatte persönliche Angst vor Bildhauer, der gedroht
hatte, ihn über den Haufen zu schießen, und versuchte, ihn und
seine Familie verhungern zu lassen. Dagegen sorgte ich dafür, daß
die Familie wenigstens Brot bekam. Gegen diesen Bürgermeister hatte
sich Bildhauer in eine sinnlose Wut hineingearbeitet, hatte dessen Liebesleben
als Junggeselle ans Tageslicht gezogen und schließlich hatte ich
bei Bildhauer in all seinen amtlichen Eingaben (es erfolgten solche fast
täglich) folgenden Rubrum herausgebildet: Auf einem guten einfachen
linierten Bogen, der links oben das Prägewappen von Bildhauer trug,
stand oben rechts folgende stereotypische Formel:
In meiner durch die Meineide, Amtsverbrechen und die öffentliche
Hurerei des Bürgermeisters Simonis, im gleichen durch die Amtsverbrechen
des Amtsrichters Dr. Rech verursachten Entmündigung . . .
dann kam der Text, z. B. lege ich hiermit Einspruch ein gegen den mir
zugestellten Mahnbefehl auf Zahlung von 15 Mark wegen gelieferter Enteneier.
Solche Sachen erregten meine ungeteilte Heiterkeit, womit ich allerdings
alleine dastand, denn die meisten Leute ließen sich durch B. nervös
machen und es wurden dann immer wieder Fehler gemacht. Da er nur beschränkt
geschäftsfähig war, waren die Zivilprozesse, die er sehr zahlreich
führte, voller häßlicher Sachen und es verging fast keine
Woche, daß nicht irgend eine Abteilung des Amtsgerichts in Sachen
B. einen Bock machte. Bildhauer griff dies immer sofort auf und spann die
Sache immer endlos weiter. Er hatte ein System erfunden, die Post ohne
Porto zu benützen wie ein regierender Fürst. Der Postdirektor
kam sich klug vor und rühmte sich beim Dämmerschoppen, er werde
B. schon beikommen. Ich lachte mir ins Fäustchen und behielt recht.
Nach einiger Zeit mußte der Postdirektor bekennen, daß auch
für ihn an Bildhauer Hopfen und Malz verloren waren. Im Kriege, den
ich hauptsächlich noch von 1914 bis 1918 in Bernkastel erlebte, kam
Bildhauer unversehens zu Geld und einem gewissen Ansehen: Er war einer
der wildesten Schieber, weil man ihm nichts machen konnte und er jenseits
von Gut und Böse in einer Sphäre lebte, „wo Geltscherluft wehte“,
wie ein Witzbold sich ausdrückte. Jedenfalls bin ich meinem Grundsatz
treu geblieben, mich über ihn nicht zu ärgern, auch wenn er noch
so ausfällig wurde. Daß ich ihm im Grunde wohlgesinnt war, hat
er wohl gespürt. Jedesmal, wenn ich mich mit einem Bernkasteler unterhalte,
stelle ich fest, daß Bildhauer noch lebt und weiter „bildhauert“.
Der Kreisarzt Dr. Robert Lehmann, heute noch regierender Medizinalrat in Düsseldorf, war erklärter Antisemit, sprach mit einem Juden nur das Notwendigste, gab keinem Juden die Hand, weder er noch seine Frau kauften bei Juden das geringste. Wurde Rotschild eingeladen, so war es unmöglich, Lehmann dazu einzuladen und ebenso umgekehrt.
Abgesehen hiervon sah man immer die gleichen bei den gründlichen und ausgiebigen Abendessen, die damals stattfanden. Der ausgezeichnete Wein der Mosel schärfte die Zunge und einer überbot den anderen mit Leckerbissen jeder Art. Ich habe mir ein Aktenheft angelegt, in dem ich die von uns gegebenen Essen registrierte mit allen Gästen, Gängen, Weinen, Zutaten, Kosten und Resten, welche die ganze Woche verzehrt werden mußten. Diese Gastereien wurden allmählich immer üppiger und wir machten anfangs kräftig mit, zumal uns Mutter Reitmeister von Bonn aus dabei unterstützte und uns die schönsten Gerichte aus dortigen Lebensmittelgeschäften zukommen ließ: z. B. fette rheinische Poularden usw. In Bonn war damals die Blüte des Rentnerlebens, Lebens- und Genußmittel jeder Art von der feinsten Sorte strömten dort in Massen zusammen und die Delikatessengeschäfte waren auf der Höhe. Ein Freund meines Schwagers Reitmeister, Regierungsbauführer Heck, der später bei der Dessauer Gas eine große Rolle spielte, leitete damals einen Umbau des Bonner Güterbahnhofs und konnte in spaßhafter Form den Umschlag an Stückgütern beschreiben, welche fast ausschließlich aus Fressalien und Saufalien bestanden.
Wir machten dies eine zeitlang mit, führten dann aber eine Reform der Vereinfachung ein, die bald allgemeinen Beifall und eifrige Nachahmung fand. Anstelle des üblichen Biersiphons legten wir ein kleines Bierfaß auf und schenkten nach Tisch frisches Bier vom Faß. Es gab in Bernkastel zwei Brauereien, die gutes Bier lieferten. Hieraus entwickelten sich, zunächst für die Junggesellen, förmliche Bierabende und bei dem Junggesellen Amtsrichter Reinecke wuchsen sich diese zu förmlichen Bierfesten aus. Solch ein Bierfest begann mitunter schon vormittags, dauerte den ganzen Tag bis in den Abend, dazu gab es unendlich große Würste und riesige Brote, von denen sich jeder selbst herunterschnitt. Nach wenigen Stunden war der Landrat, der nicht viel vertragen konnte und desto eifriger trank, vollständig beschwipst.
Jeden Montag versammelten sich die „Hergelaufenen“, meistens Akademiker,
in einer Doctorweinstube genannt Pop zu einem WABC gleich Wissenschaftlicher
Abend Bernkastel Cues. Neu angekommene Referendare mußten hierzu
eine wissenschaftliche Arbeit liefern, für die ein Referent und ein
Koreferent bestellt wurden. Manche von den bestellt wurden. Manche von
den jungen Dächsen nahmen dies blutig ernst und merkten erst später
bei der feierlichen Aufnahme in diese Akademie der Wissenschaften und Künste
bei der Verleihung eines riesigen Ordens am großen Band, daß
das ganze natürlich alles spaßhaft war. Dementsprechend war
der Ton der ganzen Unterhaltung, welche alles und jedes mit einer sanften
Ironie übergoß und vieles mit großem Ernst höchst
scheinheilig behandelte. Die Klerisei hatte ein gesundes Mißtrauen
gegen diesen wissenschaftlichen Abend und hielt ihn für eine Art Zweigstelle
von Freimaurern, was uns wieder höchlichst amüsierte. Vorsitzender
dieses Abends war ein martialisch hochgewachsener älterer Stabsarzt
in Ruhe Dr. Deblin, ein Rassejude aus dem Geschlecht der Makkabäer
– genannt der Sally. Unter seinen Stammesbrüdern war er eine große
Ausnahme, bereits sein Vater war Oberstabsarzt in der preußischen
Armee gewesen, der einzige sogenannte Renommierjude der Armee, und hatte
sich Verdienste im Jahre 1870/71 erworben. Sally war sehr humorvoll und
fing an zu zaubern, wenn er etwas beschwipst war. Er pflegte dann nicht
nur ein Monokel ins Auge zu klemmen, sondern sich gelegentlich auch einen
Taler auf die Stirn zu kleben. Als Junggeselle bewohnte er sein schönes
Elternhaus in der Nachbildung einer riesigen Traube auf der Graacher Straße
dicht hinter dem Graacher Tor. Diese Gasse war eine wirkliche Schwindt’sche
Idylle in dem Städtchen Bernkastel.
Über die Judenfrage wurde natürlich oft und heftig diskutiert,
zumeist natürlich in Abwesenheit des Kreisarztes Dr. Lehmann, für
den es gar keine Judenfrage gab und der immer alles ablehnte. Bei meinem
Amtsantritt im Jahre 1910 wechselte der Landrat. Anstelle des von Hammerstein
trat ein von Nasse. Unter Hammerstein fand einmal zwischen ihm, Rechtsanwalt
Schönberg, der ziemlich jüdisch aussah, aber reiner Arier war,
Deblin, Rotschild und dem arischen Oberförster Bauer, der aus Hessen
stammte, eine Diskussion über die Judenfrage statt, bei der zum Schluß
Schönberg alle Fragen dahin zusammen zu fassen suchte: Die Juden sind
wohl und schlecht, die Christen ebenso, jeder soll sich aber für sich
halten, was ich gar nicht schätze und nicht leiden kann, das ist der
jüdische Verschnitt. Dabei tappte ihm der Oberförster Bauer auf
seinen Fuß und Schönberg fiel zu seinem Schreck ein, daß
der Landrat von Hammerstein, der eine jüdische Kölner Bankierstochter
geheiratet hatte, die ihn mit einem jüdischen Agenten betrogen hatte
und ihm durchgebrannt war, zu Hause den jüdischen Verschnitt in mehreren
Exemplaren auf Vorrat hatte. Das alles klingt mir heute wie Märchen
aus alten Zeiten, alles hat sich auch dort natürlich seit 1933 grundlegend
geändert.
Auch mein Freund Paul Thanisch, mit dem und mit dessen Frau wir in näheren
Verkehr kamen, zeigte diese Eigenschaft des häufigen Trinkens. Schöneberg
behauptete, allen Thanischs sei es vorbestimmt, vom Trinken zu sterben.
Dem ältesten Bruder von ihnen, meinem Mitschüler Anton Thanisch,
war dies nicht beschieden, er lebte in einer wenig glücklichen Ehe
und fiel im Herbst 1915 als Artilleriehauptmann vor dem Feinde, nachdem
er vorher einen erschütternden Brief an seine gute Mutter geschrieben
hatte, der voller Todeszuversicht war.
Offensichtlich fehlt hier ein Teil des Textes.
. . . Verschiebung in dem Besitzverhältnis durch den Krieg. Eine solche habe ich in meinen Bernkasteler Jahren gründlich an vielen Familien entdeckt. Grundsätzlich waren es Leute, die von außen kamen und durch rücksichtsloses Geschäftsgebaren die alten eingesessenen Familien zu überflügeln pflegten. Ich schrieb damals humoristisch gefärbte Artikel unter dem Strich in der Kölnischen Zeitung unter der allgemeinen Überschrift „Aus Kunst, Wissenschaft und Leben“. Die Abschrift eines solchen Aufsatzes über dieses Thema kann ich hier einlegen.
Gemeindlich pflegten diese neuen Kaufleute einen riesigen Fleiß
und eine große Betriebsamkeit zu entwickeln. In grellem Gegensatz
dazu standen dann einige Nichtstuer.
Sein Genosse war ein alter Besitzer Gribeler, von stattlicher Körpergröße
zeichnete er sich namentlich durch den Besitz einer unendlich weiten und
großen Hose aus. Er bewohnte das stattliche alte kurfürstliche
Zehnthaus, also sozusagen das alte kurfürstliche Finanzamt und brachte
die meiste Zeit seines Lebens auf dem besagten Platze vor dem Landratsamt
zu. Auf diesem Platze tummelten sich auch noch sonstige, teils zu Ehre
und Reichtum gekommene, teils gestrandete und weniger mächtige Bürger
der Stadt. Alle vertrugen sich untereinander aufs Beste.
Eine tragische Wendung nahm diese übertriebene Eßsucht im
Kriege. Fränzchen Müller, der wohlbeleibte Kreisschulinspektor,
erlitt bei einem einfachen Spaziergang in der Gegend des Cueser Hafens
einen Schlaganfall, fiel auf das Gesicht und erstickte. In seinem Nachlaß
fanden sich alle Schubfächer voll von Würsten und Räucherwaren,
von handhohem Schimmel bedeckt. Müller hatte sich vor der Hungersnot
gefürchtet und seine Vorräte waren ihm förmlich über
den Kopf gewachsen. Da er nicht kirchlich gesinnt war, wollte man ihn sang-
und klanglos an der Kirchhofsmauer verscharren. Den Bemühungen seiner
Freunde war es zu verdanken, daß unter Führung des evangelischen
Geistlichen ein großes Begräbnis stattfand, an dem sogar einige
katholische Geistliche in ihrer Eigenschaft als Ortsschulinspektoren teilnahmen.
Es war ein dunkler Tag voll dicken nassen Nebels. Ich hatte mich dem Leichenbegängnis
anfangs angeschlossen, war aber dann schleunigst wieder nach Hause geeilt,
weil mit ein heftiger Hustenanfall überfiel und ich ernsten Schaden
für meine damals recht schwache Lunge befürchtete.
Gelegentlich eines Besuches des Dichters und Schauspielers Frank Wedekind
in dem vom Wetter begünstigten Herbst 1915 hatte dieser mich, da ich
öfters mich unter Berufung auf ein gesund zu führendes Leben
beglückt hatte, den „Gesundleber“ getauft.
Die Bernkasteler nannten die Wittlicher die Säubrenner, vermutlich
war bei ihnen der Brauch, eine geschlachtete Sau mit Strohfeuer abzubrennen,
länger im Gebrauch geblieben, während andere schon dazu übergegangen
waren, das angesottene Schwein mit dem Messer zu schaben. Weniger schön
hießen die Graacher „Esel“, die Zeltinger „Reisfresser“ die Ürziger
„Rotschwänze“, die Lösenicher „Schnälesplisser“, die Cueser
„Schweden“. Infolge der engen Bebauungsweise der Stadt Bernkastel, die
sich an einige schale und tief eingeschnittene Felsentäler preßte,
war im Altteil der Stadt ein bedenklicher Mangel an Abtritten und ich habe
es selbst aus Rechtsstreitigkeiten erfahren, daß sich einige Häuser
mit gemeinsamen „stillen Örtchen“ behelfen mußten. Daher von
alters her der Drang, sich der größeren Geschäfte einfach
an der Straßenecke zu entledigen. Die Bernkasteler hießen daher
die „Barescheißer“, d. h. die ihr Geschäft in der Hockestellung
erledigten. In dem seltenen spritzigen Moselführer des früheren
A.G.R. Bresgen, worin dieser manche Flurnamen umwandelte, befindet sich
ein Abdruck eines höchst amüsanten Berichtes des Polizeibeamten
Scubonius über diesen Straßenmißbrauch der „Berrekesseler“.
Ich war verschiedentlich mit Paul Thanisch als einfacher Spaziergänger mit auf die Jagd gegangen und hatte dabei den seltsam prickelnden Reiz des Jagens kennen gelernt. Beim Aufenthalt auf der landschaftlich sehr schön gelegenen Jagdhütte bei Merscheid im Hunsrück hatte ich hatte ich mich mit Ofeneinheizen, Backen frisch gefangener Forellen, Braten von Rehlebern und Ausbacken von tüchtigen Eierkuchen nützlich zu machen versucht und hatte dabei etwas den Jägern abgesehen. Ich wurde gern mit zu Jagdwanderungen, ja schließlich auch mit zur Pirsch genommen, man stellte ein Examen mit mir an: An einer blanken Buche wurde ein handbreites Stück Rinde ausgeschnitten, aus vierzig Meter Entfernung mußte ich mit der Büchse darauf zielen und traf genau in der Mitte. Kurz vor Weihnachten nahm man mich mit auf eine fernabgelegene Jagd, postierte mich an die Ecke eines Tannichts aufs freie Feld und gab mir eine Flinte in die Hand. Da ich ausgezeichnet höre, so wurde mir bald klar, daß sich leise ein Wesen näherte, man winkte mir noch unnötigerweise, ich aber verhielt mich mäuschenstille, bis der Hase gegen den Wind mir fast auf die Füße gelaufen kam. Dann erst legte ich an und er überschlug sich im Feuer und war mausetot. Ein riesiger Tannenbruch zierte den glückhaften Jäger und die Jagdbeute wurde seiner Frau in die Küche verehrt. Das war mein erster und letzter Schuß auf ein Wild. Pflichtgemäß beschaffte ich mir alsbald einen Jagdschein. Damit ging ich noch öfter mit auf die Jagd, hatte allerhand Erlebnisse, schoß aber nie mehr wieder. Nur einem solch grünen Neuling wie mir konnte passieren, daß ihm im Dämmerlicht eines verschneiten Wintertages eine Rotte von Jungsauen vor die Flinte kam, er aber nicht zum Schießen kam, weil er im Zweifel war, ob er sich auch diesseits der Grenze des Jagdreviers befand. Er zog also seine Karte heraus, stellte mühsam und umständlich fest, daß die Jagdgrenze hier mit einem scharfen Winkel weit über die Waldschneise hinausgeht und versucht dann erst, dem im Unterholz brechenden Wild näher zu kommen. Mittlerweile war es dunkel geworden, ein kleiner Zweig knackte unter dem Stiefel des näher Schleichenden und die Schwarzkittel waren plötzlich wie weggeblasen.
Ein anderes Mal wird der „Jungschütze“ abseits in ein kleines Waldtälchen
postiert. Dort ist es einsam und still, nur ganz von weitem bellt ein Hund.
Bald erscheint ein Hirschjunges, ein allerliebstes Tier, das sich mit drolligen
Sprüngen vergnügt. Der Jäger erhebt die Flinte, nimmt das
Tier aufs Korn und hat gut zu Schuß, bald mal von vorne, bald mal
von hinten, bald auch mal von der Seite. Er denkt aber nicht daran abzudrücken,
das zierliche Wesen gefällt ihm zu gut. Da erscheint der kleine gelbe
Jagdhund und treibt leise kläffend das Kalb, das mehr mit ihm zu spielen
scheint. Jetzt erwacht die Jagdlust im Jäger und er faßt die
Büchse schon fester, als ihm durch den Kopf blitzt: Triff den Hund
und laß das Kalb aus und du bist für den Rest deines Lebens
dem Spott und Gelächter ausgeliefert! Das lohnt die Sache nicht. Er
sieht auf – und Kalb und Hund sind verschwunden zur Erleichterung des Jägers.
Es ist ihm klar: Ein richtiger Jäger wird er nie werden! –– Das war
zur schönen Sommerszeit. Und wie war es im Winter?
Wir hatten in den heißen Federbetten des Jagdaufsehers Mayer in Merscheid geschlafen. Nach Mitternacht weckte der uns, wir standen sofort auf, kleideten uns im Dunkeln an, zogen ein weißes Hemd über und gingen los. (Vergleiche Tagebuch Dezember 1915!) Es lag ein unbestimmtes schwaches Licht in der Luft und es war ganz heimlich, in der unbewegten Luft zu marschieren. Im Walde verteilten wir uns, ich bekam einen Platz angewiesen hinter einem Schirm an einer Waldblöße, den ich auch richtig fand. Hier erlebte ich es zum anderen Male, daß sich eine Rotte Sauen näherte. Das nahe Brechen der Tiere war weniger heimlich, ich erhob mehrmals die Büchse, mußte aber jedesmal feststellen, daß ich nichts sehen konnte und ohne Ziel einfach ins Graue zu schießen, war natürlich Unsinn. Nach einiger Zeit, nachdem ich vergeblich gehofft hatte, die Sauen würden sich in der Blöße nähern, klang das Wühlen und Brechen der Rotte entfernter und war schon gar nicht mehr zu hören, als in anscheinend recht weiter Entfernung ein Schuß fiel, dem noch zwei weitere folgten. Ich wartete eine Weile und marschierte dann vorsichtig und leise durch den lockeren Schnee in der Richtung der Schüsse, hörte bald einen leisen Pfiff und wie aus dem Boden gewachsen steht der Jagdhüter unmittelbar vor mir, in dem hellen Hemd auf zwei Schritte nicht zu erkennen. Wir fanden schnell Paul Thanisch, der Schüsse auf ein durchgehendes Rudel Hirsche abgegeben hatte und hoffte, einen geweihten getroffen zu haben. Es wurde eine Karbidsturmlaterne angezündet, inzwischen war ziemlich dichter Nebel eingefallen und wir marschierten in eine Wolke wie in einem Ballen Watte. Der Nebel strahlte das Licht immer wieder zurück. Es war sehr phantastisch. Endlich fanden wir das Wild, auf ds schon mehrere Blutspuren hingedeutet hatten. Es war ein altes Gelttier. Der Geweihte war also gefehlt worden. Mayer brach das Tier auf und ich erinnere mich noch, daß er beim Ausziehen der Drossel auf den Rücken in den Schnee fiel. Seine Frau brachte einen kleinen Handwagen, auf dem wir das schwere Wild in das Dorf brachten. Wir schliefen uns dann aus und suchten andern Tags im trüben Licht nochmals die Stelle auf, wo das Wild gelegen hatte. Alles war am Tage unglaublich nüchtern und einfach, was wir in der Nacht als ganz phantastisch erlebt hatten. Anscheinend erfüllt die Phantasie des Menschen den undurchsichtigen Nebel mit einer Fülle erdachter Gestalten, so daß einem die Sache unheimlich phantastisch vorkommt. Das Wildbret erwies sich als ziemlich minderwertig und der Jagdherr überließ es den Bauern zur Verteilung durch Herrn Mayer. Diese nächtliche Jagd ist mir unauslöschlich im Gedächtnis geblieben. Ebenso fest in Erinnerung habe ich eine Situation aus dem Weltkriege, in der wir an einem Spätnachmittage in einem lockeren Gehölz standen und stundenlang schweres Geschützfeuer von der Westfront hörten. Es war der übliche Abendsegen, mit dem die Franzosen an jedem Frontabschnitt die Deutschen jeden Abend zu beunruhigen suchten. Ich hatte später keinen weiteren Jagdschein mehr genommen, gleichwohl hatte die einmalige Lösung eines solchen eine überraschende Folge im Weltkriege, an die niemand gedacht hätte. Eines Tages hieß es, es müssen Jagdkommandos gebildet werden und zu diesem Zwecke erhielten alle diejenigen, welche jemals in ihrem Leben einen Jagdschein hatten, Vorladungen vor das Bezirkskommando in Trier. Dort fand eine seltsame Musterung statt. Hier stand eine Gruppe von Forstbeamten, denen teilweise ein Bein oder ein Arm fehlte und die bis zur Entlassung dauernd beurlaubt waren. Dort stand eine Gruppe von verdächtig aussehenden Kerlen, denen man auf den ersten Blick ansah, das waren Wilderer. Eine andere Gruppe kennzeichnete sich als Herrenjäger. Zu diesen gehörte auch ich. Die Musterung geschah sehr oberflächlich. Ich war auf Grund einer früheren Ausmusterung für dauernd untauglich erklärt worden und nachdem durch ein besonderes Gesetz die so verhaßten „d.-U.-Leute“ nochmals einer Musterung unterworfen wurden, hatte ich auch diese Probe bestanden und war wieder für d. U. erklärt worden. Nun gab es eine Bestimmung, daß wer zweimal im Kriege für d. U. erklärt war, von der Liste der Militärpflichtigen gestrichen wurde. Dies geschah auch mit mir. Ich wußte aber nichts davon und bekam es erst kurz vor Kriegsende zu wissen, als ich mich bei meiner Versetzung nach Rheinbach pflichtgemäß beim Bezirkskommando in Trier abgemeldet und in Bonn angemeldet hatte. So warf die Jagdtätigkeit noch ihre Reflexe bis in den Krieg hinein.
Durch den häufigen Verkehr auf der Jagdhütte, auf der ich auch schon einmal einige Tage ganz allein verbracht habe, ist mir mancher schöne Genuß erwachsen. Es ist eben ganz unvergleichlich, wenn man zur Sommerszeit morgens in aller Frühe vom Gurren der Waldtauben aus dem Schlafe geweckt wird und sich in einer einsamen Jagdhütte wiederfindet, in der man ganz auf sich gestellt und ohne jede menschliche Bedienung ist. Ich erinnere mich noch eines schönen Marsches an einem Regentag, wo ich, um eine Verbindung zu erreichen, erst einen weiten Umweg machen mußte. Unterwegs schauerte ich vor dem dichten Landregen in einem großen alten Heiligenhaus vor einem Dorfe, dessen Namen mir entfallen ist. Das geräumige Heiligenhaus wie einen überlebensgroßen Kruzifixus auf, der nahe der Erde drohend an der Wand stand und einen durchaus lebenswahren Eindruck machte. Nachher wies der Lauf der Flinte, die ich mir von Thanisch geliehen hatte, einen bösen Rostflecken auf. Und seitdem bin ich nicht mehr mit dem Schießgewehr marschiert.
In meiner Erinnerung sind am schönsten die im Winter, namentlich in den Kriegsjahren, die von der Polizei angeordneten Saujagden. Durch die Beunruhigung von der Westfront her hatte sich mancher Keiler und manche grobe Sau vom Ardennerwald her bis zum Hunsrück verlaufen. Sie erschienen dicht vor den Orten und selbst vor der Stadt Bernkastel. Da wurde denn alles, was irgendwie zu jagen vermochte, aufgeboten zur Treibjagd auf diese Unruhe- und Schadenstifter. Im Bernkasteler Hinterwald fand eine solche Jagd statt, an der einige Jäger teilnahmen. In dem großen Treiben waren über vierzig Sauen fest und trotzdem wurde keine einzige erlegt. Ich sah ganze Rotten von je acht Stück flüchten, die Schützen belegten sie mit Sperrfeuer, aber es nützte nichts. Bei dieser Gelegenheit habe ich kennen gelernt, ein wie kluges Tier die Wildsau ist. Bei einer anderen solchen Saujagd stand ich an der Ecke eines Waldabschnittes mit dichten Unterholz. Ich hörte genau, wie ein großes Tier sich darin vorsichtig bewegte, vermochte aber nichts zu sehen. Wiederholt wurden die Treiber und die Hunde hineingeschickt. Es zeigte sich aber nichts. Erst als die Jagd abgeblasen war und die Jäger mit geschultertem Gewehr abzogen, brach ein mächtiger Keiler aus und brachte sich in Sicherheit. Ich bin überzeugt, daß er mich die ganze Zeit über beobachtet hatte. Bei einer anderen Gelegenheit gingen wir kurz vor die Stadt Bernkastel, ein Vetter von Thanisch, der Arzt Dr. med. Thünn ging mit und ließ sich zunächst den Mechanismus einer Repetierbüchse erklären. Eine Stunde darauf hatte er einen Keiler mit schönen Gewehren zwischen die beiden Lichter getroffen. Er ließ den Kopf präparieren und zeigte mit Stolz diese schöne Trophäe seiner ersten und letzten Jagd. Von diesem Keiler habe ich heute noch verschiedene Büschel der ganz groben Nackenhaare. Es ist erstaunlich, wie diese Haare stark und elastisch sind und sich nach oben wie eine kleine Baumkrone verzweigen. Sie dienen den Schustern als Nadel für ihre Pechdrähte.
Meine Frau hatte es herausbekommen, wie man auch das Fleisch von älteren Wildsäuen genießbar zubereiten konnte: Der Braten wurde einige Stunden gekocht und dann erst gebraten und dann meist erst kalt gegessen. Freilich schmeckt das Fleisch von einem etwa achtzigpfündigen Überläufer besser als von einem groben Keiler. Das schönste Stück sah ich gegen Ende des Weltkrieges einmal bei Thanischs hängen, es war ein ungeheuer großer rotbraun bis schwarz gefärbter langer Keiler, der ziemlich hoch auf den Läufen stand und von dem die Sage ging, er sei aus dem Argonnerwald herübergewechselt.
Die Beschäftigung mit Bienen war früher auch schon einmal in Bernkastel mode gewesen und der Onkel Jakob Thanisch war in früherer Zeit auch ein großer Bienenwirt gewesen. Er hatte seinen Neffen Thanisch nicht nur in Jagd, sondern auch in Bienenbehandlung unterrichtet und es war gar kein einfacher oder schmerzloser Lehrgang gewesen.
Mit Winkler baute ich zusammen ein geräumiges schönes Bienenhaus. Zum Schleudern liehen wir uns anfangs eine Schleudermaschine, später schaffte ich eine solche für mich selbst an. Mit der Zeit fand ich überhaupt, daß alles einfacher ist, wenn man vollständig alleine wirtschaftet und nicht an einen Vertragsgenossen gebunden ist. Bei dem glorreichen Wegzug, den ich gegen Kriegsende bei meiner Versetzung nach Rheinbach unternahm, ließ ich das Bienenhaus in Bernkastel an Winkler zurück. In Rheinbach baute ich mir ein neues Bienenhaus mit Hülfe eines Zuchthausgefangenen. Dies war gleich von vornherein zum Auseinandernehmen eingerichtet. Es hat dann 1920 den Umzug nach Bonn mitgemacht und stand noch einige Zeit bei meiner Mutter im Garten am Hause Bachstraße 60. Dort imkerte ich noch, während ich gleichzeitig in Köln arbeiten ging. Dieser Zustand ließ sich auf die Dauer nicht halten und so suchte ich das Bienenhaus mit seinen Insassen loszuwerden und vertauschte es schließlich gegen Halbedelsteine an einen in der Entwertungszeit reich gewordenen Juwelenhändler Falz aus dem Birkenfeldischen.
Ich hatte die Kinder von vornherein daran gewöhnt, sich nicht in der Nähe des Bienenhauses aufzuhalten. Nur ein einziges Mal erinnere ich mich, daß Herta in der Nähe des Bienenhauses einen Stich in die Lippe erhielt. Ich konnte rechtzeitig den Stachel entfernen und die frische Wunde gleich mit einer Jodseife einreiben, so daß der Schmerz bald schwand und gar keine Schwellung erfolgte. Ich selbst mußte mich gegen Bienenstiche in Acht nehmen, weil bei mir dann ganz unverhältnismäßige Anschwellungen kamen, die zwar bald wieder verschwanden, aber mir das Gesicht völlig verunstalteten. Ich hatte mir daher nach eigenem Entwurf einen Bienenhelm konstruiert, er bestand aus zwei Weidenringen und einer Hülle aus Fliegenmaschendraht. Vorne war ein Leder mit einem Kreuzschnitt zum Durchstecken der Pfeife angenäht, die Schultern waren mit einem langen Schulterkragen versehen, den ich unter die Weste einsteckte. Abends kam es oft genug vor, daß, wenn ich am Tage bei den Bienen gearbeitet hatte, beim Ausziehen ein verirrtes Bienchen ins Schlafzimmer brummte. Zum Imkern bediente ich mich der Lederhandschuhe, aber die Bienen verstanden es glänzend, wenn sie einmal gereizt waren, auch durch das Handschuhleder in die Fingerspitzen zu stechen. Der Schmerz war manchmal rasend, mußte aber standhaft verbissen werden, um keine Unvorsichtigkeiten zu begehen.
Die ausgedehnten Weinbauflächen brachten den Bienen nichts. Die Wiesen wurden nach Schluß des ersten Drittels im Juni gemäht, vorher waren sie sehr ergiebig. Die ganze Zucht drehte sich darum, um diese Zeit starke Völker zu haben, die nicht schwärmten. Zu diesem Zwecke begaben wir uns im Herbst meist zu mehreren auf die Fahrt in Hunsrückdörfer und besuchten die Bauern, die nach alter Manier imkerten. Sie hielten die Bienen in Körben und wogen diese im Herbst ab, um zu entscheiden, welche Völker „geschlachtet“ wurden. Dieses erfolgte durch Abschwefeln, wobei die Bienen zugrunde gingen. Wir ersparten ihnen diese Prozedur, indem wir die schlachtreifen Stöcke abtrommelten. Auf den Korb wurde ein anderer gesetzt und die Bienen wurden durch langsames Abklopfen von unten her allmählich in den aufgestülpten leeren Korb getrieben, dann wurde ein Brett untergeschoben und die Bienen wurden betäubt. Zu diesem Zwecke hatten wir uns im Wald einen kindskopfgroßen Bovist geholt und getrocknet. Damit entwickelten wir Rauch, den wir in den Bienenkorb bliesen. Man durfte sie nicht zu lange betäuben, sonst streckten sie den Rüssel weit heraus und starben. Das betäubte Volk wurde schnell auf ein ausgebreitetes Tuch geschüttelt, mit einer Hühnerfeder wurde die Königin herausgeholt und in besonderes Gewahrsam gesetzt. Dann konnte man nach Belieben mehrere der abgetrommelten Völker vereinigen und in einen Kasten zusammensperren. Diese Transportkästen mußten besonders gut versperrt werden, denn auf der Heimfahrt kamen die Bienen wieder zu sich und fingen gewaltig an zu brummen. Wären sie losgekommen, so hätte es leicht ein Unglück geben können. Gottlob ist niemals etwas geschehen. Einmal hatte ich es so eingerichtet, daß uns Kreisarzt Dr. Lehmann mit seinem Zweispänner von einer solchen Trommelfahrt abholte und die Bienenkästen dabei mitnahm. Er hat nicht wenig Angst dabei ausgestanden, aber die Kästen hielten zu. Wenn wir mit den Bienen glücklich zu Hause waren, wurden diese an einen kühlen Ort gestellt und bald darauf ein starkes Volk daraus zusammengestellt mit einer jungen Königin. Dieses wurde dann gut eingefüttert und konnte im Frühjahr als ein starkes Volk die Tracht gut ausnützen.
Später wurde das Abtrommeln der Bienen durch Einkauf von sogenannten nackten Bienenvölkern aus der Lüneburger Heide ersetzt. Dieser Kauf nahm einen solchen Umfang an, daß schließlich ganze Waggons voll solcher Bienenvölker transportiert wurden.
Der Rheinische Bienenzuchtverein hatte auch eine Einrichtung getroffen, mit der man mittels eines nächtlichen Extrazuges die Bienenstöcke in einen Bieneneilzug bringen und nach Holland auf die Heide stellen lassen konnte. Ein Bauer sorgte dafür, daß die Bienen nach Ankunft auf Schubkarren an einen geschützten Platz auf der Heide gebracht wurden. Mitunter wurde pro Volk bis zu dreißig Pfund Honig auf einer solchen Spätsommerreise aus der Tracht der Heideblumen erzielt. Mitunter machten sich auch einige Imker das Vergnügen, an einem Sonntage ihre fleißig arbeitenden Völker zu besuchen und sich von ihrem Wohlergehen zu überzeugen. Es waren damals herrliche Zeiten für einen Imker. Nur war es nicht ganz einfach, den Heidehonig aus den Waben zu kriegen, denn er löste sich sehr schlecht. Wollte man ihn herausbekommen, so bediente man sich der Honiglösemaschine, in der mit großen losen Nadeln jede einzelne Zelle angestochen wurde. Am einfachsten aber war es, man verzehrte diesen Heidehonig als Wabenhonig oder man beließ ihn den Bienen als Winterfutter.
Die ganze Bienenzucht machte nicht unerhebliche Arbeit. In dem Herbst
war man froh, wenn man seine Völker mit dem grauen unvergällten
zollfreien Zucker eingefüttert hatte, der den Imkern hierfür
besonders zur Verfügung gestellt wurde.
Die Bienen holen von jeder Blume Honig und Pollen ein, gleichviel ob dieselben giftig sind oder nicht. Auch ist ihnen die Farbe des Honigs gleichgültig. Von den gelbblühenden Rapsfeldern gibt es einen schneeweißen Honig, der sehr bald fest wird und das Aussehen von Schweineschmalz hat. Die Gewürzpflanze Borretsch blüht das ganze Jahr mit kleinen blauen Blumen, die stets Nektar tragen. Der Honig daraus gewinnt seltsamerweise das Aussehen von Karrenschmiere. Reiner Honig davon hat sogar eine grünschillernde Oberfläche, wie irgendein Schweröldestillat. Dieses Aussehens wegen ist er unverkäuflich und die Bienenväter hüten sich, übermäßig viel Borretsch in erreichbarer Nähe ihres Bienenstandes zu haben. Ich selbst hatte einmal einen ganzen Garten voll davon gesät und die Folge war, wir bekamen in allen Honig dunkelfarbige Streifen. Da wir ihn nicht verkauften, sondern selbst verzehrten, war uns dies gleichgültig. Aber der ganz schwarze mit der grünlich schillernden Oberfläche wurde selbst von uns mit Roggenmehl verbacken.
Es gibt viele Imker unter den Bahnangestellten und die Eisenbahnverwaltung begünstigt das Imkern sehr. Diese Angestellten sorgen dafür, daß die Bahndämme mit honigbringenden Pflanzen besät sind. Einen originellen Gedanken hatte ein ländlicher Imker, der in Longkamp im Hunsrück wohnte. Er hatte den einige hundert Meter von seinem Bienenstand entfernten Gemeindefriedhof mit riesig wucherndem Riesenhonigklee bepflanzt und bezog so seine Honigbeute von den Toten. Überall waren die Imker bestrebt, die Landwirte zum Anbau von solchen Pflanzen zu interessieren, deren Blüten Honig brachten, z. B. Raps, Fazelien.
Das ganze Bienenwesen war ungemein interessant. Das Leben der Bienen und ihre interessanten Geschlechtsbestimmungen sind für jeden Naturforscher von großem Interesse. An bayrischen Universitäten gibt es sogar Lehrstühle für Bienen.
Ich habe mir oft geträumt, ich würde im Alter, wenn ich nichts zu tun hätte, wieder zur Bienenzucht zurückkehren und meine Zeit dann fast ohne Unterbrechung am Bienenkorb zubringen. Es besteht wenig Aussicht dazu, daß dies einmal Wirklichkeit wird. Immerhin ist es durchaus nicht unmöglich, selbst in einer Stadt wie Bonn Bienen zu halten. Vorausgesetzt, daß man einen geeigneten Garten dazu hat. In den städtischen Gärten und Anlagen werden nämlich eine Unmasse Stauden und Blumen gezogen, die das ganze Sommervierteljahr hindurch blühen.